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XIX.

Peregrine hat ein gefährliches Abentheuer mit einem Gärtner. Er zettelt eine Rebellion in der Schule an, verläßt mit seinen Anhängern die Stadt, und schlägt sein Hauptquartier in einem Dorfwirthshause auf.

Peregrine begab sich mit einigen seiner Cameraden in einen Obstgarten in der Vorstadt. Als die Gäste hier ihren Appetit gestillt hatten, verlangten sie zu wissen, was sie für die Früchte zu bezahlen hätten. Der Gärtner forderte jetzt eine ihrer Meinung nach viel zu hohe Summe, die sie ihm, mit mancher anzüglichen Rede untermischt, verweigerten; aber der Andere, ein trotziger und grober Patron, bestand auf seiner Forderung, und erwiederte die Reden der Schüler mit den Ausdrücken, woran die Suade des Pöbels nicht karg zu seyn pflegt. Die Gäste versuchten jetzt einen Rückzug; ein Faustkampf entspann sich, und Peregrine verlor seinen Hut dabei. Da sich der Gärtner jedoch durch die Zahl seiner Feinde stark ins Gedränge gebracht sah, so rief er seiner Frau zu: sie sollte den Hund loslassen. Dies geschah, und der Hund biß nun den Einen in das Bein und den Andern in die Schulter, so daß jetzt das ganze feindliche Heer die Flucht ergriff.

Voll Grimm über diese schnöde Behandlung, holten die Schüler aber nun ihre Freunde herbei, und zogen dann, mit Tom Pipes an der Spitze, nach dem Schlachtfelde zurück. Bei Erblickung ihres Anmarsches rief der Gärtner seinen Lehrburschen zu Hülfe, der in einem andern Theile des Gartens arbeitete, bewaffnete diesen mit einem Spaten, sich selbst aber mit einer Hacke, verriegelte hierauf seine Thüre von innen, und erwartete so, den Hund auf einer, den Lehrburschen auf der andern Seite, festen Fußes den Angriff der Feinde. Nur wenige Minuten hatte er in dieser Position gestanden, als Pipes, der gleichsam die Avantgarde bildete, mit großer Unerschrockenheit gegen den Eingang des Hauses anrückte und den Fuß gegen die eben nicht besonders haltbare Thüre stemmte, so daß diese, wie von einer Petarde zertrümmert, aufflog und in Stücken zersplitterte.

Dieser plötzliche Einbruch machte auf den Lehrburschen einen gewaltigen Eindruck; mit größter Schnelligkeit zog er sich zurück und entwischte aus der Hinterthür, sein Herr aber stellte sich dagegen, einem zweiten Herkules gleich, in die Bresche, und als Pipes nun mit emporgeschwungenem Knüttel vorwärts rückte, da versetzte er demselben mit seiner Hacke einen solchen Streich auf das Haupt, daß, wenn Pipes Schädel nicht so undurchdringlich gewesen wäre, sein Kopf nothwendig hätte zerspalten werden müssen. So casemattirt wie er aber auch war, schnitt das Werkzeug dennoch bis auf den Knochen ein, und prallte gegen diesen mit einer solchen Heftigkeit an, daß wirklich durch den Zusammenstoß Feuerfunken hervorsprangen; eine Thatsache, worüber ich ja bitten muß, daß sie kein ungläubiger Leser bezweifelt, bevor er des sinnreichen Hrn. Peter Kolbe's Naturgeschichte vom Vorgebirge der guten Hoffnung gelesen hat, wo man erfahren wird, daß die Einwohner mit den Schienbeinen der Löwen sich Feuer anzuschlagen pflegen.

Obschon Pipes durch diesen Schlag etwas betäubt wurde, so war er es doch nicht so sehr, um nicht sogleich diesen Willkomm mit seinem Prügel zu erwiedern, und gewiß, hätte sein Gegner nicht den Kopf weggedreht, so würde er ihn athemlos auf seine eigene Schwelle niedergestreckt haben; zum Glück traf aber der Schlag nur die rechte Schulter des Mannes, dem sogleich die Hacke aus der betäubten Hand entsank. Diesen Vortheil benutzte der Bootsmann augenblicklich; er rannte jetzt mit seinem Kopfe so derb gegen die Brust des Sohnes der Erde, daß dieser augenblicklich zu Boden stürzte; aber jetzt fiel der Bullenbeißer den Bootsmann von hinten an und packte ihn beim Schenkel. Um sich diesen lästigen Feind zu erwehren, überließ Tom den Gärtner der Rache seiner Verbündeten, die in dichten Haufen über ihn herstürmten, er selbst aber wandte sich um, packte das wilde Thier bei der Kehle und drückte diese mit solcher Stärke und Beharrlichkeit zusammen, daß es seinen Raub schnell fahren ließ. Die Zunge hing dabei dem Hunde aus dem Rachen, das Blut schoß ihm aus den Augen, und in den Händen des Siegers schwebte nur noch eine leblose Masse.

Für den Herrn des Hundes war es ein Glück, daß dieser nicht mehr lebte, denn er selbst war jetzt von einer solchen Menge Feinde bedeckt, daß sich auf seinem ganzen Körper kaum Raum für alle die Fäuste bot, die auf ihn herumpaukten; er pfiff so zu sagen auf dem letzten Loche, ehe Pipes im Stande war, sich für ihn ins Mittel zu schlagen und den Schülern begreiflich zu machen, es sey Zeit abzuziehen, weil die Frau des Gärtners in der Nachbarschaft Lärm blies und man daher leicht beim Rückmarsche könne aufgefangen werden. Diese Warnung half; triumphirend zog der ganze Schwarm von dannen, und ließ den Gärtner in den Armen seiner Mutter, der Erde, aus denen er sich noch nicht loszuwinden vermochte, als seine trostlose Ehehälfte mit einigen Freunden kam, die sie zu seinem Beistande herbeigerufen hatte.

Unter diesen befand ich auch ein Hufschmidt, der den Roßarzt machte; er besichtigte des Gärtners Körper, und nachdem er jedes Gliedmaß an ihm untersucht hatte, erklärte er endlich: es sey ein Bein verletzt; dann zog er aber seine Lanzette hervor und ließ ihm reichlich zur Ader. Man brachte den Patienten hierauf ins Bette, von dem er in zwei ganzen Monaten nicht wieder aufzustehen vermochte; seine Familie reichte aber eine förmliche Klage bei dem Rector ein, in welcher Peregrine als der Rädelsführer derjenigen dargestellt wurde, die den barbarischen Ueberfall begangen hätten.

Im Collegium wurde nun sogleich eine Untersuchung angestellt, und nachdem alle Punkte der Klage gehörig ins Licht gesetzt worden waren, fiel die Sentenz dahin aus: daß Peregrine öffentlich ernstlich gezüchtigt werden sollte. – Wie hätte aber sein stolzer Geist nur den Gedanken an diese Schmach zu ertragen vermocht! In der Verzweiflung hierüber, faßte er den Entschluß, lieber zu entlaufen, als sich dieser schmählichen Behandlung zu unterwerfen, und nachdem er diese Herzensmeinung seinen Bundesgenossen eröffnet hatte, erklärten diese sämmtlich: daß sie gesonnen seyen ihm beizustehen, und ihn entweder von der Züchtigung zu befreien, oder sein Schicksal mit ihm zu theilen.

Auf diese Betheuerung sich verlassend, erschien nunmehr Peregrine an dem zu seiner Bestrafung anberaumten Tage ganz unbekümmert, und als er nun vorgefordert wurde, um sein Schicksal zu erleiden, da näherte er sich der Scene mit einem Gefolge, das aus dem größten Theile seiner Mitschüler bestand, die jetzt dem Rector ihren Entschluß eröffneten und auf Verzeihung für Peregrine antrugen. Der Rector benahm sich hierbei aller seinem Posten angemessenen Würde; er stellte den jungen Leuten ernsthaft die Thorheit und Vermessenheit ihres Begehrens vor, verwies ihnen ihren unbesonnenen Schritt, und befahl dann Jedem, sich ungesäumt an seinen Ort zu begeben. Man war aber bereits zu weit gegangen, um füglich noch zurückschreiten zu können; statt dem Befehle zu gehorchen, zogen die Jünglinge, Peregrine in der Mitte, aus dem Collegium fort, und machten in einiger Entfernung von der Stadt auf einem kleinen Hügel Halt, um sich hier darüber zu berathschlagen, was nun zu thun sey?

Diese Berathung war jedoch zu stürmisch, als daß man hätte zu einem Entschlusse kommen können; Pickle stellte sich deswegen an die Spitze des Haufens, und zog mit demselben weiter, bis die unter ihnen herrschende Unordnung und Verwirrung sich würde gelegt haben. Unter der Zeit stieß auch Tom Pipes zu ihnen, der den Nachtrab in größter Stille und Gelassenheit herbeiführte, ohne auch nur eine einzige Frage wegen dieser seltsamen und plötzlichen Wanderung zu thun. So setzte man denn jetzt den Marsch noch sechs Meilen weiter fort, bis man an ein Wirthshaus gelangte, wo man einstimmig Halt zu machen und sich so gut als möglich zu erfrischen beschloß.

Nachdem hier ein tüchtiges ländliches Frühstück, zu dem man eine angemessene Portion Ale fügte, eingenommen worden war, wurde der Vorschlag gemacht, einen abermaligen Rath zu halten; doch beschloß man dabei, die kleineren Knaben nicht zu der Berathung zu lassen, um so viel als möglich Geschrei und Verwirrung zu vermeiden. Peregrine ward jetzt einstimmig mit dem obersten Commando begleitet. In einer Rede, die er hierauf an Diejenigen hielt, welche ihn zu ihrem Führer gewählt hatten, dankte er ihnen dafür, daß sie sich sowohl so edelmüthig für ihn verwendet hätten, als auch daß sie ihm nun einen so ehrenvollen Posten übertrügen; dann bemerkte er, daß sie zwar ohne Zweifel in Kurzem die Früchte ihrer Entschlossenheit ärndten und mit Ehren zurückgerufen werden würden, daß es aber auch möglich seyn wurde, noch etwas auszuharren, damit die Lehrer einsähen, sie hätten nicht mit bloßen Jungens zu thun. Um dies desto besser zu können, schlug er aber vor, die Kleineren unter ihnen, welche nicht im Stande wären einige Strapazen auszuhalten, zu entlassen, für die Anderen aber eine treue Person zu wählen, der man die sämmtliche Baarschaft Aller anvertrauen könne, um hiervon die gemeinschaftlichen Ausgaben zu bestreiten; dann wollte man noch einige Meilen weiter ins Land rücken und so die Vergleichungspunkte abwarten, die ihnen unstreitig angetragen werden würden.

Dieser Vorschlag fand allgemeine Billigung, und sogleich wurde die sämmtliche Baarschaft, die sich auf etwa zehn Guineen belief, zusammengeschossen und dem Pipes überliefert, den man zum Cassirer und Einkäufer machte; alsdann ermahnte man die kleinen Knaben, zurückzukehren, die Großen aber, fünfundzwanzig an der Zahl, setzten unter Peregrines Commando ihren Marsch ungefähr noch zehn Meilen weiter bis zu einem Dorfe fort, wo sie in einem Wirthshause ihr Nachtquartier aufschlugen und etwas zu essen forderten. Dann ließen sie sich Punsch und starkes Bier reichen und thaten sich hierbei so gütlich, daß in Kurzem Ausgelassenheit und Unordnung allgemein wurden. Sie begannen umherzuschwärmen, um gutwillige Nymphen aufzusuchen, damit die Freuden des Tages auf eine würdige Art gekrönt würden, und hunderterlei andere Excesse zu begehen, ohne daß Peregrine's Ansehen dies zu verhindern vermochte.

Am andern Morgen war der Wirth so zuvorkommend, ihnen die Mühe zu ersparen, sich die Rechnung zu fordern, und sie wurden nun mit großem Mißvergnügen gewahr, daß ihre nächtliche Schwärmerei die Hälfte ihres kleinen Kapitals wegnahm. Man bezahlte die Rechnung, da jedoch nur Wenige oder vielmehr keiner Lust zum Frühstücken hatten, so machte man sich von neuem auf den Weg und legte abermals mehrere Meilen zurück, ehe man an ein Ausruhen dachte. An der Ecke eines Gemeindeplatzes erblickte man aber jetzt ein Haus: zum König Georg genannt, was denn Mehreren von der Gesellschaft zum großen Troste gereichte, indem ihnen von der Schwelgerei der vorigen Nacht her die Zunge an dem Gaumen klebte. Man verweilte demnach hier, und nachdem man abermals sich reichlich mit Ale erquickt hatte, begann man von neuem die gemeinschaftliche Lage in Berathung zu ziehen, während der Kassirer den Auftrag erhielt, für das Mittagsessen zu sorgen.

Die Wirthsleute wären übrigens dieses Zuspruches gern überhoben gewesen; sie hatten weder zu dem Geldbeutel noch zu den Grundsätzen ihrer Gäste ein großes Vertrauen, auch schienen ihnen dieselben zu jung zu seyn, um viel Geld oder Ueberlegung zu haben; da sie sich jedoch an einem abgelegenen Orte befanden und nicht vermögend waren, sich gegen die Beleidigungen zu schützen, denen die Entrüstung eines so wilden Haufens sie aussetzen konnte, so wagten sie es nicht, sich ihr Mißtrauen merken zu lassen, und bedauerten nur, nichts im Hause zu haben, um ihre Gäste gehörig bewirthen zu können.

Pipes, der eine Menge Geflügel auf dem Hofe und auf der Trift herumlaufen sah, kehrte sich jedoch nicht an diese Erklärung, sondern ging fort, und kam in weniger als fünf Minuten mit einem solchen Vorrathe von Lebensmitteln zurück, daß man ein doppelt so starkes Heer, als das seiner Verbündeten, hätte damit sättigen können. Die Wirthin wagte es nicht, seine That zu mißbilligen, versicherte jedoch, diese Hühner und Gänse gehörten nicht ihre, alsdann machte sie sich aber mit allen ihren Leuten an die Zubereitung derselben und fügte noch etwas Schinken und Gemüse hinzu.

Die Gesellschaft ließ sich jetzt in verschiedenen Gruppen auf das Gras nieder, und speiste hier voller Zufriedenheit und Fröhlichkeit, ohne auch nur eine Minute daran zu denken, daß eine solche Mahlzeit nothwendig den Rest ihrer Kasse erschöpfen mußte; aber nur zu bald wurden sie aus dieser süßen Betäubung aufgeschreckt, als sie gegen vier Uhr aufzubrechen gedachten und nun erfuhren, daß sie nicht weniger als zwei Pfund und elf und einen halben Schilling zu bezahlen hatten. Diese Rechnung hielten sie für gewissenlos und begannen jeden Punkt derselben zu bestreiten; doch die Wirthin betheuerte feierlich: diese Summe hielte sie blos schadlos, und versicherte dabei, die unnöthige Zahl von Hühnern und Gänsen, die man ohne ihr Wissen und Willen geschlachtet hätte, wäre an der Größe der Rechnung schuld.

Der Bootsmann, der in manchen Dingen ein etwas weites Gewissen hatte, machte jetzt den Vorschlag, die Wirthin dadurch für ihre ungebührliche Forderung zu bestrafen, daß man ihr nicht einen Heller bezahle, allein Peregrine verwarf diese Meinung voll Unwillen, indem er ein solches Benehmen tief unter der Würde des Corps fand, welches er zu befehligen die Ehre hatte, und nachdem so, seinem Willen gemäß, die Rechnung berichtigt und die Sache zur gegenseitigen Zufriedenheit abgemacht worden war, setzten sich die Verbündeten von neuem in Marsch.

Gegen Abend langte der Zug in einem Marktflecken an, wo man so lange zu verweilen beschloß, bis Nachrichten von der Schule eingehen würden. Man wählte sich das beste Wirthshaus zum Quartier, nahm sich jedoch vor, mit dem kleinen Reste des gemeinschaftlichen Vermögens so sparsam als möglich umzugehen; da sich aber die Lebensgeister bei Einigen durch die Anstrengungen der Reise sehr ermattet fühlten und sich nach und nach die Ueberlegung wegen der Thorheit ihres Beginnens einzustellen begann, so fiel dieser kluge und wirthschaftliche Plan bald über den Haufen; man bestellte eine große Bowle Punsch, und befahl Pipes die Gesellschaft durch ein Lied aufzuheitern. Dies half: die Sorgen waren in kurzer Zeit weggeschwemmt und die Nacht unter lautem Jubel verbracht; aber Schrecken und Kleinmüthigkeit ergriffen am nächsten Morgen Alle von neuem, als sie erfuhren, daß ihre Kasse kaum hinreichte, die Rechnung zu berichtigen, die man ihnen zu ihrem großen Mißvergnügen übergab und die sie sich genöthigt sahen zu bezahlen.

Man befand sich jetzt in großer Verlegenheit und hielt deswegen einen neuen Rath, bei welchem man übereinkam, die bei sich führenden Schaumünzen und silbernen Schnallen herzugeben, zugleich aber, an die Verwandten zu schreiben und diesen die gegenwärtige Lage vorzustellen. Der üblen Behandlung, welche man auf der Schule hätte erdulden müssen, sollte übrigens der gethane Schritt zugerechnet werden. Peregrine brachte bei dieser Gelegenheit den Ring und die Medaille zum Vorschein, welche ihm seine Tante geschenkt hatte, Pipes aber bot nicht nur seinen sich in gutem Stande befindenden Geldbeutel, sondern auch die silberne Pfeife nebst der Kette an, woran diese so manches Jahr an seinem Halse gehangen hatte. Dies Anerbieten wurde jedoch, trotz seiner dringenden Bitten, nicht angenommen, man dankte ihm herzlich für diesen Beweis seiner Treue und Freundschaft, hielt es aber weder für schicklich noch billig, seinen Beistand anzunehmen.


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