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XII.

Peregrine kömmt in eine Pension, und zeichnet sich hier durch Verstand und Ehrgeiz aus.

Kaum vernahm der Commodore diesen Entschluß der Mistriß Pickle, gegen welchen deren Gemahl nicht den mindesten Einwurf zu machen wagte, so nahm er sich seines Lieblings so an, daß er ihn ganz auf seine Kosten ausrüstete und ihn selbst nach dem Orte seiner Bestimmung hinbegleitete, wo er auch noch das Eintrittsgeld in die Schule für ihn bezahlte und ihn der besonderen Aufsicht des zweiten Lehrers empfahl, der ihm als ein Mann von Einsicht und Redlichkeit war gerühmt worden, und dem er im Voraus für diese Mühwaltung ein ansehnliches Geschenk machte.

Nie war des Commodores Freigebigkeit besser angewandt als diesmal; der Unterlehrer war in der That ein eben so kenntnißreicher als rechtschaffener und verständiger Mann, und ihm allein verdankte die Anstalt den Grad von Berühmtheit, den sie durch die Talente ihres Directors nie würde erlangt haben.

Die Einrichtung, welche der Erstere getroffen hatte, war ordentlich aber nicht streng, und die eingeführten Gesetze dem Alter und dem Begriffsvermögen der Kinder angemessen. Jeder Uebertreter derselben wurde gleichsam durch ein aus seinen Kameraden gebildetes Geschwornengericht verurtheilt; wegen Faulheit Keiner gezüchtigt, wohl aber der Geist des Fleißes und der Nacheiferung durch zweckmäßige Mittel angefeuert. Als jetzt Perry in die Anstalt kam, suchte Jennings – dies war der Name des zweiten Lehrers – vor allen Dingen die Fähigkeiten und den Charakter des Knaben, der durch die bisherige verkehrte Zucht eine ganz andere Richtung genommen hatte, genau kennen zu lernen. Er fand, daß der Knabe durch die wiederholten, den Geist und Körper abstumpfenden Züchtigungen in eine gewisse störrische Fühllosigkeit versunken war, die ihn unempfindlich gegen Alles, selbst gegen das Lob machte, das eben so wenig als Verweise seine Ehrbegierde, die gleichsam unter dem Gewicht der auf ihn gehäuften Schande begraben lag, anzufachen vermochte. Der Lehrer nahm dieserhalb jetzt seine Zuflucht zu dem einzigen Mittel, welches ihm hier noch anwendbar zu seyn schien, dem einer verächtlichen Geringschätzung, die er dem gegen Alles fühllosen Perry in der Hoffnung zeigte, daß, wenn noch einige Funken von Gefühl für Ehre in ihm schlummerten, diese Behandlung sie zur Flamme in ihm anfachen müsse.

Der Erfolg entsprach auch seinen Erwartungen; in kurzer Zeit begann der Knabe Beobachtungen anzustellen: er sah, mit welcher Auszeichnung die fleißigen und bescheidenen Schüler beehrt wurden, und begann sich der verächtlichen Rolle zu schämen, die er unter ihnen spielte; denn statt seinen Umgang zu suchen, mieden ihn vielmehr die Anderen, und dies ging ihm bald nicht wenig nahe. Als der Lehrer bemerkte, wie tief ihn dies kränkte, da faßte er neue Hoffnungen zu dem Knaben und sorgte nun auch dafür den Gebeugten wieder aufzurichten. Stufenweise änderte er sein Benehmen gegen ihn; seine angenommene Gleichgültigkeit machte nach und nach einiger Aufmerksamkeit und Beachtung Platz, und da dies die allervortheilhafteste Wirkung bei dem Knaben hatte, so sprach der Lehrer eines Tages zu ihm: »Ich sehe, daß es Dir nicht an Kopf fehlt, Perry, wenn Du ihn nur brauchen willst.« Dergleichen Lobsprüche entflammten jetzt den Nacheiferungsgeist in der Brust des Kleinen; er begann durch seinen Fleiß die Beschuldigung der Dummheit und Schläfrigkeit, die bisher auf ihm geruht hatte, von sich abzuwälzen und in kurzer Zeit bedeutende Fortschritte für sein Alter zu machen. Der Lehrer aber ermangelte jetzt nicht, dem Commodore die Veränderung zu melden, die sich mit dessen Neffen zugetragen hatte, und voll Freude eilte dieser den Eltern die fröhliche Botschaft zu hinterbringen.

Sir Gamaliel, den nie etwas leicht hinriß, hörte diese Nachricht mit einer so phlegmatischen Zufriedenheit an, daß kaum ein Wort und durchaus keine Gebärde diese bezeigte; was aber die Mutter betraf, so schien es ihr zwar recht angenehm zu seyn, so gute Nachrichten von ihrem Sohne zu hören, doch unterließ sie nicht dabei zu bemerken: die Lehrer pflegten gern ihres eigenen Nutzens wegen in dergleichen Fällen etwas zu übertreiben, und sie wundere sich nur, daß Jennings seinen Lobeserhebungen nicht einen größeren Anstrich von Wahrscheinlichkeit zu geben gesucht habe.

Diese Gleichgültigkeit von der einen und Ungläubigkeit von der andern Seite verdroß Trunnion; er schwor darauf: Jennings habe die reine, glatte Wahrheit gesagt, und er selbst hätte es ja von Anfang an prophezeiht, daß der Junge noch einst der Familie große Ehre machen würde. Mistriß Pickle war aber seitdem daß diese günstige Veränderung sich mit ihrem Sohne zutrug, durch die Geburt einer Tochter erfreut worden, und so kam es, daß sie jetzt, da ihre Sorge und Neigung schon eine anderweitige Beschäftigung hatte, die Nachrichten von Perry mit einer ziemlichen Gleichgültigkeit aufnahm. Die Abnahme ihrer Zärtlichkeit war jedoch für den Knaben nicht unvortheilhaft; schädliche Nachsicht und unzeitiges Rücksichtnehmen würde vielleicht seiner Erziehung Hindernisse in den Weg gelegt haben, wenn er fernerhin als einziges Kind ihrer ungetheilten Liebe genossen hätte; jetzt hingegen, da ihre Fürsorge einen anderen Gegenstand hatte, der wenigstens die Hälfte ihrer Zuneigung besaß, ward der Knabe dem Lehrer völlig überlassen, der ihn nun ohne Hindernisse und Unterbrechung, ganz nach seinem Plane zu erziehen vermochte.

Jennings bedurfte übrigens alles seines Scharfsinnes und seiner Umsicht, den jungen Menschen in Ordnung zu halten, denn nachdem dieser seine Kameraden im Wissen schnell eingeholt und übertroffen hatte, schritt sein Ehrgeiz nun weiter und ließ ihn bald die Begierde empfinden, die ganze Schule nun auch der Tapferkeit seines Armes zu unterwerfen. Bevor er es jedoch dahin brachte, wurden unzählige Schlachten mit mannigfachem Erfolge geliefert, und kein Tag verging, wo nicht eine Klage gegen ihn einlief und eine blutige Nase oder eine Beule gegen ihn zeugte, während er selbst blaue Mahle genug an sich trug. Endlich erreichte er aber dennoch seine Absicht; seine Gegner wurden unterjocht, seine Tapferkeit anerkannt und ihm sowohl in Kämpfen der Faust als des Geistes der Lorbeer zugesprochen. Dieser Triumph berauschte ihn aber; sein Stolz wuchs mit seiner Macht, und trotz aller Mühe, die sich der Lehrer gab, seine Ausgelassenheit zu bändigen ohne seinen Geist wieder niederzudrücken, behielt er dennoch eine solche Portion von Uebermuth, daß eine lange Kette von Widerwärtigkeiten, die ihn später trafen, denselben kaum zu zähmen vermochten. Doch muß man auch sagen, daß in seinem Charakter ein guter Grund von Edelmut und Bravheit lag, und daß, wenn seine Kameraden auch oft seinen Arm zu fürchten hatten, dennoch mehr Liebe als Furcht seine Herschaft über sie festhielt. Dabei verletzte er nie die Ehrerbietung, die ihm Jennings eingeflößt hatte, gegen den Oberlehrer und Director des Instituts zeigte er jedoch nicht dasselbe Gefühl. Es war dies ein alter unwissender Pedant, der früher das Gewerbe eines Quacksalbers trieb, Standespersonen die Hühneraugen beschnitt, für die Damen Zahnpulver, Schönheitswasser und dergl. verfertigte, und, Dank diesen Arkanas und der Kunst zu kriechen, sich so bekannt und beliebt zu machen wußte, daß er sich endlich im Stande sah, eine Kostschule von fünfundzwanzig Knaben aus reichen Häusern zu gründen, die er im Lateinischen und Französischen so weit zu bringen übernahm, daß sie die Schulen von Westminster und Eton beziehen könnten.

Das Glück wollte, daß dieser Mann an Master Jennings für ein erbärmliches Jahrgeld von dreißig Pfund, gleich von Anfang herein einen Gehülfen bekam, dem er die Bürde der ganzen Sache übertragen konnte, und durch dessen Fleiß, Kenntnisse und Geschicklichkeit das Institut bald einen bedeutenden Ruf erlangte.

Außer einer großen Dosis Geiz, Unwissenheit und Eitelkeit, besaß dieser Oberlehrer noch gewisse körperliche Mängel, die ihn gleichfalls bei seinen Untergebenen lächerlich machten: er war bucklich und alle seine Glieder wie verrenkt und verdreht. Diese geistigen und physischen Gebrechen reizten nun sehr bald Peregrinens satyrische Ader, und dies um so mehr, da ihn, so jung er auch noch war, die Unehrerbietigkeit verdroß, mit welcher der Charlatan sich gegen Jennings benahm, dem er zuweilen seine Autorität fühlbar zu machen suchte, damit die Knaben ihre Ehrerbietung nicht etwa an einem unrechten Orte anbringen möchten. Aber eben hierdurch war es, daß sich Master Keypstick den Unwillen des unternehmenden Peregrine zuzog, der nun zehn Jahre alt war und Fähigkeiten genug besaß, um ihn plagen zu können.


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