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Peregrine Pickle.


I.

Des Sir Gamaliel Pickle Herkunft und Familie.

Ungefähr hundert Meilen von der Hauptstadt entfernt, lebte in einer Grafschaft Englands, deren eine Seite an die See grenzte, der Esquire Gamaliel Pickle, der Vater des Helden, dessen Abenteuer wir erzählen werden. Sir Gamaliel war der Sohn eines Londoner Kaufmanns, der klein, wie Rom, angefangen und sich zuletzt zu einem reichen Manne emporgearbeitet hatte. Leider übereilte ihn der Tod, eh' er noch sein Vermögen auf die runde Summe von hunderttausend Pfund brachte; doch beschwor er im Sterben noch seinen Sohn, so heilig ihm der letzte Befehl eines Vaters seyn müßte, seinen Fleiß nachzuahmen und seine Grundsätze zu befolgen, bis das noch Fehlende – bedeutend weniger als funfzehntausend Pfund – herbeigeschafft wäre.

Diese Ermahnung that bey dem Sohne die gewünschte Wirkung; Gamaliel ließ sich keine Mühe verdrießen und strengte alle seine Fähigkeiten an, den Willen des Vaters zu erfüllen; allein so ernstlich und anhaltend seine Bemühungen auch waren, es gelang ihm nicht; nach funfzehn Jahren fleißig betriebener Handelsgeschäfte war er um fünftausend Pfund ärmer als zu der Zeit, wo er die Erbschaft seines Vaters antrat.

Dies kränkte ihn so sehr, daß er nichts mehr mit dem Handel zu thun haben wollte; er nahm sich vor, von der Welt zu scheiden, an einen Ort zu gehen, wo er ungestört seine Unglücksfälle beweinen und durch Sparsamkeit sich gegen Mangel und Gefängniß sichern könne; Schreckbilder, die ihm seine aufgeregte Einbildungskraft unaufhörlich vorspiegelte.

Oft sprach er seine Furcht aus, dem Kirchspiele noch zur Last fallen zu müssen, und dankte dann Gott, daß er wenigstens durch seine langgeführte Haushaltung ein Recht zu dieser Art von Versorgung erworben hatte; kurz, sein Charakter war, ohne alle Kraft und dabei aus Theilen zusammengesetzt, die sich gewissermaßen zu widersprechen schienen. Bei aller der Begierde etwas zu erwerben, die nur ein Citybewohner haben kann, hielt ihn stets eine gewisse Trägheit und Verdrossenheit zurück, die bei ihm so groß war, daß sie selbst die Liebe zum Gewinn überwogen und ihn hinderten, Nutzen aus Eigenthümlichkeiten zu ziehen, die er in hohem Grade besaß, und die oft schon Manchen zu einem unermeßlichem Vermögen halfen; ich meine seine Vorsicht und seine Bezähmung der Begierden. Wahrscheinlich hatte die Natur wenig oder gar keinen Feuerstoff seiner Zusammensetzung beigemischt, oder, wenn sich ja der Saame zur Ausschweifung in ihm vorfand, so hatte eine strenge Erziehung denselben völlig erstickt.

Die Vergnügungen seiner Jugend waren immer so mäßig und wenig tadelnswerth gewesen, daß sie nie die Grenzen jener gesetzten Fröhlichkeit überschritten, welche etwa eine außerordentliche Flasche Wein bei einer ausserordentlichen Gelegenheit in einer Gesellschaft ehrenfester Buchhalter zu erwecken vermag; eine Art Menschen, deren Einbildungskraft sich nie übertrieben feurig oder üppig zeigte. Unbekannt mit verfeinerten Gefühlen, empfand er selten eine heftige Gemüthsbewegung; nie hatte die Leidenschaft der Liebe seine Seelenruhe gestört, und wenn es wahr ist, was Horaz sagt, »daß Nichts bewundern, die ganze Kunst ausmacht, glücklich zu seyn und zu bleiben,« so besaß Gamaliel dies unschätzbare Geheimniß vollkommen; wenigstens hat man nie auch nur den schwächsten Ausbruch des Entzückens an ihm bemerkt, ausgenommen einmal des Abends, wo er in seinem Clubb mit etwas lebhaften Gebehrden und Blicken erzählte: er habe diesen Mittag einen prächtigen Kälberbraten gegessen.

Trotz diesem Pflegma fühlte er dennoch den schlechten Erfolg seiner Handelsgeschäfte tief, und da er neuerdings durch den Banquerott eines Assecuranten fünfhundert Pfund verlor, so zögerte er nun nicht länger, sein Vorhaben bekannt zu machen, die Geschäfte aufzugeben und sich auf's Land zurückzuziehen; ein Entschluß, in welchem ihn seine einzige Schwester, Mistriß Grizzle, die ihm seit des Vaters Tode die Wirthschaft führte und ohnlängst erst mit einem Vermögen von fünftausend Pfund und weit größeren Capitale von Sparsamkeit und Gottesfurcht das dreyßigste Jahr ihres jungfräulichen Lebens zurückgelegt hatte, bestens bestärkte.

Man hätte glauben sollen, diese Eigenschaften wären vermögend gewesen, der Ehelosigkeit der Mistriß Grizzle ein Ziel zu setzen, um so mehr, da sie nie eigentlich selbst einen Widerwillen gegen den Ehestand bezeigte; allein, wie es scheint, so muß sie zu ekel in ihrer Wahl gewesen seyn, um eine ihr zusagende Parthie in der City zu finden, da ich mir sonst nicht vorstellen kann, daß sie lange ohne Bewerber sollte geblieben seyn, obschon ihre Persönlichkeit nicht vorzüglich bezaubernd und ihr Benehmen außerordentlich hinreissend war. Ausser einer blassen, ich mag nicht sagen, fahlen Gesichtsfarbe – die Folge vielleicht ihres Jungfrauenstandes und ihrer Casteiungen – hatten ihre Augen eine Richtung, die man nicht anziehend nennen kann; zudem war ihr Mund so groß, daß keine Kunst und kein Zwang ihm eine verhältnißmäßigere Gestalt zu geben vermochten. Ihre Frömmigkeit hinderte sie nicht in Worten und Benehmen einen ziemlichen Stolz zu äussern und ihre christliche Demuth hielt sie nicht ab, bei jeder Gelegenheit die Bedeutenheit ihrer Familie herauszustreichen, deren Ursprung sich, nebenbei bemerkt, durch alle genealogische Künste nicht über zwei Generationen hinaufführen ließ.

Was vor der Zeit gewesen war, wo ihr Vater die Sherifswürde erlangt, war ihrem Gedächtniß völlig entschwunden und die Epoche, von der sie alle ihre Bemerkungen datirte, war die Lordmayerschaft desselben. Uebrigens war diese gute Person für die Erhaltung und Fortpflanzung ihrer Familie so besorgt, daß sie, mit Unterdrückung jedes selbstsüchtigen Beweggrundes, die angeborenen Neigungen ihres Bruders zu bekämpfen und so weit zu überwältigen wußte, daß er endlich derjenigen seine Leidenschaft erklärte, die er in der Folge, wie wir später sehen werden, heirathete.

In der That kann man Mistriß Grizzle als das Triebrad aller seiner ausserordentlichen Unternehmungen betrachten und ich will nicht darüber entscheiden, ob es ihm aus eigenem Antriebe würde gelungen seyn, sich von einer Lebensart loszumachen, in der er sich so lange mechanisch fortbewegt hatte.

»London,« sagte sie, »ist der Aufenthalt der Ruchlosigkeit; jedes rechtschaffene und arglose Gemüth läuft hier täglich Gefahr Opfer der Hinterlist zu werden; die Unschuld ist hier unaufhörlichen Versuchungen ausgesetzt, die Tugend wird ewig durch Bosheit und Lästerungen verfolgt; Launenhaftigkeit und Sittenverderbniß herrschen hier über Alles, und das Verdienst wird hier verachtet und muthlos gemacht.«

Das Letztere sagte sie mit einem Nachdruck und einem Aerger, die deutlich verriethen, sie sähe sich selbst als ein Beispiel dieser Behauptung an, und in der That wird ihre Beschuldigung durch die Auslegungen gerechtfertigt, die ihre Freundinnen von den Beweggründen ihres Rückzuges machten. Weit entfernt, dies den löblichen Motiven zuzuschreiben, die sie dazu antrieben, gaben diese durch sarkastische Lobeserhebungen zu verstehen, Mistriß Grizzle habe vollkommen Ursache gehabt, mit einem Orte unzufrieden zu seyn, wo man sie so lange übersehen hätte, und es sey gewiß das Klügste, was sie habe thun können, sich auf das Land zurückzuziehen, denn dort würden wahrscheinlich ihre natürlichen Gaben weniger im Dunkeln, ihr Vermögen dagegen mehr im Lichte stehen.

Sey dem wie ihm wolle, Mistriß Grizzles Ermahnungen würden dennoch, so überzeugend sie auch waren, nicht hingereicht haben, des Bruders Schläfrigkeit und Trägheit zu überwinden, wenn sie ihre Gründe nicht zuletzt dadurch verstärkt hätte, daß sie den Credit einiger Kaufleute in Zweifel zog, mit denen er in Geschäftsverbindung stand.

Dies wirkte so gut, daß Gamaliel auf einmal thätig wurde. Er zog sein Geld aus den Geschäften zurück, verwirklichte die Capitale, die er bey der Bank und der ostindischen Compagnie untergebracht hatte, und begab sich auf's Land in ein Haus, welches sein Vater an der Seeküste erbaute, um hier desto bequemer einen gewissen stillen Handelszweig treiben zu können, womit er sich früher einmal stark befaßte.

Hier also schlug Sir Gamaliel Pickle im sechs und dreißigsten Jahre seines Alters, seine Wohnung für den Rest seiner Tage auf. Obgleich die Schmerzen, die er bei der Trennung von seinen alten Gesellschaftern und Bekannten empfand, nicht so heftig waren, um seiner Gesundheit nachtheilig zu werden, so fühlte er dennoch jetzt, nach dieser Veränderung seines Wohnortes, eine Leere, die ihm viel Unbehagen machte. Zwar gab es Leute in Menge hier, die sich in Rücksicht auf sein Vermögen um seine Bekanntschaft bewarben und viel von Freundschaft und Gastfreiheit redeten; allein eben die Mühe, diese Höflichkeiten anzunehmen und zu erwiedern, wurde einem Manne, wie ihm, zu einer unerträglichen Beschwerde; er überließ seiner Schwester, deren Stolz an allen diesen Formalitäten ein wahres Labsal fand, willig die Sorge für diese Dinge und zog es vor, sich seinerseits alle Abend in einem Wirthshause, welches er in der Nachbarschaft ausgekundschaftet hatte, bei einer Pfeife Taback und einer Flasche Bier gütlich zu thun. Das Wesen des Wirths gefiel ihm hier ungemein und dessen mittheilender Humor wurde seiner eigenen Gesprächlosigkeit zu einer großen Erquickung, denn ihn betreffend, so war ihm vieles Sprechen eben so zuwider, als jeder andere unnöthige Aufwand.


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