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XXVII.

Peregrine hat ein Abentheuer auf dem Balle, und bekömmt Streit mit seinem Hofmeister.

Auf dem Balle befanden sich nicht weniger als drei begüterte Herren, die sich zu Peregrinens Nebenbuhlern bei seiner Geliebten aufwarfen, und von denen Jeder die Ehre nachgesucht hatte, mit ihr tanzen zu können. Gegen alle Dreie hatte sich Emilie aber mit einer kleinen Unpäßlichkeit entschuldigt, durch welche sie sich wohl würde abgehalten sehen, in der Gesellschaft zu erscheinen. Die mußten hiermit zufrieden seyn, und suchten sich nun andere Tänzerinnen; jetzt aber, da sie ihr Wort nicht wieder zurückzunehmen vermochten, hatten sie den Aerger, Emilie unversagt zu finden.

Nach der Reihe kamen sie zu ihr, um ihr ihr Leidwesen hierüber zu bezeigen und es sehr zu bedauern, daß sie nun nicht mehr im Stande wären, ihr Gesellschafter zu seyn. »Mein Fieber,« entgegnete das Mädchen, »hat mich, seitdem ich die Ehre hatte, Sie zu sehen, verlassen, und ich muß nun dem Zufalle vertrauen, wie mich dieser versorgen wird.« Diese Worte hatte sie kaum zu dem Letzten von den Dreien gesprochen, so nahte sich Peregrine als ein ganz Fremder, verneigte sich sehr ehrerbietig gegen sie, und bat sie, ihn so glücklich zu machen, diesen Abend seine Moitie beim Tanze zu seyn.

Da Beide das schönstes und vollkommenste Paar im Saale bildeten, so dauerte es auch nicht lange, daß sie die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Zuschauer auf sich lenkten; hierdurch entflammte sich aber die Eifersucht der drei Mitbewerber. Sie traten in eine Art von Verschwörung gegen den Fremden, und beschlossen ihn als einen verhaßten Nebenbuhler öffentlich zu beschimpfen. Kaum war der erste Tanz zu Ende, als jetzt Einer von ihnen, dem entworfenen Plane gemäß, der Balleinrichtung zuwider, sich mit seiner Tänzerin vor Peregrine und dessen Gefährtin hinstellte. Der junge Mann glaubte, dies rühre aus Unachtsamkeit her, und bat den Herrn ganz höflich, zurückzutreten, da der Andere aber dies mit ziemlicher Anmaßung verweigerte, so wurde Peregrine nun ebenfalls warm, und es entspann sich nun schnell ein förmlicher Wortwechsel, bei welchem sich sein Gegner eines unartigen und beleidigenden Ausdrucks gegen ihn bediente, worauf Peregrine nicht anstand, ihm auf der Stelle dafür eine derbe handgreifliche Zurechtweisung zu geben; über den Lärm, der sich hierdurch erhob, schrieen aber die Damen laut auf, und die Herren suchten sich ins Mittel zu legen. Unter vielen Entschuldigungen, daß er ihr Unruhe gemacht habe, führte Peregrine jetzt die zitternde Emilie an ihren Platz zurück, und suchte sein rasches Betragen bei ihr durch die Vorstellung zu rechtfertigen: er habe nicht füglich hier anders handeln können.

Obschon sie gegen diese Vertheidigung nichts einzuwenden vermochte, so war sie doch wegen der gefährlichen Lage, in welche er sich verwickelt hatte, nicht wenig besorgt, und bestand in ihrer Angst darauf, sogleich nach Hause zu gehen. Diesem Verlangen mußte er nachgeben, und da ihre Cousine sie begleiten wollte, so brachte er nun Beide in ihre Wohnung zurück; bevor er hier aber noch Abschied von ihnen nahm, gab er ihnen, sie zu beruhigen, das Versprechen: daß, wenn sein Gegner sich stille verhielte, er nichts weiter zur Fortsetzung dieses Streites thun wolle.

Der Tanzsaal war unterdessen ein Schauplatz des Tumultes und Aufruhrs geworden. Als derjenige, der sich von Peregrine beleidigt glaubte, diesen weggehen sah, bemühte er sich, von seinen ihn zurückhaltenden Freunden loszukommen, um seinem Gegner nachzugehen und von ihm Genugthuung zu verlangen. Während dem hielt aber der Unternehmer des Balles mit den anderen Herren eine Berathung, in welcher man übereinkam, die beiden Unruhestifter zu ersuchen, sich zu entfernen. Dieser Beschluß sagte jedoch Peregrinens Widersacher nicht zu, und er erhob einige Einwendungen dagegen; zuletzt brachten ihn seine beiden Verbündeten jedoch so weit, daß er sich fügte, worauf sie ihn dann bis zur Hausthüre begleiteten. Aber hier stieß er auf Pickle, der eben zum Balle zurückkehren wollte.

Der aufgebrachte Herr, ein Landjunker, erblickte jetzt kaum seinen Nebenbuhler, als er drohend seinen Prügel zu schwingen begann. Peregrine trat einen Schritt zurück, legte die Hand an seinen Degen und zog ihn halb aus der Scheide. Diese Stellung und der Anblick der im Mondschein blitzenden Klinge dämpfte für einen Augenblick die Hitze des Angreifers, der nun verlangte: er sollte den Lerchenspieß ablegen und sich mit ihm auf gleiche Waffen schlagen. Diese Einladung nahm Peregrine, der ein geübter Prügelfechter war, willig an, und wechselte sogleich mit dem hinter ihm herkommenden Pipes die Waffen, worauf er sich dann in eine vertheidigende Stellung setzte und den Angriff seines Gegners erwartete, der ohne Kunst und Ueberlegung blind um sich her hieb. Schon beim ersten Streiche würde es Pickle ein Leichtes gewesen seyn, ihm seine Waffe aus der Hand zu schlagen, da er ihm aber dann Ehrenhalber hätte Quartier geben müssen, so that er dies nicht, und beschloß ihn zu züchtigen, ohne ihn außer Vertheidigungszustand zu setzen, und nicht eher aufzuhören, bis er mit der an ihm genommenen Rache zufrieden seyn konnte. Er erwiederte daher den Gruß seines Gegners auf die gebührende Art, und erregte dabei ein solches Geprassel auf dessen Kopf, daß, wer es nicht sah, hätte glauben müssen, es trommle jemand auf einem hohlen Fasse umher. Bei dieser Kopfsalve ließ es Pickle jedoch noch nicht bewenden, sondern er suchte auch die Schultern, Arme, Schenkel, Hüften und Rippen des Squire mit einer bewunderungswürdigen Schnelligkeit heim, während daß Pipes, gleichsam um die Sache recht feierlich zu machen, auf der hohlen Hand ein lustiges Stückchen dazu blies; nachdem aber diese Uebung ein feines Weilchen gedauert hatte, schlug nun endlich unser Held seinem Gegner die Waffe aus der Hand, und wurde hierauf von den Umstehenden laut als Sieger begrüßt.

Mit dieser Erklärung zufrieden, ging Peregrine mit einem so stolzen und triumphirenden Wesen die Treppe hinauf in den Saal, daß Niemand es wagte, ihm den in seiner Abwesenheit genommenen Beschluß zu verkünden; nachdem er aber einigen Tänzen hier zugesehen hatte, begab er sich in seine Wohnung, wo er sich die ganze Nacht hindurch an der glücklichen Wendung seines Schicksals erfreute.

Am nächsten Vormittage stattete er hierauf seiner Dame einen Besuch ab, und da Sophie's Vater sich unterdessen nach seiner Familie und seinen Vermögensumständen erkundigt hatte, so nahm er ihn jetzt, als einen Bekannten seiner Cousine Gauntlet, sehr höflich auf, und bat ihn, zum Mittagsessen zu bleiben. Emilie bezeigte sich, nachdem sie den Ausgang der Begebenheit, die einiges Aufsehn in der Stadt machte, erfahren hatte, ungemein zufrieden damit, obschon sie dadurch einen reichen Bewunderer verlor, denn der Landjunker hatte, in der Hoffnung, Peregrine wegen eines Ueberfalles gerichtlich belangen zu können, mit einem Advokaten gesprochen, und da er von diesem wenig Aufmunterung erhielt, es zuletzt fürs Beste gefunden, die erhaltenen fühlbaren Erinnerungen still in die Tasche zu stecken und der Dame, welche an allen dem Schuld war, nicht weiter seine Aufwartung zu machen.

Als Peregrine jetzt von seiner Gebieterin erfuhr, daß sie noch vierzehn Tage in Windsor bleiben würde, beschloß er sogleich, diese ganze Zeit in ihrer Nähe zu verweilen und sie sodann nach dem Hause ihrer Mutter zu begleiten, die er gern einmal wieder zu sehen wünschte. In Folge dieses Planes ersann er nun täglich neue Lustparthieen für die Damen, zu denen er von jetzt an freien Zutritt hatte, während er aber immer mehr und mehr von Emiliens Reiz gefesselt, so sorglos und heiter den Blumenpfad des Vergnügens wandelte, lag sein Hofmeister zu Oxford seines langen Außenbleibens wegen gleichsam auf der Marterbank. Um sich Nachricht von ihm zu verschaffen, ging er zu den Studenten, die Peregrine begleitet hatten, und bat diese, ihm Alles zu entdecken, was sie von ihm wüßten. Sie berichteten ihm, er habe ein junges Frauenzimmer, Miß Emilie Gauntlet, auf dem Schlosse gefunden, und deuteten dabei noch einige Umstände an, aus denen der Hofmeister schloß, sein anvertrautes Pfand befände sich wohl nicht in den sichersten Händen.

Wie wir wissen, so hatte Jolter nicht das mindeste Ansehen bei seinem Zöglinge, ja er durfte es nicht einmal wagen, ihm mißfällig zu werden. Statt daher dem Commodore zu schreiben, miethete er sich ein Pferd, und langte noch denselben Abend in Windsor an, wo er sein verlornes Lamm, das nicht wenig über seine unerwartete Ankunft stutzte, ganz wohl und munter fand.

Der Mentor rückte sogleich mit dem Wunsche heraus, eine ernste Unterredung mit seinem Zöglinge zu haben, und Beide schlossen sich nun in ein Zimmer ein. Hier eröffnete Jolter mit großer Feierlichkeit den Zweck seiner Reise, Theilnahme nämlich an der Wohlfahrt seines Schülers; dann begann er mit großem Ernste einen mathematischen Beweis zu führen, daß die Liebesgeschichte, in welche sich Peregrine eingelassen habe, wenn sie weiter fortgesetzt würde, nothwendig dessen Schmach und Unglück herbeiführen müßte. Der sonderbare Vorschlag, dies mathematisch beweisen zu wollen, reizte Pickle's Neugierde; er versprach, seinem Lehrer die größte Aufmerksamkeit zu schenken, und bat ihn, sogleich seine Demonstration anzufangen.

Wer war jetzt zufriedener, als Master Jolter! Mit einem vergnügten Gesichte bezeigte er ihm seine Zufriedenheit über die Bereitwilligkeit, Lehre anzunehmen, und versicherte nochmals, er wolle durchaus nach mathematischen Grundsätzen verfahren, dann räusperte er sich dreimal, mit der Bemerkung: es ließe sich nie eine mathematische Untersuchung machen, wenn man nicht vorher gewisse Axiome als unumstößliche Wahrheiten aufstellte, weswegen er ihn bäte, einige Sätze zuzugeben, gegen deren Richtigkeit er gewiß keinen Zweifel hegen würde. »Zuerst«, fuhr er fort, »werden Sie hoffentlich zugeben, daß Jugend und Verstand in Bezug zu einander zwei Parallellinien sind, die, bis ins Unendliche verlängert, immer gleich weit von einander abstehen und nie mit einander coincidiren können. Zweitens werden Sie zugeben, daß die Leidenschaften in einem aus dem Verstande und der aus dem Temperamente entspringenden Hitze, zusammengesetzten Verhältnisse, auf die menschliche Seele wirken. Drittens kann nicht geleugnet werden, daß der Winkel der Reue gleich ist dem der Unüberlegtheit. Wenn nun diese Vordersätze zugegeben sind« – er nahm bei diesen Worten Feder, Tinte und Papier zur Hand, und zeichnete ein Parallelogram hin – »so soll jetzt die Linie ab die Jugend vorstellen und die mit ihr parallel laufende Linie cd den Verstand. Man ergänze dann das Parallelogramm abcd und lasse den Durchschnittspunkt b das Verderben bedeuten. Die Leidenschaft wollen wir uns unter dem Buchstaben c vorstellen und ihr eine Bewegung in der Direction der Linie ca geben; zugleich soll sie aber auch eine andere Bewegung in der Direction der Linie cd haben, weswegen sie denn in der Diagonale cb fortgehen und diese in eben der Zeit beschreiben wird, in der sie bei der ersten Bewegung die Seite ca oder bei der zweiten die Seite cd beschrieben haben würde. Um jedoch die Demonstration dieses Corollariums vollkommen zu verstehen, müssen wir hier den bekannten Lehrsatz vorausschicken, daß, wenn ein Körper durch eine Kraft getrieben wird, die einer gegebenen geraden Linie in der Richtung parallel ist, diese Kraft oder Bewegung dann nicht im Stande ist, zu bewirken, daß sich der Körper der geraden Linie nähert oder sich von ihr entfernt, sondern nur, wie dies aus dem zweiten Gesetze der Bewegung erhellet, in einer Parallele mit der geraden Linie sich zu bewegen vermag. Da also ca mit db parallel ist...«

Bis hieher hatte Peregrine geduldig zugehört, länger aber vermochte er nicht an sich zu halten, und unterbrach die Demonstration mit einem schallenden Gelächter, indem er sprach: »Diese Vordersätze erinnerten ihn an einen übrigens geschickten und einsichtsvollen Mann, der es einmal unternommen hätte, das Daseyn des natürlichen Uebels zu widerlegen, hierzu aber nichts verlangt habe, um seinen Beweis zu führen, als die Zugabe: daß Alles, was vorhanden ist, gut sey. Sie können sich«, fuhr er dann fort, »demnach die Mühe ersparen, Ihre Einbildungskraft abzuquälen, da ich fest überzeugt bin, daß es mir an Fähigkeiten mangeln wird, Ihre scharfsinnige Erörterung zu begreifen, und ich daher Ihren Schlußfolgen meinen Beifall nicht zu geben vermag.«

Diese Erklärung brachte Jolter außer aller Fassung, und die Geringschätzung, mit welcher Peregrine seine Gelehrsamkeit behandelte, erzürnte ihn so, daß er sich nicht zu enthalten vermochte, sein Mißvergnügen hierüber zu äußern. Ohne Umstände eröffnete er ihm daher: seine Halsstarrigkeit und sein Benehmen wären der Art, daß er verzweifeln müsse, ihn durch gelinde Mittel auf den rechten Weg wieder zu führen, und er halte es daher, als sein Hofmeister, für seine Pflicht, dem Commodore seine Unbesonnenheiten zu melden; dann setzte er noch hinzu: daß, wenn die Gesetze des Landes noch einige Kraft hätten, so müsse auf jeden Fall die Abentheurerin, die ihn so in der Irre führe, zur Red' und Antwort gezogen werden, denn in anderen Ländern, z. B. in Frankreich, würde man gewiß bei einem so unsinnigen Liebeshandel, die Person schon vor ein paar Jahren zur Strafe in ein Kloster gesteckt haben.

Bei diesen unehrerbietigen Aeußerungen gegen die Dame seines Herzens, funkelten die Augen des jungen Mannes vor Zorn und Entrüstung, und er vermochte kaum so viel Gewalt über sich zu gewinnen, nicht Hand an den Lästerer zu legen, doch konnte er sich nicht enthalten, ihn einen übermüthigen und abgeschmackten Pedanten ohne alles feine Gefühl zu nennen, und ihn ernstlich zu warnen, sich nie wieder eine solche Sprache zu erlauben, wofern er sich nicht allen Wirkungen seines Zornes aussetzen wollte.

Jolter, der sehr hohe Begriffe von der Verehrung hegte, zu der er sich durch seinen Stand und seine Gelahrtheit berechtigt glaubte, hatte nur mit großem Schmerz den gänzlichen Verlust seines Ansehens bei seinem Zöglinge ertragen, gegen den er seit dem Abentheuer mit dem bemalten Auge, einen verdoppelten Grimm hegte. Die gehäuften Ursachen zur Unzufriedenheit besiegten demnach allmählig seine bisherige Nachsicht, und er würde ohne Zweifel längst seine Stelle niedergelegt haben, wenn ihn nicht die Hoffnung auf eine gute Pfründe, welche der Commodore zu vergeben hatte, zum Bleiben ermuntert, oder er überhaupt für den Augenblick ein besseres Unterkommen gewußt hätte.


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