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XXXVIII.

Peregrine rettet einen Italiener aus den Händen eines Apothekers.

Die beiden Freunde verabredeten jetzt, wie sie es in der Folge mit ihrem Briefwechsel halten wollten, auch schrieb Peregrine einen Brief an die Geliebte, den er ihrem Bruder gab und in welchem er ihr die Schwüre einer ewigen Treue wiederholte. Jolter hatte unterdessen ein Abendbrod und guten Burgunder bestellt, damit man die letzten Stunden vergnügt zusammen zubringen könne.

Als dies alles angeordnet war, und eben der Tisch gedeckt wurde, ertönte plötzlich ein seltsames Geräusch aus dem benachbarten Zimmer, man hörte wie Tische und Stühle umgeschmissen wurden und Gläser zu Boden fielen und dazwischen erschallten unverständliche Ausrufungen in gebrochenem Französisch und verworrene Drohungen auf Wallisisch. Unsere beiden Freunde eilten sogleich dem Zimmer zu, wo sie ein kleines schwarzbraunes Figürchen erblickten, das unter den Händen eines untersetzten stämmigen Mannes in voller Todesangst nach Luft schnappte. Der Dicke hatte den Anderen im heftigsten Zorne bei der Kehle gepackt und rief: »Und wenn Ihr auch ein so großer Schwarzkünstler wärt, als Owen Glendower oder als die Hexe von Endor, oder als Paul Beor, so will ich euch doch mit Gottes Hilfe und im Namen Sr. Majestät anhalten, festnehmen und in Verwahrung bringen, bis Ihr für Eure teuflischen Künste nach den Gesetzen seyd bestraft worden.«

»Meine Herren,« setzte er im vollen Eifer hinzu und wandte sich an die Eintretenden, »ich nehme Sie hiermit zu Zeugen, daß dieser Mensch ein so boshafter Zauberer ist, wie man sich nur einen denken kann, und ich bitte, flehe und beschwöre Sie, mir zu helfen, daß er vor die hohe Obrigkeit gebracht und angehalten werde, sein Pactum mit dem Teufel und seine Gemeinschaft mit den Geistern der Nacht zu bekennen, denn so wahr ich ein rechtschaffener Christ bin und auf eine fröhliche Auferstehung hoffe, ich habe ihn heute Abend solche Dinge ausüben sehen, die ohne Beistand, Lehre und Zulassung des Teufels, nicht vollführt werden können.«

Der Volontair schien nicht übel Lust zu haben, der Meinung des Wallisers beizutreten; heftig faßte er den angeblichen Zauberer beim Arm und rief: »Ey der verfluchte Schurke! ich möchte wohl wetten daß er ein Jesuit ist, denn diese Kerle reisen nicht ohne spiritus familiarisPeregrine, der hierin aufgeklärter war als sein Freund, legte sich jedoch in's Mittel und befreite den Fremden von seinem Angreifer, indem er ihm zugleich dabei fragte: wodurch er sich denn diese Anschuldigung zugezogen habe? Mehr todt als lebendig, erwiederte der zitternde Fremdling: er sey ein Arzt aus Italien, habe in Padua längere Zeit seine Kunst mit Glück und Ruhm getrieben, endlich aber das Schicksal gehabt, die Augen der Inquisition durch seine Kenntnisse in der Physik auf sich zu ziehen. Man hätte dies für Zauberei gehalten und ihn deshalb verfolgt. Nun habe er sich nach Frankreich geflüchtet; da er hier jedoch seine Rechnung nicht gefunden, so sey er jetzt nach England gekommen in der Absicht seine Geschicklichkeit in London zu zeigen. Wegen einer Probe, die er der Gesellschaft unten in dem Hause davon gegeben, hatte ihn nun jener dicke Herr bis in sein Zimmer verfolgt und ihn daselbst so ungastlich behandelt. Zugleich bat er Peregrine, ihn unter seinen Schutz zu nehmen und erbot sich, im Fall man noch einigen Zweifel über ihn hegte, alle die Geheimnisse, die er besäße, zu offenbaren, um dadurch den Verdacht zu beseitigen, als bediene er sich übernatürlicher Mittel zu seinen Kunststücken.

Der junge Mann benahm ihm seine Furcht durch die Versicherung, daß er in England keine Verfolgungen zu befürchten hätte und er sich nur an den ersten besten Friedensrichter wenden dürfte, wenn ihm ja einmal der Eifer irgend eines abergläubigen Menschen lästig werden sollte; dann machte er sowohl Gauntlet als den Walliser darauf aufmerksam, daß der Fremde eine Klage gegen sie anstellen könne, indem es durch einen Parlamentsbeschluß festgesetzt sey, daß, wer einen Anderen der schwarzen Kunst oder Hexerei beschuldige, strafbar werde, indem dergleichen sinnlose Behauptungen jetzt von jedem vernünftigen Menschen verlacht würden.

Jolter war unterdessen ebenfalls in das Zimmer gekommen und äußerte hierauf: er könne dieser Meinung nicht beipflichten; dann bemühte er sich durch Zeugnisse aus der heiligen Schrift und Stellen aus den Kirchenvätern, sowie durch die Bekenntnisse einiger Personen selbst, zu beweisen, daß es allerdings Menschen gäbe, die mit den Geistern der Finsterniß in Verbindung stünden: auch suchte er durch Citate aus: Satans unsichtbarer Welt und: Moretons Geschichte der Zauberei, dies noch mehr zu erhärten. Gauntlet bekräftigte sogleich diese Rede durch Thatsachen, die er selbst erlebt haben wollte, und führte z. B. den Fall an, daß ein altes Weib aus seiner Nachbarschaft, die Kunst besessen habe, die Gestalten verschiedener Thiere anzunehmen und zuletzt als Haase sey erschossen worden. Ermuthigt durch diesen Beistand, bezeigte auch nun der Walliser seine Verwunderung darüber, daß die Gesetze solche abscheuliche Verbrechen in Schutz nähmen, und erbot sich durch unwiderlegbare Beispiele darzuthun, daß in ganz Wallis kein Berg wäre, auf dem nicht seit Menschengedenken Hexen und Kobolde ihr Wesen trieben. »Ich bin daher, « fuhr er fort, »ganz über die Maaßen erstaunt, betroffen und verwundert, daß das Parlament von Großbritannien in seiner großen Weisheit, Einsicht und Klugheit auf diese Art die Werke des Teufels und der Finsterniß begünstigen und unterstützen soll, denn außer dem Zeugnisse der heiligen Schrift und dem der Werke, welche diese gelehrten und hochachtbaren Herren hier angeführt haben, unterrichtet uns ja selbst die Profangeschichte von den Ränken und Tücken der alten Schlange in den Wundergeschichten und Orakeln des Alterthums, wie man solches lesen kann in den vortrefflichen Geschichtschreibern Polybius, Titus Livius und selbst in den Commentarien des Julius Cäsar, der, wie alle Welt weiß, nicht allein ein sehr berühmter, tapferer, weiser, vorsichtiger und glücklicher Feldherr und vortrefflicher Redner, sondern auch ein zierlicher Schriftsteller war.«

Peregrine, der es nicht für gut fand sich mit drei so hartnäckigen Gegnern in einen Wortkampf einzulassen, begnügte sich hierauf zu erwiedern: es dürfte nicht schwer seyn ihre Meinungen zu widerlegen, indeß würde sie das um den vergnügten Abend bringen. Dann bat er den Italiener und dessen Gegner, der ihm ein orgineller Patron zu seyn schien, zum Abendessen und ersuchte dabei den Ersteren, der Gesellschaft einige Proben von der Kunst zu geben, durch welche der Walliser so in Zorn gesetzt worden war. Gern sagte der Arzt Beides zu, der Dicke konnte sich jedoch nicht eher entschließen, mit dem Fremden Gemeinschaft zu haben, bis dessen Charakter völlig außer Zweifel gesetzt sey. Nach einer kurzen Unterredung, die Peregrine jetzt mit dem Arzte hatte, versicherte ihm dieser aber nun: er stünde für die Schuldlosigkeit der Künste des Fremden ein, und nun weigerte sich der Walliser nicht länger von der Parthie zu seyn.

Pickle erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß dieser Letztere ein Wundarzt aus Kanterbury war, den man zu einer ärztlichen Berathschlagung nach Dover gerufen hatte, und da er hörte, da er Morgan hieß, so nahm er sich die Erlaubniß ihn zu fragen: ob er derselbe sey dessen in den Abentheuern von Roderich Random Ebenfalls ein Roman von Smollett, S. hierüber die biographische Notiz im Eingang des 1sten Bds. so ehrenvoll gedacht würde?

Master Morgan gab sich jetzt eine wichtige Miene und erwiederte mit gravitätischem Tone: »Herr Random, mein lieber Herr, ist, wie ich auf Gewissen und Seligkeit glaube, mein sehr guter und intimer Freund. Wir sind Kameraden und Schiffs- und Unglücksgenossen gewesen. Doch hat er sich nicht ganz so gefällig, artig und respectuös gegen mich benommen, als ich dies erwarten durfte, da er ohne mein Wissen, Willen und Genehmigung unsere Privatangelegenheiten publiciret und veroffenbaret hat. Indeß hoffe ich so wahr Jesus mein Erlöser ist, daß er dabei nichts Böses im Sinne hatte, obschon es Leute giebt, die, wie ich vernehme, sich über die Beschreibung meiner Person und meiner Gespräche lustig gemacht haben, aber ich sage und behaupte und setze mein Herz, mein Blut und meine Seele zum Pfande, daß alle diese Menschen nicht besser sind, als unwissende Esel und daß sie das wahre Komische, was Aristoteles τό γελοῖον Im Original: Τόγελοῖον; das englische Original hat bei den griechischen Zitaten Transkriptionen in lateinischen Lettern ohne Akzente. – D.Hg. nennt, so wenig einzusehen, zu unterscheiden und zu bestimmen vermögen, als eine Heerde Ziegen. Denn ich bin so dreist zu sagen und hoffe, daß die geehrte Gesellschaft derselben Meinung seyn wird, daß im ganzen Buche nichts von mir vorkommt was einem Christenmenschen und einem artigen Manne unanständig wäre.«

Alle gaben dies bereitwillig zu und Peregrine bemerkte noch besonders er habe bei Lesung dieses Buches die größte Hochachtung für seinen Charakter bekommen und er schätze sich glücklich, daß ihm die Gelegenheit geworden sey, ihn persönlich kennen zu lernen. Diese Artigkeit von einer Person wie Pickle, machte den Walliser nicht wenig stolz; er erschöpfte sich in Complimenten und sprach in der Wärme seiner Erkenntlichkeit den Wunsch aus, unsern Helden und dessen Gesellschaft in seinem Hause in Kanterbury einmal zu sehen. »Zwar,« setzte er hinzu, »will ich nicht groß thun und behaupten, mein Herr, daß Ihr gehorsamer Diener im Stande wäre, Sie nach Verdienst und Würden zu empfangen, doch sollen Sie in meiner schlechten Hütte meinem Weibe und meinen Kindern so willkommen seyn, als wären Sie der Prinz von Wallis selbst, und es müßte schlimm seyn, wenn ich Sie nicht zu dem Geständniß bringen sollte, daß ein alter Britte ein recht guter Kumpan zu seyn vermag. Denn ob ich schon nichts als ein Apotheker bin, so habe ich dennoch ein so gutes Blut in meinen Adern, als irgend ein Mensch in der ganzen Grafschaft; und ich kann meine Sippschaft zur Befriedigung der ganzen Welt herleiten, beschreiben und beweisen, und es durch Gottes Gnade und Beistand ausführen, meine Freunde mit einer schmackhaften Schöpskeule und einem Fläschchen Wein zu bewirthen, ohne daß mir irgend Jemand eine Rechnung unter den Bart reiben darf.«

Die Gesellschaft wünschte ihm herzlich Glück zu dieser behaglichen Lage und Peregrine versprach ihm bei seiner Rückkehr aus Frankreich, wenn ihn sein Weg durch Kanterbury führen würde, zu besuchen, und als er nun einiges Verlangen bezeigte, mehr von seiner Familie zu hören, da eröffnete ihm der Walliser mit vieler Zuvorkommenheit, daß seine Frau, nachdem sie ihn mit zwei Knaben und einem Mädchen, die sämmtlich wohl und munter wären, beglückt habe, keine Kinder mehr bekomme. Bei seinen Nachbarn stände er in gutem Ansehen und Kundschaft, und die letztere habe sich seit der Herausgabe des Roderich Random bedeutend vermehrt, so daß er jetzt einige tausend Pfund erübrigt hätte. Dies hätte ihn denn auf den Gedanken gebracht, sich zu seinen Verwandten nach Glamorganshire zu wenden, doch hätte seine Frau sich diesem Plane so hartnäckig widersetzt, daß es ihm viele Mühe gemacht sein Vorrecht zu behaupten, indem er ihr durch Vernunft und Beispiele bewiesen, daß er der König und Priester in seiner Familie sey und daß sie daher seinem Willen unterthan seyn müsse. Er benachrichtigte ferner die Gesellschaft, daß er seinen Freund Roderich Random, der von London gekommen sey ihn zu besuchen, nicht längst erst gesehen habe; daß derselbe seinen Prozeß gegen Topehall gewonnen, welcher ihm Narcissens Vermögen hätte auszahlen müssen Sämmtlich Personen, die in dem Roman Roderich Random vorkommen. daß Random aller Wahrscheinlichkeit nach im Kreise der Seinigen ein glückliches Daseyn führe, und daß er ihm ein Stück feine Leinwand, die dessen Frau selbst gesponnen, einige Fäßchen Lachs und Pökelfleisch, über dessen Geschmack nichts ginge, und ein Tönnchen vortrefflicher Heringe zu Salmigondi geschenkt hätte, welches, wie Jener wisse, seine Lieblingsspeise sey.

Jetzt wünschte man eine Probe von der Kunst des Italieners zu sehen, der nach wenigen Minuten Abwesenheit die Gesellschaft in das anstoßende Zimmer führte, wo sie zu ihrem Erstaunen und Schrecken, unzählige Schlangen erblickten, die sich wie Feuerstreifen an der Decke hinwanden. Entsetzt begann Morgan eine Menge Beschwörungsformeln herzumurmeln, Jolter aber rannte voll Angst aus dem Zimmer, während Gauntlet den Degen zog und selbst Peregrine etwas außer Fassung gerieth. Als der Italiener ihre Bestürzung sah, bat er sie, sich wegzubegeben, und nachdem er sie hierauf wieder hereingerufen hatte, war nichts mehr von den Schlangen zu sehen. Eine Menge anderer Kunststücke, die er noch zur Unterhaltung der Gesellschaft machte, brachten den Walliser beinahe wieder auf seine alte Meinung von dem Teufelsverkehr dieses Menschen, doch da der Italiener jetzt die Art und Weise, wie er dies alles bewirkt, auseinander setzte und ihnen zeigte, daß alles nur die Wirkung natürlicher Ursachen war, da fühlte sich Morgan endlich bekehrt und bat ihn, um seine frühere Unhöflichkeit wieder gut zu machen, einige Tage in Kanterbury bei ihm zuzubringen. Auch Gauntlet und Jolter gaben jetzt ihre Bedenklichkeiten auf und Peregrine verfehlte nicht dem Künstler durch eine artige Erkenntlichkeit zu zeigen, wie dankbar er ihm für das ihnen gemachte Vergnügen war.

Nachdem man auf diese Art den Abend so gesellig hingebracht hatte, begab sich ein Jeder zur Ruhe. Am nächsten Morgen frühstückte man aber zusammen, wobei Morgan erklärte; er wolle so lange in Dover bleiben bis Herr Pickle sich eingeschifft hätte, um dann Gauntlets Gesellschaft bis in seinen Wohnort zu genießen. Mittlerweile wurde auf Anrathen des Schiffers, der Dienerschaft befohlen, einen Vorrath von Lebensmitteln an Bord zu schaffen, und da das Packetboot erst um ein Uhr absegeln wollte, so begab sich die Gesellschaft einstweilen auf den Hügel, um das Schloß zu besichtigen, wo man Cäsars Schwerdt und die ungeheure Kanone, der Königin Elisabeth Taschenpistole genannt, in Augenschein nahm, Shakspeares Beschreibung wiederholte, als man die kreidigten Felsen betrachtete, und nach Calais hinüberblickte, das von einer dichten Nebelwolke verdeckt wurde, die ein Ungewitter zu verkünden schien.

Hierauf ging man in den Hafen zurück; die beiden Freunde umarmten sich noch einmal und Peregrine und Jolter begaben sich an Bord. Die Segel wurden aufgewunden, das Schiff stach mit gutem Winde in See; Gauntlet, Morgan und der Italiener kehrten aber nach dem Wirthshause zurück und machten sich dann auf den Weg nach Kanterbury.


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