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XLIX.

Der Italiener und der Deutsche werden mit Schimpf und Schande aus dem Hause gejagt. Der Maler und Pickle gehen auf die Maskerade. Unglückliche Folgen davon.

Peregrine, der sich vorgenommen hatte dem Gehöre des Grafen noch eine Marter anzuthun, bat jetzt den Maler, die Gesellschaft mit dem Liede: »Ein volles Lieber Squire Jones,« zu erfreuen, was denn dieser auch zum großen Vergnügen des Barons that, während die zarten Ohren des Italieners dadurch so angegriffen wurden, daß er seinen Schreck und seinen Schmerz über diese Töne nicht zu verbergen vermochte, und zugleich durch sein öfteres Entfernen aus dem Zimmer, seine Uebereinstimmung mit jenen Menschen bewies, bei denen das Schnarren eines Dudelsacks eine treibende Kraft äußert.

Kaum hatte Pallet aber seine musikalische Arbeit zu Ende gebracht, so beehrte der Graf die Gesellschaft zur Schadloshaltung mit einigen Arien, die er mit ungemeiner Grazie und Ausdruck heraustrillerte, hiermit aber dem Deutschen so wenig Unterhaltung gewährte, daß man diesen bald auf seinem Lager in einen tiefen Schlaf sinken sah, wobei er so furchtbar zu schnarchen begann, daß die musikalische Uebung hierdurch nicht nur unterbrochen, sondern ganz zur Unmöglichkeit gemacht wurde.

Die Gesellschaft sah sich demnach genöthigt zum Glase zurückzukehren, wobei denn der Arzt so aufgeräumt wurde, daß er mehrere Oden des Anakreon nach eigenen Melodien zu singen begann und eine weitläuftige Rede voll Gelehrsamkeit über die Musik und Recitation der Alten hielt, während Pallet, der Mittel gefunden hatte den Italiener mit seiner Kunst bekannt zu machen, diesen über Malerei in einer Sprache unterhielt, die zum Glück für ihn, der Fremde durchaus nicht verstand.

Endlich befiel den Doctor eine solche Ueblichkeit, daß er Peregrine bitten mußte, ihn nach seinem Zimmer zu bringen, worauf denn der Graf, des ewigen Geschwätzes des Malers überdrüßig, sich erhob, den schlafenden Baron mit schmelzenden Blicken ansah und aus Guarinis Pastor fido declamirte:

»Come assetato infermo,
Che bramo lungamente
Il vietato licor......
.... Tal Jo! gran tempo infermo
E d'amorosa sete asso e consunto.«

Dabei raubte er dem Schläfer einen Kuß und benahm sich überhaupt auf eine Art, daß dem tugendhaften Maler dadurch ein großes Aergerniß bereitet wurde. Seiner Anmuth sich bewußt, begann er wegen seiner eigenen Person unruhig zu werden, und eilte demnach ganz außer Fassung in das nächste Zimmer, wo er sich Peregrinens Schutz übergab und diesem zugleich seinen Argwohn gegen des Grafen Sittlichkeit eröffnete.

Mit Recht gegen Handlungen solcher Art voll des tiefsten Abscheues, gerieth unser Held bei dieser Nachricht in Feuer und Flammen und ging sogleich nach dem Speisesaale, wo er sich mit eigenen Augen überzeugte, daß der Maler sich nicht geirrt hatte. Schon stand er im Begriff hineinzustürmen und seinen Unwillen auf das Fühlbarste zu äußern, als ihn die Betrachtung zurückhielt, daß diese Voreiligkeit für ihn selbst unangenehme Folgen haben können, und er deshalb nun beschloß, auf Mittel zu sinnen, den Frevel auf eine andere Art zu bestrafen.

Mehrere Pläne, die ihm hierzu einfielen, wollten ihm alle nicht recht zusagen und er wandte sich daher selbst an Pipes, der bei dieser Entdeckung gegenwärtig war, um Rath, und der es sogleich über sich nahm, die beiden Sünder mit einer hinreichenden Menge Ballast in Säcke zu nähen, und sie über den Pont-neuf in die Seine zu werfen. Natürlich gefiel dieses Mittel Peregrinen noch weniger und immer noch wußte er nicht, wie er die Sache anfangen sollte, als der Zufall plötzlich die Wirthin der Hauses herbeiführte, die er als eine Frau von großer Lebhaftigkeit kannte. Jetzt war sein Entschluß auf der Stelle gefaßt: er bat die Frau, die Güte zu haben in das nächste Zimmer zu gehen und den Herren darin zu sagen: sobald der Doctor zu Bette geschafft wäre, würde er die Ehre haben sich wieder bei ihnen einzufinden.

Sehr bereitwillig übernahm die Frau das Geschäft, kaum war sie aber in den Saal getreten und hatte hier die Beiden erblickt, so begann sie, empört über die Schmach, statt ihren Auftrag auszurichten, sich in lauten Schmähungen zu ergießen und dabei mit dem ihr zur Hand liegenden Stocke des Barons, so tapfer auf das schuldige Paar einzuhauen, daß diese ganz bestürzt, und in großer Unordnung ihren Rückzug antraten. Die ganze Treppe hinab folgte ihnen die entrüstete Amazone nach und überhäufte sie dabei mit so lauten und unumwundenen Anzüglichkeiten, daß nicht allein das ganze Haus, sondern auch die Vorübergehenden auf der Straße die Ursache ihres Zornes vernahmen, und nun aller Wahrscheinlichkeit nach der Pöbel das Strafgericht würde vollendet haben, wenn nicht die unten an der Thüre wartenden Bedienten die Missethäter schnell in ihre Wagen gehoben und sie so der Rache der Menge entzogen hätten.

Diese Art von Bestrafung sagte Peregrinen so vollkommen zu, daß er in seiner Freude darüber die Wirthin umarmte und, aufgeregt durch den reichlich genossenen Wein, Pallet den Vorschlag machte, mit ihm auf die diesen Abend statt findende Maskerade zu gehen. Dem Maler fehlte es hierzu weder an Lust noch Neugierde, doch äußerte er die Besorgniß: er möchte Peregrine auf dem Balle verlieren; ein Umstand, der für ihn nothwendig nur höchst unangenehm seyn könne, da er der Landessprache nicht mächtig und ganz unbekannt in der Stadt sey.

Dieser Gefahr zu entgehen, schlug ihm die bei der Berathung gegenwärtige Wirthin vor, in Frauenkleidern zu erscheinen, denn hierdurch würde sein Begleiter die Verpflichtung erhalten, bei ihm zu bleiben, da ein Herr nicht füglich die von ihm geführte Dame verlassen dürfe, zugleich würde aber auch dieses Zusammenseyn dazu dienen, die sich etwa vorfindenden leichtfertigen Frauenzimmer von ihnen abzuhalten.

Peregrine, der in diesem Mittel eine reichhaltige Quelle von Belustigung voraussah, unterstützte sogleich den Vorschlag mit der größten Lebhaftigkeit und beredete den Maler, ein Kleid von der Wirthin anzuziehen, die auch zugleich eine Maske und einen Domino verschaffte, während sich Peregrine in die Tracht eines Spaniers warf. So ausstaffirt fuhr man hierauf unter Pipes Begleitung gegen elf Uhr nach dem Balle, wo, so wie Pickle mit seiner Dame eintrat, sogleich ein allgemeines Erstaunen alle Anwesende ergriff, denn nie hatte man noch eine solche Grazie gesehen.

Nachdem die Ankömmlinge einige Mal durch den Saal gegangen und der zur Dame umgeschaffene Maler von seinem Chapeau mit einem Glase Liqueur war bedient worden, schlüpfte aber nun Peregrine schnell durch das Gedränge und verschwand auf einen Augenblick, doch kehrte er sogleich wieder unter einer anderen Maske und einem Domino über seinem Anzuge zurück, um sich an Pallets Verlegenheit zu weiden und bei der Hand zu seyn, um ihn im Fall der Noth beschützen zu können.

Als jetzt der Maler seinen Führer nicht mehr bei sich sah, gerieth er in die entsetzlichste Angst und rannte mit so langen Schritten und so seltsamen Gebährden im Saale umher, daß nun alle Augen sich noch mehr nach ihm hinrichteten, und ein langer Schweif von Zuschauern diesem wunderlichen Phänomen folgte. Natürlich stieg hierdurch des Malers Unruhe nur noch mehr und erreichte endlich einen solchen Grad, daß er in ein lautes Selbstgespräch ausbrach, worinn er sein Schicksal und seine Albernheit verfluchte, einem so argen Schalke vertraut zu haben, und schwor: wenn er nur diesmal erlöst seyn würde, sich nie wieder, um alle Schätze der Welt, in ein solches Abentheuer einzulassen.

Kaum sahen einige Wildfänge aus diesem Monologe, daß die Maske ein Fremder war, so umringten sie ihn nun noch mehr und übten ihren Witz auf jede mögliche Art an ihm. Sie marterten ihn mit einer Menge muthwilliger Fragen, auf die er nichts als: » No parli francis! verflucht wär't Ihr mit Eurem Geschnacke!« zu antworten wußte. Was ihm jedoch am mehrsten quälte, war ein dringender Aufruf der Natur, der sich in Folge des am Nachmittage so reichlich genossenen Champagners bei ihm meldete. Als Frauenzimmer wußte er nicht wohin er sich dieserhalb begeben sollte, und hätte er es auch gewußt, so durfte er es doch nicht wagen sich der Gefahr auszusetzen, von Personen diesen Geschlechtes in einer solchen Lage entdeckt zu werden; wollte er sich aber in seinem Anzuge unter die Männer mischen, so sah er voraus, daß er sich dem Gelächter und dem Gespötte Aller aussetzen würde. Er war demnach genöthigt die folterndsten Schmerzen zu dulden und lief im ganzen Saale herum, indem er mit wahren Jammerblicken die Masken musterte um Peregrine herauszufinden, gegen welchen er unzählige Verwünschungen ausstieß.

Zuletzt sah er sich jedoch genöthigt den Forderungen der Natur nachzugeben und folgte nun einigen Herren in ein Nebenzimmer, das zur Befriedigung von dergleichen Bedürfnissen eingerichtet war. Hier entledigte er sich denn seines Ueberflusses in Gegenwart der Andern und rief dabei: »Mit Erlaubniß! Noth hat kein Gebot.« Dies, verbunden mit den Geberden, die er bei dieser Handlung machte, erschien aber so außerordentlich lächerlich, daß mehrere Umstehende vor Erstaunen die Hände in die Höhe hoben, während einige Andere dagegen in den Tanzsaal eilten, um ihre Freunde zu holen, damit diese ebenfalls das seltsame Schauspiel mit ansehen möchten.

Unter den Masken, die auf diese Nachricht herbeikamen, befand sich unter andern auch ein vornehmer Herr, der ein wenig Englisch verstand und nun, als Pallet mit seinem Geschäfte zu Ende war, ihn als Frauenzimmer anredete und ihm seinen Glückwunsch über den guten Gang der natürlichen Funktionen bei ihm abstattete. »Ja, Gott sey Dank!« erwiederte der Maler, »ich habe nie am Stein gelitten.« – »O! o!« rief der Andere. »Madame haben keine Steinbeschwerden? das ist köstlich und äußerst interessant!« und da nun Pallet hierauf mit einem sehr freien Gelächter antwortete, so glaubte der Herr keine großen Umschweife bei dieser umgänglichen Dame nöthig zu haben und erlaubte sich einige Freiheiten, die den sittsamen Maler dermaßen in Zorn brachten, daß er, als der galante Herr sich nicht gleich abweisen ließ, demselben eine so nachdrückliche Ohrfeige reichte, daß diesem alle Lichter vor den Augen tanzten und ein starker Verdacht bei ihm gegen das Geschlecht der Dame entstand. In höchster Entrüstung verlangte der Geschlagene eine Untersuchung diesen streitigen Punktes, und die arme unächte Nymphe sah sich jetzt der größten Gefahr ausgesetzt, nicht allein beschimpft, sondern auch wegen der Freiheit, die sie sich gegen die Backen eines Prinzen genommen hatte, ernstlich bestraft zu sehen; Peregrine aber, der alles was vorging mit angesehen hatte, glaubte nun, daß es hohe Zeit sey sich in's Mittel zu schlagen und behauptete demnach seine Ansprüche auf dies Frauenzimmer, das durch diesen unerwarteten Schutz in die größte Freude gerieth.

Der beschimpfte fremde Herr blieb jedoch bei seiner Forderung, zu wissen, welchem Geschlechte das seltsame Wesen angehörte, und da sich unser Held standhaft weigerte ihm diese Genugthuung zu geben, so fielen bald von beiden Seiten ziemlich derbe Anzüglichkeiten vor. Jetzt drohte der Prinz den Uebermuth züchtigen zu lassen; da Peregrine jedoch den hohen Stand seines Gegners nicht kannte, so wies er kecklich auf die Stelle, wo der Degen zu hängen pflegt, und schlug dann dem Andern ein Schnippchen unter das Gesicht, hierauf nahm er aber den Maler unter den Arm, und führte ihn nach einer andern Seite des Saales hin, indem er so dem Beleidigten Raum gab, sich die Art von Rache zu überlegen, die er an ihm nehmen wollte.

Pallet schmälte unterdessen auf seinen Begleiter, daß er ihn so treulos im Stich gelassen hätte, und erzählte ihm dabei in welcher Angst und Noth er sich befunden habe, zugleich erklärte er ihm aber auch rund heraus, wie er nicht wieder hoffen solle, ihm von neuem zu entwischen. In der That klammerte er sich auch die ganze Zeit, so lange die Lustbarkeit noch dauerte, so fest an dessen Arm, daß alle Anwesende sich dadurch belustigt fühlten und fortwährend ihre Aufmerksamkeit dieser linkischen, unbehülflichen und hoch daher schreitenden Figur widmeten.

Als Peregrine es endlich müde war seine Schöne länger zur Schau herumzuführen, willigte er zuletzt in die Bitten des Malers und führte ihn nach dem Wagen; kaum waren Beide aber eingestiegen, so sahen sie sich von einer Abtheilung Militair umringt; ein Polizeibeamter setzte sich mit großer Kaltblütigkeit zu ihnen in den Wagen und ein anderer nahm Platz neben dem Kutscher, um diesem die gehörige Anweisung, wohin es gehen sollte, zu geben.

Zum Glück hatte Peregrine, der sogleich merkte weshalb sie verhaftet wurden, keine Waffen bei sich, denn sonst würde er wahrscheinlich unbesonnen genug gewesen seyn, sich trotz der überlegenen Menge, zur Wehre zu setzen: Pallet aber, der in dem Wahne stand, der Fremde habe sich nur aus Versehen mit in ihren Wagen gesetzt, drang unaufhörlich in seinen Begleiter diesen davon zu unterrichten; als er jedoch endlich den wahren Zusammenhang erfuhr, da begannen seine Knieen zu schlottern; er klapperte mit den Zähnen und brach in ein jämmerliches, von der Furcht, in einen scheußlichen Kerker der Bastille geworfen zu werden, erpreßtes Klagelied aus.

»O!« rief er, »nun werde ich meine übrigen Lebenstage in Elend und Grausen verbringen! ich werde nie die liebe Sonne wiedersehen und nie das Angesicht eines Freundes! in einem stock wildfremden Lande werde ich umkommen müssen, fern von meiner Familie und meinem Vaterlande!«

Pickle tadelte ihn dieser Kleinmüthigkeit wegen und der Polizeibeamte äußerte, als er ein Frauenzimmer so erbärmlich winseln hörte: wie er es ungemein bedaure, das Werkzeug seyn zu müssen, um ihr solchen Kummer zu machen, dann suchte er aber Beide durch die Vorstellung der Milde der Regierung und der Großmuth der erhabenen Person zu trösten, auf deren Befehl sie jetzt verhaftet wurden; alles Dinge, die Peregrine, der bei solchen Gelegenheiten die Besonnenheit völlig zu verlieren schien, nur durch heftige Declamationen gegen den Despotismus der französischen Staatsverwaltung und durch bittere Ausfälle gegen den Charakter des Prinzen beantwortete, dessen Benehmen er bei dieser Gelegenheit so ungroßmüthig als ungerecht und kleinlich fand. Auf alles dies erwiederte der Polizeibeamte durchaus nichts, sondern begnügte sich damit im Stillen die Keckheit seines Gefangenen zu bewundern.

Eben war der Wagen im Begriff fortzufahren, als sich hinter demselben ein lebhaftes Gezänk und eine Prügelei erhob, wobei Pipes mit lauter Stimme schrie: »Ich will verdammt seyn, wenn ichs thu'!« Die Wache hatte nämlich von ihm begehrt, daß er absteigen sollte, da der treue Diener aber entschlossen war das Schicksal seines Herrn zu theilen, so nahm er von diesem Gebote nicht eher Notiz, als bis es durch Gewalt unterstützt wurde. Diese suchte er mit seiner Ferse zu vertreiben, die er dem Soldaten, der ihn vom Wagen reißen wollte, so nachdrücklich gegen die Kinnbacken setzte, daß diese wie eine Nuß zwischen den Zähnen eines Affen krachten. Hierdurch erbittert, begrüßte aber nun ein Anderer Toms Hintercastell mit dem Bayonnet.

Dies fiel Peregrinens Getreuen jedoch so lästig, daß er seinen Posten nicht länger zu behaupten vermochte. Er sprang hinab, stieß seinen Gegner zu Boden, setzte mit unglaublicher Behendigkeit über ihn weg und verbarg sich dann so lange unter dem Gedränge der umherhaltenden Kutschen, bis er den Wagen seines Herrn rings von Soldaten umgeben sah. Kaum fuhr derselbe aber fort, so folgte er in geringer Entfernung nach, um zu sehen, wo man Peregrine hinschaffen würde.

Die Kutsche fuhr nur langsam und auf mancherlei Umwegen nach einer Gegend der Stadt, wo Pipes völlig unbekannt war. Endlich hielt sie vor einem großen Thorwege stille, in dessen Mitte sich ein Pförtchen befand, das sich bei Annäherung des Wagens öffnete. Man ließ die Gefangenen hinein und die Wache kehrte hierauf mit dem Fiacre zurück. Tom beschloß hierauf diesen Ort die ganze Nacht zu beobachten und ihn am nächsten Morgen so genau in Augenschein zu nehmen, als zur Befreiung seines Herrn nöthig seyn möchte.


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