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XVIII.

Peregrine zeichnet sich unter seinen Kameraden aus; er macht seinen Hofmeister lächerlich und lenkt die besondere Aufmerksamkeit des Rectors auf sich.

Peregrine zeichnete sich jetzt bei der Fortsetzung seiner Studien bald nicht nur durch seine Schnelligkeit im Begreifen, sondern auch durch sein fruchtbares Genie an losen Streichen aus, und da es ihm hier in dieser neuen Sphäre nicht an einer Menge Gleichgestimmter fehlte, so konnte sich jetzt sein Talent zu dergleichen Dingen in einem um so glänzenderen Lichte zeigen.

Anfänglich begnügte er sich mit kleinen Neckereien und übte hauptsächlich sein Genie an seinem Hofmeister, der nicht ermangelte sich dadurch seine Aufmerksamkeit zuzuziehen, daß er seines Schülers Geist mit gewissen politischen Grundsätzen auszuschmücken suchte, deren Falschheit einzusehen dieser bereits Scharfsinn genug besaß. Von jetzt an verging kaum ein Tag, wo Peregrine nicht Mittel fand, Jolter lächerlich zu machen und die eingewurzelten Vorurtheile, die kindische Eitelkeit, das feierliche und pedantische Wesen und der gänzliche Mangel an Menschenkenntniß bei diesem Manne, gaben nur zu häufigen Stoff zu muthwilligen Schraubereien und neckenden Einfällen. Auch versäumte Peregrine keine dieser Gelegenheiten, um sich und Andere auf Kosten seines Hofmeisters lachen zu machen.

Bisweilen mischte er denselben bei ihren Lustparthieen Rum unter den Wein und machte ihn dadurch berauscht, wo dann der arme Jolter die größten Blößen gab; zu andern Zeiten bediente sich Peregrine, wenn irgend eine verwickelte Materie besprochen wurde, der sokratischen Methode gegen ihn und brachte ihn durch eine Kette irremachender Fragen, die er unter dem Vorwande sich zu unterrichten, an ihn that, unvermerkt dahin sich zuletzt selbst zu widersprechen.

Ein andermal verleitete er ihn auf eine geschickte Art zu einem Liebesabentheuer mit dem Stubenmädchen im Hause, wo sich dann das Ganze mit der äußersten Beschämung und Verwirrung des armen Jolter endete. Das Mädchen war hübsch und der Hofmeister schwach; er hatte eines Abends ein wenig zu tief in das Glas gesehen und warf nun lüsterne Blicke auf die Schöne. Peregrine, immer auf der Lauer, bemerkte dies und beredete das Mädchen die Flamme mit unbedeutenden Gunstbezeigungen so lange zu nähren, bis sie sich nicht mehr unterdrücken ließ. Dies geschah; Jolters Eifer verdoppelte sich; er versprach, machte Geschenke, bat und flehte.... Das Mädchen schien endlich nachzugeben und beglückte ihn mit der Erklärung: ihre Thüre sollte um Mitternacht offen seyn.

Es läßt sich denken, daß der Liebhaber die Stunde nicht versäumte; voll der frohesten Erwartungen schlich er im Hemde und im Finstern dem Stelldichein zu; ungestüm pochte sein Herz vor Freude, als er die Thüre nur angelehnt fand; er sah die Nachthaube seiner Schönen, die im tiefen Schlafe zu liegen schien; voll Entzücken nahte er sich dem Bette und schlang seine Arme – um den Verräther Pipes der hier die Rolle des Mädchens spielte, und die Umarmung mit einer solchen Stärke erwiederte, daß der unglückliche Getäuschte den Betrug und die Unmöglichkeit sich wieder loswinden zu können, zugleich wahrnahm. Unmittelbar darauf traten aber sein boshafter Schüler nebst noch einem Collegen, der mit im Hause wohnte, und dem Mädchen die den ganzen Unfall veranlaßt hatte, mit Lichtern in die Kammer um den armen Hofmeister zu beleuchten, den diese Beschimpfung ganz unendlich niederbeugte und der hierdurch den letzten Rest von Autorität verlor, welchen er bisher noch über Peregrine gehabt hatte. Von jetzt an gingen Beide ohne alle Ceremonie mit einander um und Jolters Lehren verwandelten sich in freundschaftliche Winke die der Schüler nach Gutdünken befolgen konnte oder nicht. Es läßt sich denken, daß Peregrine von da an seinen Neigungen keinen Zügel mehr anlegte, und sich bald mit seinem offenen Kopf und seinem unternehmenden Geist, vor allen Anderen in seiner Classe auszeichnete.

Ehe er noch ein volles Jahr in Winchester zugebracht, hatte er sich, trotz der daselbst bestehenden Gesetze und Verordnungen, durch so manchen losen Streich ausgezeichnet, daß ihn seine Kameraden fast einstimmig bewunderten und in zu ihrem Dux oder Anführer erwählten. Das Gerücht hiervon verfehlte nicht dem Rector zu Ohren zu kommen, der nun den Hofmeister holen ließ und von diesem ernstlich verlangte, er solle die Wildheit seines Zöglings mehr in Zaum halten, da man sich sonst genöthigt sehen würde zum Besten des Ganzen einmal ein Exempel zu statuiren.

Jolter, der sich sehr wohl bewußt war, wie wenig Ansehn er bei seinem Schüler besaß, wurde durch diese gemessene Vorschrift in keine geringe Verlegenheit gesetzt. Voll Nachdenken ging er nach Hause und beschloß endlich hier nach reifer Ueberlegung, da er keine Zwangsmittel anzuwenden wagen durfte, Peregrine in den freundschaftlichsten Ausdrücken Vorstellungen zu machen und ihn um seines eigenen Besten willen zu beschwören, sein Betragen zu ändern. Er erzählte ihm demzufolge ganz offenherzig was der Rector gesagt hatte, stellte ihm die Beschimpfung vor, die er sich zuziehen würde wenn er seine Warnungen in den Wind schlagen wollte und erinnerte ihn dabei an seine Lage und daran, wie übel es ihm gehen könnte, wenn der Commodore einmal böse auf ihn würde.

Diese Reden machten einen um so stärkeren Eindruck auf den jungen Menschen, da sie mit manchen Ausdrücken der Freundschaft und Theilnahme durchwebt waren. Peregrine war nicht so unbesonnen und flatterhaft um die Gründlichkeit von Jolters Rath nicht einzusehen; er versprach sich darnach zu richten, weil sein Stolz dabei interessirt war, denn sehr wohl sah er selbst ein, daß er nur durch Besserung der Schmach einer gelegentlichen öffentlichen Beschimpfung zu entgehen vermöchte, deren Gedanke ihm schon unerträglich war.

Da Jolter ihn so vernünftig fand, so glaubte er diese Augenblicke des Nachdenkens bei seinem Schüler nützen zu müssen und schlug ihm, um ihn vor Rückfällen zu bewahren, vor, sich auf irgend ein angenehmes Studium zu lenken das seiner Einbildungskraft Unterhaltung verschaffte und ihn von den Verbindungen losmachte, die ihn in so manches gefährliche Abentheuer zogen. Er empfahl zu dem Ende seinem Schüler mit manchem entzückten Lobspruch, die Mathematik als eine Wissenschaft an, die seiner jugendlichen Einbildungskraft ein besseres und dauernderes Vergnügen verschaffen würde, als alles Andere und begann noch denselben Nachmittag den Euklid mit ihm zu studiren.

Peregrine ergriff diesen Zweig der Gelehrsamkeit mit aller der Wärme womit junge lebhafte Leute sich auf neue Gegenstände zu werfen pflegen; aber kaum war er über die Pons asinorum hinaus, so erkaltete sein Eifer; die scharfen Demonstrationen gewährten ihm nicht das Entzücken, welches ihm sein Lehrer versprochen hatte und eh' er noch bis zum sieben und vierzigsten Satze kam, begann er schon entsetzlich zu gähnen und saure Gesichter zu schneiden, indem er sich für seine gespannte Aufmerksamkeit nur schlecht durch die Mittheilung der großen Entdeckung des Pythagoras belohnt glaubte, daß das Quadrat der Hypothenouse gleich sey den Quadraten der beiden Catheten. Da er sich Jedoch schämte sein Unternehmen so schnell aufzugeben, so bezwang er sich so lange bis er die vier ersten Bücher geendet, die ebene Trigonometrie und den algebraischen Calcul begriffen und sich mit den Grundsätzen der Feldmeßkunst bekannt gemacht hatte: dann aber vermochte nichts mehr ihn bei diesem Studium zu erhalten. Mit doppelter Begierde kehrte er zu seinen früheren Vergnügungen zurück, einem Strome gleich, der eine Zeitlang zurückgehalten, nun mit einer um so unwiderstehlicheren Gewalt, daher braußt.

Mit Erstaunen und Kummer sah Jolter diese Veränderung ohne im Stande zu seyn dem wilden Lauf Einhalt zu thun. Peregrines Aufführung war von jetzt an nichts als eine Kette leichtsinniger und zügelloser Streiche bei der sich mit bewundernswürdiger Schnelligkeit, Neckerei, auf Neckerei, Gewaltthätigkeit auf Gewaltthätigkeit folgte, so daß bald täglich immer neue Klagen einliefen. Vergebens ermahnte der Hofmeister, vergebens drohten die Lehrer; an jenen kehrte er sich nicht, und diese verachtete er. So schritt er, jeden Zügel abstreifend, auf der begonnenen Laufbahn fort und erreichte bald einen solchen Gipfel von Verwegenheit, daß man eine eigne Berathschlagung seinerhalb anstellte, bei welcher man denn dahin übereinkam, daß man ihn bei dem ersten Frevel den er wieder verüben würde, mit einer scharfen und schimpflichen Geißelung belegen sollte. Zugleich trug man dem Hofmeister auf, den Commodore im Namen des Rectors zu ersuchen, Pipes von seinem Neffen wegzunehmen, weil dieser ein Hauptanstifter der verübten Unfuge sey; auch sollte Jolter den Onkel bitten, den monatlichen Besuchen des Lieutenants ein Ziel zu setzen, der nie ermangelte sich der erhaltenen Erlaubniß zu bedienen und allemal pünktlich mit neuen Erfindungen befrachtet, zu dem festgesetzten Tage eintraf. In der That war Hatchway auch unter den jungen Leuten des Collegiums schon so gut bekannt, daß ihm mehrere derselben stets mit Peregrine zugleich entgegengingen und ihn mit lautem Jubel bis in seine Wohnung begleiteten. Was aber den Bootsmann anlangt, so galt dieser allgemein nicht sowohl für Peregrinens Diener, als für den maître de plaisir der ganzen Schule. Er mischte sich in alle Lustparthien der jungen Leute, ordnete ihre Vergnügungen an und entschied über ihre Streitigkeiten als habe er dazu einen besondern königlichen Auftrag. Bei ihren Tänzen spielte er mit seiner Bootsmannspfeife auf, die kleineren Knaben lehrte er Anschlagen, den Kräusel drehen, durch den Reifen springen und dergleichen, den größeren dagegen allerlei Kartenspiele, sowie die Art und Weise ein Castell zu stürmen und den Prinz Arthur und andere Pantomimen so auszuführen, wie dies von der Mannschaft auf den Schiffen zu geschehen pflegt; die ältesten von diesen jungen Leuten aber, die man durch die Benennung » fidele Burschen« auszeichnete, unterrichtete er in der Kunst mit dem Knäuel zu fechten, den schönen Bauerntanz Sanct Giles Hornpipe genannt, zu tanzen, Flipp zu trinken und Tabak zu rauchen.

Durch dieses Alles hatte er sich bei den Schülern so beliebt gemacht, daß seine Entlassung, wenn auch Peregrine gar nicht dabei interessirt gewesen wäre, dennoch sehr leicht zu Gährungen unter dieser stürmischen Jugend hätte Veranlassung geben können, auch glaubte Jolter, dem dies wohlbekannt war, dieserhalb seinem Zögling von dem ihm gewordenen Auftrag Nachricht geben zu müssen, und ihn ganz offenherzig zu fragen, wie er sich hierbei zu benehmen habe; denn geradezu an den Commodore ohne Peregrinens Vorwissen zu schreiben, wagte der gute Mann nicht mehr, da er in diesem Falle befürchten mußte sein Schüler möchte dann dem alten Herrn gewisse Anekdoten mittheilen, an deren Unterdrückung dem Hofmeister sehr viel lag.

Peregrine erwiederte ihm: die Mühe dem Commodore die Klagen vorzutragen, könne er sich ersparen, was aber den Rector betraf, so sagte er ihm er solle diesem nur versichern: er hätte sein Verlangen erfüllt; dabei versprach er ihm zugleich heilig und fest, er wolle sich künftig so vorsichtig aufführen, daß keine neuen Beschwerden über ihn einlaufen sollten. Der Entschluß, der dieses Versprechen begleitete, war jedoch zu schwach um von langer Dauer zu seyn; es vergingen keine vierzehn Tage so sah sich unser Held in ein Abentheuer verwickelt, aus welchem er sich diesmal nicht mit seinem gewohnten Glücke zu ziehen vermochte.


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