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XL.

Ein verliebtes Abentheuer auf der Reise. Peregrine macht in Boulogne Bekanntschaft mit einigen unglücklichen Landsleuten.

Nachdem er solchergestalt der bewaffneten Macht hatte nachgeben müssen, erkundigte er sich im Hause, ob weiter kein Engländer hier wohnte, und erfuhr hierauf, daß sich im nächsten Zimmer ein Herr und eine Dame befänden, die mit Extrapost nach Paris abzugehen gedächten. Peregrine befahl jetzt dem Pipes mit dem Diener dieser Leute Bekanntschaft zu machen, um zu erfahren, was es für Personen wären; während der Zeit machte er sich aber mit Jolter auf den Weg, um sich die Stadt und Festung ein wenig zu besehen.

Mit Hülfe einer Bouteille Wein, die er seinem Collegen vorsetzte, war Pipes so glücklich gewesen, die vollständigsten Nachrichten von den Nachbarn im Hause zu erhalten. Das fragliche Paar waren Mann und Frau, die kürzlich erst aus England gekommen, im Begriff standen nach Paris zu gehen. Der Mann, welcher ein hübsches Vermögen besaß, hatte in seiner Jugend locker gelebt und gewaltig gegen den Ehestand declamirt; es fehlte ihm dabei weder an Schlauheit noch Erfahrung, und er that sich hauptsächlich auf die Kunst etwas zu gute, alle weiblichen Fallstricke vermeiden zu können; eine Kunst, die er aus dem Grunde zu verstehen glaubte. Dennoch war er erst vor Kurzem das Opfer der Verschlagenheit eines Austernmädchens geworden, die Mittel und Wege zu finden gewußt hatte, ihn in das Ehestandsjoch zu locken, und um nun jetzt den Glückwünschen und Complimenten seiner Freunde und Bekannten zu entgehen, hatte er den Entschluß gefaßt, nach Frankreichs Hauptstadt zu reisen und hier seine junge Frau in die große Welt einzuführen. Dabei hatte er beschlossen, höchst eingezogen zu leben, theils weil seine Hälfte nur noch einen sehr geringen Grad von Bildung besaß, theils weil er sich nicht allzusehr auf ihre Tugend und Klugheit verließ, die beide, wie es schien, den Bewerbungen eines Officiers zu Kanterbury fast erlagen, der Mittel gefunden hatte, sich in die Bekanntschaft und die Gunst der Dame einzuschleichen.

Diese Nachricht erweckte Peregrinens Neugier und veranlaßte ihn auf dem Hofe umherzuschleichen, um die Dulcinea zu sehen, der es gelungen war, den alten Hagestolz zu fesseln. Endlich war er so glücklich, sie an einem Fenster zu erblicken; er nahm sich die Erlaubniß, ihr ein ehrfurchtvolles Compliment zu machen und die Dame, deren Betragen und Anzug äußerst anständig war, erwiederte dies mit einer Artigkeit, daß, hätte er ihren frühern Stand nicht gewußt, er sie für eine Person von guter Herkunft und Erziehung gehalten haben würde. So leicht ist es, sich das bischen äußere Politur anzueignen, worauf die Vornehmen so vielen Werth zu legen pflegen! Zwar wollte Peregrine in ihrem Gesichte etwas Freches und Gemeines finden, aber hätte er ihren Ursprung nicht gekannt, so würde ihm dies wahrscheinlich als liebenswürdige Lebhaftigkeit und Unbefangenheit erschienen seyn.

Das Frauenzimmer hatte jedoch unläugbar ein paar sehr schöne Augen und eine zarte und blühende Gesichtsfarbe, und dergleichen empfiehlt, wie man weiß, immer; er konnte daher nicht umhin, sie mit Begierde zu betrachten und den Plan zu ihrer Eroberung zu fassen. Um eine Bekanntschaft anzuknüpfen, ließ er dem Gemahl, der Hornbeck hieß, eine Empfehlung melden und sagen: er sey gesonnen den nächsten Tag nach Paris zu reisen und da er vernähme, daß Herr Hornbeck dieselbe Reise vorhabe, so würde es ihm sehr angenehm sein, wenn sie Gesellschaft machen könnten. Der Eheherr, welcher seiner Frau keinen solchen gefährlichen Gesellschafter zu geben wünschte, ließ jedoch hierauf erwiedern: daß er sehr bedauern müsse, wegen der Unpäßlichkeit seiner Frau, die ihn wahrscheinlich nöthigen würde noch einige Tage hier zu bleiben, dies gütige Anerbieten nicht annehmen zu können.

Dieser Abschlag, den Peregrine sehr richtig auf Rechnung der Eifersucht des Mannes setzte, machte allen Plänen gleich von vorne herein ein Ende und er befahl nun seinem französischen Bedienten, sich einen Platz auf der Diligence zu nehmen, mit welcher er zugleich seine sämmtlichen Sachen schickte, während er selbst mit Jolter am nächsten Morgen in einer Postchaise abfuhr, Pipes und der Kammerdiener ihn aber zu Pferde begleiteten. So kamen sie ohne allen Anstoß bis Boulogne, wo man frühstückte und einen Bekannten von Jolter, einen alten schottischen Gentleman, den Pater Graham, besuchte. Dieser Mann hatte hier seit sechzig Jahren als Capuziner gelebt, und sich in dieser langen Zeit allen strengen Regeln seines Ordens mit der pünktlichsten Genauigkeit unterworfen. Seine Freimüthigkeit im Umgange, die Milde seines Charakters und die edle Einfachheit seiner Sitten machten ihn zu einem Gegenstande der Hochachtung. Gegen Mittag fuhren die Reisenden wieder von Boulogne ab und befahlen dem Postillon, so schnell als möglich zu fahren, weil man die Nacht in Abbeville zu bleiben wünschte; allein es brach eine Achse am Wagen und man sah sich genöthigt, wieder nach Boulogne zurückzukehren und hier so lange zu bleiben, bis der Schaden wieder hergestellt war. Peregrine waffnete sich mit Geduld und erkundigte sich nun, was man zu Essen bekommen könnte. Sogleich entschwand der Aufwärter aus dem Zimmer und unmittelbar nach ihm trat eine seltsame, Erstaunen erregende Gestalt zur Thüre herein, die Peregrine aus einem sehr verzeihlichen Irrthume für einen Wahnsinnigen hielt.

Das Phantom – nebenbei bemerkt, niemand Anderes als der Koch – war ein langer dünnbeiniger, gebückter, schwarzbrauner Bursche, dessen Backenknochen gewaltig hervorragten und dessen Nase einem Pulverhorne glich; um den Kopf trug er ein schmutziges Schnupftuch, das um eine Perücke mit einem gewaltigen Haarbeutel gewickelt war. Sein Halstuch war so hoch und steif, daß er das Ansehen eines Missethäters am Halseisen hatte. Eine leinene Jacke schlotterte um seinen Leichnam, die Hände waren mit langen Manschetten geziert, an den dünnen Beinen warfen seidene Strümpfe unzählige Falten. Da diese wunderbare Gestalt beim Eintritt ein ungeheures, blutiges Messer schwang, so glaubte Peregrine sich in Vertheidigungsstand setzen zu müssen, nachdem er aber erfahren hatte, wer der seltsame Patron war, sah er den Küchenzettel durch, bestellte, was ihm am gemüthlichsten war, und ging dann mit Jolter aus um die Stadt zu besehen, die sie vorher nicht Zeit genug gehabt hatten, näher zu betrachten.

Auf ihrem Rückwege vom Hafen begegneten ihnen einige Herren, die höchst niedergeschlagen zu seyn schienen, und im Vorbeigehen sich sehr ehrerbietig vor unseren Reisenden verbeugten. Peregrine, der von Natur mitleidig war, empfand sogleich eine sympathetische Regung und redete einen hinten nach kommenden Menschen, den er für ihren Bedienten hielt, mit der Frage an, wer die Herren wären. Der Diener gab ihm hierauf zu verstehen, es wären Engländer, die man aus ihrem Vaterlande wegen politischer Ansichten vertrieben hätte, und die jetzt täglich hier an das Meerufer gingen, um sich an dem Anblick von Albions weißen Küsten zu ergötzen, dessen Gestaden sie sich nie wieder nahen dürften.

Obschon Peregrine weit entfernt war, den Grundsätzen dieser Vertriebenen beizupflichten, so gehörte er doch auch nicht zu jenen Menschen, die jede Abweichung von ihren Glaubenssätzen für verdammlich halten und dieserhalb den Zweifler von allen Wohlthaten der menschlichen Gesellschaft ausschliessen möchten. Er konnte sich leicht vorstellen, wie ein Mann von übrigens guten Sitten, durch Jugendvorurtheile und Verbindungen in verderbliche Unternehmungen verwickelt werden kann, und hielt dafür, daß diese Menschen durch Verbannung vom heimathlichen Boden schon hart genug gestraft wären. Die Erzählung, daß sie täglich an das Meerufer gingen, um das ferne Vaterland mit sehnsüchtigen Blicken zu betrachten, ergriff ihn und er trug jetzt Joltern das angenehme Geschäft auf, die Fremden in seinem Namen zum Abend auf ein Glas Wein einzuladen.

Dieser Antrag wurde mit eben so viel Dank als Vergnügen angenommen; die Herren machten schon am Nachmittage Peregrinen ihren Besuch und baten ihn so dringend, sie mit seiner Gesellschaft in dem Hause zu beehren, wo sie gewöhnlich sich zu versammeln pflegten, daß er und Jolter nicht umhin konnten, dies anzunehmen und sie nach jenem Gasthause zu begleiten, wo sie ihm ein anständiges Abendbrod und einige Flaschen vortrefflichen Burgunder vorsetzten. Da sie sogleich bemerkten, daß Pickle kein Anhänger ihrer Meinungen war, so vermieden sie es sorgfältig, mit ihm über politische Gegenstände zu sprechen; doch vermochten sie sich nicht zu enthalten, einige Klagen über ihre Lage auszustoßen und besonders bejammerte einer von ihnen, ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, sein Schicksal, wodurch eine geliebte Gattin und drei Kinder in Noth und Elend verwickelt worden wären.

Um seinen Mißmuth zu vertreiben, und zugleich ihre Gastfreiheit an den Tag zu legen, begannen seine Gefährten ein anderes Gespräch und ließen die Gläser fleißig rundgehen. Auf diese Art war bald alle Sorge weggespült; man sang muntere Lieder, und Fröhlichkeit und Vertrauen gewannen die Oberhand. Während sich aber die Herzen auf diese Art eröffneten, ließ es sich einer von den Verbannten, dem der Wein ein wenig zu Kopfe gestiegen war, einfallen eine Gesundheit auszubringen, gegen welche Peregrine glaubte protestiren zu müssen, und da der Andere auf seinen Antrag bestand, so entspann sich hieraus ein Streit, der schnell so heftig wurde, daß sich die Uebrigen glaubten ins Mittel legen zu müssen und hierbei ihrem Freunde Unrecht gaben; besonders las ihm der junge Mann, dessen wir vorher gedachten, den Text über sein Benehmen so scharf, daß jener in voller Entrüstung aufsprang und sich mit der Erklärung entfernte, sie sämmtlich wären Apostaten, die die gute Sache aufgegeben hätten.

Die Zurückbleibenden suchten jetzt das heftige Benehmen dieses Mannes zu entschuldigen und versicherten, er würde sobald er nur seine Besinnung gehörig wieder erlangt hätte, selbst das Unstatthafte seines Betragens fühlen und gewiß nicht verfehlen, sich wieder einzustellen um sich zu entschuldigen. Dies beruhigte nun auch Peregrine, der seine gute Laune wieder annahm; da es jedoch bereits spät war, so wies er alle ihre Bitten, noch eine Flasche mit ihnen zu leeren, zurück und ward von ihnen, mehr als halb benebelt, nach Hause begleitet.

Den folgenden Morgen vor acht Uhr weckte ihn sein Kammerdiener mit der Meldung auf, daß zwei von den Herren aus seiner gestrigen Gesellschaft da wären und ihn zu sprechen wünschten. Obschon er sich nicht zu erklären vermochte, was dieser so frühe Besuch zu bedeuten hatte, so gebot er doch sogleich, sie einstweilen in das Nebenzimmer zu führen, wo er dann denjenigen fand, der ihn gestern beleidigt hatte, so wie den, welcher diesem dafür einen Verweis gab.

Der erstere entschuldigte sich jetzt in sehr artigen Ausdrücken, daß er ihn so früh störe und erzählte dann, sein hier anwesender Freund sey am Morgen zu ihm gekommen und habe ihm die Wahl gestellt, sich entweder mit ihm zu schlagen oder sich wegen seines gestrigen Betragens zu entschuldigen. Nun fehle es ihm zwar nicht an Muth, sich für jede gute Sache zu stellen, doch sei er nicht so albern, der Stimme der Vernunft nicht Raum zu geben, und nur in dieser Rücksicht störe er jetzt seine Ruhe, um wo möglich die ihm zugefügte Beleidigung wieder gut zu machen, die einzig und allein eine Wirkung seines gestrigen Rausches gewesen wäre.

Mit vieler Feinheit nahm Peregrine dies Geständniß auf, und dankte dabei dem Andern für seine freundliche Vermittlung; da er jedoch bemerkte, daß der erstere etwas erbittert gegen den Vermittler zu seyn schien, so bewirkte er zwischen Beyden dadurch eine Versöhnung, daß er vorstellte, das Benehmen des Letzteren sey blos aus der guten Absicht entsprungen, den Frieden der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Er bat hierauf die Herren bei ihm zu frühstücken, und da unterdessen auch die Anderen herzugekommen waren, so äußerte er gegen sie Alle den herzlichen Wunsch, daß sich ihre Lage bald bessern möchte, dann nahm er, da sein Wagen unter der Zeit fertig geworden war, Abschied von ihnen und reiste, begleitet von ihren besten Wünschen, mit seinem Gefolge zum zweiten Male von Boulogne ab.


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