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XXV.

Peregrine wird von einem seiner Lehrer beleidigt; er rächt sich dafür durch ein Spottgedicht. Bei einer Reise nach Windsor findet er Emilie wieder, die ihn ungemein kalt behandelt.

Unter denen, welche durch seine List und Untreue in Verlegenheit gerathen waren, befand sich einer seiner Lehrer, Master Jumble mit Namen. Dieser Mann konnte ihm die erlittene kränkende Beschimpfung nicht verzeihen, und beschloß, sich dafür an ihm zu rächen. Er bewachte von jetzt an Peregrinens Aufführung auf das genaueste, und ließ keine Gelegenheit vorübergehen, ihn geringschätzig zu behandeln, da er wohl wußte, daß dies den stolzen Jüngling mehr schmerzte, als jede andere Strafe.

Peregrine war mehrere Morgen nicht in der Capelle erschienen; Master Jumble verfehlte nicht, ihn dieserhalb in einem sehr gebieterischen Tone zur Rede zu stellen, und da der junge Mann bald keine Entschuldigungsgründe mehr vorzubringen vermochte, so gab er ihm nun einen herben Verweis über seinen ruchlosen Wandel, und trug ihm, um ihn noch mehr zu demüthigen, gleichsam zur Uebung auf, eine Paraphrase der beiden Verse aus dem Virgil:

Vanae Ligur frustaque animis elatae superbis
Nequisquam patrias tentasti, lubricus artes,
Thörichter Sohn Liguriens, hoch von Dünkel geschwollen, Du versuchtest, strauchelnd umsonst die Künste des Vaters.

zu machen.

Diese Aufgabe brachte bei Peregrine die erwünschte Wirkung hervor: er sah sie nicht nur als einen hämischen Wink auf sein eigenes Betragen, sondern auch als einen beleidigenden Rückblick auf das Andenken seines Großvaters an, der, wie er gehört hatte, mehr wegen seiner Verschmitztheit, als wegen seiner Redlichkeit im Handel, sich bekannt gemacht hatte.

Ungemein erzürnt über die Verwegenheit des Lehrers, hätte er in der ersten Hitze sich beinahe eine thätliche Genugthuung genommen; da er jedoch die übeln Folgen überlegte, die eine solche Verletzung der Universitätsgesetze nach sich ziehen konnte, so unterdrückte er die Aufwallung und beschloß, sich auf eine andere Art zu rächen. Er zog jetzt Erkundigungen über Jumble's Herkunft und Erziehung ein, wo er denn erfuhr, daß dessen Vater ein Maurer und dessen Mutter eine Pastetenkrämerin gewesen war, und daß der Sohn in seiner Jugend beide Beschäftigungen abwechselnd getrieben hatte. Mit diesen Nachrichten versehen machte er nun nachstehendes Spottgedicht in Knittelversen auf Jumble, welches er demselben hierauf am folgenden Tage, statt der Paraphrase auf die beiden Virgilschen Verse übergab.

Hört zu, ich sing ein Lehrmeisterlein,
      Ach je!
Das gern ein witzig Köpfchen wollt seyn,
      Ach je!
Ein tiefer, ein großer Politikus,
Und obendrein ein Kritikus;
      O weh! o weh! o weh!
Doch wär' er auch das – o Ungelück! –
      Ach je!
So hatt' er doch nie der Eltern Geschick
      Ach je!
Sein Vater wollt' machen einen Maurer aus ihm,
Der Sohn war zu dumm ihn dazu zu erziehn.
      O weh! o weh! o weh!

Es buk die Frau Mutter Pasteten. Der Sohn
      Ach je
Sollt' auch sie zu backen wohl lernen verstehn,
Doch fehlt' es auch dazu am Kopfe dem Herrn.
      O weh! o weh! o weh!

Nun konnt' er keines von beiden recht seyn,
      Ach je!
Ein Haus wie Pastete, Pastete wie Stein,
      Ach je!
So macht' er sie immer. Drum Meisterlein klein
Drum sollt' er ein wenig bescheidener seyn.
      O weh! o weh! o weh!

Dieses Spottgedicht war die kräftigste Rache, die er an dem Lehrer nehmen konnte, der ganz den trotzigen Uebermuth und den lächerlichen Stolz eines Pedanten von gemeiner Abkunft hatte. Statt die Satyre mit der Gelassenheit und Verachtung aufzunehmen, die einem Manne von seinen Jahren und von seinem Stande gebührte, überblickte Jumble kaum das Papier, als ihm das Blut ins Gesicht schoß und er gleich darauf wieder leichenblaß wurde. Mit vor Zorn bebenden Lippen nannte er Peregrine einen unverschämten Patron, und drohete ihm, dafür zu sorgen, daß er von der Universität weggejagt würde, weil er sich unterstanden hätte, solches Pasquill zu überreichen. Peregrine erwiderte jedoch hierauf, er wäre überzeugt, daß, wenn man erführe, wie er gereizt worden sey, jeder Unpartheiische ihn frei sprechen müsse, und daß er dieserhalb bereit wäre, die Sache der Entscheidung des Proktors zu überlassen.

Er schlug übrigens diesen Ausweg deshalb vor, da er wußte, daß Jumble mit diesem Manne gespannt war, und es daher nicht leicht wagen durfte, die Sache auf dessen Ausspruch ankommen zu lassen, und Jumble, der von Natur äußerst mißtrauisch war, zweifelte seinerseits nicht, als Pickle sich auf diese Entscheidung berief, sein Gegner habe bereits vom Proktor das Versprechen erhalten, von ihm geschützt zu werden; eine Betrachtung, die ihn zu dem Entschluß brachte, seinen Aerger verschlucken und eine andere Gelegenheit abzuwarten, um seine Rache zu befriedigen.

Unterdessen waren Abschriften von dem Spottliede unter die Studenten gekommen, die nun nicht verfehlten, dasselbe dem Master Jumble nach der Melodie eines bekannten Gassenhauers unter die Nase zu singen, so daß Peregrine auf diese Art einen vollständigen Sieg über seinen Widersacher erhielt.

Seine ganze Zeit weihte er jedoch nicht solchen losen Dingen, sondern es kamen auch Augenblicke, in denen er sich edleren Beschäftigungen widmete, Geschichtskunde trieb, sich mit den klassischen Autoren befreundete, sich im Malen und in der Tonkunst übte, worin er schon hübsche Fortschritte gemacht hatte u. s. w. Hatte er jedoch eine Weile so dem Besseren gelebt, dann brach immer wieder seine Wildheit und Lebhaftigkeit hervor und riß ihn von neuem zu allerlei tollen Dingen und Ausschweifungen hin, und so kam es denn, daß er zugleich, vermöge dieser Abwechselungen, den innigsten und freundschaftlichsten Umgang sowohl mit den unbesonnensten als mit den stillsten und fleißigsten Studirenden in Oxford hatte.

Es läßt sich denken, daß ein junger Mensch wie er, nicht die Kunst verstand, seine Ausgaben nach seinen Einnahmen abzumessen, mochten die letzteren auch noch so ansehnlich seyn. Er war nicht einer von den Glücklichen, die gleichsam geborne gute Wirthe sind, und es geschickt verstehen, einem Freunde in der Noth ihren Beutel zu verschließen; im Gegentheil, von Natur großmüthig und zum Aufwande geneigt, verzettelte er das Geld mit vollen Händen und spielte eine glänzende Figur so lange seine Wechsel dauerten; aber immer waren seine Finanzen erschöpft, ehe der neue Vierteljahrstermin herankam, und da er um Zuschüsse nicht anhalten wollte und zu stolz war, um zu borgen, so widmete er dann diese Perioden der Ebbe der Fortsetzung seiner Studien so lange, bis mit dem neuen Vierteljahre wieder neue Fluth bei ihm eintrat.

In einer dieser Perioden des Wohllebens machte er mit einigen Freunden eine kleine Reise nach Windsor, um das königliche Schloß zu besehen. Peregrine betrachtete hier in einem der Säle eben ein Gemälde, welches Herkules und Omphale darstellte, als einer seiner Begleiter ihm ins Ohr raunte: »Seht einmal die beiden prächtigen Mädchen!« Pickle wandte sich um, und erkannte in der einen derselben seine fast ganz vergessene Emilie.

Wie ein elektrischer Strahl wirkte dieser Anblick auf ihn; seine ganze Leidenschaft für sie wachte wieder auf und er zitterte an allen Gliedern. Das Mädchen bemerkte und theilte diese Erschütterung, denn ihre Seelen waren zwei gleichgestimmte Saiten, die von einer Berührung erklingen, doch fand sie Entschlossenheit genug in sich, den gefährlichen Schauplatz zu verlassen. Diese Entfernung beunruhigte ihn außerordentlich; er raffte seinen ganzen Muth zusammen, und, getrieben von seiner Liebe, folgte er ihr ins nächste Zimmer, wo er in großer Verlegenheit ein »ergebenster Diener, Miß Gauntlet!« hervorstotterte. Mit verstellter Gleichgültigkeit, die aber die heftige Bewegung in ihrem Innern nicht ganz zu verbergen vermochte, erwiederte sie dies Compliment mit den Worten: »Ihre Dienerin, mein Herr!« gleich darauf zeigte sie aber auf das Bildniß von Duns Scotus, welches über einer der Thüren hing, und fragte ihre Gefährtin in einem lachenden Tone: »Ob sie nicht meinte, daß er einem Zauberer ähnlich sähe?«

Diese Aufnahme verdroß Peregrine sehr, und er antwortete sogleich statt der jungen Dame: »Zu der Zeit war es leicht, ein Zauberer zu seyn, da die Einfalt der Menschen die Wahrsagereien begünstigte; jetzt aber würde weder er noch Merlin mit ihrem Gewerbe ihr Brod zu verdienen im Stande seyn, da Betrug und Verstellung so allgemein geworden sind.« »O mein Herr!« antwortete Emilie, und drehte sich nun ganz nach ihm hin; »ohne Zweifel würden sie neue Grundsätze annehmen, denn in unseren Zeiten ist es keine Schande mehr, seine Gesinnungen zu ändern.« – »Da haben Sie vollkommen Recht«, antwortete Peregrine etwas übereilt, »wenn man nur bei dem Wechsel gewinnt.« – »Und wenn dies auch nicht der Fall seyn sollte«, versetzte das Mädchen bewegt, »so wird die Welt es der Unbeständigkeit doch nie an Stoff zu Entschuldigungsgründen fehlen lassen.« – »Sehr richtig, Miß«, entgegnete der junge Mann, indem er sie fest ansah, »man findet überall Beispiele des Leichtsinns.« – »Da stimme ich Ihnen bei«, rief Emilie, »dies ist eine sehr häufige Tugend.«

Da Pickle's Gefährte ihn in einer so ämsigen Unterredung mit einer Dame sah, so ließ er sich mit deren Begleiterin in ein Gespräch ein, und lockte dieselbe, um der Galanterie seines Freundes förderlich zu seyn, unter dem Vorwande, ihr ein bemerkenswerthes Gemälde zeigen zu wollen, in ein anstoßendes Zimmer.

Diese Gelegenheit, mit der Geliebten allein zu seyn, ließ Peregrine nicht ungenutzt vorüberstreichen; mit einem zärtlichen Blicke und einem tiefen Seufzer fragte er sie, ob sie ihn denn so ganz aus ihrem Andenken verbannt hätte? Sie erröthete, und da sie in diesem Augenblick von neuem an die vermeintliche Geringschätzung dachte, mit welcher sie sich von ihm behandelt glaubte, so erwiederte sie ihm: »Wenn ich nicht irre, mein Herr, so hatte ich einmal das Vergnügen, Sie auf einem Ball in Winchester zu sehen.« – »Miß Emilie«, sprach er jetzt in einem ernsten Tone, »wollen Sie nicht so aufrichtig seyn, mir zu sagen, welchen Fehltritt in meinem Betragen Sie dadurch zu bestrafen beschlossen haben, daß Sie Ihr Andenken blos auf diese Gelegenheit beschränken.« – »Sir Pickle«, versetzte das Mädchen eben so ernsthaft, »ich habe weder Beruf noch Neigung, Ihr Betragen zu beurtheilen, und finde daher Ihre Frage am unrechten Orte angebracht, wenn Sie eine solche Erläuterung von mir verlangen.« »So machen Sie mir wenigstens das traurige Vergnügen, mir zu sagen, weshalb Sie nicht die mindeste Antwort auf den Brief ertheilten, den ich mit Ihrer Erlaubniß Ihnen von Winchester aus zu schreiben die Ehre hatte.« – »Dieser Brief«, versetzte Miß Emilie mit großer Lebhaftigkeit, »erforderte und verdiente keine Antwort. Aufrichtig gesprochen, mein Herr, es war ein seichter Kunstgriff von Ihnen, eine Correspondenz aufzuheben, um welche Sie erst dringend zu bitten für gut fanden.«

Bestürzt über diese Antwort, erwiederte Peregrine: es sey möglich, daß er vielleicht einer Wendung oder eines Ausdrucks sich bedient hätte, die nicht zartsinnig genug gewesen wären, allein das sey er versichert, daß er es nicht an Aeußerungen der Hochachtung und Ergebenheit habe fehlen lassen; »und was die Verse anlangt«, setzte er hinzu, »so muß ich freilich gestehen, sie waren ihres Gegenstandes nicht werth, allein ich hegte die Hoffnung, daß sie, wenn auch nicht Beifall, doch geneigte Aufnahme finden und nicht sowohl für Beweise meines Talentes, als für die redlichen Ergießungen meines Herzens würden angesehen werden.«

»Verse!« rief Emilie mit dem Ausdrucke des Erstaunens; »Verse? ich verstehe Sie nicht!« Dieser Ausruf überraschte Pickle ungemein; nach einer langen Pause antwortete er: »Miß Gauntlet, ich beginne zu ahnen, und mein Herz wünscht nichts mehr, als daß ich mich hierin nicht täusche, daß ein Mißverständniß obwalten muß. Sagen Sie mir, ich beschwöre Sie, war nicht eine Abschrift von Versen in jenem unglücklichen Briefe eingeschlossen?«

»Ich bin in der That nicht so sehr Kennerin, mein Herr,« erwiederte Emilie »um zu entscheiden, ob der scherzhafte Aufsatz, den Sie jetzt einen unglücklichen Brief zu nennen belieben, in Prosa oder in Versen abgefaßt war; doch, wie Sie selbst finden werden, ist der Scherz wohl zu alt, um noch eine nähere Besprechung zu verdienen.« Mit diesen Worten entfernte sie sich mit einer Verbeugung und ging ihrer Gefährtin nach, während der arme Liebhaber in der peinlichsten Ungewißheit zurückblieb.

Peregrine sah jetzt deutlich, daß bei seinem Schreiben aus Winchester ein Geheimniß zum Grunde liegen müsse, welches zu enthüllen ihm jedoch völlig unmöglich war; das Mädchen aber begann ihrerseits zu muthmaßen und zu hoffen, der Brief, den sie erhalten hatte, möchte untergeschoben seyn; doch begriff auch sie die Möglichkeit hiervon nicht, da sie ihn durch seinen eigenen Diener erhalten hatte. Indeß beschloß sie vorläufig es ihm allein zu überlassen, die Sache ans Licht zu bringen, da sie wohl wußte, er würde sich gewiß dieserhalb die größte Mühe geben.

In der That täuschte sie sich hierin auch nicht. Er kam an der Treppe wieder zu ihr, und bat dringend um die Erlaubniß, die Damen nach Hause bringen zu dürfen, da sie keinen Begleiter hätten. Emilie merkte jetzt sogleich seine Absicht, hierdurch ihre Wohnung zu erfahren, und obschon sie insgeheim diese List billigte, so glaubte sie doch zur Bewahrung des Scheins die Pflicht zu haben, diese Höflichkeit ablehnen zu müssen. Sie dankte ihm demnach verbindlich für sein gütiges Anerbieten, und wollte es schlechterdings nicht zugeben, daß er sich eine so unnöthige Mühe machte, da sie nur einen kleinen Weg zu gehen hätten.

Durch diese Weigerung ließ sich Pickle jedoch nicht abweisen, weil er deren Veranlassung wohl einsah, und Emilie war es nicht zuwider, daß er auf seinem Entschlusse beharrte. So begleitete er denn die beiden Damen nach ihrer Wohnung, und machte dabei unterwegs verschiedene Versuche, insgeheim mit seiner Schönen einige Worte zu sprechen; allein sie, die eine kleine Anlage zur Coquetterie hatte und fest entschlossen war, seine Ungeduld noch mehr zu reizen, wich allen seinen Bemühungen schlau aus, indem sie immer ihre Gefährtin in die Unterredung zog und diese auf allgemeine Gegenstände zu leiten wußte. So tantalisiert kam unser Held endlich mit den beiden Damen bis an das Haus, wo sie wohnten, und da Miß Emilie hier bemerkte, daß ihre Begleiterin im Begriff stand, Peregrine mit hinein zu nöthigen, so hintertrieb sie dies durch einen finstern Blick, und machte dann gegen Pickle eine ceremonidse Verbeugung, worauf sie ihre Freundin beim Arme nahm und mit den Worten: »Komm doch, liebe Cousine!« schnell in das Haus hineinschlüpfte.


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