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LII.

Der Maler verläßt des Doctors Parthei und schließt sich an Pickle, obschon dieser keine Gelegenheit versäumt, seine Schadenfreude an ihm zu befriedigen

Pallet hatte unterdessen mehrere Eimer Wasser gebraucht, um sich von dem Schmutze des Gefängnisses zu säubern; dann ließ er sich rasiren, färbte sich die Augenbraunen schwarz und zog seine Kleider wieder an. Nun erst wagte er es, Peregrine zu besuchen, den er unter den Händen seines Kammerdieners fand und der ihm nun die tröstliche Versicherung ertheilte: man habe bei ihrer Entweichung durch die Finger gesehen und ihnen die Freiheit unter der Bedingung zugestanden, daß sie die Hauptstadt binnen drei Tagen verließen.

Diese Nachricht versetzte den Maler in die größte Freude; die Bedingung wurde ihm durchaus nicht schwer und er würde sich ohne Bedenken noch denselben Tag auf den Weg nach England gemacht haben, denn die Bastille hatte einen solchen Eindruck bei ihm hinterlassen, daß er zusammenbebte, wenn ein Wagen auf der Straße rasselte, und blaß wurde, wenn er einen Soldaten erblickte. Sein Herz war zu voll, um sich nicht über des Doctors Gleichgültigkeit zu beklagen. Mit lebhaften Aeußerungen des Unwillens erzählte er, was dieser bei ihrer ersten Zusammenkunft geäußert hatte, und dieses Gefühl wurde nicht vermindert, als Jolter ihm nun seinerseits das Benehmen des Arztes schilderte, da er zu ihm gesandt hatte, um mit ihm über die Mittel zu ihrer Befreiung zu rathschlagen. Auch Pickle ward durch diesen Mangel an Theilnahme erbittert, und da er merkte wie tief der Doctor in der Meinung seines Reisegefährten gesunken war, so beschloß er, diese Unzufriedenheit und Uneinigkeit zu nähren und Beide gelegentlich in eine offene Fehde miteinander zu bringen; denn er war überzeugt, daß ihm dies manche Lust gewähren würde, und hoffte auch, daß sich der Charakter des Dichters dadurch in einem solchen Lichte zeigen könnte, daß er für seine Aufgeblasenheit und seine fühllose Gemüthsart bestraft würde. In dieser Absicht richtete er eine Menge Spöttereien gegen des Doctors Pedanterie und falschen Geschmack, »Beides«, sagte er, »zeigt sich hinreichend durch die aus alten Autoren auswendig gelernten Stellen und seinen affectirten Widerwillen gegen die herrlichsten Gemälde von der Welt, die er unmöglich mit einer solchen Gleichgültigkeit zu betrachten vermöchte, wenn er nur einen Funken von Einsicht besäße. Sein lächerliches Gastmahl setzt aber Allem die Krone auf, denn nur ein ausgemachter Narr kann vernünftigen Menschen solche Gerichte zubereiten und vorsetzen.« Mit einem Worte, Peregrine wandte seinen ganzen Witz mit einem solchen Erfolge gegen den Arzt, daß der Maler wie aus einem Traume zu erwachen schien und mit herzlicher Verachtung gegen den Mann nach Hause zurückkehrte, für den er früher die größte Hochachtung empfunden hatte.

Statt, wie sonst, als Freund und Bekannter in dessen Zimmer zu gehen, sandte er jetzt den Bedienten des Arztes mit der Nachricht hinein: er würde den nächsten Tag mit Sir Pickle von Paris abreisen, und wünsche jetzt blos zu erfahren, ob der Herr Doctor bereit sey, die Reise mitzumachen.

Sowohl die Art als der Inhalt dieser Nachricht überraschten den Arzt. Er begab sich sogleich selbst nach Pallet's Stube und verlangte hier von ihm eine Erklärung, wie er ohne sein Wissen und seine Einwilligung einen so plötzlichen Entschluß habe fassen können; als er jedoch vernahm, daß ihre Angelegenheiten ihn nothwendig machten, befahl er, um nicht allein reisen zu müssen, seine Sachen zusammenzupacken, und bezeigte sich willfährig, sich in die Umstände zu fügen. Doch gefiel ihm Pallet's Benehmen keineswegs, und er ermangelte nicht, einige Winke fallen zu lassen, was er für eine bedeutende Person sey und wie sehr er sich eigentlich dadurch herablasse, daß er mit ihm umginge. Diese Erinnerungen hatten jedoch jetzt ihre Kraft bei dem Maler verloren. Mit einem boshaften Lächeln gab ihm dieser zu verstehen, daß er weder seine Gelehrsamkeit noch Geschicklichkeit in Zweifel zöge, vorzüglich aber eine besondere Hochachtung vor seiner Kochkunst besäße: letztere würde er gewiß nie vergessen, so lange sein Gaumen noch fähig sey zu schmecken, doch wolle er ihm den freundschaftlichen Rath ertheilen, wegen der entarteten Esser unserer Zeit, den Salmiak in der nächsten Sillikikabey, die er bereiten würde, zu sparen, und mit dem Teufelsdreck bei Füllung der gebratenen Hühner wirthschaftlicher umzugehen, falls er nicht etwa die Absicht habe, seine Gäste zu Patienten zu machen und sich so für die Kosten des Mahles wieder an ihnen zu erholen.

Diese Spötterei verdroß den Arzt ganz ungemein; mit einem Blick des tiefsten Unwillens und der Verachtung sah er auf den Maler herab; da er sich jedoch nicht englisch ausdrücken wollte, um Pallet nicht soweit zu erbittern, daß dieser ohne ihn abreisete, so machte er sich in griechischer Sprache Luft. ... Du, ein großer und unbedachter Schreier,
Zähm' dich und wolle nicht hadern mit Königen.

Der Maler urtheilte nun zwar aus dem Tone, daß die angeführte Stelle griechisch sey, doch war er so boshaft, seinem Freunde ein Compliment über seine Kenntnisse im Wallisischen zu machen und ihn nach und nach so gänzlich aus seiner Gelassenheit herauszuspötteln, daß der Arzt endlich, höchst entrüstet und gekränkt, das Zimmer verließ, während sein Gegner über den erhaltenen Sieg frohlockte.

In der Zeit, daß dies zwischen den beiden Originalen vorging, machte unser junger Herr dem Gesandten seine Aufwartung; er dankte ihm für seine gütige Vermittlung und erkannte die Unbedachtsamkeit seines Betragens so offen und unumwunden an, und versprach dabei so ehrlich sich zu bessern, daß Se. Excellenz ihm gern die Unruhe verziehen, die er ihnen gemacht hatte, und ihm noch verschiedene gute Rathschläge ertheilten, ihn der Fortdauer ihrer Gewogenheit und Freundschaft versicherten und zuletzt noch mehrere Empfehlungsbriefe an einige vornehme Personen des englischen Hofes mitgaben.

So auf eine günstige Art behandelt, nahm Peregrine von seinen Bekannten in Paris Abschied und brachte dann den Abend mit einigen derselben, die ihm am werthesten waren, noch zu, während Jolter einstweilen die häuslichen Angelegenheiten besorgte und voller Freude Postpferde bestellte, endlich aus einem Orte zu kommen, wo er wegen der unruhigen Gemüthsart seines Zöglings in einer immerwährenden Angst hatte leben müssen.

Nachdem auf diese Art Alles dem getroffenen Plane gemäß in Ordnung gebracht war, speiseten sie und ihre Reisegefährten noch den folgenden Tag zusammen und reiseten dann Nachmittags um 4 Uhr in zwei Wagen ab. Pipes, der Kammerdiener und der Bediente des Doctors begleiteten sie wohlbewaffnet zu Pferde, auf den Fall, wenn sie sollten von Räubern angegriffen werden.

So kam man Nachts um 11 Uhr in Senlis an, wo man die Wirthsleute aus dem Schlaf wecken mußte, ehe ein Abendbrod zu erlangen war. Die Vorräthe im Hause langten nur mit Mühe hin, ihnen ein erträgliches Mahl zu verschaffen; doch tröstete sich Pallet durch die Quantität der Speisen über ihre Qualität, besonders da sich ein Kaninchenfricassee darunterbefand; ein Gericht, welches wie er meinte, allen Leckerbissen von der Tafel des üppigen Heliogabalus vorzuziehen sey.

Diese Aeußerung war kaum von ihm ausgesprochen worden, als Peregrine, der unaufhörlich bemüht war, sich auf Kosten der Andern zu belustigen, diese Erklärung auffing. Ihm fiel die Geschichte von Scipio und dem Maulthiertreiber im Gil Blas ein, und er beschloß, sich einen Scherz mit Pallet zu machen, der recht dazu aufgelegt zu seyn schien, eine tüchtige Mahlzeit zu halten. Nachdem er seinen Plan überdacht hatte, begann er damit, so wie sich die Gesellschaft zu Tische gesetzt hatte, den Maler scharf anzusehen, der sich mit einer starken Portion Fricassee versorgte und nun mit vielem Wohlbehagen davon zu essen begann. Trotz seinem starken Appetit fiel ihm Pickle's Betragen doch auf; er machte eine kleine Pause und sprach: »Sie wundern sich gewiß, mich so hastig essen zu sehen? aber ich gestehe, daß ich gewaltig hungrig bin und daß dies eins der besten Fricassee's ist, die ich je speisete. In dergleichen Dingen,« fuhr er fort, »sind die Franzosen Meister, das muß man ihnen lassen. Auf Ehre und Gewissen! ich habe nie ein delicateres Kaninchen gegessen als dieses hier.«

Peregrine erwiederte nichts auf diesen Lobspruch, sondern wiederholte nur das Wort Kaninchen mit Nachdruck und einem leisen Kopfschütteln, so daß der Andere hierdurch unruhig zu werden begann und sogleich die Arbeit seiner Kinnbacken einstellte, während er dabei, den Mund noch voll, mit einer so albernen Furcht, die sich leichter begreifen als beschreiben läßt, umherblickte, bis seine Augen endlich auf Pipes Gesicht fielen, der ihm mit Vorsatz gegenübergestellt war und ihn boshaft angrinsete. Voll Furcht, das, was er im Munde hatte, hinunter zu schlucken, und doch auch sich scheuend, es auf eine andere Art fortzuschaffen, saß Pallet eine ganze Weile in diesem trostlosen Zustande, bis Jolter sich erkundigte: was ihm denn eigentlich fehle? Jetzt strengte er die Muskeln seiner Kehle, die ihr Amt nur ungern verrichteten, gewaltsam an und fragte Pickle mit großer Verwirrung und Bekümmerniß: ob er etwa den Verdacht hege, daß dies kein wirkliches Kaninchen sey?

Mit einer geheimnißvollen Miene schützte dieser seine Unwissenheit in diesem Punkte vor; doch machte er zugleich die Bemerkung, wie er geneigt sey, alle dergleichen Gerichte für verdächtig zu halten, seitdem er von den Streichen unterrichtet worden wäre, die man in den französischen, italienischen und spanischen Wirthshäusern in dieser Hinsicht zu spielen pflege. Dann erzählte er die oben erwähnte Geschichte aus dem Gil Blas und setzte hinzu: er wäre zwar kein vorzüglicher Kenner des Tierreichs, allein die Füße des Geschöpfes, das man hier zu einem Fricassee bereitet hatte, glichen seiner Meinung nach nicht ganz denen eines Kaninchens.

Diese Aeußerung machte einen sehr sichtbaren Eindruck auf den Maler; mit allen Zeichen des Ekels und des Erstaunens rief er: »Ach Herr Jemine!« Dann wandte er sich, um hinter die Wahrheit zu kommen, an Pipes und fragte diesen: ob er etwa etwas von der Sache wisse? worauf dieser sehr ernsthaft erwiederte: er glaube, die Speise wäre gesund genug, denn er habe das frisch abgezogene Fell und die Füße eines Katers an der Thüre eines Kämmerchens neben der Küche hängen sehen.

Noch ehe diese Erklärung vollständig zu Ende war, geriethen die Eingeweide des Malers in eine solche Bewegung, daß seine Farbe sich plötzlich veränderte; dabei war nur noch das Weiße im Auge bei ihm sichtbar; er senkte den unteren Kinnbacken, stemmte die Arme in die Seite und suchte mit einer solchen convulsivischen Todesangst Brechen zu erregen, daß alle Anwesende darüber außer Fassung und in Verwunderung geriethen. Sein Uebelbefinden vergrößerte sich aber dadurch noch mehr, daß sein Magen so fest anhielt und durchaus nicht seinen Inhalt wieder von sich geben wollte, so groß auch der Ekel war, den er empfand. Ein kalter Schweiß rann ihm dabei von der Stirne, und er war nahe daran, in Ohnmacht zu sinken.

Dieses Benehmen versetzte Pickle in Angst und Unruhe; er versicherte, ihm jetzt, es sey ein wirkliches Kaninchen gewesen, und er habe nur des Spaßes halber Pipes beauftragt, anders zu sprechen. Pallet nahm dies jedoch nur für einen freundschaftlichen Kunstgriff, um ihn zu beruhigen; deshalb verfehlte diese Versicherung auch völlig ihre Wirkung. Da er seine Lebensgeister jedoch nun mit seinem tüchtigen Glase Branntwein stärkte, so kam er wieder so weit zu sich, unter vielen Gesichtsverzerrungen erklären zu können, das Gericht habe doch einen eigenen ranzigen Geschmack, den er theils auf die Natur der Kaninchen in diesem Lande, theils auf Rechnung der Zubereitung geschrieben habe. Dann zog er gegen die schändlichen Betrügereien der französischen Gastwirthe los und schrieb dieselben den Bedrückungen der Regierung zu, wodurch sie in eine Lage versetzt wurden, die sie nöthigte, alle Arten von Schelmereien gegen harmlose Reisende auszuüben.

Der Hofmeister, der es nicht über sich zu gewinnen vermochte, eine Gelegenheit vorbeizulassen, die Franzosen zu vertheidigen, erwiederte ihm aber sogleich hierauf, man sähe, daß er ein großer Fremdling in Betreff der polizeilichen Einrichtungen dieses Landes sey, denn sonst würde er wissen, daß jeder Gastwirth, den man überführen könne, Reisende, möchten dies nun Inländer oder Ausländer seyn, übervortheilt oder hintergangen zu haben, sogleich sein Privilegium verlöre, ja, bei bedeutenden Vergehen ohne Umstände auf die Galeeren gebracht würde.

»Was aber das Gericht anlangt,« fuhr er fort, »das Ihnen so viel Sorge macht, so will ich es auf mich nehmen, zu behaupten, daß es von einem wirklichen Kaninchen ist, dem man in meinem Beiseyn das Fell abgezogen hat, und um dies zu bestätigen erbiete ich mich sogleich ohne alles Bedenken, von der Schüssel zu essen, obschon ich sonst dergleichen Fricassees nicht sonderlich liebe.«

Mit diesen Worten aß er einige Bissen von dem Kaninchen, und Pallet begann es nunmehr auch wieder mit Augen der Liebe anzusehen. Wirklich nahm er auch bereits Messer und Gabel wieder und war eben im Begriff, sie anzusetzen, als ihm eine neue Bedenklichkeit anwandelte und er in die Worte ausbrach: »Aber Master Jolter, wenn es nun doch eine Katze wäre? Gott erbarme sich! da seh' ich schon eine Klaue!« Mit diesen Worten zeigte er auf einige Krallen, die Pipes von einer Ente, welche man gebraten, abgeschnitten und in das Fricassee geworfen hatte.

Diesen Beweis vermochte der Hofmeister nicht ohne einige Zeichen von Unzufriedenheit und Reue anzusehen; still und beschämt saßen er und der Maler da und schnitten sich jämmerliche Gesichter zu; der Arzt aber, der über ihren Unstern frohlockte, ermahnte sie, gutes Muthes zu seyn und sich ihr Gericht schmecken zu lassen. Er wäre bereit, setzte er hinzu, zu beweisen, daß Katzenfleisch so nahrhaft und wohlschmeckend sey als das von einem Kalbe oder einem Schöps, falls sich nur ermitteln ließe, daß es nicht etwa von einem alten Kater wäre. Das Futter der Katzen bestände ja häufig aus dem Pflanzenreiche, und ihre Lust, Fleisch zu fressen, beschränke sich hauptsächlich auf Ratten und Mäuse, die an sich schmackhafte Leckerbissen wären. »Es ist überhaupt,« fuhr er fort, »nur Pöbelwahn, zu glauben, daß alle fleischfressenden Thiere zum Essen untauglich sind. Einen Beweis hiervon giebt der starke Verbrauch der Schweine und Enten, die am Fleischfressen eben soviel Geschmack finden als die Fische, welche sich bekanntlich einander selbst aufzehren und auch das Unreinste nicht verschmähen, und ebenso die Nachfrage nach den Bären, welche die besten Schinken in der Welt geben. Die Neger auf der Küste von Guinea,« bemerkte er ferner, »ein gesundes und kräftiges Volk, ziehen Katzen und Hunde aller andern Nahrung vor;« zuletzt führte er aber noch Beispiele von Belagerungen an, bei denen die Menschen aus Noth sich nicht allein von diesen Thieren erhalten, sondern sogar Menschenfleisch genossen hätten, das, wie er aus Erfahrung wisse, dem Schweinefleische weit vorzuziehen wäre, denn er selbst habe während seiner Universitätsjahre einmal, um einen Versuch zu machen, ein Stück von dem Hintertheile eines Gehenkten genossen.

Diese Auseinandersetzung war weit davon entfernt, die Magenbeschwerden des Hofmeisters und des Malers zu heben; im Gegentheil vermehrte sie dieselben nur, und bei dem letzten Beispiele richteten Beide ihre Blicke voll Ekel und Abscheu auf den Doctor; eilig standen sie vom Tische auf, indem der Eine: Kannibale! der Andere: Scheußlich! ausrief, dann rannten sie aber mit einer solchen Hast aus dem Zimmer, daß sie unter der Thüre so hart auf einander trafen, daß Beide niederstürzten und durch diese Erschütterung ihrem Ekel so gut nachhalfen, daß sie sich, wie sie dalagen, einander gar säuberlich zudeckten.


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