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XXXIX.

Die Reisenden laufen Gefahr zu ertrinken. Pipes erscheint als Retter. Peregrine landet in Calais.

Das Schiff hatte kaum ein paar Meilen zurückgelegt, als der Wind umsprang und gerade entgegen blies, man sah sich daher genöthigt den Lauf zu ändern. Die See ging unterdessen sehr hohl und Peregrine begann Uebelkeiten zu empfinden. Auf Anrathen des Schiffers, ging er auf das Verdeck, um hier seinem Magen Erleichterung zu verschaffen , Jolter aber, der mit dergleichen Unfällen bereits bekannter war, legte sich in's Bett und vertrieb sich die Zeit mit einer Abhandlung über die Cykloide, die er mit reichlichen algebraischen Beweisen durchspickte und dadurch von allem, was um ihn her vorging, abgezogen wurde.

Der Wind begann indessen immer heftiger zu blasen und das Schiff schwankte so heftig, daß die Wellen über das Verdeck wegschlugen. Der Capitain begann jetzt unruhig zu werden, die Mannschaft war voller Verwirrung und die Passagiere theils von Krankheit, theils von Furcht überwältigt. Da sah Peregrine, der sich an den Treuen festhielt und ganz betrübt umher blickte, mitten aus diesem Aufruhre zu seinem höchsten Erstaunen, Pipes Gestalt aus dem Kielraume emporsteigen. Anfänglich war er geneigt diese Erscheinung für ein Schattenbild zu halten, das seine Furcht ihm vormalte, bald bemerkte er jedoch, daß es der Bootsmann wirklich war, der nun rasch auf den Oberlof sprang, sich des Steuerruders bemächtigte und wie ein Befehlshaber zu gebieten begann.

Der Schiffer glaubte in ihm einen zur Rettung gesendeten Engel zu sehen und das Schiffsvolk, das trotz einer Livree einen gebornen Seemann in ihm erkannte, zögerte nicht seinen Anordnungen so pünktlich Folge zu leisten, daß in Kurzem alle Unordnung schwand und dem Winde der Vortheil abgewonnen wurde. Peregrine merkte sogleich die Ursache, weshalb sich Tom an Bord befand, und als sich nun der Tumult etwas gelegt hatte, da näherte er sich ihm und ermahnte ihn Sorge für die Erhaltung des Schiffes zu tragen, indem er ihm dabei versprach, ihn wieder in seine Dienste zu nehmen und ihn nie wieder ohne seinen Willen zu entlassen.

Dies Versprechen wirkte sehr günstig auf Tom, doch äußerte er sich darüber weiter nicht, sondern drückte nur dem Schiffer das Steuerruder wieder in die Hand und sagte: »Da, Du alte Nachtmütze! Da! nimms! und so mußt Du's machen, so!« Dann sprang er auf dem Schiffe herum, ordnete die Segel um den Wind zu fangen, und handhabte das Tauwerk so geschickt und künstlich, daß Jedermann auf dem Verdeck über ihn erstaunte.

Jolter war unterdessen weit davon entfernt bei der ungewöhnlichen Bewegung des Schiffes, dem Sausen des Windes und dem Gewühl über sich, in ruhiger Fassung zu seyn: voll Angst und Beklommenheit blickte er unverwandt nach der Cajütenthür, indem er hoffte hier Jemanden gewahr zu werden, der ihm von dem Wetter und was auf dem Verdecke vorgänge, Nachricht bringe, allein Niemand ließ sich sehen und er kannte die Beschaffenheit seiner Eingeweide zu gut, um sich aus dem Bette zu wagen. Endlich, nachdem er eine lange Zeit in wahrer Todesangst gelegen hatte, taumelte der Schiffsjunge mit einem solchen Gepolter in seine Kammer, daß der Hofmeister glaubte, der große Mast sey über Bord gestürzt und mit allen Zeichen der Angst und des Schreckens rief: »Was giebt's?« Halb betäubt von seinem Falle, versetzte der Junge in einem klagenden Tone: »Ach Du mein Herr Gott! ich bin des Todes!« Jetzt glaubte Jolter ganz gewiß das Schiff sey ohne Rettung verloren und die Schauer der Verzweiflung ergriffen ihn; er fiel in seinem Bette auf die Knie, heftete die Blicke fest auf das in Händen habende Buch und begann mit zitternder Stimme herzubeten: »Die Zeit einer gänzlichen Oscillation der Cykloide verhält sich zu der Zeit, in welcher ein Körper durch die Achse der Cykloide D. V. fällt, wie die Peripherie eines Cirkels zu seinem Diameter.«

Gewiß würde er auch noch zu dem Beweise dieses Satzes fortgeschritten seyn, wenn ihm nicht so übel geworden wäre, daß er das Buch hätte fallen lassen, und eine andere Lage annehmen müssen. Er streckte sich demnach auf seinem Lager aus, sandte Stoßgebete zum Himmel und bereitete ich völlig zu seinem Ende vor, als mit einem Male das Geräusch oben nachließ und alles stille wurde. Diese ihm unerklärliche Ruhe, flößte ihm aber nun wieder den Gedanken ein, die Wellen möchten die Besatzung vom Bord gespült und in die Tiefe gerissen, oder alles sich in dumpfer Resignation in das unvermeidliche Schicksal des Umkommens ergeben haben, und noch befand er sich in dieser peinlichen Ungewißheit, die nur zuweilen durch einen einzelnen Hoffnungsstrahl erhellt ward, als der Schiffer in die Cajüte trat. »Wie stehts?« rief ihm der Hofmeister mit bebender Stimme entgegen. Der Schiffer wollte eben eine große Branntweinflasche an den Mund setzen und entgegnete mit hohler Stimme: »'s ist alles vorbei, Herr!« Voll Entsetzen schrie Jolter, der nun seinen Tod für gewiß hielt: »O Gott! o Herr! erbarme Dich unser! Christe! erbarme Dich unser!« und dies wiederholte er mechanisch so lange, bis ihm der Schiffer lachend seinen Irrthum benahm und ihm eröffnete: daß der Sturm und alle Gefahr vorbei sey.

Der plötzliche Wechsel von Verzweiflung zur Freude, machte aber doch einen solchen Eindruck auf ihn, daß es eine gute Viertelstunde dauerte, eh' er seiner ganz wieder mächtig ward. Das Wetter hatte sich unterdessen aufgeklärt, der Wind begann wieder günstig zu wehen und die Thurmspitzen von Calais zeigten sich bereits in einer Entfernung von fünf Meilen. Eine frohe Erwartung munterte jetzt Alle wieder auf und Peregrine wagte es in die Cajüte hinabzugehen und seinen Hofmeister von der günstigen Wendung der Dinge zu unterrichten, der nun entzückt durch die Aussicht, bald wieder seinen Fuß auf festen Boden setzen zu können, in die ungemessensten Lobeserhebungen über das Land ausbrach, wohin sie segelten. »Frankreich,« sprach er, »ist das Land feiner Sitten und der Gastfreiheit, und vom Pair bis zum Bauer giebt Jeder durch sein Betragen hiervon Beweis. Der Fremde wird hier nicht, wie in England, von den geringern Classen beleidigt und betrogen, sondern mit Achtung, Redlichkeit und Ehrerbietung behandelt. Das Clima ist rein und gesund, die Felder fruchtbar, die Pächter reich und betriebsam und alle Einwohner glücklich.« Gewiß würde er mit diesen Lobpreisungen noch weiter fortgefahren seyn, wenn sein Zögling sich nicht genöthigt gesehen hätte, auf das Verdeck zu eilen, um seinem Magen Luft zu machen: als der Schiffer aber Peregrine in diesem Zustande sah, da erinnerte er ihn sehr dienstfertig an den Schinken, die Hühner und den Wein, die dieser an Bord geschickt hatte, und fragte ihn, ob er etwa unten sollte decken lassen? In der That hätte er keinen passenderen Augenblick zum Beweise seiner Uneigennützigkeit wählen können als diesen: Peregrine verzog beim bloßen Gedanken an Essen schon das Gesicht und bat ihn um Gotteswillen, nicht davon zu sprechen.

Der Schiffer stieg aber jetzt in die Cajüte hinab und richtete dieselbe Frage an Jolter, der, wie er wohl wußte, einen eben solchen Abscheu dagegen empfände; dann begab er sich in das Zwischendeck und wiederholte hier sein Erbieten gegen den Kammerdiener und den Lakaien, die unter allen Qualen einer zwiefachen Entledigung seufzten und seinen Vorschlag mit dem entsetzlichsten Ekel verwarfen. Jetzt, da ihm alle seine freundlichen Bemühungen fehl schlugen, befahl er aber dem Schiffsjungen, den Mundvorrath nach Seegebrauch in eines seiner Behältnisse zu schaffen, und er würde hier eine stattliche Beute gemacht haben, wenn Pipes sich nicht ins Mittel gelegt und alle diese Lebensmittel unter die Matrosen ausgetheilt hätte, die seiner Meinung nach, einer solchen Erquickung wohl bedurften. So hatte der Schiffer den Verdruß durch sein übereiltes Verfahren seinen Plan selbst zu zerstören, denn hätte er geschwiegen, so wäre es sicher Niemand eingefallen an die Lebensmittel zu denken.

Als man sich jetzt der französischen Küste nahte, war gerade Ebbe und das Schiff konnte demnach nicht in den Hafen laufen: man sah sich daher genöthigt ein Boot kommen zu lassen, das sich auch in weniger als einer halben Stunde einstellte. Jolter, der unterdessen auf das Verdeck gekommen und mit allen Merkmalen des Entzückens, französische Luft in sich gesogen hatte, beeilte sich die Leute im Boote mit der freundschaftlichen Anrede: » Meine Kinder,« zu fragen: was sie dafür verlangten ihn und seinen Gefährten, nebst dessen Dienerschaft und Sachen, an das Land zu bringen? Wie überrascht war er aber, als man dafür einen Louisd'or begehrte. –

Mit einem sarkastischen Lächeln bemerkte ihm jetzt Peregrine, er sehe, wie gerecht seine Lobeserhebungen in Betreff der Franzosen wären, und der getäuschte Hofmeister vermochte sich nun nicht anders herauszureden, als daß er erwiederte: diese Menschen wären durch ihren häufigen Verkehr mit den Bewohnern von Dover verdorben worden. Die Unverschämtheit ihrer Forderung hatte indessen unsern Helden so empört, daß er schwor, sich ihrer Hülfe nicht bedienen zu wollen und wenn sie auch die Hälfte nachließen, und daß er lieber im Paketboot bleiben würde, als eine solche Prellerei zu begünstigen.

Der Schiffer, dem die Leute im Boote aus collegialischer Freundschaft nahe gingen, stellte jetzt vor: er könne an dieser Küste unter dem Winde nicht sicher liegen und ankern; dies half jedoch zu nichts, denn nachdem Peregrine hierüber mit Pipes zu Rathe gegangen war, erklärte er: Da er den Schiffer gedungen hätte ihn bis Calais zu bringen, so würde er nun auch Mittel zu finden wissen ihn zu zwingen, diesen Vertrag zu halten. Diese Antwort kränkte den Schiffer gewaltig und war dem Hofmeister äußerst unangenehm, aber trotz der Nachgiebigkeit, welche die Leute im Boote jetzt bewiesen, mussten sie dennoch unverrichteter Sache wieder zurückkehren; der Schiffer lief aber noch ein wenig weiter an der Küste hinauf, warf hier Anker und wartete die Fluth ab, mit deren Hülfe man dann vollends in den Hafen steuerte, wo Peregrine nebst seinen Leuten und Gepäck von den Matrosen, denen er ihre Bemühungen reichlich vergalt, vollends an das Land geschafft wurde.

Hier sah er sich augenblicklich von einer Menge Träger umringt, die wie hungrige Wölfe über seine Sachen herfielen und sie, ohne erst einen Befehl von ihm abzuwarten, fortzuschleppen begannen. Diese unverschämte Dienstfertigkeit brachte ihn aufs neue auf; mit manchem Fluch befahl er ihnen: davon abzustehen, da jedoch der Eine derselben sich hieran durchaus nicht kehrte und mit seiner Bürde davon ging, so riß er seinem Bedienten den Stock aus der Hand, eilte ihm nach, und streckte ihn mit einem Streiche zu Boden. Aber jetzt umringte ihn der ganze Haufe, um den Fall des Kameraden zu rächen, und sicher würde Peregrine sehr übel weggekommen seyn, wenn ihm nicht Pipes mit der Schiffsmannschaft zu Hülfe geeilt wäre und ihn befreit hätte. Seine Gegner zogen sich hierauf mit der Drohung zurück: ihre Beschwerden bei dem Commandanten anzubringen; eine Aeußerung, die den Hofmeister, der die Macht der französischen Behörden kannte, in ein ungemeines Schrecken versetzte. Das Gesindel wagte es jedoch nicht, sich wirklich zu beschweren, da hierdurch dessen unverschämtes Benehmen an den Tag gekommen und es sich selbst einer harten Strafe ausgesetzt haben würde, und Peregrine hatte demnach die Freiheit sich seiner eigenen Leute zur Fortschaffung seinen Gepäckes bedienen zu können. So kam man an das Thor, wo die Schildwache die Reisenden so lange anhielt, bis deren Namen waren aufgeschrieben worden.

Jolter, der bereits einmal dies Examen ausgestanden hatte, beschloß seine Erfahrungen zu nutzen und gab seinen Zögling für einen Lord aus, und kaum vernahm dies der Officier der Wache, so ließ er seine Mannschaft so lange unter das Gewehr treten, bis die angebliche Lordschaft ihren Einzug in den silbernen Löwen gehalten hatte, wo Peregrine bis zum folgenden Morgen zu bleiben und dann nach Paris abzugehen gedachte.

Diese ihnen wiederfahrene Ehrenbezeugung, veranlaßte den Hofmeister sein Lieblingsthema wieder aufzunehmen: er pries die französische Regierung mit allen Kräften; keine Verfassung auf Erden, behauptete er, sey besser eingerichtet um das Volk in Ordnung zu halten und zu beschützen. »Von ihrer vorzüglichen Aufmerksamkeit gegen Fremde,« fuhr er fort, »haben wir eben den besten Beweis erhalten, sowie von ihrer Loyalität, die uns erlaubte, den Vorrechten der Einwohner zum Trotz, unser Gepäck durch unsere eigenen Leute wegzuschaffen.« Noch breitete er sich über dies alles weitläuftig aus, als der Kammerdiener mit der Nachricht in das Zimmer trat: daß ihre Koffer und Mantelsäcke nach der Douane geschafft werden müßten, um daselbst plombirt zu werden, und daß diese Versiegelung erst in Paris wieder abgenommen werden könne.

Gegen diese Einrichtung, die den Gesetzen des Landes gemäß war, hatte Peregrine nichts einzuwenden, da er jedoch hörte, daß eine Menge Packträger abermals die Thüre belagerten und auf ihrem sogenannten Rechte bestünden, die Sachen fortzuschaffen und sich dafür die Bezahlung selbst zu bestimmen, so weigerte er sich durchaus hierein zu willigen und warf nicht allein einige der ärgsten Schreier die Treppe hinab, sondern erklärte auch: daß wenn die Zollbedienten seine Sachen durchsuchen wollten, sie sich zu ihm in den Gasthof bemühen könnten.

Dem Kammerdiener war dies Benehmen seines Herrn sehr unangenehm und der Lakai zuckte die Achseln und meinte: man sähe den ächten Engländer in ihm. Vergebens stellte auch der Hofmeister vor, wie unstatthaft dies Betragen sey und welche üble Folgen es haben könne. Peregrine war zu eigensinnig, um dem besseren Rathe Jolters Gehör zu geben. In der That rückte auch bald ein Commando Soldaten vor das Haus, bei deren Anblick Jolter erbebte und der Lakai und der Kammerdiener erblaßten, während unser Held in vollem Unwillen ihnen bis an die Hausthüre entgegenging und sie mit wilden Blicken fragte, was sie wollten? Ganz ruhig erwiederte ihm der Unteroffizier hierauf: seine Sachen nach der Douane tragen; dann postirte er seine Leute zwischen Peregrine und diese Effecten; die mitgebrachten Träger hoben sie auf und trugen sie dann ohne Umstände an den bestimmten Ort.

Peregrine war nicht unsinnig genug sich dieser Anordnung widersetzen zu wollen; um den Vollstrecker des Befehles aber zu ärgern, gebot er seinem Kammerdiener ganz laut auf Französisch, mitzugehen und Acht zu geben daß nichts von seiner Wäsche und seinen übrigen Sachen genommen würde. Der Unteroffizier mußte sich natürlich hierdurch gekränkt fühlen; mit einem verächtlichen Blick sah er den jungen unbesonnenen Mann von oben bis unten an und sprach: »Man sieht, daß sie fremd im Lande sind.« Dieser Blick und diese Rede beschämten Peregrine; er ärgerte sich jetzt über sich selbst, denn nichts war seinen Grundsätzen mehr entgegen, als einen unedelmüthigen Verdacht zu hegen.


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