Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXX.

Peregrine rettet der Geliebten das Leben, erzürnt sich mit ihrem Bruder und kehrt zu dem Commodore zurück.

Sie mochten ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als man bei einbrechendem Dunkel an ein Wirthshaus kam, wo man die Nacht zuzubringen beschloß. Haus und Bedienung waren gut; man speiste fröhlich zu Abend mit einander und erst das Gähnen der Damen, erinnerte Peregrinen daran, daß es Zeit sey aufzubrechen. Er führte sie in ihr Zimmer, wünschte ihnen dann wohl zu schlafen und begab sich auf seine Stube.

Unten im Hause war alles voller Landleute die von einem benachbarten Jahrmarkte zurückkehrten und sich zum Theil im Hofe mit Trinken und Rauchen gütlich thaten. Ihr Nachdenken, das nie sehr groß war, wurde durch ihre Schwelgerei völlig unterdrückt; halb berauscht taumelten sie in ihre Kammern und vergaßen ein Licht auszulöschen, welches an einem die Gallerie stützenden Pfeiler, brannte. Binnen Kurzem ergriff das Licht das trockne Holz und in wenigen Augenblicken stand die ganze Gallerie in Flammen. Halb erstickt von Rauch, wachte Peregrine auf, sprang sogleich in die Höhe und ließ sich kaum Zeit nur einige Kleidungsstücke überzuwerfen, als er beim Oeffnen seiner Thüre den Gang im Feuer erblickte. Aber wie wurde ihm zu Muthe, als er jetzt die Gluth sich unaufhaltsam nach dem Zimmer hinwälzen sah, wo die Geliebte schlief. Unbekümmert um seine eigene Gefahr, stürzte er durch den dicksten Dampf nach ihrer Thüre hin, schlug an dieselbe an und rief in der höchsten Angst: sie möchten aufmachen! Zitternd und im Hemde öffnete Emilie die Thüre und fragte, was es gäbe? aber statt ihr zu antworten, nahm er sie ein zweiter Aeneas, in seine Arme und trug sie mitten durch die Gluth an einen sicheren Ort, dann eilte er, ehe sie sich noch hatte sammeln oder ein anderes Wort hervorbringen können als: »Ach Sophy!« wieder fort, um auch diese zu retten, die jedoch bereits durch Pipes geborgen worden war. Der Brandgeruch hatte den Seemann beunruhigt: er war aufgestanden und schnell nach dem Zimmer hingelaufen, wo die beiden Damen ruhten; da er aber Emilie bereits gerettet fand, so trug er nun Miß Sophy mit Verlust seines Haarbüschels fort, den er sich auf dem Rückwege absengte.

.

Unterdessen war Alles im Hause rege geworden und da sich Alle bemühten dem Feuer Einhalt zu thun, auch auf dem Hofe ein wohlgefüllter Teich sich befand, so gelang es in weniger als einer Stunde die Flammen gänzlich zu löschen ohne daß ein weiterer Schade entstanden wäre, als daß ein Theil der Gallerie in Asche verwandelt wurde.

Peregrine hatte sich unterdessen unablässig mit den beiden Freundinnen beschäftigt, die vor Furcht und Schrecken in Ohnmacht gefallen waren, jedoch bald wieder zu sich kamen und sich nun nach und nach von ihrer Angst erholten, da sie sich und ihre Begleiter unbeschädigt sahen und das Feuer glücklich gedämpft fanden. Sie kleideten sich jetzt vollständig an und indem sie scherzend sich über ihren verstörten Aufzug lustig machten in welchem sie gerettet worden waren, bekamen sie bald ihre ganze vorige Heiterkeit wieder.

Sophy bemerkte jetzt: Sir Pickle habe von nun an ein unbezweifeltes Recht auf die Zuneigung ihrer Cousine und diese müsse hinführo alle erkünstelte Zurückhaltung ablegen und ihres Herzens Gesinnungen frei gestehen. Emilie gab dies zu, erinnerte jedoch dabei scherzend daran: ein Gleiches müsse ihre Cousine gegen Master Pipes thun, der dieselben Verdienste um sie hätte, und die gleichen Ansprüche jetzt machen könne. Die Freundin mußte dies einräumen, doch setzte sie hinzu: nur unter der Bedingung, wenn sich kein anderes Mittel fände ihren Retter auf eine andere Art zufrieden zu stellen. Sie wandte sich hierauf zu dem gerade gegenwärtigen Pipes und fragte ihn: ob sein Herz bereits versagt sey? Tom, der den Sinn dieser Frage nicht verstand, schwieg wie gewöhnlich und als sie wiederholt wurde, antwortete er grinsend: »Miß, 's ist noch so ganz wie'n Schiffszwieback.« – »Wie!« rief Emilie, »seyd Ihr denn niemals verliebt gewesen?« »Doch, des Morgens zuweilen,« versetzte der Bootsmann ohne alles Bedenken.

Peregrine vermochte sich des Lachens nicht zu enthalten und Emilie gerieth über diese plumpe Antwort etwas außer Fassung; mittlerweile drückte ihm aber Sophy einen Geldbeutel mit den Worten in die Hand: er möchte sich dafür eine Haartour anschaffen. Pipes blickte seinen Herrn an, gleichsam um sich bei ihm Raths zu erholen, dann aber sprach er: »Danke schön, 's ist so gut, als hätt' ich's genossen,« und ob sie gleich darauf bestand, daß er das Geld als ein geringes Zeichen ihrer Dankbarkeit nehmen sollte, so konnte sie ihn doch nicht dazu vermögen; im Gegentheil folgte er ihr an das andere Ende des Zimmers nach, steckte ihr hier den Geldbeutel wieder in die Hand und sprach: »Will verdammt seyn, wo ich's nehmen thu'.«

Peregrine schickte ihn jetzt fort und bat Miß Sophy, sie möchte die guten Grundsätze dieses Menschen nicht zu verderben suchen, denn so rauh und und ungeschliffen er auch sey, so habe er doch Sinn genug um einzusehen, daß er eine solche Erkenntlichkeit nicht verdient hätte. »Nicht verdient?« fiel Sophy ihm ins Wort. »Ich werde nie im Stande seyn, ihm den mir geleisteten Dienst nach Würden zu belohnen und nicht eher ruhig werden, bis sich mir eine Gelegenheit bietet, wo ich ihm meine Erkenntlichkeit beweisen kann. Master Pipes zu belohnen fällt mir gar nicht ein, aber es würde mich schmerzen, wenn ich ihm nicht wenigstens ein geringes Denkmal meiner Erkenntlichkeit geben sollte.« Da Peregrine sie so ernstlich entschlossen sah, so bat er sie demselben lieber statt Geld irgend eine Kleinigkeit als ein Zeichen ihrer Gewogenheit zu geben, denn er selbst lege einen so vorzüglichen Werth wegen seiner Anhänglichkeit und Treue auf diesen Menschen, daß es ihm leid thun würde, wenn man ihn auf den Fuß eines gewöhnlichen Bedienten behandeln wollte.

Die dankbare junge Dame besaß nichts was sie ihrem Retter nicht mit Freuden gegeben hätte, allein der junge Mann wählte nur einen Siegelring von geringem Werthe, den sie an ihrer Uhr trug, aus, und rief nun Pipes herbei, dieses Zeichen von Miß Sophie's Gewogenheit anzunehmen. Mit vielen linkischen Kratzfüßen empfing Tom die Gabe, steckte dann den Ring, nachdem er ihn mehrmals geküßt hatte, an den kleinen Finger und stolzierte hierauf sehr vergnügt ab.

Mit einem ungemein holden Blick sprach jetzt Emilie zu ihrem Verehrer: er hätte sie gelehrt wie sie sich gegen ihn zu benehmen habe. Mit diesen Worten zog sie einen diamantenen Ring vom Finger und bat ihn, denselben zu ihrem Andenken zu tragen. Er nahm dies Unterpfand freudig an und bot ihr dagegen einen anderen, sie weigerte sich aber ihn zu nehmen und äußerte: ihre Absicht würde dadurch völlig vereitelt werden, weil ihr Ring ja dann nicht mehr als ein Zeichen ihrer Erkenntlichkeit gelten könne. Peregrine versicherte dagegen: er habe ihn nicht als einen Beweis ihrer Erkenntlichkeit, sondern als ein Merkmal ihrer Zuneigung angenommen und im Falle sie sein gegenseitiges Pfand ausschlüge, müsse er glauben von ihr verachtet zu werden.

Diese Aeußerung wurde von der jungen Dame jedoch übel aufgenommen, indem sie dieselbe für eine Beleidigung hielt; Peregrine bemühte sich dagegen ihr die Sache anders darzustellen und bat sie hierin blos das stets von ihm gehegte Verlangen zu erblicken, ihr seine Neigung und unverbrüchliche Anhänglichkeit bei jeder Gelegenheit zu erklären. Sophy schlug sich aber jetzt in's Mittel und schmälte ihre Cousine wegen ihrer Ziererei solange aus, bis Emilie sich bereitwillig erklärte, den Ring anzunehmen, worauf dann ihr Verehrer mit vielem Feuer ihr das Kleinod an den Finger steckte und dabei in seiner Extase sich nicht allein damit begnügte, ihre Hand zu küssen sondern auch ihren Leib umschlang und ihren Lippen einen Kuß raubte, dann aber sich zu Miß Sophy wendete und, damit sie nicht Ursache hätte ihre Cousine aufzuziehen, einen gleichen Raub bei ihr beging. Dies machte die Freundinnen so aufgeräumt, daß sie ihm einen so gelinden Verweis für seine Dreistigkeit gaben, daß er fast in Versuchung gerieth die Beleidigung zu wiederholen.

Es war jetzt Morgen geworden und alles im Hause wieder auf den Beinen. Peregrine bestellte deshalb Chokolate zum Frühstück und sandte auf Verlangen der Damen, seinen Diener fort die Pferde und den Wagen zu rüsten, dann aber begab er sich hinab um die Rechnung zu berichtigen. Gegen fünf Uhr fuhr man endlich ab und langte, nachdem man noch einmal unterwegens eingekehrt war, wohlbehalten den Nachmittag an dem Ort der Bestimmung an, wo Mistriß Gauntlet eine große Freude äußerte, ihren alten Bekannten, Sir Pickle, wiederzusehen und ihm dabei einen kleinen Verweis gab, daß er so lange nichts habe von sich hören und sehen lassen.

Ohne die Ursache hiervon zu erklären, betheuerte ihr der junge Mann, seine Liebe und Hochachtung hätte unterbrochen fortgedauert und er werde in Zukunft keine Gelegenheit vorbeilassen, ihr zu beweisen wie sehr ihm ihre Freundschaft am Herzen liege. Die alte Dame machte ihn darauf mit ihrem Sohne bekannt, der sich damals gerade auf Urlaub bei ihr befand.

Dieser junge Mann, Geoffry mit Namen, dem die Blatternarben in seinem Gesichte ein sehr männliches Ansehn gaben, war ungefähr zwanzig Jahre alt, von mittlerer Größe und von einem kraftvollen dabei aber auch sehr zierlichen Wuchse. Er besaß viele Fähigkeiten und sein Charakter war von Natur offen und zuvorkommend; allein von Jugend auf Soldat, war er ganz auf militärischen Fuß erzogen, sah Geschmack und Wissenschaften für bloße Pedanterie an, die sich für einen Mann nicht zieme, und hielt alles was nicht wie er die Uniform trug, unter sich. In den gymnastischen Künsten: Tanzen, Fechten und Reiten, hatte er große Fortschritte gemacht, dabei blies er die Flöte meisterhaft, und wußte sich nicht wenig mit der Beobachtung des sogenannten point d'honneurs.

Hätten Peregrine und er sich auf gleichem Fuße betrachtet, so würde sich höchst wahrscheinlich sehr schnell ein enges Freundschaftsbündniß zwischen ihnen geknüpft haben; so aber sah der junge Krieger in dem Verehrer seiner Schwester nur einen Studenten der ganz frisch von der Universität käme und ein Neuling in der Welt sey, und Pickle betrachtete ihn dagegen aus dem Gesichtspunkte eines dürftigen Volontairs, der sowohl an Glücksgütern als an jeder andern Vollkommenheit tief unter ihm stünde.

Dies gegenseitige Mißverständniß mußte nothwendig sehr bald eine Feindseligkeit nach sich ziehen, die sich bereits den nächsten Tag in Gegenwart der Damen, vor denen Jeder sich bemühte seine Ueberlegenheit zu behaupten, durch spitzige Bemerkungen offenbarte. In diesen Streitigkeiten trug nun unser Held, der von Natur mehr Witz besaß und dessen Talente besser angebaut waren, immer den Sieg über seinen Gegner davon, wodurch Letzterer nur noch aufgebrachter wurde und jetzt anfing Peregrine verächtlich und unehrerbietig zu behandeln.

Miß Emilie bemerkte dies und zitterte vor den Folgen die dies haben konnte. Sie hielt dieserhalb ihrem Bruder nicht nur insgeheim sein unartiges Betragen vor, sondern bat auch ihren Verehrer, mit Geoffrie's rauher Außenseite Nachsicht zu haben. Im gefälligsten Tone versicherte ihr Peregrine, er würde sich Mühe geben soviel es ihm auch kosten möchte, sein heftiges Temperament zu beherrschen und geduldig ihretwegen alles das zu ertragen, was der Uebermuth ihres Bruders ihm etwa den Weg legen könnte.

Die zwei Tage, welche er sich im Hause aufhielt, hatte er mit Emilie mehrere geheime Unterredungen, bei denen er die Rolle des feurigsten Liebhabers spielte, dann aber nahm er am Abend Abschied von Mistriß Gauntlet und sagte den jungen Damen: er würde ihnen morgen früh noch ein Lebewohl bringen.

Diese Pflicht versäumte er auch nicht. Die beiden Frauenzimmer waren bereits beim Frühstück im Besuchszimmer, als er eintrat. Der Gedanke der Trennung hatte sie alle Dreie ergriffen und es herrschte jetzt einige Zeit eine Pause unter ihnen die Peregrine endlich damit unterbrach, daß er sich über sein Schicksal beklagte, welches ihn nöthigte sich so lange von der die er mehr als alles liebe, entfernen zu müssen, dann bat er Emilie ihm jetzt in Betracht der Schmerzen die er durch die Trennung von ihr erdulde, den ihm bisher immer noch versagten Trost zu gewähren, daß er wisse er besäße einen Platz in ihrem Herzen. Diesen billigen Wunsch unterstützte Miß Sophy mit ihrem ganzen Ansehn. Sie stellte ihrer Cousine vor, daß jetzt, da ihr Verehrer im Begriff stehe in's Ausland zu gehen, es nicht mehr an der Zeit sey mit ihren Gesinnungen zurückzuhalten und daß er leicht in Gefahr schweben könne andere Verbindungen einzugehen, wenn er nicht in seiner Beständigkeit durch das Bewußtseyn gestärkt würde, wie weit er sich auf ihre Liebe verlassen könne.

Kurz, man drang so anhaltend in Miß Emilie, daß diese nicht länger zu widerstehen vermochte und endlich voller Verwirrung antwortete: »Obschon ich bisher jedes buchstäbliche Bekenntniß vermieden habe, so glaube ich doch wird mein ganzes Benehmen Sir Pickle überzeugt haben, daß ich ihn nicht unter die Alltagsbekannten zähle.« – »O Emilie!« rief hier der ungeduldige Verehrer, »weshalb wollen Sie mir mein Glück so karg zumessen? weshalb mit einer Erklärung zögern, die mich in der trüben Oede in der ich mich immer ohne Sie befinden werde, aufrichten und mein einziger Trost seyn wird?«

Emilie vermochte sich jetzt nicht länger zu halten; mit Thränen in den Augen rief sie: »Ich fürchte, ich werde diese Trennung lebhafter fühlen, als Sie glauben!« und entzückt von diesem schmeichelhaften Geständnisse drückte er nun die Geliebte an die Brust; ihr Haupt sank auf seine Schulter und ihre Thränen vermischten sich mit den seinen. Sophie's sanftes Herz blieb bei dieser Scene nicht ungerührt; sie weinte aus Mitgefühl mit und ermunterte die Liebenden sich in den Willen des Schicksals zu fügen und ihren Muth durch die Hoffnung zu beleben, sich bald und in glücklicheren Tagen wiederzusehen.

Nach vielen gegenseitigen Gelübden, Versprechungen und Liebkosungen, nahm endlich Peregrine Abschied. Sein Herz war so beengt, daß er kaum die Worte: »Leben Sie wohl!« hervorzubringen vermochte; dann warf er sich aufs Pferd und eilte mit Pipes der Garnison zu.


 << zurück weiter >>