Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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b. Die apokryphischen Bücher des Numa im J. 181 v. Chr.

Sind die Bacchanalien ein trauriges Symptom des sittlichen Verfalls, welcher den Volksglauben in Italien mit Einschluß der römischen Stadtbevölkerung ergriffen hatte, so darf diese zweite Erscheinung für ein nicht minder bedenkliches Symptom des Verfalls der eignen römischen Staatsreligion und zwar in den höheren Kreisen der Gebildeten angesehen werdenLiv. XL, 29, Plin. XIII, 13, 27, Plut. Numa 22 u. A.. Im J. 181 720 v. Chr., also fünf Jahre nach dem S. C. de Bacchanalibus, wurden auf dem Grundstücke eines Notars (scriba) L. Petillius am Abhange des Janiculum beim tieferen Umgraben der Erde zwei steinerne Särge von 8 F. Länge und 4 F. Breite gefunden, deren Deckel mit Blei verschlossen waren. Beide hatten eine lateinische und griechische Inschrift, von denen die eine aussagte daß in diesem Sarge Numa Pompilius, der Sohn des PompoLivius: in altera Numam Pompilium Pomponis filium, regem Romanorum, sepultum esse etc. Auch dieser Sohn des Pompo, Andre sagten doch lieber Pomponius, ist eine Erfindung der Griechen, welche Dionys v. Hal., Plutarch u. A. wiederholen., König der Römer begraben sei, die andre daß sich in dem andern Sarge die Bücher des Numa befänden. Der Eigenthümer des Grundstücks öffnete die Särge und fand in dem einen, worin sich der Leichnam befinden sollte, keine Spur von Gebein oder sonst etwas, in dem andern aber zwei sorgfältig geschnürte Bündel von je sieben Bücherrollen, die nicht allein gut erhalten waren, sondern ganz wie neu aussahenLivius: non integros modo, sed recentissima specie. Septem latini de iure pontificio erant, septem graeci de disciplina sapientiae, quae illius aetatis esse potuit. Plinius führt aus Cassius Hemina, der wohl noch Zeitgenossen des Vorfalls sprechen konnte, die Worte an: In his libris scripta erant philosophiae Pythagoricae, eosque combustos a Q. Petilio praetore, quia philosophiae scripta essent. Die sieben lateinischen Bücher mögen eine populäre Ueberarbeitung der wirklichen und angeblichen Satzungen des Numa enthalten haben.. Die sieben lateinischen handelten von den amtlichen Obliegenheiten der Pontifices, die sieben griechischen fügten im Sinne der neueren Zeit einen philosophischen Commentar über diese Gesetze Numas hinzu. Die Tendenz dieses Commentars war die der pythagoreischen Philosophie, weil Numa in dieser Zeit allgemein für einen Schüler des Pythagoras galt. Die Bücher wurden zuerst von L. Petillius und seinen Freunden gelesen, dann in weiteren Kreisen besprochen, bis endlich der Stadtprätor Q. Petillius, ein Freund und Gönner jenes Notars, sich dieselben zur Prüfung ausbat. Er brauchte blos die Inhaltsanzeigen zu lesen um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß diese Schriften auf Uebersetzung der positiven Religion in Philosophie ausgingen. Er sagte also dem Notar daß er sie ins Feuer werfen werde, doch werde es ihm ganz recht sein wenn er sich vorher jedes erlaubten Rechtsmittels bedienen wolle, um wieder zu seinem Eigenthum zu gelangen. Der Notar wendete sich also an die Volkstribunen, diese brachten die Sache an den Senat. Der Prätor erbot sich einen 721 Eid auf seine Ueberzeugung zu schwören, daß jene Bücher nicht gelesen und erhalten werden dürften. Der Senat entschied daß man sich darauf verlassen könne und die Bücher in kürzester Frist auf dem Comitium verbrennen solle, wie dieses alsbald vor allem Volk geschah. Eine dem Notar gebotene Entschädigungssumme wollte derselbe nicht annehmen. Dieses die einfache Erzählung des Livius, zu welcher aus Plinius, der sich auf verschiedne ältere Autoren beruft, hinzuzusetzen ist daß diese Bücher auf Papier (charta) geschrieben waren, welches Schreibmaterial bekanntlich erst von Alexandrien aus in allgemeineren Gebrauch kam. Hat man sich neuerdings nichts desto weniger von verschiednen Seiten bei dem Urtheile des entschlossenen Prätors nicht zufrieden geben wollen, so liegt dabei eine nicht geringe Unkunde des Geistes und der Praktiken dieser Zeit zu Grunde. Die Ueberzeugung daß Numa ein Schüler des Pythagoras gewesen beruhte, so wenig sie chronologisch haltbar ist, einmal auf dem alten Ruhme dieses Weisen in Italien, wo seine Schule trotz der Katastrophe des pythagoreischen Bundes in Großgriechenland niemals untergegangen war, sondern in Tarent eine bleibende Stätte gefunden hatte; wenigstens lassen sich ihre Spuren in dieser Stadt seit Philolaos und Archytas bis in die Zeiten des Hannibalischen Kriegs verfolgenNamentlich war den Römern der Pythagoreer Nearchus in Tarent bekannt, welcher einen Dialog geschrieben hatte, in dem Plato und Archytas sich mit dem Samniter C. Pontius, dem Vater des Siegers bei Caudium unterhielten. Er gehörte zur römischen Partei in Tarent und Cato besuchte seine Vorträge nach der Einnahme von Tarent im J. 209, s. Cic. Cato 12, 41, Plut. Cat. mai. 2. Andre Pythagoreer in Tarent, darunter den bekannten Dichter Rhinthon, nennt Io Lydus de Magistr. I, 41. Auch in den Sprüchen des App. Claudius Caecus wollte man später einen Anflug von pythagoreischer Philosophie finden, s. Cic. Tusc. IV, 2, 4. Aus derselben Zeit mag die Ableitung der Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von 4 Söhnen des Numa, Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo stammen.. Ja diese Schule hatte von Tarent aus auch bei den griechisch Gebildeten in Samnium lebhaften Anklang gefunden, und selbst in Rom sah man seit der Zeit der Samniterkriege die Statue des Pythagoras neben der des Alcibiades als die des Weisesten neben dem TapferstenPlin. H. N. XXXIV, 6, 12, Plut. Numa 8. Das Delphische Orakel hatte dazu Veranlassung gegeben.. Zweitens konnte wirklich Manches in den Gesetzen Numas an Pythagoras und seine Schule erinnern, sowohl im Allgemeinen ein gewisser symbolischer Grundzug als manches EinzelneSchwegler R. G. I, 561.. 722 Deshalb also wagte man damals den Versuch, das alte Cerimonialgesetz durch Anwendung der pythagoreischen Philosophie, wahrscheinlich vermittelst allegorischer Interpretation, von neuem zu beleben. Er mislang weil er zu plump war, sowohl dem Inhalte nach als der Form, obwohl sich der Prätor mit einfachem Römerverstande nur an den Inhalt hielt; wir aber dürfen wohl hinzusetzen daß eine Zumuthung wie diese, sich den alten Numa als Verfasser von 14 Büchern, 7 lateinischen und 7 griechischen zu denken, nur in einem Zeitalter wie dem alexandrinischen, dem Zeitalter der Bibliotheken und der Apokryphen möglich war. Genug der Prätor hatte Recht die Bücher zu verbrennen; aber der Versuch die Philosophie anstatt des Gesetzes in Rom einzuschwärzen ist nichts desto weniger sehr merkwürdig, zumal wenn man ihn im Zusammenhange mit den verwandten Erscheinungen dieser und der späteren Zeit auffaßt. Hatte doch um dieselbe Zeit auch Ennius die Römer zugleich mit der seichten Aufklärung des Euhemerus und dem speculativen Tiefsinn der Schule des Pythagoras bekannt gemacht, welche letztere vermuthlich auch er in Tarent kennen gelernt hatteDaß das pythagoreische Element in der Poesie des Ennius ziemlich stark und in einem seltsamen Kampfe mit der Homerischen Epik begriffen war, verräth namentlich Persius Sat. VI, 9–11. Vgl. die Fragmente seines Epicharmus b. Vahlen p. 167 sq.. Zwanzig Jahre darauf, im J. 161 v. Chr., wurden die Philosophen zum erstenmal ausgewiesen. Im J. 155, auf Veranlassung jener berühmten Gesandtschaft, kamen sie wieder, jetzt direct aus Athen, dem Heerde der griechischen Philosophie, und zwar die Häupter aller bedeutendsten Schulen der Zeit, der Akademiker, Stoiker und Peripatetiker, neben denen sich nun auch die Epikureer sehr bald in Rom geltend machten. Daneben beweist das merkwürdige Beispiel des Valerius Soranus wie weit schon damals die Lust an allegorischer Erklärung und einem »tieferen Verständniß« des alten römischen Glaubens gehen durfteS. oben S. 33, 21. Krahner schreibt demselben Dichter mit großer Wahrscheinlichkeit diesen Vers b. Serv. V. A. IV, 638 zu: caelicolae mea membra dei, quos nostra potestas officiis divisa facit., etwas später das des Nigidius Figulus, daß neben den attischen Schulen der Philosophie auch der alte und neue Pythagoreismus bei solchen Römern vielen Anklang fand, welche mit mathematischen und physikalischen Studien eine Neigung zur allegorischen und mystischen Grübelei verbanden. Auch die Ueberzeugung daß Numa 723 ein Schüler des Pythagoras gewesen ließ sich trotz aller Bedenken der Historiker und Chronologen nicht irre machenCic. de Rep. II, 15, Tusc. IV, 1, Plut. Qu. Ro. 10..


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