Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XLIII.

Peregrine hat zu Paris ein Abentheuer und wird von der Wache festgenommen. Er macht Bekanntschaft mit einem vornehmen französischen Herrn, der ihn in die feine Welt einführt

Kaum war man mit der Wohnung in Ordnung, so meldete Peregrine dem Commodore seine glückliche Ankunft, zugleich schrieb er aber auch an seinen Freund Gauntlet, und legte ein sehr zärtliches Briefchen an seine theure Emilie mit ein, worin er die Gelübde seiner Treue und Beständigkeit wiederholte. Hierauf ließ er es sein nächstes Geschäft seyn, seine Garderobe nach dem neuesten französischen Schnitt zu ordnen.

Unter dieser Zeit besuchte er nur das englische Caffeehaus, wo er bald mit mehreren seiner Landsleute bekannt wurde, die aus denselben Ursachen, wie er, nach Paris gekommen waren, und den dritten Abend nach seiner Ankunft machte er mit einigen derselben eine Parthie zu einem Restaurateur, der eine junge hübsche Frau besaß, die viele Kunden ins Haus zog und der nun unser junger Herr als ein eben aus London gekommener Fremder, vorgestellt wurde. Die muntere, hübsche Frau fand Peregrinens ganzen Beifall, sowohl durch ihre äußere Erscheinung, als durch ihre heitere und ungezwungene Unterhaltung.

Nachdem das Weibchen wohl eine Stunde in der Gesellschaft geblieben war, stand sie endlich auf um sich zu entfernen; die jungen Leute baten sie jedoch so dringend, ihnen ihre Gegenwart beim Abendessen zu gönnen, daß sie dies versprach und ganz unbefangen äußerte: sie wolle jetzt nur in das nächste Zimmer gehen, um hier ein natürliches Bedürfniß zu befriedigen. Diese unumwundene Eröffnung verführte Peregrine zu dem Glauben, er könne sich bei ihr alle mögliche Freiheiten herausnehmen, und in dieser Voraussetzung folgte er ihr auf dem Fuß in das andere Zimmer, wo er sich ziemlich freie Annäherungen gegen sie erlaubte. Erstaunt über seine Kühnheit begann die junge Frau über diese englische Treuherzigkeit zu spötteln, indeß ließ sie sich nicht abhalten ihr Geschäft in seiner Gegenwart abzuthun, und Pickle, der hierdurch noch mehr in seinem Wahn bestärkt wurde, ward nun noch dreister, so daß nun die junge Wirthin sich genöthigt sah, laut zu schreien.

Auf diesen Hülferuf rannte ihr Mann augenblicklich herbei und da er seine Hälfte in einer so mißlichen Lage sah, stürzte er nun auf den Freibeuter los, der seinerseits seinen Raub fahren ließ und dem Wirthe übel mitzuspielen begann; als aber jetzt die Frau ihren Bettgenossen so schlecht behandeln sah, nahm sie sich dessen an und grub ihre Nägel so kräftig in des Gegners Gesicht, daß diesem das Blut von beiden Wangen herabfloß. Durch das Getöse dieses Kampfes wurden nun aber auch die Dienerschaft des Hauses und zugleich Peregrinens Gesellschafter herbeigelockt, zwischen denen und den ersteren sich schnell ein Treffen entspann, dessen Ende dahin auslief, daß die Leute im Hause in die Flucht geschlagen, die Frau mißhandelt und der Mann die Treppe hinabgeworfen ward.

Empört über den ihm und seinem Hause erwiesenen Schimpf, eilte der Wirth auf die Straße und holte die Wache herbei; die auch sogleich zwölf bis vierzehn Mann stark mit aufgepflanztem Bayonnet das Haus umringte. Die jungen Leute, welche glauben mochten hier mit einer Miliz wie die Londoner Schaarwache zu thun zu haben, die sie oft schon in die Flucht getrieben hatten, machten nun, aufgeblasen durch ihren ersten Erfolg Peregrinen an der Spitze und den Degen in der Hand, einen Ausfall, und die Wache, welche Mitleid mit den Berauschten hatte, vielleicht auch aus Rücksicht gegen die Fremden, nicht gleich Gewalt brauchen wollte, öffnete still ihre Reihen und ließ die Brauseköpfe durch. Diese Nachsicht wurde indeß von Peregrine falsch ausgelegt, und er versuchte es nun aus bloßem Muthwillen, einem der ihm zunächststehenden Soldaten auf die Füße zu treten; diese Unart bekam ihm aber übel: er erhielt in demselben Augenblick einen so kräftigen Stoß mit der Kolbe vor die Brust, daß er halb betäubt einige Schritte zurücktaumelte. Durch diese Angriff von Zorn entflammt, stürzte sich nun die ganze Gesellschaft auf die Soldaten; nach einem kurzen Gefecht, in welchem Mehrere von ihnen Wunden bekommen hatten, wurden sie aber übermannt und insgesamt in die Wache geschleppt, deren kommandirender Officier jedoch so nachsichtsvoll war, sie in Betracht ihrer Jugend wieder in Freiheit zu setzen, ihnen zugleich aber auch einen Verweis für ihr unartiges und unanständiges Betragen zu geben. Unser Held ärndtete diesmal demnach von seiner Galanterie und seinem Muth keine andere Frucht als eine ziemliche Zahl schimpflicher Merkmale im Gesicht, die ihn eine ganze Woche nöthigten das Zimmer zu hüten. Dem Hofmeister konnte dieser Vorgang unmöglich verschwiegen bleiben, und er unterließ nicht seinem Zöglinge Vorstellungen über sein Betragen zu machen und die Bemerkung hinzuzusetzen: er könne sein Glück preisen, daß er mit Franzosen zu thun gehabt habe, die unter allen Nationen des Erdbodens, die Gesetze der Gastfreundschaft am mehrsten achteten.

Da des Hofmeisters Bekanntschaften in Paris hauptsächlich aus irländischen und englischen Priestern und jener Gattung von Menschen bestand, die sich den Fremden dadurch nützlich zu machen suchen, daß sie dieselben entweder in der Landessprache unterrichten oder kleine Aufträge für sie besorgen, so war er nicht besonders fähig dazu den Geschmack eines jungen Mannes zu leiten, der seiner Bildung wegen reiste und Willens war, einst in der Folge eine Rolle in seinem Vaterlande zu spielen. Auch war er sich seiner Untauglichkeit hierzu vollkommen bewußt und begnügte sich damit, den Hausverwalter zu machen und über die täglichen Ausgaben treulich Buch zu halten. Zwar kannte Jolter alle die Orte genau, welche von den Fremden in Paris besucht werden; er wußte den Preis bis auf einen Liard zu bestimmen, den man hier oder da für die Besichtigung eines Pallastes oder dergleichen zu geben hat, alles Andere war ihm aber völlig unbekannt und in Betreff der Meisterwerke der Künste, deren es in dieser Hauptstadt so viele giebt, so war er darin unwissender als ein Lohnbedienter. Mit einem Wort, Jolter vermochte sehr gute Nachricht über die Oertlichkeit der Stadt zu geben und konnte einem Reisenden die Ausgabe für einen Wegweiser durch Paris recht füglich ersparen; er wußte alle Restaurationen vom geringsten bis zum höchsten Preis nachzuweisen; er kannte die Taxe für einen Miethwagen nach jedem Ort hin und konnte mit Schneidern und Wirthen über die einzelnen Artikel in ihren Rechnungen streiten, so wie auch die Bedienten in einem leidlichen Französisch zurechtweisen; allein was die Gesetze, die Sitten und Gebräuche und den Genius des Volks anlangt, oder die Charaktere einzelner Personen und das Leben in den feinen und größeren Cirkeln, so waren dies Dinge, die er weder Gelegenheit, noch Lust, noch Urtheilskraft gehabt hatte, zu beobachten oder zu unterscheiden. Alle seine Ansichten entsprangen aus Pedanterie und Vorurtheilen und nothwendig waren daher seine Begriffe unklar, seine Urtheile schief, sein Betragen linkisch, seine Unterhaltung abgeschmackt, ekelhaft und langweilig; und dennoch kann man sagen, daß ein großer Theil der unbeholfenen Wesen, welche unter der Benennung von Hofmeistern rohe Knaben durch die Welt leiten, dem Bilde dieses Mannes gleicht.

Peregrine kannte übrigens den Umfang von Jolters Wissen zu gut, um es sich auch nur von ferne in den Sinn kommen zu lassen, ihn bei der Einrichtung seiner Lebensweise um Rath zu fragen; er theilte seine Zeit selbst so ein, wie seine eigne Ueberlegung und die Nachweisungen seiner Freunde, die länger schon in Frankreichs Hauptstadt sich aufgehalten hatten und die dortige Lebensart kannten, es ihm an die Hand gaben.

So wie er im Stande war sich nach der Mode zeigen zu können, miethete er sich monathsweise einen Wagen und begann die Sehenswürdigkeiten der Stadt nach der Reihe in Augenschein zu nehmen, dann aber auch die Umgegend, wie St. Cloud, Marly, Versailles, Trianon, Saint Germain, Fontainebleau etc. so wie die Theater und die öffentlichen Spaziergänge, in der Hoffnung, Mistriß Hornbeck hier aufzufinden oder sonst ein Abentheuer anzutreffen, das ihm Unterhaltung zu gewähren versprach.

Dabei zweifelte er keinen Augenblick, daß sein Aeußeres die Aufmerksamkeit einer Dame, ledig oder verheirathet, gleichviel! auf sich ziehen würde, und er war eitel genug zu glauben, daß nicht leicht ein weibliches Herz ihm würde widerstehen können, wenn er nur Gelegenheit erhielte seine Batterien spielen zu lassen; dennoch vergingen eine ziemliche Zahl Wochen, ohne daß auch nur der geringste Erfolg sich zeigte und er fing bereits an, von der Urtheilskraft der Franzosen eine sehr üble Idee zu bekommen, als eines Tages sein Wagen auf dem Wege zur Oper durch einen Auflauf auf der Straße aufgehalten wurde. Ein paar Bauern waren hier mit ihren Karren aneinander gefahren und darüber in Zank und Handgemenge gerathen. Der eine der Kämpfenden war dabei, nachdem der Streit eine Weile mit großer Erbitterung war geführt worden, von ungefähr auf den Boden hingestürzt und sein Gegner hatte nun diese Gelegenheit benutzt, über ihn herzufallen und ihn unbarmherzig abzuprügeln. Diese schmachvolle Verletzung der Gesetze des Faustkampfes konnte Pipes, der hinten auf dem Wagen seines Herrn stand, nicht ruhig mit ansehen. Er sprang von der Kutsche herab, richtete den Gefallenen auf und ermunterte ihn in englischer Sprache, zu einem zweiten Gange, indem er ihm zugleich die nöthigen Anweisungen gab, sich der geballten Faust nach allen Regeln der Boxkunst zu bedienen.

Ermuthigt durch diesen Beistand, sprang der Kämpfer auf seinen Feind von neuem los und würde wahrscheinlich das erlittene Unrecht tüchtig vergolten haben, wenn ihn nicht die Dazwischenkunft eines Bedienten von einem vornehmen Herrn daran verhindert hätte, dessen Wagen dieses Streites wegen gleichfalls halten mußte. Ein spanisches Rohr in der Hand sprang der Lakai von der Kutsche herab und begann ohne alle Umstände und ohne weiteres Reden auf den Bauer loszuprügeln den Pipes in Schutz genommen hatte.

Dies Verfahren erzürnte den Bootsmann noch mehr. Augenblicklich gab er dem galonirten Burschen einen solchen Schlag vor den Magen, daß dessen Eingeweide in die größte Unordnung geriethen, und er sich mit einem lauten »Ach!« erschrocken zurückzog; sogleich aber eilten nun die andern beiden noch auf der Kutsche stehenden Bedienten ihrem Kameraden zu Hülfe und ließen einen dichten und unangenehmen Platzregen von Streichen auf das Haupt des Angreifers fallen, der sich weder gehörig vertheidigen noch ausweichen konnte. So wenig Peregrine das Betragen seines Dieners zu billigen vermochte, eben so wenig konnte er es doch ertragen, ihn auf eine so rauhe Art mißhandeln zu sehen; er verließ daher seinen Wagen und griff, um Pipes zu retten, dessen Gegner mit dem Degen in der Hand an, die nun die Flucht ergriffen, während Pipes dem Ersten den Rohrstock aus der Hand wand und ihn jetzt damit so methodisch bearbeitete, daß Peregrine sich endlich selbst für ihn glaubte ins Mittel legen zu müssen.

Ganz erstaunt über Pickles Kühnheit, stand eine grosse Masse von Menschen umher; kaum vernahm dieser aber, daß der Herr, dessen Bedienten er gezüchtigt hatte, ein General und Prinz sey, so nahte er sich dem Schlage von dessen Wagen und bat ihn um Verzeihung für das Vorgefallene, indem er nicht gewußt habe, wen er die Ehre hätte hier zu sehen. Der alte Herr nahm diese Rechtfertigung sehr höflich auf, dankte Peregrine dafür, daß er sich die Mühe gegeben die Sitten seiner Leute zu bessern, und da er in dem jungen Manne einen Fremden von Stande zu erblicken glaubte, so hatte er noch obendrein die Artigkeit, ihn aufzufordern sich zu ihm in den Wagen zu setzen, da er doch vermuthlich sich ebenfalls nach der Oper begeben wollte. Diese günstige Gelegenheit mit einem Manne von solchem Range bekannt zu werden, wurde von Peregrine mit Freuden benutzt; er befahl seinem Wagen ihm zu folgen, und begleitete den fremden Herrn in dessen Loge, wo er sich während der ganzen Vorstellung mit ihm unterhielt.

Dieser Herr sah bald, daß es unserm jungen Manne weder an Witz noch Geist fehlte und schien viel Wohlbehagen an dessen einnehmendem Wesen und der Ungezwungenheit seines Benehmens zu finden; Eigenschaften, durch welche sich die Engländer in der Regel nicht sonderlich in Frankreich auszeichnen, und die deshalb an Peregrine um so mehr auffielen. Dies veranlaßte denn daß der alte Herr ihn nach der Vorstellung mit nach Hause nahm und ihn hier seiner Gemahlin und mehreren vornehmen Personen vorstellte, die bei ihm speisten. Das leutselige Betragen dieser Herrschaften, so wie die Leichtigkeit und Anmuth ihrer Unterhaltung, bezauberten Peregrine ungemein, und er nahm es sich beim Abschiede fest vor, eine Bekanntschaft von solcher Wichtigkeit auf alle Art und Weise zu erhalten zu suchen.

Seine Eitelkeit flößte ihm jetzt den Gedanken ein, die Zeit sey nun da seine Talente gegen das schöne Geschlecht zu nützen, weswegen er denn beschloß, dies mit größter Kunst und Geschicklichkeit zu thun; in dieser Absicht besuchte er fleißig die Gesellschaften in welche ihn sein vornehmer Freund einführte, der keine Gelegenheit vorbei ließ, ihn auszuzeichnen.

Eine Zeitlang nahm er auf diese Art an allen Ergötzlichkeiten der großen Welt Theil und speiste in den vornehmsten Häusern der Stadt; die eitlen Hoffnungen, womit er sich jedoch bisher genährt hatte, sanken aber bald zusammen, denn nur zu schnell wurde er gewahr, daß er, um die ansehnlichen Bekanntschaften fortzusetzen, täglich Quadrille spielen, d. h. mit anderen Worten, sein Geld verlieren mußte, da alle Personen in diesen Cirkeln, sowohl Damen als Herren, ausgelernte Spieler waren, und alle Feinheiten einer Kunst verstanden, worin er sich als ein völliger Neuling zeigte. Dazu machte er auch sehr bald die Bemerkung, daß es ihm im Punkte der französischen Galanterie nicht viel besser ging, und daß er, der unter seinen Landsleuten für einen lebhaften, unterhaltenden jungen Mann galt, hier nicht viel anders als ein phlegmatischer und noch etwas unbeholfener Jüngling erschien. Es läßt sich denken, daß sich sein Stolz hierdurch nicht wenig gekränkt fühlte. Er verfehlte nicht seinen Mangel an Glück bei den französischen Damen ihrer Geschmacklosigkeit zuzuschreiben und nachdem er einige Monate mehreren derselben ohne allen Nutzen den Hof gemacht und eine hübsche Summe Geld dabei verzettelt hatte, ließ er den Plan gänzlich fahren und tröstete sich für dieses Mißgeschick, durch die Unterhaltung mit einer Schönen, die ihn für einen monatlichen Preis von zwanzig Louisd'ors mit ihrer Gunst beglückte; damit er aber diese Ausgabe desto besser bestreiten könnte, schaffte er seine Kutsche und seine französischen Bedienten ab.

Um sich in den gymnastischen Künsten zu vervollkommen, besuchte er jetzt fleißig eine sogenannte Akademie und schloß zugleich auf dem Caffeehause und an seinem Speisetische, wo er sich jetzt wieder regelmäßig hinbegab, Bekanntschaft mit einigen unterrichteten Männern, deren Umgang sehr vortheilhaft auf die Vermehrung seiner Kenntnisse und seines Geschmacks wirkte, denn wenn man ohne alle Vorurtheile sprechen will, so muß man gestehen, daß Frankreich einen großen Reichthum an Männern von der feurigsten Ehrliebe, schärfsten Einsicht und der feinsten Erziehung besitzt. Durch den Umgang mit solchen Personen lernte Peregrine jetzt die Regierung und Verfassung des Landes genau kennen, allein wiewohl er nicht umhin konnte, die vortreffliche Ordnung und die Anstalten der Polizei zu bewundern, so war und blieb doch das Resultat seiner Forschungen in dieser Hinsicht immer: daß er sich Glück wünschte auf die Gerechtsame eines brittischen Unterthanen Anspruch machen zu können, denn in der That zeigte sich ihm hier täglich dies unschätzbare Vorrecht in so auffallenden Ereignissen, daß nur die kläglichste Befangenheit diese Thatsachen abzuleugnen vermochte.


 << zurück weiter >>