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XX.

Die Hofmeister suchen ihre Zöglinge zu gewinnen. Peregrine wird verlassen und beredet sich der Strafe zu unterwerfen. Seine Ideen nehmen einen andern Schwung; er wird ein Stutzer und mit Miß Emilie Gauntlet bekannt.

Die Lehrer zu Winchester, die über die Entweichung der Schüler nicht weniger erstaunt, als außer Fassung gesetzt worden waren, hatten unterdessen alle Hofmeister von denen zusammengerufen, die an diesem Bündniß Theil nahmen um mit diesen die besten Maßregeln zur Zurückführung der verirrten jungen Leute zu überlegen. Man war übrigens sehr bald einstimmig der Meinung, daß ein Haufe so junger, wilder Menschen ohne Geld, Erfahrung, Plan und Anführer, unmöglich lange bei einander bleiben könne und beschloß demnach sie eine kurze Zeit den Wirkungen ihrer Leidenschaft zu überlassen indem man nicht zweifelte, daß wenn nur die erste Hitze sich gelegt haben würde, einer nach dem andern abfallen und so der ganze Bund sich bald auflösen würde.

Die Rückkehr der jüngeren Knaben rechtfertigte gewissermaßen diese Vermuthung; allein die Nachricht: daß sich die Uebrigen einen Anführer gewählt und sich gewissen Statuten unterworfen hätten, begann nun doch die Lehrer ernstlich zu beunruhigen. Dennoch beschloß man ihnen noch einige Frist zu lassen und wartete somit noch vier und zwanzig Stunden ab, als aber in dieser Zeit keine Nachricht weiter von den Flüchtlingen einlief, da fing man an die Sache ernsthafter zu nehmen und trug nun den Hofmeistern auf, ihre Untergebenen aufzusuchen. Es ward diesen nicht schwer den Flüchtlingen auf die Spur zu kommen, denn eine Carawane so merkwürdiger Art, konnte nicht füglich unbemerkt ziehen. Sie erfuhren den Marsch derselben von Ort zu Ort und langten noch denselben Abend in einem Wirthshause an, welches nur noch zwei Meilen von dem Flecken entfernt lag, in welchem die irrenden Ritter ihr Hauptquartier genommen hatten. Von hier begaben sie sich zu einem in der Nähe wohnenden Friedensrichter bei welchem sie einen Verhaftsbefehl gegen Tom Pipes auswirkten, den sie als einen Vagabunden und Verführer der Jugend darstellten; mit dieser Vollmacht versehen ritten sie aber den nächsten Morgen vollends nach dem Flecken hin und hielten sich hier so lange verborgen auf, bis sie einen Constabel mit einer gehörigen Anzahl Gehülfen bei der Hand hatten; dann wurde ein Bote mit dem Auftrage an Master Pipes geschickt, diesem zu melden: es wünsche ihm Jemand im weißen Hirsche zu sprechen.

Der Bootsmann erhielt diese Nachricht unmittelbar nach der vorher erwähnten Effectensteuer und sein Herr, der sehr richtig muthmaßte, die Bothschaft beträfe die gemeinschaftliche Sache, befahl ihm nun, der Aufforderung zu folgen. Pipes ging daher mit dem Boten, war aber kaum in das Zimmer getreten nach welchem man ihn hinwies, als er sich sogleich von dem Constabel und dessen Gehülfen umringt und so schnell überwältigt sah, daß es ihm unmöglich fiel sich zur Wehr zu setzen. Jetzt machte man ihn mit der Ursache seiner Verhaftung bekannt, worüber er sich übrigens wenig zu bekümmern schien, und brachte ihn sodann in der Stille in ein Gefängniß, wo man ihn seinen Betrachtungen überließ.

Nachdem diese Maßregel mit gutem Erfolge ausgeführt worden war, begaben sich die Hofmeister auf besondere Zimmer und ließen nun ihre Zöglinge einzeln zu sich rufen, wo dann jeder alle Gründe aufbot den jungen Leuten das Unkluge ihres Beginnens vorzustellen. Diesen Zweck zu erreichen, bedurfte es übrigens jetzt keiner großen Beredsamkeit, da die eigne Ueberlegung hierzu bereits vorgearbeitet hatte: der größte Theil der jungen Leute ergab sich den vernünftigen Vorstellungen und willigte unter der Bedingung ein, wieder in die Schule zurückzukehren, wenn für alles Vorgefallne ein Generalpardon bewilligt würde.

Die Hofmeister hatten die Vollmacht dies zu versprechen; nur Peregrine allein war hiervon ausgenommen, da der Rector den festen Vorsatz gefaßt hatte, an ihn als den Rädelsführer und Urheber der ganzen Unruhe, ein Beispiel zu statuiren. Dies machte aber eben auch daß er gegen alle Ermahnungen von Seiten Jolters unbeweglich blieb, der ihn vergebens beschwor, sich lieber einer kleinen Züchtigung zu unterwerfen, als sich der Gefahr auszusetzen, schimpflich von der Schule gejagt zu werden und hierdurch vielleicht für immer die Gewogenheit seines Onkels zu verlieren. Als Peregrine jedoch sah, daß ihn alle seine Anhänger verließen und ihm alle Mittel und aller Beistand fortzukommen, geraubt waren, ergab er sich zuletzt wiewohl mit großem Sträuben in sein Schicksal, nachdem er noch zuvor seinem treuen Pipes die Freiheit wieder ausgewirkt hatte. Er wurde nun in das Collegium zurückgeführt und mußte hier, trotz der Verwendung seines Hofmeisters, der um eine Milderung seiner Strafe bat, zum Schrecken aller Andern auf einen hölzernen Esel reiten.

Diese Strafe machte einen außerordentlich tiefen Eindruck auf ihn, der nach und nach schon anfing den Stolz und die Gesinnungen eines erwachsenen Menschen zu zeigen, und sein Schaam war so groß, daß er nicht mehr wie sonst öffentlich erschien, eine tiefe Erbitterung gegen seine Kameraden, ihrer Untreue und Unentschlossenheit wegen, empfand, und mehrere Wochen wie in einem dumpfen Hinbrüten verbrachte, während welcher Zeit er sich gänzlich von allen seinen bisherigen knabenhaften Verbindungen losriß und seine Neigungen auf andere Gegenstände lenkte.

Bei seinen gymnastischen Uebungen, in denen er sehr bewandert war, knüpfte er nach und nach mit mehreren jungen Leuten, die ihm an Alter überlegen waren aber an seinem Umgange Geschmack fanden, eine ziemlich enge Freundschaft an und wurde nun von diesen mit zu Gesellschaften und Bällen gezogen, wo er sehr bald Gelegenheit erhielt, seine Anlage zur Galanterie zu entwickeln. Die Natur selbst schien ihn zu dergleichen Unternehmungen geschaffen zu haben: außer einem sehr einnehmenden Aeußeren, das von Tage zu Tage anziehender wurde, besaß er jenen Grad von Dreistigkeit und Wildheit, der den Schönen in der Regel so wohl gefällt; dazu zeichnete er sich noch durch eine schrankenlose Freigiebigkeit und eine nicht kleine Portion heiterer Laune aus. Aber auch an den gründlicheren Vollkommenheiten eines Jünglings fehlte es ihm nicht; er hatte über alle Erwartung in den Wissenschaften zugenommen und außer der scharfen Urtheilskraft, welche die Grundlage eines guten Geschmackes ist, und vermöge welcher er mit Leichtigkeit die Schönheiten der classischen Schriftsteller herauszufinden vermochte, selbst schon verschiedene Beweise seiner vielversprechenden poetischen Anlagen abgelegt.

Man darf sich daher nicht wundern, daß bei solchen Neigungen und Umständen die Aufmerksamkeit der jungen Damen in der Stadt sich auf ihn lenkte. Es wurden Erkundigungen wegen seiner Vermögensumstände eingezogen und kaum erfuhr man, welche guten Aussichten ihm lachten, als die Eltern ihn insgesammt zu sich baten und ihn mit Höflichkeiten überhäuften, während die Töchter ihm mit vorzüglicher Güte begegneten, so daß er bald wo er nur erschien, Veranlassung zu einem Wetteifer unter den jungen Damen, hierdurch aber auch ein gefährlicher Gesellschafter und gleichsam eine Art von Zankapfel wurde.

Leider war seine Mäßigung hierbei nicht so groß wie sein Glück; seine Eitelkeit mischte sich in das Spiel und statt seine Neigung auf einen Gegenstand zu lenken, suchte er nur die Zahl seiner Eroberungen zu vermehren. Er trieb sich jetzt an allen öffentlichen Orten, in allen Concerten und Assembleen umher, kleidete sich nach dem neuesten Geschmack und begann bald auf den Weg zu kommen, ein ausgemachter Geck zu werden. Während er aber noch so zwischen der Verspottung Einiger, und der Achtung Anderer, gleichsam mitten inne schwebte, ereignete sich ein Zufall, der seine Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand zog und ihn dadurch glücklicherweise von jenen eitlen Bestrebungen abbrachte, die ihn ohnfehlbar mit der Zeit in einen Abgrund von Thorheit und Verachtung gestürzt haben würden. Er befand sich nämlich eines Abends auf einem der Bälle, die zur Zeit der Wettrennen veranstaltet werden, und da derjenige, welcher bei diesem Feste den Ceromonienmeister machte, wußte, wie begierig Pickle jede Gelegenheit ergriff, sich zu zeigen, so benachrichtigte er ihn, daß sich am anderen Ende des Saales eine junge Dame befände die Lust zu haben schien einen Tanz zu machen, deren Begleiter aber nicht tanzen könne, weil er in Stiefeln sey.

Dieser Wink reichte hin Peregrinens Eitelkeit rege zu machen und er eilte die junge Dame in Augenschein zu nehmen, deren Schönheit ihn überraschte. Sie schien ziemlich in gleichem Alter mit ihm zu seyn, war schlank und zierlich gewachsen und hatte ein unendlich angenehmes und liebliches Gesicht in dessen Zügen doch dabei zugleich etwas Edles und Ehrfurchtgebietendes lag.

Pickle sah jetzt das Mädchen kaum, als er sich auch von ihrem Reiz überwunden fühlte, und sich ihr mit mehr als gewöhnlicher Ehrfurcht näherte, um sie um die Ehre zu bitten, eine Menuet mit ihr zu tanzen; ein Gesuch das sie gern und ohne Ziererei anzunehmen schien.

Das Paar zeichnete sich zu sehr aus um nicht die Aufmerksamkeit der andern Anwesenden zu erregen. Pickle war zwar Allen im Saale bekannt, aber seine Tänzerin ein neues Gesicht und folglich der Kritik der anderen Damen doppelt unterworfen. »Sie hat einen recht hübschen Teint,« meinte die Eine, »aber finden Sie nicht auch, daß sie etwas schief ist?« Eine Andere bedauerte, daß sie eine zu große Nase hätte; eine Dritte bemerkte, man sähe es ihr an ihrem linkischen Benehmen an, daß sie nicht oft in guter Gesellschaft gewesen sey; eine Vierte wollte einen Zug von Frechheit in ihrem Gesichte entdecken: kurz der Neid hielt seine gefärbten Brillen vor und ließ überall Mängel finden.

Die Herren betrachteten sie jedoch mit ganz anderen Augen: so wie sie erschien ließ sich ein allgemeines Beifallsgemurmel vernehmen, man stand in einem weiten Kreise umher als sie tanzte und Alle waren über ihre Anmuth entzückt: indem sie aber in Lobeserhebungen über das Mädchen ausbrachen, äußerten sie zugleich ihr Mißvergnügen über das Glück ihres Tänzers; man nannte ihn einen gebildeten, gezierten Gecken, der für das theure Selbst so eingenommen sey, daß er sein günstiges Schicksal weder erkenne noch verdiene. Peregrine vernahm diese Bemerkungen nicht, mithin konnten sie ihn auch nicht erbittern, allein indem man glaubte er bringe seiner Eitelkeit nur ein Opfer hatte sich eine ganz andere, bessere Leidenschaft seines Herzens bemächtigt.

Statt des fröhlichen Muthwillens wodurch er sich sonst so auszeichnete, schien er jetzt verstört und unruhig zu seyn; er tanzte ohne Aufmerksamkeit, kam öfters aus dem Takt und erröthete dann über und über. Den Herren entging diese Stimmung, dem scharfen Auge der Frauenzimmer aber nicht, die mit eben so viel Erstaunen als Unwillen den Eindruck sahen, den die Unbekannte auf Peregrine gemacht hatte, und jetzt wie verabredet, in ein gemeinschaftliches höhnisches Lächeln ausbrachen, als er sie zu ihrem Sitze zurückführte.

Diese wenig anständigen Aeußerungen des Neides verdrossen Peregrine ungemein, und um den Aerger der Anderen zu vermehren, knüpfte er nun ein Gespräch mit seiner Dame an, die scharfsichtig genug war das Betragen des weiblichen Theiles der Gesellschaft gegen sich zu bemerken und hierüber sich eben so erzürnt zu fühlen, als erfreut über die Ursache zu seyn schien. Sie benahm sich deshalb so artig und zuvorkommend gegen Peregrine wie es der Anstand nur erlaubte und ihre ebenfalls anwesende Mutter ermangelte nicht sich bei ihm für die Höflichkeit und Aufmerksamkeit zu bedanken, die er gegen eine Fremde zeigte. Ein gleiches Compliment stattete ihm der junge Herr in Stiefeln, der des Mädchens Bruder war, ab.

Hatte ihn ihr Aeusseres schon entzückt, so riß ihn jetzt ihre Unterhaltung vollends hin. Verstand, Witz und Munterkeit belebten dieselbe und ihr offenes, heiteres Wesen erweckte nun auch seine Zuversichtlichkeit und Fröhlichkeit wieder. Er malte ihr den Charakter der Damen die sich so feindselig gegen sie gezeigt hatten, mit so launigen, satyrischen Zügen, daß sie mit einem besonderen Wohlbehagen und Aufmerksamkeit ihm zuhörte, und bei diesem Gemälde jede dieser lächerlich gemachten Schönen mit einem so bedeutenden Blick ansah, daß diese dadurch ganz zu Boden gedrückt wurden: kurz Beide schienen an dieser Unterhaltung viel Behagen zu finden. Unser junger Herr beobachtete übrigens während derselben mit vieler Feinheit jede Pflicht der Galanterie und ließ keine schickliche Gelegenheit vorüber, die stille und ehrfurchtsvolle Bewunderung ihrer Reize zu zeigen. Als aber die Gesellschaft endlich aufbrach, da begleitete er Mutter und Tochter nach Hause und schied dann von ihnen, indem er sich noch die Erlaubniß ausbat: den folgenden Morgen seine Aufwartung machen zu dürfen, und im Gespräch von der Mutter herausgelockt hatte, daß seine Schöne Emilie Gauntlet hieß.

Die ganze Nacht vermochte er kein Auge zu schließen und tausenderlei Pläne zu Lustparthien, die er zu Ehren seiner neuen Bekanntschaft veranstalten wollte, beschäftigten ihn unablässig; mit dem ersten Morgenstrahl stand er aber auf und begann seine Toilette zu machen und ungeduldig auf das Erscheinen der zehnten Stunde zu warten; kaum vernahm er aber den Schlag derselben, so eilte er auch schon nach dem Hause hin und fragte hier mit einer gewaltigen Hast nach Miß Gauntlet. Man führte ihn in das Besuchzimmer und nach wenigen Minuten erschien Emilie. Ihr Anblick war bezaubernd; ganz schmucklos gewann sie nur durch die Reize, welche ihr die Natur verliehen hatte und Pickle fühlte von diesem Augenblicke an, daß sein Loos für immer entschieden war.

Die Mutter war noch nicht sichtbar, der Bruder aber ausgegangen um den Wagen zu bestellen mit welchem die Familie heute noch nach ihrem gewöhnlichen Wohnsitz zurückzukehren gedachte. Unser Held genoß demnach eine volle Stunde lang das Glück mit seiner Schönen sich ungestört unterhalten zu können: er benutzte diese Zeit um ihr seine Liebe in den leidenschaftlichsten Ausdrücken zu erklären und sie inständigst zu bitten, ihm zu erlauben, ihr dann und wann seine Aufwartung machen zu dürfen. Das Mädchen stellte sich als hielte sie diese Betheuerungen für die gewöhnliche Sprache der Galanterie und versicherte ihm sehr verbindlich, daß es ihr, wenn sie hier im Orte lebte, angenehm seyn würde ihn öfter zu sehen, da sie jedoch ziemlich weit entfernt wohne, so könne sie nicht erwarten, daß er um eines so unbedeutenden Anlasses willen, so weit reisen oder sich um die Einwilligung ihrer Mutter bemühen sollte.

Diesen günstigen Wink verstand Peregrine vollkommen und ermangelte nicht zu versichern, er habe nur die wahre Sprache des Herzens gesprochen und wünsche nichts als sie von der Aufrichtigkeit seiner Gesinnungen zu überzeugen, auch würde er, und wenn sie am äußersten Ende des Königreiches wohnte, Mittel und Wege zu finden wissen, ihr seine Huldigungen zu bringen, wenn ihre Mutter ihm die Erlaubniß um die er eifrig anhalten wolle, hierzu ertheile. Emilie gab ihm jetzt zu verstehen: sie wohne ungefähr sechzehn Meilen von Winchester in einem Dorfe das sie ihm nannte, und wo er, wie er aus ihren Reden schließen konnte, kein unwillkommener Gast seyn würde.

Unter diesen Gesprächen erschien endlich auch Mistriß Gauntlet. Sie empfing ihn sehr höflich, dankte ihm nochmals für die Aufmerksamkeit die er ihrer Tochter auf dem Balle bewiesen hätte, und kam seinen Wünschen dadurch zuvor, daß sie ihm sagte: es würde ihr angenehm seyn ihn in ihrem Hause zu sehen, wenn ihn jemals sein Weg in dessen Nähe bringen sollte.


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