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XIII.

Peregrine übt sein Talent auf Keypsticks Kosten und bittet endlich, da dessen Ruf und Anstalt zu sinken beginnen, von ihm weggenommen zu werden.

Da sich Keypstick für einen großen Gelehrten ausgab und bisweilen mit seinen Kenntnissen sich wichtig machen wollte, indem er die Knaben über Dinge zu examiniren begann, deren Anfangsgründe er selbst nur mit genauer Noth begriffen hatte, so verfehlte Peregrine jetzt nicht ihn so oft als möglich mit Fragen zu martern und mit den Bitten um die Erklärung dieser oder jener Stelle in einem Autor zu peinigen, wenn der andere Lehrer gerade nicht anwesend war. Keypstick, der hierdurch in die größte Verlegenheit gerieth, brauchte tausenderlei leere Ausflüchte seine Blöße zu verstecken; bisweilen schmälte er den Knaben aus, daß er ihn in seinen Betrachtungen störte; ein andermal klagte er über sein blödes Gesicht, das ihm nicht erlaubte die Stelle in dem Autor genau zu untersuchen, oder er verwies den ungestümen Frager auf das Wörterbuch mit der Bemerkung: er möchte in Zukunft besser aufpassen, wenn Hr. Jennings die Sätze vorconstruirte: aber trotz dieser Ausreden wurde er von seinem Peiniger mit einer solchen Beharrlichkeit verfolgt, das ihm häufig nichts Anderes übrig blieb als unter dem Vorwande eines eiligen Geschäftes, schnell das Zimmer zu verlassen. Dies merkten die Knaben natürlich sehr bald und wenn nun Perry oder die Andern ihn gern los seyn wollten, dann verfehlten sie nicht zu diesem Mittel ihre Zuflucht zu nehmen, was denn auch immer augenblicklich wirkte. Aber nicht zufrieden ihn auf diese Art in den Augen seiner Mitschüler verächtlich gemacht zu haben, übte der Schalk Peregrine nun auch seine Erfindsamkeit in mancherlei Ränken um ihn zu plagen und dem Gelächter bloßzustellen.

Master Keypstick war sich seiner unansehnlichen Statur und der Mißverhältnisse seines Körpers zu sehr bewußt um nicht alle mögliche Hülfsmittel der Kunst aufzuwenden, sein Aeußeres zu verbessern und sich so viel als möglich zu dem gewöhnlichen Maßstabe der Natur zu erheben: er trug zu dem Ende Schuhe mit ungeheuren Absätzen, blähte und reckte sich wie ein Pfau in die Höhe und hielt den Kopf mit einer solchen Muskelanstrengung empor, daß es ihm rein unmöglich wurde über die unnatürlich erhöhte Brust weg auf die Erde zu sehen. Diese Narrheit benutzte Peregrine ihm Obstschaalen und dergleichen in den Weg zu werfen, so daß wenn Keypstick darauf trat, die hohen Absätze unter ihm ausglitschten und er oft mit dem Verlust seiner Perücke zu Boden stürzte, was denn für die Zuschauer ein gar ergötzliches Schauspiel war. Ueberdies ergriff Pickle jede bequeme Gelegenheit ihm große Nadeln in die Beinkleider zu stecken und wenn sich nun der Geck im vollen Aerger niedersetzte, so drangen diese ihm in's Fleisch und nöthigten ihn mit unendlicher Eile und lautem Brüllen, wieder aufzuspringen. Da Peregrine bemerkte, wie ungemein geizig er in der Haushaltung war, so verdarb er ihm manche treffliche Brühe indem er Hände voll Salz, oder Ruß hineinwarf; auch schlug er heimlich den Hühnern Nadeln in die Köpfe, wodurch denn Keypstick durch das plötzliche Sterben dieser Thiere, auf den Gedanken gerieth, es grassire eine Seuche unter dem Federvieh und alle seine Hühner unter dem Werth so schnell als möglich verkaufte. Doch unter allen Streichen, die ihm der Knabe spielte, setzte ihn keiner in eine solche Verlegenheit als der den ich nun erzählen will.

Ein Bekannter hatte Keypstick benachrichtigt, daß eine vornehme Dame gesonnen sey, sein Institut unangemeldet zu besuchen, um sich selbst von Allem genau zu unterrichten, ehe sie ihren Sohn ihm anvertraute. Keypstick befahl daher seine Zöglinge und die Zimmer bestens aufzuputzen und in Stand zu setzen, er selbst sparte aber keine Mühe seine eigne Person zu schmücken, und seine Sorgfalt lenkte sich in dieser Hinsicht vorzüglich an eine ungeheure Knotenperücke in der er zu erscheinen gedachte. Nachdem dies alles nun im Stande war, wartete er die Ankunft der Dame in Ruhe ab, indem er einstweilen seine schöne Perücke in eine Schachtel legte, damit ja kein Zufall das künstliche Lockengebäude in Unordnung bringen möchte. Endlich sah er die Kutsche der Dame von weitem heranrollen: er eilte die Perücke aufzustülpen, aber o Himmel! da war weder Schachtel noch Perücke mehr zu finden. Anfangs glaubte er das Gesinde hätte die Schachtel weggenommen und rief mit großer Heftigkeit und starker Stimme die Leute herbei, während er selbst von Stube zu Stube eilte, das verlorne Schäfchen zu suchen: aber nirgends war es zu erblicken und Niemand vermochte ihm Nachricht davon zu ertheilen. Jetzt hörte er das Thor aufgehen, um den Wagen einzulassen; seine Ungeduld wuchs; er fluchte und schimpfte in einem greulichen Kauderwelsch; noch höher stieg jedoch seine Angst und Verlegenheit, als er das Rasseln der Räder auf seinem Pflaster vernahm. Wüthend warf er die Nachtmütze auf den Boden und watschelte in den Saal hinunter um sich eine seiner gewöhnlichen Perücken zu holen; wer schildert aber seine Verzweiflung, seinen Zorn, als auch diese nicht da waren! Wie ein Wahnsinniger geberdete er sich jetzt; der Schaum stand ihm vor dem Munde, einem Verrückten gleich sprang er im Gange auf und nieder indem er dabei, bald auf Englisch, bald auf Französisch, Gotteslästerungen ausstieß und ohne Zweifel würde er von der Lady in diesem Zustande gefunden worden seyn, hätten ihn nicht seine Leute mit Gewalt in sein Zimmer geschafft.

Der vornehme Besuch wurde unterdessen von Jennings angenommen, der der Dame sagte, daß Master Keypstick sich Unpäßlichkeits halber genöthigt sähe, das Bette zu hüten, und dann ihr die gewünschten Auseinandersetzungen über die Einrichtungen in der Anstalt gab, wodurch die Lady so befriedigt wurde, daß sie beschloß ihren Sohn der Aufsicht dieses Mannes anzuvertrauen. Keypstick dagegen ward wahrhaft krank: sein Verstand schien durch den heftigen Aerger den ihm Peregrines Schalksstreich verursacht hatte, einen heftigen Stoß erlitten zu haben. Die Perücken waren übrigens von diesem im Keller versteckt und später unvermerkt wieder an Ort und Stelle gebracht worden.

Eine volle Woche verstrich, ehe Keypstick sich im Stande sah öffentlich wieder erscheinen zu können, doch hatte er auch jetzt noch ein völlig verwildertes Ansehen und hegte dabei einen so tiefen Groll gegen die Urheber seines Unglücks, daß er demjenigen Knaben eine Belohnung von fünf Guineen versprach, der ihm die Schuldigen entdecken würde; zugleich erklärte er dabei: nichts in der Welt solle die Thäter von der gebührenden Strafe befreien.

Der Streich war diesmal von Pickle nicht ohne Theilnehmer ausgeführt worden und die Treue einiger seiner Spießgesellen nicht unbestechlich, indes hielt sie dennoch die Furcht vor ihm im Zaum und die Bemühungen des Oberlehrers scheiterten demnach an der Gewalt seines Einflußes. Dies, und die Erinnerung an verschiedene kränkende Späße die man sich früher auf seine Kosten erlaubt hatte, brachten Keypstick aber jetzt auf den unedelmüthigen Verdacht, Master Jennings möchte wohl selbst um die Sache wissen, und in der Absicht sich unabhängig zu machen, der Urheber sowohl dieses als aller ihm früher gespielten Possen seyn; und voll von diesem traurigen Wahn, suchte er nun die Knaben in der Hoffnung hierdurch wichtige Entdeckungen zu machen, auf seine Seite zu bringen. Diese Erwartung schlug ihm jedoch fehl und da sein nichtswürdiges Verfahren dem Unterlehrer zu Ohren kam, so legte dieser, empört hierüber, sein Amt nieder und ließ sich ordiniren; bald darauf verließ er aber das Königreich um sich in den amerikanischen Colonien ein schickliches Unterkommen zu suchen.

Jennings Entfernung brachte in der Anstalt eine bedeutende Veränderung hervor; sie gerieth von diesem Augenblick an in Verfall, da Keypstick weder Ansehn genug besaß, sich Gehorsam zu verschaffen, noch hinreichende Klugheit, die Zöglinge in Ordnung zu halten, und nicht lange so nahmen mehrere Eltern ihre Kinder aus der Pension, weil, wie sie meinten, der Vorsteher derselben anfinge zu alt für das Erziehungsgeschäft zu werden. Da Peregrine sah, daß das Ganze auf diese Art der Auflösung sich näherte und er täglich einen oder den andern seiner Kameraden verlor, so wurde er verdrießlich über seine Lage und beschloß ebenfalls sich wo möglich der Aufsicht eines Mannes zu entziehen, den er nicht weniger verachtete als verabscheute. Er legte demnach Hand an's Werk und verfertigte als seinen ersten Versuch im Briefschreiben, nachstehendes Billet an den Commodore:

»Sehr geehrter und geliebter Onkel.«

»In der Hoffnung, daß Sie sich noch wohlbefinden, melde ich Ihnen hiermit, daß Master Jennings abgegangen ist und daß Keypstick seines Gleichen nicht hat. Die meisten Schüler sind fort und täglich gehen noch welche ab. Ich bitte Sie um Ihrer Liebe zu mir, mich auch wegzunehmen, denn ich kann es hier nicht länger aushalten. Keypstick ist ein Dummkopf der kaum mensa decliniren kann. Er taugt zur Vogelscheuche weit besser als zum Vorsteher einer Erziehungsanstalt. Ich hoffe Sie werden mich bald abholen lassen. Soviel für diesmal, geehrter Herr Onkel. Mit Versicherung meiner tiefsten Hochachtung gegen meine Tante und meiner kindlichen Ehrfurcht gegen meine Eltern, die ich so wie Sie und meine Tante, um ihren Segen bitte, verbleibe ich,

sehr geehrter Herr Onkel
Ihr
geliebter und gehorsamer Neffe und
Pathe und bis in den Tod ergebner
Diener,

Peregrine Pickle

Dieser Brief machte dem alten Trunnion eine ungemeine Freude; er sah ihn für ein Meisterstück des menschlichen Geistes an und eilte so gestimmt, ihn seiner Gemahlin mitzutheilen, die er dadurch mitten in ihrer Andacht störte, indem er eine Botschaft in das Cabinet sandte, wohin sie sich öfters zurückzuziehen pflegte. Höchst mißlaunig über diese Unterbrechung, nahm sie den Beweis von ihres Neffen Verstande nicht mit dem Behagen auf, das der Commodore daran empfunden hatte, sondern machte im Gegentheil nach einigen mühsamen Bestrebungen zu sprechen – da ihr jetzt die Zunge zuweilen den Dienst versagte – die Anmerkung: der Junge sey ein unverschämter Bengel und verdiene eine tüchtige Züchtigung dafür, daß er es sich unterstehe von seinem Lehrer so unehrerbietig zu sprechen. Trunnion übernahm dagegen die Vertheidigung seines Pathen und stellte mit großer Wärme vor: er kenne Keypstick als einen nichtswürdigen, kupplerischen Buben und es sey ein Beweis von Perry's Verstand und Einsicht, daß er nicht länger bei einem solchen alten Narren bleiben wollte. Dabei erklärte er: sein Neffe solle nicht eine Woche länger in dem Hause des kratzfüßenden Hundsfotts bleiben und sanctionirte diesen Ausspruch durch eine gehörige Menge Schwüre.

Mistriß Trunnion legte jetzt ihr Gesicht in heilig ehrbare Falten und verwies ihm seine Ruchlosigkeit; indem sie ihn zugleich in einem gebieterischen Tone fragte: ob er denn nie sein wüstes und wildes Wesen abändern würde? Durch diese Vorwürfe erbittert antwortete er zornig: er wisse so gut wie irgend ein Weibsbild das einen Kopf auf dem Rumpfe habe, was er zu thun hätte, und sie möchte sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten bekümmern; dann gab er mit reichlichen Flüchen und Schwüren zu verstehen: er sey Herr im Hause.

Diese Eröffnung brachte aber auf die Lebensgeister der Dame die Wirkung hervor, die das Reiben an einer Glaskugel erzeugt; ihr Gesicht begann zu glühen und aus allen Poren schienen Feuerfunken sprühen zu wollen. Sie ergoß sich in eine unglaubliche Flut der bittersten Ausdrücke; er antwortete mit gleichem Grimme durch abgebrochene Winke und unzusammenhängende Flüche und Schwüre; aber mit verdoppelter Heftigkeit begann sie ihm von neuem den Text so arg zu lesen, daß er sich genöthigt sah, zuletzt die Flucht zu ergreifen, indem er ihr noch im Absegeln eine volle Ladung Flüche gab und etwas von einer alten Saufbulle vor sich hinmurmelte, jedoch wohlbedächtig so leise, daß sie es nicht verstehen konnte.

Von hier begab er sich gerade zu Mistriß Pickle, der er unter einer Menge Lobeserhebungen über die vielversprechenden Talente des Knaben, den Brief von Perry zeigte, dann aber, da er sah, daß auch hier dies alles nur kalt aufgenommen wurde, um die Erlaubniß bat, fernerhin für seinen Pathen selbst sorgen zu dürfen.

Die Familie der Dame hatte sich in der Zeit von Perry's Abwesenheit außer einer Tochter noch mit einem Sohne vermehrt, der jetzt die ganze Sorgfalt der Mutter auf sich zu ziehen schien, so daß diese in den vier vollen Jahren, in welchen sie ihren Erstgeborenen nicht gesehen hatte, vollkommen von der Schwachheit geheilt war, die man mütterliche Zärtlichkeit zu nennen pflegt. Sie bewilligte daher mit der größten Zuvorkommenheit die Bitte des Commodore, indem sie ihm zugleich ein artiges Compliment über den Eifer machte den er stets für die Wohlfahrt dieses Kindes habe blicken lassen.


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