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V.

Mistriß Pickle bemächtigt sich des Hausregimentes; die Schwägerin greift dieserhalb zu einem verzweifelten Entschluß, wird aber an dessen Ausführung eine Zeitlang verhindert.

So nachgiebig, um nicht zu sagen unterwürfig, sich Sally auch gegen Mistriß Grizzle vor ihrer Verheirathung gezeigt hatte, so war sie doch jetzt kaum zur Mistriß Pickle geworden, als sie es für Pflicht hielt, der Würde ihres Standes nichts zu vergeben. Schon am Tage nach der Hochzeit wagte sie es mit der Schwägerin über ihre Familie zu disputiren und kühn zu behaupten, die ihrige sey in jedem Betracht ansehnlicher als die ihres Mannes, indem verschiedene jüngere Brüder aus ihrem Hause Lordmayors in London gewesen wären, während Sir Pickles Voreltern nie eine andere als diese Ehrenstelle zu erklimmen vermocht hätten.

Das war ein Donnerschlag für die gute Mistriß Grizzle; sie begann zu ahnen, ihre Erwartungen dürften nicht so in Erfüllung gehen, wie sie gehofft hatte, denn sie hatte darauf gerechnet dem Bruder eine Gattinn so sanfter und nachgiebiger Art zu verschaffen, daß dieselbe ihr eine stete Ehrfurcht zollen und nichts ohne ihren Rath und Beistand wagen sollte. Zwar führte sie bis jetzt noch die Zügel des Hausregimentes und schalt und lärmte wie sonst mit dem Gesinde – ein Geschäft, das sie mit großer Geläufigkeit betrieb, und das ihr ein ausnehmendes Vergnügen zu machen schien – aber bald erklärte ihr Mistriß Pickle, unter dem Vorwande die Ruhe und Bequemlichkeit der lieben Schwägerin nicht ferner stören zu wollen, daß sie die Mühe die Haushaltung zu führen, in Zukunft selbst übernehmen würde.

Etwas Kränkenderes hätte der guten Mistriß Grizzle nicht begegnen können. Nach einer beträchtlichen Pause und einer seltsamen Augenverdrehung erwiederte sie: daß jede Mühe und Last für ihren Bruder eine Freude für sie sey und daß sie sich derselben nie entziehen würde; aber: »meine beste Schwägerin,« antwortete Mistriß Pickle, »ich bin Ihnen zwar für diese gütigen und theilnehmenden Gesinnungen an Sir Pickles Wohl, das ich als das meinige ansehe, ungemein verbunden, allein nie werde ich zugeben, daß Sie aus Freundschaft so viele Beschwerden tragen und ich bitte Sie daher, mir von jetzt an eine Bürde zu überlassen, die schon zu lange auf Ihren Schultern ruhte.«

Vergebens mochte die Andere wiederholt betheuern, es sey keine Bürde für sie; Mistriß Pickle blieb dabei diese Versicherung blos ihrer ausnehmenden Dienstfertigkeit zuzuschreiben und so viele Besorgtheit für die Ruhe und Gesundheit der theuren Schwägerin zu äußern, daß die alte Jungfer sich endlich genöthigt sah, nachzugeben, und ihr Amt niederzulegen ohne sich einmal dieserhalb beschweren zu können.

Jetzt verfiel die gute Person in einen mürrischen Andachtsschauer, der drei bis vier Wochen dauerte, während welcher Zeit sie noch den Verdruß hatte, bemerken zu müssen, wie viele Gewalt die junge Frau über ihren Bruder erlangte, der sich von ihr bereden ließ, sich eine hübsche Equipage anzuschaffen und durch Erhöhung seines Aufwandes um wenigstens tausend Pfund jährlich mehr, sein Haus auf einen besseren Fuß einzurichten. Bei ihm selbst brachte übrigens dieses alles keine Veränderung in seinen Neigungen oder seiner Lebensweise hervor, denn sobald die ihm ungemein lästigen Ceremonien des Besuchannehmens und Ablegens vorüber waren, nahm er wieder seine Zuflucht zu seinen Seefreunden und brachte mit diesen den besten Theil seiner Zeit zu.

Nicht so zufrieden, wie er, lebte Mistriß Grizzle; sie sah, daß ihr Ansehn im Hause täglich abnahm, daß ihre Reize von der fühllosen Männerwelt in der ganzen Gegend nicht beachtet wurden und daß die vernichtende Hand der Zeit drohend über ihrem Haupte hing. Der Schauer vor einem ewigen Jungfernstande durchbebte sie und in einer Art von Verzweiflung beschloß sie, um jeden Preis sich dieser schmachvollen und unbehaglichen Lage zu entreißen.

Sie entwarf demnach jetzt einen Plan, der jedem Anderen minder unternehmenden Geiste rein unausführbar geschienen haben würde und in nichts Geringerem bestand, als das Herz des alten Trunnion zu erobern, das, wie man leicht glauben wird, für zärtliche Eindrücke nicht sonderlich empfänglich und mit Vorurtheilen reich umschanzt war. Eine ganz besondere Abneigung hegte er aber gegen jene Mädchenclasse, die man mit dem Titel: alte Jungfern belegt, und zu der unglücklicherweise Mistriß Grizzle jetzt schon gehörte; demohngeachtet rückte sie dennoch kühn ins Feld und nachdem sie diese scheinbar unüberwindliche Festung eine Zeitlang berannt hatte, öffnete sie eines Tages die Trancheen, als Trunnion bei ihrem Bruder zu Mittag speiste. Sie begann eine Menge Lobeserhebungen über die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der Seeleute auszukramen; sie besorgte Trunnions Teller mit vorzüglicher Aufmerksamkeit und schenkte allen seinen Reden, wenn sie sich nur einigermaßen ohne Verletzung der Sittsamkeit anhören ließen, ein beifälliges Lächeln; wenn dies aber nicht ging und er, was nur zu oft geschah, den Anstand ganz links liegen ließ, dann wagte sie es mit einem schelmischen Ernst ihm seine Freiheit zu verweisen und die Bemerkung hinzuwerfen: wie doch die Herren Seefahrer auf ihrem Elemente sich eine so eigne Art von Sprache angewöhnten.

Alle diese Artigkeiten gingen jedoch bei dem Commodore so völlig verloren, daß er auch nicht den mindesten Argwohn von ihrem wahren Beweggrunde faßte und noch denselben Abend im Beiseyn des Bruders erklärte: sie sey eine verdammte schieligte, glupige und klatschmäulige Rabaster, und gleich darauf auf die Verzweiflung aller alten Jungfern trank, wo ihm denn Sir Pickle ganz treulich Bescheid that und harmlos seiner Schwester am andern Morgen die Sache erzählte. Mit einer bewundernswürdigen Gelassenheit ertrug sie diese schmachvolle Behandlung und ließ ihren Plan, so wenig versprechend der Anfang auch war, darum nicht fahren; doch wurde jetzt die Sache auf eine Zeitlang durch ein Ereigniß unterbrochen, welches sie in große Thätigkeit setzte.

Mistriß Pickle war nur wenige Monate verheirathet, als sich ersichtliche Symptome ihrer Schwangerschaft zeigten und die Freude der Familie, besonders der Mistriß Grizzle, war hierüber ungemein groß, da dieser, wie wir wissen, nichts so sehr am Herzen lag als die Erhaltung des Familiennamens. Sie entdeckte daher jetzt kaum einen Anschein, der vermögend war ihre Hoffnungen zu rechtfertigen, als sie sowohl ihr eigenes Vorhaben, wie ihren tiefen Unwillen, wegen der Abnahme des Hausregiments, vergaß, und sogleich beschloß, ihre Schwägerin, während der Zeit, wo diese die kostbare Bürde trug, auf das sorgfältigste zu pflegen und zu warten.

Sie schaffte sich auch sogleich Culppers Hebammenkunst und das sinnreiche Werk an, welches Aristoteles Namen trägt. Beide studierte sie mit unermüdeter Sorgfalt und las noch mit großem Bedachte die »vollkommene Hausfrau« und » Quincy's Dispensatorium,« nach deren Vorschriften sie zur Stärkung ihrer Schwägerin die Gelees, Marmeladen und Tränke bereitete, welche diese Schriftsteller als dienlich empfehlen; auch verbot sie ihrer Verwandtin streng den Genuß alles Wurzelwerkes, aller Küchenkräuter, des Obstes und jeder anderen Art von Vegetabilien.

Mistriß Pickle hatte sich eines Tages eine Pfirsiche gepflückt und war eben im Begriff sie zu speisen, als Mistriß Grizzle dies gewahr wurde, mitten im Garten auf die Knie fiel und sie mit Thränen beschwor, diesem schädlichen Gelüste zu widerstehen; kaum hatte ihre Schwägerin diesen Wunsch aber erfüllt, so fiel ihr ein, das Kind könne ein Mahl oder eine Krankheit davon tragen und nun flehte sie Sally eben so angelegentlich wieder die Pfirsiche zu essen und eilte ein selbst verfertigtes herzstärkendes Wasser herbeizuholen, das der schädlichen Frucht als Gegengift dienen sollte.

Diese Vorsorge und Zärtlichkeit wurden der Mistriß Pickle aber bald höchst unangenehm, und nachdem sie verschiedene Plane entworfen hatte ihre Freiheit wieder zu erlangen, beschloß sie zuletzt, sich ihrer lästigen Pflegerin durch Beschäftigungen, die sie ihr gab, auf eine Zeitlang zu entledigen. Eine gute Gelegenheit hierzu fand sich bald; ein Gentleman, der am nächsten Tage bei Sir Pickle zu Mittag speiste, sprach von einer Ananas, welche er die Woche vorher bei einem Edelmanne gegessen hatte, dessen Guth wohl hundert englische Meilen entfernt lag. Mistriß Grizzle wurde unruhig und blickte ihre Schwester an, in deren Mienen sie jetzt eine Lüsternheit nach einer solchen Frucht zu bemerken glaubte und dieserhalb nun sagte: sie ihrerseits hätte nie eine Ananas essen mögen, da es eine widerliche Frucht sey, die nur durch unnatürliche Hitze auf garstigem Dünger emporgetrieben werden könne. »Meinen sie dies nicht auch?« setzte sie mit stammelnder Zunge, sich an ihre Schwägerin wendend, hinzu, worauf diese, der es nicht an der nöthigen Schlauheit fehlte, um die Absicht der Anderen sogleich zu errathen, mit anscheinender Gleichgültigkeit erwiederte: »Wenn ich nur die Früchte meines Landes nach Gefallen genießen darf, dann kümmere ich mich wenig darum, ob es Ananas in der Welt giebt.«

Sie ertheilte übrigens diese Antwort jetzt blos in der Absicht den Fremden vor dem Unwillen ihrer Schwägerin zu schützen, denn sicher hätte er es entgelten müssen, wenn sie das geringste Verlangen nach einer Ananas hätte blicken lassen, aber den folgenden Morgen nach dem Frühstück ermangelte sie nicht die alte Jungfer, wie von ohngefähr, gewaltig anzugähnen, die sich hierdurch nicht wenig beunruhigt fühlte, da sie es für ein sicheres Anzeichen einer geheimen Lüsternheit hielt und dieserhalb nun so lange mit Fragen in Mistriß Pickle drang, bis diese ihr mit einem erzwungenen Lächeln gestand, sie habe im Traume von einer ganz vortrefflichen Ananas gegessen. Bei diesen Worten stieß Mistriß Grizzle einen Schrei des Schreckens aus, schloß aber gleich darauf ihre Schwägerin, die hierüber sich zu wundern schien, in die Arme und versicherte derselben mit einem krampfhaften Lachen: es sey nur ein Freudenschrei gewesen, da es in ihrer Macht stünde diesen Wunsch zu erfüllen, indem eine Lady in der Nachbarschaft ihr ein Paar köstliche Ananasse zum Geschenk versprochen hätte, die sie jetzt sogleich abholen wolle.

Mistriß Pickle stellte sich als könnte sie dies durchaus nicht zugeben und versicherte, ihr Gelüste nach dieser Frucht sey keinesweges so groß, um, im Fall es nicht befriedigt würde, üble Folgen nach sich zu ziehen; allein sie wußte dies alles so vorzutragen, daß Mistriß Grizzle dadurch mehr angetrieben als abgehalten wurde und sich deshalb sogleich auf den Weg machte, wo sie denn zwar nicht zu der Lady reiste, deren Versprechen sie nur erdichtet hatte um ihre Schwägerin zu beruhigen, sondern gleichsam eine Fahrt auf gut Glück durch die ganze Grafschaft unternahm, um diese Unglücksfrucht herbeizuschaffen, die so leicht ihres Vaters Hause den größten Nachtheil verursachen konnte.

Drei Tage und drei Nächte ritt sie in Begleitung eines Bedienten von Schloß zu Schloß, unbekümmert um ihre Gesundheit und unbekümmert um ihren guten Ruf, der nicht wenig hierdurch litt, da sie sich bei ihren Nachforschungen mit einer Heftigkeit und einer Zerstreuung benahm, die Jedem, den sie anredete, die Ueberzeugung gaben, sie sey eine Unglückliche, deren Verstand in Unordnung gerathen wäre.

Da alle ihre Nachforschungen aber vergebens blieben, so faßte sie endlich den Entschluß zu dem Edelmanne selbst zu reisen, wo der Fremde die Frucht gegessen hatte, aber ach! sie kam auch hier zu spät. Nachdem sie Sr. Herrlichkeit ihren Wunsch und ihre Bitte vorgetragen und ihn beschworen hatte, die Glückseligkeit einer ganzen Familie zu retten, bedauerten Mylord in sehr höflichen und gerührten Ausdrücken, daß sie sich außer Stande sähen mit so leichter Mühe zum Glück ihrer Nebengeschöpfe beizutragen, indem erst gestern eine Dame die letzten beiden Ananasse, welche er besessen, bekommen hätte.

Die arme Mistriß Grizzle sank bei dieser Antwort in Ohnmacht. Man schaffte sie in das Wirthshaus, wo ihre Pferde standen, und sehr wahrscheinlich würde dies Abentheuer für sie nachtheiliger ausgefallen seyn als für diejenige, wegen welcher sie sich so viele Mühe gab, wenn man ihr nicht unter der Hand den Wink erteilt hätte, daß der Gärtner von Sr. Herrlichkeit für fünf Pfund ihr die beiden schönsten Ananasse liefern wolle die man je in England gesehen hätte; ein Antrag den sie, wie ich wohl nicht erst zu sagen brauche, begierig annahm, und nun triumphirend mit den hesperischen Früchten nach ihres Bruders Hause zurückeilte.

Ihre Schwägerin, die nicht ohne Angst ihretwegen geblieben war, empfing sie mit großer Herzlichkeit; Mistriß Grizzle vergaß aber nicht Sr. Lordschaft in ihrem Morgen- und Abendsegen zu gedenken als sie von ihrem Reisegefährten, dem Bedienten, erfuhr, daß an demselben Tage wo der edle Lord versicherte, er hätte keine einzige Ananas mehr, wohl an hundert Stück völlig reife in dessen Treibhause gewesen wären.


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