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XLIV.

Peregrine bekömmt eine deutliche Idee von der französischen Regierung. Er geräth in Streit mit einem Mousquetair und schlägt sich mit ihm.

Unter vielen Beispielen von Bedrückungen und Gewaltstreichen, die man anführen könnte, will ich hier nur einige wenige bemerken die während Peregrinens Aufenthalt in Paris statt fanden und die zum Beweise dienen mögen, wie Frankreich verwaltet wird d. h. vor der Revolution, in der sogenannten guten und loyalen Zeit verwaltet ward. A. d. Ueb.; es mögen hiernach diejenigen ihre Betrachtungen und Vergleichungen zwischen den beiden Ländern anstellen, welche vielleicht nicht Gelegenheit hatten selbst genau zu beobachten und daher durch falsche Vorspiegelungen leichtlich hintergangen werden können.

Eine vornehme Dame war von einem im im Dunklen lebenden Scribler beleidigt worden. Die Polizei vermochte den Pasquillanten nicht ausfindig zu machen, und nun befahl das Ministerium, ganz in der Maxime des Herodes, der den Mord aller israelitischen Kinder gebot, um das eine, welches er suchte, nicht entgehen zu lassen, die Verhaftung von fünf und zwanzig Abbés; eine Sache die auch wirklich stattfand ohne daß die Freunde der Gefangenen es nur gewagt hätten, über diese Verfolgung sich zu beklagen. Schweigend beweinten sie das Unglück ihrer Verwandten, ohne zu wissen, ob sie dieselben jemals wieder sehen würden.

Ungefähr um eben diese Zeit fand ein Mann von guter Familie, der von einem gewissen Herzog unterdrückt wurde, endlich Mittel vor den König zu kommen, der sein Gesuch sehr gnädig aufnahm und ihn fragte: unter welchem Regiment er diene? Als der Bittsteller nun hierauf versetzte, er habe nicht die Ehre in Diensten Sr. Majestät zu stehen, da gab ihm der König das Papier uneröffnet zurück und weigerte sich weiter etwas von seiner Klage zu hören. Statt also gebessert zu seyn, war der Arme jetzt noch viel schlimmer daran, denn nun ruhte die Hand seines Unterdrückers noch schwerer auf ihm.

Daß alle, die so von Hofgunst und Hofverbindungen fern leben, völlig geringschätzig behandelt werden, ist so allgemein bekannt, daß ein Mann unserm Helden ganz offen gestand: ein so großer Freund vom Landleben er auch sey, und ein so schönes Gut er auch in einer Provinz des Reiches besitze, so dürfe er dennoch nicht daselbst wohnen, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte durch seine hierdurch verminderten Besuche bei den Großen, den Schutz dieser Herren zu verlieren und in seiner Provinz die Beute eines raubsüchtigen Intendanten zu werden.

Was nun aber vollends das Volk anlangt, so ist dasselbe dermaßen unterdrückt und dem Uebermuthe des Hofgesindels und dessen Umhange preis gegeben, daß jeder hungrige Subaltern, jeder bettelhafte Junker, jeder übermüthige Hoflakai es ungestraft beschimpfen und beleidigen kann. Einem Barbier begegnete das entsetzliche Unglück beim Rasieren einen königlichen Stallmeister oder Bereiter ein bischen zu schneiden; dies brachte den übermüthigen Burschen in einen solchen Zorn, daß er aufsprang, den Degen zog und dem Barbier eine bedeutende Wunde in die Schulter versetzte. Der unglückliche suchte jetzt zu entfliehen, aber der elende Mörder verfolgte ihn und stieß ihn vollends nieder. Nach diesem Morde zog er sich ganz ruhig an, ging nach Versailles und erhielt hier ohne alle Umstände Verzeihung. Die Folge hiervon war, daß der Uebermuth des nichtswürdigen Menschen nun dermaßen wuchs, daß er sich das nächste Mal, als er sich den Bart abnehmen ließ, gleich mit blankem Degen und der Drohung hinsetzte: den Mord zu wiederholen, wenn sich der Barbier ebenso versähe. – Und dennoch ist das unglückliche Volk so an seinen Druck gewöhnt, daß, als Peregrine dieser Mordthat mit Aeußerungen des Entsetzens und des Abscheues gegen seinen Barbier gedachte, dieser Mensch die Antwort gab: es wäre allerdings ein Unglück, indeß man müsse es mit den feurigen Leidenschaften jenes Herrn entschuldigen, und als eine Art von Lobspruch auf die Regierung noch hinzusetzte: solche Lebhaftigkeit würde in Frankreich nicht bestraft.

Wenige Tage nach diesem Frevel, sah unser Held von seiner Loge im Theater eine Begebenheit mit an, die seine Brust mit dem tiefsten Unwillen erfüllte. Ein langer roher Bursche im Parterre, drehte ohne die mindeste Veranlassung und blos aus Uebermuth einen vor ihm stehenden jungen, wohlgekleideten Manne den Huth auf dem Kopfe herum; der Beleidigte blickte zurück und fragte ganz ruhig, was dies bedeuten sollte? erhielt aber keine Antwort, und wie er nun wieder wegblickte, wurde die Ungezogenheit von dem Andern noch einmal wiederholt. Jetzt äußerte der Geneckte seine Entrüstung, so wie es einem Manne von Muth zukömmt, und forderte den Langen auf, mit ihm herauszukommen; aber nun warf sich dieser gewaltig in die Brust, drückte den Huth in die Augen und entgegnete in einem gebieterischen Tone: »Mein Freund. Ihr wißt wahrscheinlich nicht, daß ich ein Mousquetair bin!« Kaum war dies Wort über seine Lippen gegangen, so erschrack der Andere gewaltig und bat in den ergebensten Ausdrücken um Verzeihung, die er nur mit vieler Mühe und unter der Bedingung erhielt, augenblicklich seinen Platz zu verlassen; der Mousquetair wandte sich aber hierauf an einen seiner Kameraden und erzählte ihm mit einem lauten Gelächter, er hätte jetzt beinahe mit einer Bürgercanaille Händel bekommen, und um die Spötterei zu krönen, setzte er hinzu: »Ich glaube wahrhaftig! es war ein Doctor.«

Dies Benehmen empörte Peregrine dermaßen, daß er sich nicht enthalten konnte seinen Unwillen durch die Bemerkung gegen den Bramarbas Luft zu machen: ein Arzt könne wohl im Punkte der Ehre manchen Klingenheld aufwiegen. Der Mousquetair sah ihn an und brach statt aller Antwort, in ein schallendes und höhnisches Gelächter aus, in welches seine Kameraden treulich mit einstimmten. Glühend vor Unwillen nannte ihn Peregrine jetzt einen Hasenfuß und ging hinaus: in der Meinung er würde ihm folgen; der Andere verstand auch den Wink und ohne Zweifel würden sich Beide auf der Stelle geschlagen haben, wenn nicht der wachthabende Officier den Mousquetair festgenommen hätte.

Peregrine wartete einige Augenblicke an der Thüre des Parterres; als er aber jetzt das eingetretene Hinderniß vernahm, kehrte er verdrießlich in seine Wohnung zurück, denn er hatte es sich einmal in den Kopf gesetzt, den Eisenfresser für sein ungebührliches Benehmen zu züchtigen. Die ganze Scene war übrigens nicht so still abgegangen, daß Jolter nicht durch einige Engländer, die sich ebenfalls im Parterre befanden, davon hätte unterrichtet werden sollen und er gerieth nun hierüber, da er die fürchterlichsten Vorstellungen von der Macht der Mousquetairs hatte, in eine so ungemeine Angst, daß er sogleich zu dem englischen Gesandten lief und ihn ersuchte, seinen Zögling in seinen unmittelbaren Schutz zu nehmen. Der Gesandte unterrichtete sich hierauf von dem Hergange der ganzen Sache und ließ dann Peregrine zu sich um Mittag einladen; nachdem er ihn hier aber seines Schutzes versichert hatte, stellte er ihm das Ungestüme und Rasche seines Betragens so eindringlich vor, daß unser junge Mann versprach, sich künftig vorsichtiger zu benehmen und nicht weiter an den Mousquetair zu denken.

Wenige Tage nach diesem guten Entschlusse, meldete ihm aber Pipes, den er mit einem Billet zu der gutmüthigen Schönen geschickt hatte die er dermalen unterhielt: er habe in dem Zimmer derselben einen Tressenhut erblickt, und die Dame sey äußerst verstört aus ihrer Kammer gekommen, um ihm den Brief abzunehmen.

Dieser Wink brachte Peregrine auf die Vermuthung, die Geliebte könne ihm wohl untreu seyn, oder vielmehr sein früher bereits gefaßter Verdacht bestätigte sich dadurch, und da er nun überdem von ihrem Besitz sich ziemlich gesättigt fühlte, so war es ihm gar nicht unlieb eine Veranlassung zu finden mit ihr brechen zu können. Um sie jedoch wo möglich zu ertappen und den Buhler für seine Verwegenheit zu bestrafen, in sein Gehege zu gehen, entwarf er einen Plan, den er folgendermaaßen ausführte. Bei dem nächsten Besuche seiner Schönen, war er weit entfernt sich das Geringste von Eifersucht oder Unzufriedenheit merken zu lassen, im Gegentheil stellte er sich ungemein zärtlich; nachdem er aber einige Stunden so bei ihr zugebracht hatte, meldete er ihr, daß er eine Parthie nach Fontainebleau vorhabe und noch denselben Abend dahin abgehen und erst in einigen Tagen zurückkehren würde.

Die Schöne, wohl erfahren in den Künsten ihres Metiers, heuchelte bei dieser Nachricht eine Betrübniß, als könnte sie die Trennung von ihm kaum vier und zwanzig Stunden ertragen und beschwor ihn mit so viel Aeußerungen von Zärtlichkeit, ja recht bald zurückzukehren, daß er fast seinen Verdacht fahren ließ. Doch blieb er bei dem einmal genommenen Entschluß und reiste wirklich mit einigen Bekannten von Paris ab, die eine Spazierfahrt nach Versailles machen wollten, die er aber nur bis zum Dorfe Passe begleitete und von hier in der Dämmerung zu Fuß zurückkehrte.

Mit Ungeduld erwartete er jetzt die Mitternachtsstunde, wo er sich dann, bewaffnet mit ein paar Pistolen und gefolgt von seinem treuen Pipes, der einen tüchtigen Knüttel führte, auf den Weg zu seinem Liebchen machte. Hier gab er seinem Begleiter die nöthigen Verhaltungsbefehle und klopfte dann sanft an die Thüre. Kaum hatte der Bediente dieselbe aber geöffnet, so nützte er die Bestürzung dieses Menschen über sein Erscheinen, und drang schnell in das Haus. Pipes musste als Schildwache vor der Thüre bleiben und der Bediente ihm selbst die Treppe hinauf zu seiner Herrschaft leuchten. Das Erste, was er hier im Vorzimmer bemerkte, war ein auf dem Tische liegender Degen, dessen er sich sogleich bemächtigte und dann mit lauter und drohender Stimme rief: sein Mädchen sey eine Treulose und er würde dem Buhler der sich bei ihr befände zur Stelle das Lebenslicht ausblasen. Diese Erklärung, die er durch manchen schrecklichen Fluch und Schwur bekräftigte, kam seinem Nebenbuhler kaum zu Ohren, als derselbe hastig vom Lager auf und im Hemde vom Altane herab auf die Gasse sprang. Peregrine donnerte unterdessen an die Thüre, um eingelassen zu werden, da er jedoch die Absicht des Galans merkte, so gewährte er diesem vollkommen Zeit, um seine Retirade bewerkstelligen zu können, aber Pipes, welcher unten an der Thüre stand, empfing hier den sich herabstürzenden Flüchtling mit seinem Knüttel und prügelte ihn die ganze Straße entlang bis er ihn zuletzt einer Abtheilung der Schaarwache übergab, die ihn in einem höchst kläglichen Zustande mit sich fortnahm.

Mittlerweile war Peregrine in die Kammer gedrungen, wo er das Dämchen in der größten Angst und Bestürzung, und überall die Spuren des entflohenen Liebhabers fand. Auf sein Nachfragen erfuhr er jetzt, daß derjenige, den er so unangenehm gestört hatte, niemand Anderes war als derselbe Mousquetair, mit welchem er im Theater Händel bekommen hatte und so fühlte er sich denn jetzt auf eine doppelte Art gerächt. Er warf hierauf dem Mädchen ihre Treulosigkeit und Undankbarkeit vor, erklärte ihr, daß sie nichts mehr von ihm zu hoffen hätte, und ging dann, vergnügt über den Ausgang dieses Abentheuers, nach seiner Wohnung zurück.

Der Mousquetair war aber sowohl durch den widerfahrenen Schimpf als die gewaltsame Behandlung von Seiten des Pipes so ungemein erbittert worden daß er sich kaum aus seiner schmachvollen Lage herausgewickelt hatte, als er Rache schnaubend zu Peregrine eilte und Genugthuung von ihm verlangte. Ohne zu zaudern versicherte ihm unser Held: die solle ihm werden, und er würde nicht verfehlen sich an den von Jenem bezeichneten Ort einzustellen; da er jedoch befürchten mußte, die unzeitige Dienstfertigkeit von Jolter, der den Mousquetair hatte ins Haus kommen sehen, möchte ihn verhindern Wort zu halten, so beredete er diesen nun: der Kriegsmann sey blos deshalb gekommen um ihn auf Befehl seiner Obern wegen seines unartigen Benehmens im Schauspielhause um Verzeihung zu bitten, worauf sie denn als gute Freunde von einander geschieden wären. Diese Versicherung und Peregrinens ruhiges Benehmen, zerstreuten die Furcht welche Jolter bereits zu fühlen begann und verschaffte Peregrine Gelegenheit, unbemerkt zu einem Bekannten gehen und diesen bitten zu können, sein Secundant zu werden; um aber gänzlich den Nachforschungen zu entgehen die der Hofmeister sicher anstellen würde, sobald er seinen Zögling vermißte, begaben sich Beide sogleich nach dem Wahlplatze.

Diese Vorsicht war sehr nöthig, denn als Peregrine nicht zum Abendessen erschien und Pipes, sein treuer Begleiter bei allen Excursionen, keine Kunde von seinem Aufenthalte zu geben vermochte, da fühlte sich der Hofmeister ungemein geängstigt, und befahl dem Diener, Peregrinen überall aufzusuchen, während er selbst zum Polizeicommissarius des Viertels lief, diesem seinen Verdacht mittheilte und von ihm einen Theil der berittenen Stadtwache erhielt, welche die Gegend um Paris abzupatrouilliren pflegt, um allen Händeln und andern Ungebührlichkeiten vorzubeugen. Zwar konnte Pipes jetzt sogleich alles aufklären und den Zweikampf vermeiden, wenn er den Hofmeister und dessen Gefolge zu dem Frauenzimmer hinwieß, wo man dann die Wohnung des Mousquetairs erfahren würde und durch Festnahme desselben das Vorhaben hätte zerstören können, allein theils wagte es Tom nicht, sich in die Angelegenheiten seines Herrn zu mischen und diesem dadurch mißfällig zu werden, theils freuete er sich selbst im Stillen darauf, daß der Franzmann gedemüthigt werden sollte, denn daß sein Herr es wenigstens mit ein paar Franzosen aufnehmen könne, daran zweifelte er keinen Augenblick. In dieser Zuversicht suchte er nun zwar seinen Herrn sehr emsig auf, allein nicht um ihn vom Kampf abzuhalten, sondern um ihn darin beizustehen und zugleich Acht zu haben, daß alles nach Recht und Billigkeit zugehe.

Während dies von dem Andern geschah, hatten sich unser Held und dessen Gefährte auf dem Wall, dem bestimmten Rendezvous, hinter dem Gesträuch verborgen, welches am Rande der Brustwehr stand; kaum dämmerte aber der Morgen, so wurden sie auch schon ihren Gegner gewahr, der sich mit seinem Secundanten nahte. Peregrine sprang sogleich hervor, um die Ehre zu haben früher als der Andere gekommen zu seyn und keine Minute verging, so waren die Degen gezogen und alle Viere im Kampf. Seine Hitze wäre Peregrine aber beinahe theuer zu stehen gekommen, denn ohne vor sich hinzusehen, stürzte er so heftig auf seinen Gegner zu, daß er über einen Stein stolperte und ehe er noch wieder die gehörige Stellung gewinnen konnte am Kopf verwundet wurde. Statt durch diesen unangenehmen Vorfall aber den Muth zu verlieren, ward Peregrine dadurch nur noch mehr angefeuert: mit großer Gewandheit lenkte er den zweiten Stoß ab, und versetzte seinem Gegner, ehe dieser noch Zeit hatte auszupariren, einen Stich durch den rechten Arm, in Folge welchen demselben der Degen aus der Hand sank.

Nachdem auf diese Art die Sache abgemacht und der Mousquetair voll Schmerz das Geständniß hatte ablegen müssen: das Glück habe sich für Peregrine erklärt, eilte dieser die Secundanten auseinander zubringen, gerade in dem Augenblick, als seinem Gefährten der Degen aus der Hand geschlagen worden war, und da er nun an die Stelle seines Secundanten trat, so würde jetzt wahrscheinlich ein neuer Kampf entstanden seyn, wenn nicht die Wache gekommen wäre, bei deren Anblick die beiden Franzosen sich eilig davon machten, während Peregrine und sein Freund festgenommen und vor die Obrigkeit geführt wurden, wo sie einen scharfen Verweis dafür erhielten, den Gesetzen zuwider gehandelt zu haben, dann aber mit der Warnung: sich hinführo vor ähnlichen Handlungen zu hüten, entlassen wurden.

Als Peregrine hierauf in seine Wohnung zurückkam und Pipes hier bemerkte, daß dessen Halstuch mit Blut gefärbt war, da gab der Letztere alle Zeichen der Bestürzung und Theilnahme von sich, nicht sowohl wegen der Wunde, die er nicht für gefährlich hielt, als aus Furcht, die Ehre von Alt-England möchte bei diesem Handel gelitten haben und er konnte sich, als er seinen Herrn in dessen Zimmer begleitete, nicht enthalten mit einer kummervollen Miene die Anmerkung zu machen: »Ich denke doch, Sie werden dem langen Büley von Franzmann, ordentlich zugetrunken haben?«


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