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XXXV.

Peregrine hat mit seiner Schwester Julie eine Zusammenkunft.

Ein paar Tage nach diesem Abentheuer bekam Peregrine von seiner Schwester die Nachricht, daß es ihr angenehm seyn würde ihn den Tag darauf des Nachmittags um fünf Uhr in der Wohnung ihrer Amme zu sehen, die ohnfern dem Hause ihres Vaters lebte.

Peregrine verfehlte nicht dieser Einladung zu folgen und sich an den bezeichneten Ort zu begeben, wo er Miß Julie fand, die ihm sogleich entgegen kam und ihn mit einer Thränenfluth und den Worten: »Mein theurer geliebter Bruder!« an das Herz drückte. Mit aller Zärtlichkeit brüderlicher Liebe erwiederte er diesen Empfang und versicherte ihr: daß dies einer der glücklichsten Augenblicke seines Lebens sey. Zugleich dankte er ihr dafür, daß sie in Hinsicht seiner den Einflüsterungen ihrer Mutter widerstanden und sich nicht an die Gebote von deren unnatürlichen Widerwillen, gekehrt habe.

Mit Freude bemerkte er bei seiner Unterredung mit ihr, daß sie Gefühl und Verstand besaß. Mit kindlicher Wehmuth beklagte sie die Verblendung ihrer Aeltern und bezeugte den größten Abscheu und Kummer über die Gemüthsart ihres jüngeren Bruders. – Peregrine machte sie dagegen mit seinen glücklichen Verhältnissen bekannt und da er voraussetzte, daß sie sich in ihrer Umgebung nicht wohl fühlen konnte, so äußerte er den Wunsch, sie in eine andere Lage zu bringen, wo sie ruhiger und zufriedener leben könnte.

Gegen einen solchen Schritt machte Julie jedoch den Einwand, daß sie sich auf jeden Fall hierdurch den unversöhnlichen Haß einer Mutter zuziehen würde, von welcher sie ohnedem nicht viel Liebe genöße, und man kam nun nach manchem Entwurfe eben überein, künftig einen Briefwechsel mit einander zu unterhalten, als plötzlich die Stimme der Mistriß Pickle vor der Thüre ertönte.

Julie gerieth hierüber in die allerheftigste Furcht; kaum hatte aber Peregrine noch so viele Zeit ihr durch das Versprechen seines Schutzes einigermaßen Muth einzuflößen, als die Thüre heftig aufsprang und die Mutter, mit wüthenden Blicken, auf die zitternde Tochter so schnell zustürzte, daß sich Peregrine nur noch mit Mühe dazwischen werfen und so selbst den ersten Ausbruch ihrer Wuth auffangen konnte.

Mistriß Pickles Augen funkelten vor Grimm, der Zorn erstickte ihre Stimme und ein gichterisches Zucken verzerrte ihren ganzen Körper. Wie eine Furie faßte sie den gehaßten Sohn mit einer Hand bei den Haaren und schlug ihn mit der andern so heftig in's Gesicht, daß ihm Blut zu Mund und Nase herausstürzte, während er bemüht war seine Schwester gegen Gam zu vertheidigen, der voll teuflischer Erbitterung über diese herfiel, weil er seinen Bruder wehrlos glaubte.

Nachdem dieser Angriff einige Minuten gedauert hatte, sah Peregrine jedoch, daß er würde übermannt werden, wenn er sich nur vertheidigungsweise verhielte, und so legte er denn seinen Bruder auf den Boden nieder, wickelte die Hand der Mutter aus seinen Haaren los und schob sie sanft zur Thüre hinaus, die er hinter ihr verriegelte; dann nahm er aber Gam und warf ihn durch das Fenster unter eine Heerde dort weidender Säue.

Julie war unterdessen vor Schrecken und Angst ganz außer sich; sie wußte daß sie nun auf keine Vergebung mehr hoffen durfte und von diesem Augenblick an aus ihres Vaters Hause verbannt seyn würde. Umsonst suchte der Bruder sie durch die Versicherungen seiner Liebe und seines Schutzes zu trösten; sie hielt sich für unendlich unglücklich den Haß ihres Vaters nun tragen zu müssen und fürchtete den Tadel der Welt, von der sie durch die Verlästerungen ihrer Mutter glaubte ungehört verdammt zu werden.

Um nichts zu sparen diesem Schicksale zu begegnen, beschloß sie einen Versuch zu machen den Zorn der Mutter zu besänftigen und sich zugleich an ihren Vater zu wenden. Mistriß Pickle ersparte ihr jedoch diese Mühe: sie rief ihr durch das Schlüsselloch zu, daß sie sich weiter keine Rechnung machen sollte, jemals wieder die Schwelle ihres väterlichen Hauses betreten zu dürfen, indem sie ihrer von Stund an als eines unwürdigen Geschöpfes, das ihre Gunst und Achtung auf immer verloren hätte, für alle Zeiten entsage.

Julie weinte bei diesem Ausspruche bitterlich und that ihr Möglichstes ihn durch Bitten und Vorstellungen zu mildern; da sie sich jedoch hierbei nothwendig der Sache ihres Bruders annehmen mußte, so diente dies alles zu nichts, als den Zorn der Mutter nur noch mehr anzufachen und Mistriß Pickle zu den heftigsten Ausdrücken gegen Peregrine zu bringen, den sie einen Wegwurf der Menschheit und einen heillosen Buben nannte.

Vor Unwillen über diese Ungerechtigkeit bebend, entgegnete ihr der junge Mann: er sähe sich genöthigt sie von jetzt an nur als einen Gegenstand des Mitleids zu betrachten, denn ohne Zweifel müßte dieser unvernünftige Groll durch die Bisse ihres eigenen Gewissens bestraft werden, das sie vielleicht jetzt schon über ihr abscheuliches Benehmen anklage. »Was meine Schwester aber betrifft,« setzte er hinzu, »so danke ich Gott daß ihre Verkehrtheit deren gesunden Sinn nicht zu verdrehen vermochte. Sie wird jetzt nur von Ihnen verstoßen, weil sie zu vernünftig und zu tugendhaft ist, auf Ihre Vorurtheile einzugehen; doch hoffen Sie nicht Ihre boshafte Absicht mit dem armen Mädchen zu erreichen; dieselbe gütige Vorsicht, die mich Ihrem Hasse entzog, wird auch über Julie wachen bis die Zeit kömmt, wo ich für sie und mich durch die Gesetze die Gerechtsame behaupten werde, die sie uns so unnatürlich entziehen. Genießen Sie einstweilen ungestört das Glück Ihre ganze Aufmerksamkeit dem Schoßkinde zu widmen, dessen liebenswürdige Eigenschaften Ihre Zärtlichkeit und Fürsorge in einem so hohen Grade erwecken.«

Diese Vorwürfe und dieser Spott steigerten den Zorn der Mistriß Pickle bis beinahe zum Wahnsinn. Sie brach in die bittersten Verwünschungen gegen Peregrine aus, tobte und schlug wie eine Bedlamitin gegen die Thüre die sie vergebens aufzusprengen suchte, und wurde hierin von ihrem Lieblinge Gam unterstützt, der seinem Bruder Rache schwor und wie ein Toller gegen das Schloß anlief.

Alles dies blieb jedoch vergebens, und da jetzt Peregrine in der Ferne seinen Freund Gauntlet und Pipes gewahrte, die einen Feldweg daher kamen, so winkte er sie herbei und rief ihnen zu, wie hart er belagert sey, indem er sie zugleich bat die Mutter zurück zu halten, damit er seine Schwester desto leichter in Sicherheit bringen könne. Gauntlet begab sich demnach sogleich in's Haus, wo er sich zwischen die Mutter und die Thüre postirte, so daß Peregrine nun ungestört den Rückzug mit seiner Schwester antreten konnte, während daß Pipes mit seinem Stocke dem jungen Herrn Gam volle Beschäftigung gab.

Als sich die Mutter auf diese Art ihrer Beute beraubt sah, stürzte wie wie eine gereizte Löwin auf den Volontair zu und würde ihm sicher mit ihren Nägeln ein tüchtiges Denkmal eingeprägt haben, wenn er nicht schnell ihre Hände erfaßt und fest gehalten hätte. Das Bestreben sich loszuwinden und ihr Zorn, griffen aber die Dame dermaßen an, daß sie in eine lange Ohnmacht verfiel, während welcher man sie zu Bette brachte und die Verbündeten sich nun zurückzogen.

Peregrine befand sich übrigens in keiner geringen Verlegenheit bei dem Gedanken, was er mit seiner Schwester anfangen solle. Unmöglich konnte er sich entschließen, dem Commodore eine neue Last aufzubürden, und sich ohne dessen Wissen und Willen mit ihrer Versorgung zu befassen, glaubte er ebenfalls nicht wagen zu dürfen. Vorläufig brachte er sie indeß in die Familie eines seiner Bekannten, eines benachbarten Gentlemans, wo sie mit großer Zuvorkommenheit aufgenommen wurde, dann beschloß er aber, sie noch vor seiner Abreise in eine anständige Pension zu bringen und hier das Kostgeld von seinen Ersparnissen zu berichtigen. Dieser Plan kam jedoch nicht zur Ausführung: der ganze Vorgang wurde den folgenden Tag ruchbar und kaum vernahm Trunnion was sich zugetragen hatte, als er seinem Pathen Vorwürfe machte, ihm die Begebenheit verheimlicht zu haben und ihm befahl, seine Schwester mit Mistriß Trunnions Bewilligung in die Garnison zu bringen.

Mit herzlichem Danke eröffnete ihm Peregrine jetzt seinen Plan, Julie auf seine Kosten an einem anständigen Ort zu unterhalten, und bat den alten Herrn, ihm diesen Genuß nicht zu rauben; aber der Commodore wollte hiervon nichts wissen und bestand darauf, daß das Mädchen im Castell wohnen und ihrer Tante Gesellschaft leisten sollte, die ohnedem so einsam und ohne Umgang sey.

Julie wurde demnach in das Haus gebracht und der Mistriß Trunnion übergeben, die sie ziemlich bereitwillig aufnahm, da sie dadurch eine Gelegenheit zu erhalten glaubte, recht viel Neues über die Hauswirthschaft und das tägliche Betragen ihrer Schwägerin zu vernehmen, die ihrerseits den Vortheil recht gut einsah den Mistriß Trunnion hierdurch über sie erhielt, und durch die Nachricht von Juliens Aufnahme in der Garnison, fast bekümmerter wurde als hätte sie die Kunde von dem plötzlichen Hintritt ihres Mannes vernommen.

Vergebens quälte sie jetzt ihre Einbildungskraft ab, Verläumdungen gegen den guten Ruf ihrer Tochter auszustreuen, die sie nun überall zu verlästern suchte und dabei den Commodore als einen schändlichen Bösewicht ausschrie, der ihre Kinder verführte, während seine Frau sich nur so gastfrei gegen dieselben bewies, um ihrer Feindschaft gegen deren Mutter Raum zu geben. Ihr Mann empfing dabei den gemessensten Befehl allen Umgang mit Trunnion und dessen ganzen Umhange abzubrechen, und da Gamaliel unter der Zeit andere Bekanntschaften angeknüpft hatte, so gehorchte er auch ohne Widerstreben und weigerte sich sogar eines Abends, als er zufällig mit dem Commodore im Wirthshause zusammen kam, mit diesem zu sprechen.


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