Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVI.

Trunnion hat ein Abentheuer mit dem Acciseinnehmer, wobei der Letztere schlecht wegkömmt.

So widersinnig und unerklärlich die Leidenschaft auch ist, vermöge welcher leichtfertige, sonst aber wohlgesinnte und ganz gute Personen sich angetrieben fühlen, ihre Nebenmenschen zu ängstigen und zu kränken, so ist es dennoch nicht minder gewiß, daß man dies oft findet, und was unsere Verbündeten hier anlangt, so besaßen diese eine so reichliche Dosis von dieser Neigung, daß sie sich nicht mit ihren bisherigen Streichen begnügten und unablässig fortfuhren, ihren Freund und Wohlthäter zu quälen.

Unter mehreren Zügen aus seiner Jugendgeschichte, hatte Trunnion ihnen öfters von einem Wilddiebstahle erzählt, an welchem er unglücklicherweise leichtsinnig Theil genommen hatte. Die Sache war übel ausgefallen; Trunnion und seine Gefährten wurden nach einem hartnäckigen Widerstande von den Wildhütern ergriffen, vor den Friedensrichter gebracht und von diesem ins Gefängniß gesetzt. Während dieser Verhaftung behandelten ihn seine Anverwandten, hauptsächlich ein Onkel, von dem er damals noch gänzlich abhing, mit großer Strenge und Härte, und Letzterer erklärte: er würde sich nur dann für seinen Neffen verwenden, wenn sich dieser schriftlich verbindlich machte, binnen dreißig Tagen nach seiner Befreiung in See zu gehen, widrigenfalls müsse sich derselbe der auf den Wilddiebstahl gesagten Strafe unterwerfen. In dieser mißlichen Lage entschloß sich Trunnion dazu, das verlangte Versprechen zu geben, und sah sich demzufolge, eh' ein Monat verging, seinem Ausdruck nach, Wind und Wellen preisgegeben.

Seit dieser Zeit hatte er nie wieder eine Gemeinschaft mit seinen Verwandten gehabt, die sämmtlich an seiner Fortschickung arbeiteten; jetzt aber, da sich ihm das Glück wohlwollend gezeigt hatte, waren mehrere derselben de- und wehmüthig vor ihm erschienen, doch hatte er nie die mindeste Rücksicht auf sie genommen; den größten Widerwillen hegte er jedoch gegen den alten Onkel, der sich noch am Leben befand und äußerst hinfällig war; nie vermochte er dessen Namen auszusprechen, ohne das Gefühl der höchsten Entrüstung zu zeigen.

Da Peregrine durch das öftere Wiederholen mit jedem Umstande aus dieser Geschichte genau bekannt war, so machte er jetzt Hatchway den Vorschlag, irgend Jemand durch Geld oder Versprechungen dahin zu bringen, daß derselbe dem Commodore ein erdichtetes Empfehlungsschreiben von diesem gehaßten alten Onkel überreichte. Dieser Betrug, hoffte er, würde ihnen Allen gewiß vielen Spaß bereiten.

Der Plan gefiel dem Lieutenant; Peregrine setzte den Brief auf und der Acciseinnehmer des Kirchspiels, ein Mensch von vieler Unverschämtheit und bereitwillig zu Schelmstreichen, schrieb nicht nur den Brief ab, sondern übernahm es auch, die Rolle desjenigen zu spielen, dem zu Gunsten dieser Brief angeblich verfaßt worden war.

Demzufolge kam jetzt eines Morgens, wenigstens ein paar Stunden eher, als Trunnion aufzustehen pflegte, der Acciseinnehmer in der Garnison angeritten, und sagte zu dem Bootsmann, der ihn einließ: er habe einen Brief für den Herrn vom Hause, mit dem gemessenen Befehl ihn keinem Andern, als diesem selbst einzuhändigen. Als diese Botschaft dem dieserhalb aus dem Schlafe gerüttelten Commodore gebracht wurde, begann derselbe sogleich seine gewöhnliche Ladung Flüche über den Boten auszustoßen, der seine Ruhe störte, und hoch und theuer zu schwören: er würde nicht eine Minute eher aufstehen als sonst. Diese Antwort ward jetzt dem Fremden gebracht, der darauf sogleich erwiederte, man möchte dem Commodore zurückmelden: er habe ihm so erfreuliche Nachrichten mitzutheilen, daß er sich für diese Störung reichlich entschädigt halten würde, und wenn er selbst aus dem Grabe aufgeweckt worden wäre.

So anlockend diese Versicherung auch war, so würde sie dennoch keine Wirkung hervorgebracht haben, wenn nicht Mistriß Trunnion, die auf alle Schritte ihres Gemahls einzuwirken suchte, selbige durch ihre Ermahnungen unterstützt hätte. Der Commodore entschloß sich daher zuletzt unter großem Sträuben, das Bette zu verlassen, seine Morgenkleidung überzuwerfen und sich hinab zu begeben; den ganzen Weg über rieb er sich aber die Augen und gähnte und brummte entsetzlich.

Kaum hatte er jetzt den Kopf in das Besuchzimmer gesteckt, als der hier auf ihn wartende Fremde eine Menge linkische Verbeugungen machte und ihn mit einem grinsenden Gesicht folgendermaßen anredete: »Ganz unterthänigster Diener, mein gestrenger Herr Commodore! ich hoffe, Sie befinden sich doch noch recht wohl? Gelobt sey Gott! Sie sehen ja so munter und frisch aus, daß, wenn Sie nicht den fatalen Unfall mit dem Auge gehabt hätten, kein angenehmeres Gesicht in einem ganzen langen Sommertag einem vorkommen könnte. Ja, so wahr ich lebe, kein Mensch kann Sie für einen Sechziger halten und ich will nicht zu Gott kommen, wo ich Sie nicht für einen Trunnion erkannt hätte, und wenn ich Ihnen auch, wie man zu sagen pflegt, mitten auf der Ebene von Salisbury begegnet wäre.«

Der Commodore, welcher ganz und gar nicht in der Laune war, an einem solchen Eingange Geschmack zu finden, unterbrach ihn hier mit einem mürrischen Tone: »Puh! puh! Brüderchen, habt's nicht nöthig, soviel unnützes Zeug vom Stapel laufen zu lassen. Könnt Ihr nicht flugs auf die Hauptsache lossteuern, so thut Ihr am besten, einen Pflock vor die Zunge zu stecken und abzusegeln, seht Ihr! hattet mir ja was einzuhändigen, wie man mir sagte?«

»Einzuhändigen?« rief der Andere, »ja, ich habe etwas bei mir, worüber Ihnen das Herz im Leibe vor Freude hüpfen wird. Hier ist ein Brief von einem theuern und werthen Freunde; nehmen Sie, lesen Sie und seyn Sie glücklich! Gott stärke sein altes Herz! man möchte sagen, er verjünge sich, wie die Adler.«

Trunnions Erwartung war jetzt auf den höchsten Grad gespannt; er ließ sich seine Brille geben, wischte sie ab, brach den Brief auf und blickte voll Neugier nach der Unterschrift. Kaum sah er aber hier den Namen seines Onkels, so prallte er zurück; seine Lippen und alle Glieder bebten vor Zorn; dennoch brannte er vor Begierde, den Inhalt eines Schreibens von einem Manne zu wissen, der ihn sonst nie mit Nachrichten von sich belästigt hatte, und mit möglichster Fassung durchlas er nun die nachstehenden Zeilen:

»Lieber Neffe!«

»Ich zweifle um so weniger, daß Er sich freuen wird, die Nachricht von meinem Wohlbefinden zu erhalten, wenn Er bedenkt, was ich immer für ein gütiger Onkel gegen Ihn war und wie ich in Seinen jungen Jahren Sorge für Ihn getragen habe, obschon Er es nicht verdient hat, denn Er war immer ein unverschämter junger Bengel, der einen gottlosen Wandel führte und sich zu allerlei bösen Buben und liederlichem Gesindel hielt. Deswegen würde Er auch auf jeden Fall ein Ende mit Schimpf und Schande genommen haben, wenn ich nicht dafür gesorgt hätte, Ihn dem Verderben aus dem Rachen zu reißen und ihn außerhalb Landes zu schicken; doch deswegen schreibe ich Ihm heute eigentlich nicht. Sir Timothy Trickle ist ein weitläuftiger Anverwandter von Ihm, der Sohn von dem Vetter Seiner Base Margery, und befindet sich nicht in den besten Umständen. Er will jetzt nach London gehen, um sich da eine Stelle bei der Accise oder dem Zollamte zu suchen. Recommandire Er ihn doch einem oder dem andern Großen von Seiner Bekanntschaft, und setze Er ihm einstweilen ein kleines Jahrgeld aus, bis er versorgt ist. Ich zweifle nicht, daß es Ihm eine herzliche Freude seyn wird, dem jungen Manne zu dienen, sollte es auch nur aus Achtung gegen mich geschehen. Ich bin,

lieber Neffe,      
Sein           
Tobias Trunnion

Selbst dem unnachahmlichen Hogarth würde es ein Schweres gewesen seyn, die possierlichen Gebärden abzukonterfeien, die der Commodore bei Lesung dieses Briefes machte. Es war nicht das Starren des Erstaunens, nicht die Zuckungen der Wuth oder das Grinsen der Rache, jedes allein, sondern alles Dreies zusammengenommen, was sich jetzt in seinen Zügen malte, und erst nach einer langen Pause vermochte er ein gepreßtes »Ach!« hervorzustoßen, dann aber machte er seinem Unwillen in folgenden Worten Luft: »So komme ich doch noch mit Euch zusammen, Ihr alter stinkender Filz! Ihr lügt, Ihr lumpiger Halunke! Ihr thatet Alles, was in Euren Kräften stand, mich zu Grunde zu richten, als ich noch eine kleine Gölle war, und was das Unverschämte, den gottlosen Wandel und den Umgang mit dem liederlichen Gesindel anlangt, so sagt Ihr da wieder eine verfluchte Lüge, Ihr Hund Ihr! denn in der ganzen Grafschaft gab's keinen ordentlicheren und friedlicheren Burschen als ich. Seht Ihr, ich hatte meine Lebstage keine schlechtere Gesellschaft als die Eurige. Hört, Trickle! oder wie Ihr sonst heißen mögt, sagt dem alten Schurken, der Euch hergesendet hat, daß ich ihm ins Gesicht spucke und ihn einen alten Karrengaul nenne. Seinen Brief aber zerreiß' ich in Fetzen; so, so, seht Ihr, und trample darauf herum, so wie ich auf seinem schändlichen Rumpfe herumzutrampeln wünschte.« – Bei diesen Worten tanzte er wie ein Wahnsinniger auf den Stücken von dem Briefe umher, die er auf den Fußboden hingestreut hatte; eine Scene, die dem anwesenden Triumvirate ein unaussprechliches Vergnügen machte.

Der Acciseinnehmer, der sich wohlweislich ohnweit der offen gebliebenen Thüre postirt hatte, nahm jetzt eine bestürzte Miene an, und sagte mit dem Ausdruck der Kränkung zu dem Commodore: »Gott stehe mir bei! pflegen Sie so mit Ihren Anverwandten umzugehen und die Empfehlung Ihres besten Freundes nicht höher zu achten? o Gott! ist doch alle Dankbarkeit und Tugend, wie es scheint, aus dieser sündigen Welt gewichen! Was wird Vetter Tim und Dik und Tom sagen und die gute Mutter Pipkinn und ihre Töchter, die Bäschens Sue, Prue und Peg, und die ganze Sippschaft, wenn sie hören werden, wie gewissenlos Sie mich empfangen haben! Bedenken Sie, Sir, daß Undankbarkeit schlimmer ist, als die Sünde der Zauberei, wie der Apostel sagt. Schicken Sie mich nicht nach einer so unchristlichen Aufnahme fort, sonst wird Ihre arme, elende Seele mit schwerer Schuld beladen werden.« – »Hoho! Bruder Trickle, kreuzt Ihr nicht nach einem Posten herum?« fiel Trunnion ein, »war's nicht so? Wart Bruder, will Euch gleich einen Posten anweisen lassen thun. Pipes! nimm mal diesen patzigen Hundejungen und schließ ihn unten an den Pfahl im Hofe. Will den Burschen lehren, mich frühmorgens mit seinen unverschämten Botschaften aus den Schlaf zu wecken.«

Pipes, der Lust empfand, den Spaß weiter zu treiben, als der Acciseeinnehmer es sich einbildete, bemächtigte sich sogleich dessen Person, und vollzog des Commodores Willen, so viel ihm jener auch zuwinken und zunicken mochte, dem es jetzt schmerzlich an zu reuen fing, eine Rolle in dieser Comödie übernommen zu haben, da die Sache einen so üblen Ausgang zu nehmen schien. Voll banger Erwartung stand er unten am Pfahle gebunden, und warf manchen schmerzensvollen Blick über die Schulter weg, während der Bootsmann ging, um einen Willkomm zu holen. Noch schmeichelte sich der Geängstigte, durch des Lieutenants Fürsprache befreit zu werden, aber der ließ sich nicht sehen, und bald kam Tom mit dem Werkzeuge der Besserung zurück, entkleidete nun den Delinquenten in einem Augenblicks und flüsterte ihm dabei zu: es thäte ihm zwar herzlich leid, aber so lieb ihm sein Leben sey, müsse er seines Commodores Befehle vollziehen. Mit diesen Worten schwang er die Knotenpeitsche hoch in die Luft, und ließ sie dann mit einer solchen Schnelligkeit und Gewandtheit auf den Rücken und die Schultern des bestürzten Accisebedienten fallen, daß dieser, zur Belustigung der Umstehenden, die wunderlichsten Capriolen machte und vor Schmerz laut aufbrüllte.

Nachdem er auf diese Art eine feine Weile tüchtig durchgegerbt worden war, erschien endlich der Lieutenant, der sich bisher mit Fleiß versteckt gehalten hatte, und legte bei Trunnion zur Befreiung des Missethäters ein gutes Wort ein. Halb unsinnig vor Zorn und Schmerz, wollte jetzt der Acciseinnehmer durch ein offenes Geständniß der ganzen Sache, sich an denen rächen, die ihn so hinterlistig ins Garn gelockt hatten; aber Hatchway gab ihm zu bedenken: daß er sich dadurch selbst als einen Betrüger und Schriftverfälscher den Gerichten in die Hände spielen würde, und dies bewog ihn denn, seinen Schaden und Spott ruhig zu ertragen und sich unter einer Ladung Flüche, die ihm der noch immer über die Störung seiner Ruhe und die Täuschung seiner Erwartung erbitterte Commodore nachsandte, ganz still aus der Garnison zu schleichen.


 << zurück weiter >>