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LIX.

Peregrine beleidigt unterwegs die Geliebte, besänftigt sie aber wieder. Auf seine Veranstaltung bleibt die Diligence in Aalst liegen, wo er den Priester in seinem Interesse zu erhalten sucht.

Den nächsten Tag reiste die Gesellschaft bald nach Tische, nachdem man nach alle Merkwürdigkeiten der Stadt in Augenschein genommen und die Hinrichtung zweier jungen Leute mit angesehen hatte, die wegen Schändung einer öffentlichen Weibsperson gehenkt wurden, in der Diligence von Gent ab, und das Gespräch drehte sich nun um die Strafe, welche man eben hatte vollziehen sehen. Die junge Flamländerin bezeigte dabei viel Mitleid und Theilnahme gegen jene Unglücklichen, die, wie man ihr gesagt hatte, Opfer der Bosheit ihrer Anklägerin geworden waren. Diese Ansichten theilte auch die ganze übrige Gesellschaft, ausgenommen die Courtisane, welche die Ehre ihrer ganzen trefflichen Schwesterschaft hierbei interessirt glaubte und deswegen ganz entsetzlich gegen die Verderbtheit der Zeit und vorzüglich gegen die Ruchlosigkeit der Männer declamirte, vor denen keine Tugend mehr sicher sey: dabei dankte sie mit einem Blick auf den Maler, Gott, daß er sie in der vergangenen Nacht vor den bösen Absichten ungezügelter Lüste gnädig bewahrt hätte und versicherte, sie würde nie aufhören, der Vorsehung für diesen besondern Schutz Dankopfer zu bringen.

Diese Bemerkung zog jetzt dem armen Maler, der die Ohren gewaltig hängen ließ und höchst niedergeschlagen und stumm da saß, von allen Seiten eine Reihe Spöttereien zu; am mehrsten ängstigte jedoch Pallet die Furcht, der jetzt ihm so feindlich gesinnte Arzt möchte bei der Heimkehr seiner Frau das nächtliche Abentheuer mittheilen; im Ganzen war aber der Vorfall noch Allen ein unauflösbares Räthsel, denn Keiner wußte etwas von der Rolle, die der Kapuziner bei der Sache gespielt, und diesem selbst war seinerseits wieder der Antheil unbekannt, den Pickle dabei gehabt hatte; so kam es denn, daß Alle die Leiden des Malers für Uebertreibung und Folge einer verdrehten Einbildungskraft hielten.

Mitten in dieser Unterredung meldete ihm jetzt der Conducteur des Wagens, daß man sich auf einer Stelle befinde, wo ein Detachement der Alliirten von den Franzosen sei abgeschnitten und gefangen genommen worden; zugleich gab er seinen Passagieren eine Localbeschreibung des Treffens bei Melle. Diese Gelegenheit ergriff nun die junge Flamländerin, die seit ihrer Verheirathung eine große Anhängerin der Franzosen geworden war, den Andern sehr umständliche Nachricht von diesem Gefechte zu geben, dem der Bruder ihres Gemahls beigewohnt hatte; aber ihr Bericht war theils so übertrieben, theils mißbehagte er Peregrinens Partheilichkeit so sehr, daß dieser sich nicht enthalten konnte, ihr zu widersprechen, wodurch sich denn ein Streit entspann, in welchem nicht allein die gegenwärtige Frage, sondern auch alle die Schlachten erörtert wurden, in denen Marlborough gegen das Heer von Ludwig XIV. commandirt hatte. Die Flamländerin erklärte sich hierbei ganz unumwunden gegen den englischen General und ging so weit, zu äußern: die französischen Feldherren hätten die Schlachten, die er gewonnen, nur vorsätzlich verloren, um dadurch die Plane der Frau von Maintenon in Mißcredit zu bringen. Zur Bestätigung dieser Behauptung führte sie an, daß während der Belagerung von Ryssel Ludwig XIV. in Gegenwart des Dauphin geäußert hätte: wenn die Alliirten die Belagerung aufheben müßten, so würde er unmittelbar darauf seine Vermählung mit der Frau von Maintenon öffentlich erklären; hierauf habe aber der Dauphin dem Marschall Boufflers den geheimen Befehl geschickt, den Platz zu übergeben.

Der Priester und das andere Frauenzimmer verfehlten nicht, die Wahrheit dieser seltsamen Behauptung zu bestätigen, und auch Jolter gab vor, dies schon früher aus guter Hand erfahren zu haben. Der Arzt blieb bei diesem Streite neutral, da er es unter seiner Würde hielt, sich um die kleinliche Geschichte der neueren Zeit zu bekümmern; der Israelit dagegen schloß sich als ein ächter Holländer an Peregrine an und wie nun Letzterer sich bemühte, die Ungereimtheit und Unwahrscheinlichkeit jener Behauptung zu zeigen, da erhob sich ein solches Geschrei gegen ihn und die schöne Flamländerin wurde so hitzig und erbittert, daß er wohl sah, er würde nachgeben müssen, wenn er nicht alle Vortheile bei ihr verlieren wollte. Er begann dieserhalb, sich nach und nach unbemerkt aus dem Streite zu ziehen, so daß bald der Jude allein dastand und sich nun genöthigt sah, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, wodurch denn die Parthei der Franzosen das Feld behielt und die hübsche Flamländerin wieder ganz heiter wurde.

Nachdem sich Peregrine auf diese Art schlau aus der Sache gezogen hatte, begann ihn aber die Furcht zu quälen, sie bei ihrer Ankunft in Brüssel auf immer zu verlieren, und sein ganzes Streben ging jetzt nur dahin, Mittel und Wege auszusinnen, um sich für seine Mühe, Geschenke und vereitelten Hoffnungen schadlos zu halten. Unter dem Vorwande, frische Luft schöpfen zu wollen, setzte er sich nun neben den Conducteur auf den Bock und wandte hier seine Beredtsamkeit und Freigebigkeit mit so gutem Erfolge an, daß er bald von diesem das Versprechen erhielt, es so einzurichten, daß man in Aalst über Nacht bleiben müsse.

Diesem Vertrage gemäß warf der Kutscher, als man ungefähr noch eine Meile bis zu dem genanntenOrte hatte, den Wagen ganz sanft um und nahm dabei seine Maßregeln so geschickt, daß hierdurch keine Unannehmlichkeit weiter entstand, als die der Anwandlung einer großen Furcht bei den Frauenzimmern und die Nothwendigkeit, zu Fuße gehen zu müssen, da nach der Erklärung des Conducteurs die Axe gebrochen sey.

Peregrine schien über diesen Vorfall sehr unwillig zu seyn und schalt heftig auf den Kutscher; dabei bezeigte er das größte Verlangen, Brüssel bald zu erreichen und, wie er nichts weiter wünsche, als das Ereigniß sie nur nicht zwingen möchte, noch eine Nacht länger unterwegs zu bleiben: aber sein getreues Werkzeug kam den erhaltenen Aufträgen gemäß, nach einiger Zeit in das Wirthshaus mit der Meldung, der Wagner hätte erklärt, er könne den Schaden unter sechs Stunden nicht wieder gut machen, und so müsse man schon die Nacht hier bleiben. Jetzt stellte sich unser junger Herr ganz unbändig an und fuhr zum Schein dem armen Teufel wegen seiner Ungeschicklichkeit so auf den Hals, daß dieser ganz de- und wehmüthig um Verzeihung bat und, um ihn nur zu besänftigen, sich erbot, ihm eine Postchaise zu verschafften, mit der er sogleich nach Brüssel gehen könne. Diesen Vorschlag verwarf Pickle jedoch, falls nicht die übrige Gesellschaft dieselbe Bequemlichkeit erhalten könnte, doch hatte er sich klüglich längst im Voraus darnach erkundigt, daß es nur ein Fuhrwerk dieser Art in der Stadt gab. Jolter, der von dem ganzen Plane nichts ahnte, stellte ihm nun vor, daß eine Nacht ja bald vorüberginge und ermahnte ihn, das kleine Uebel geduldig zu ertragen, was um so leichter sey, da das Haus hier recht gut zur Bewirthung eingerichtet wäre und die Gesellschaft ganz heiter gestimmt zu seyn schiene.

Dem Kapuziner, der seine Rechnung bisher so bei Peregrine gefunden hatte, war das Ereigniß ebenfalls nicht unlieb, denn er hoffte bei einem längern Zusammenseyn noch mehr Nutzen von der Freigebigkeit des jungen Herrn zu ziehen. Er vereinigte sich demnach mit dem Hofmeister und wünschte sich selbst zu der Aussicht Glück, die Unterhaltung unsers Helden noch länger genießen zu können. Dasselbe sagte auch der Hebräer, der den ganzen Tag über der Französin sehr fleißig den Hof gemacht hatte und in der fröhlichen Hoffnung lebte, bald die Früchte seiner Galanterie zu ärndten, denn sein Nebenbuhler, der Maler, war seit den Abentheuern der letzten Nacht völlig bei der Dame in Ungnade gefallen. Was aber den Arzt anlangte, so war dieser Weise viel zu sehr mit Betrachtungen über seine eigene Wichtigkeit beschäftigt, um sich für ein solches kleines Ereigniß interessiren zu können und er begnügte sich daher damit, die gelegentliche Bemerkung zu machen: die europäischen Mächte würden gut thun, öffentliche Spiele zu veranstalten, wie man sie einst in Griechenland gefeiert, denn hierdurch würde jeder Staat hinreichend mit Wagenführern versehen werden, die Geschicklichkeit genug besäßen, ohne Gefahr des Umwerfens, im vollen Lauf, selbst an den jähesten Tiefen, ein Fuhrwerk zu führen.

Jetzt konnte Peregrine nicht mehr umhin, den vereinigten Vorstellungen der Andern nachzugeben; er dankte ihnen auf das Verbindlichste für die Artigkeiten, die sie ihm gesagt hatten und schlug nun, da sich sein Scheinzorn gelegt, zum Zeitvertreib einen Spaziergang auf den Wall der Stadt vor, indem er hierbei die Hoffnung hegte, Raum zu einer geheimen Unterredung mit seiner Schönen zu erhalten, die sich den ganzen Tag über mit großer Zurückhaltung gegen ihn betragen hatte. Nachdem aber dieser Vorschlag angenommen worden war, bot er der Dame den Arm und suchte jede Gelegenheit auf, sein Vorhaben durchzusetzen; der Beichtvater folgte Beiden aber so dicht auf dem Fuße, daß er bald sah, er würde, wenn ihm dieser nicht durch die Finger sähe, nichts ausrichten können. Eine solche Nachgiebigkeit mußte aber erkauft werden: Peregrine reichte dem Mönche daher seinen Geldbeutel hin und dieser war so güthig, das Geschenk als ein mildthätiges Sühnopfer für sein sündliches Betragen bei der Zusammenkunft anzunehmen, die der fromme Sohn der Kirche zum Heil seiner Seele bewirkt hatte.

Jetzt zögerte der Mönch nicht, sich nach und nach zu entfernen und dem großmüthigen Gönner hierdurch Freiheit zu verschaffen, seinen Vorsatz auszuführen, und es läßt sich erachten, daß unser Held seine Zeit zu benutzen suchte. Er erschöpfte sich in Bitten, die Schöne dahin zu bringen, sich seiner Verzweiflung zu erbarmen und ihm noch eine geheime Unterredung zuzugestehen, und drohte, im Fall sie ihm diese Gunst verweigerte, Schritte zu thun, die ihr mildes und menschliches Herz nicht ohne Thränen würde ansehen können. Statt diesem Gesuche aber nachzugeben, verwies sie ihm seine Verwegenheit, sie noch immer mit seinen sündlichen Zumuthungen zu bestürmen, und gab ihm, nebst einem ernstlichen Verweise, die Versicherung: daß sie, obschon sie sich ein eigenen Schlafzimmer bestellt habe, da sie keine Lust empfände, eine genauere Bekanntschaft mit dem andern Frauenzimmer anzuknüpfen, ihm nicht rathen wolle, sie noch einmal durch einen nächtlichen Besuch zu stören, indem sie fest entschlossen sey, ihn nicht einzulassen.

Dieser Wink genügte dem Verehrer, der schlau genug war, sich den wahren Sinn dieser Rede zu erklären. Seine Leidenschaft war durch die Hindernisse, die sie ihm entgegensetzte, noch mehr entflammt worden und sein Herz pochte bei den Hoffnungen, die er nun faßte, hoch auf vor Freuden; auch war sein Entzücken über das, was ihn erwartete, so groß, daß er diesen Abend völlig unfähig war, sich wie sonst durch Munterkeit in der Unterhaltung auszuzeichnen. Diese Verwirrung wurde von dem Kapuziner sehr mit Unrecht einer neuen abschlägigen Antwort von Seiten der Dame zugeschrieben und in der Furcht, das empfangene Geld wieder herausgeben zu müssen, flüsterte er daher unserm Helden leise zu: »er solle nur nicht verzagen.«


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