Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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3. Die Ludi Tarentini und Seculares.

Bei andern Gelegenheiten erscheinen die Unterweltsgötter von der entgegengesetzten Seite einer heilenden und verjüngenden Kraft, wie die Mutter Erde, Consus und Saturnus zugleich segnende Götter sind und der Unterwelt angehören. So vorzüglich in den merkwürdigen Ueberlieferungen von einem alten Altare der Unterirdischen im Terentum, einer am Tiber gelegenen Strecke des Marsfeldes, an welchen sich später die Stiftung der Secularspiele anlehnte. Der Name Terentum oder Tarentum hängt wahrscheinlich mit dem sabinischen Worte terenum d. i. molle zusammen, so daß er ein weiches Uferland, eine Marsch bedeuten würdeMacrob. S. III, 18, 13 Nux terentina dicitur quae ita mollis est ut vix attrectata frangatur. De qua in libro Favorini sic reperitur: Item quod quidam Tarentinas oves vet nuces dicunt, quae sunt terentinae a tereno, quod est Sabinorum lingua molle, unde Terentios quoque dictos putat Varro ad Libonem primo. Es ist das griechische τέρην, τέρεν, das gewöhnliche lateinische teres und tener. Andre Ableitungen b. Fest. p. 351.. In den Ueberlieferungen der Secularspiele wird immer hervorgehoben, daß dort einmal ein Feuer oder ein feuriger Dampf aus der Erde aufgestiegen sei, daher dieser Theil des Marsfeldes auch das feurige (campus ignifer) genannt wirdValer. Max. II, 4, 5, Zosim. II, 1–3, vgl. Becker Handb. 1, 628.. Man schrieb diese Wirkung den unterirdischen Göttern zu und stiftete ihnen deshalb einen Altar, welcher sich wie der des Consus in der tiefen Erde befand und nach der späteren 470 Legende schon in dem Kriege zwischen Rom und Alba Longa gestiftet worden wäre. In diesem sei den Römern ein in schwarzen Fellen gehüllter Mann von schrecklichem Ansehn erschienen, welcher vor der Schlacht ein Opfer für die Unterwelt gefordert habe; eine Ueberlieferung welche zugleich an den Gebrauch der Devotion und an den feuerspeienden Cacus, welcher wohl auch nur eine Erscheinung des Gottes der Unterwelt ist, so wie an den Orcus der romanischen Mährchen erinnert, in welchen jener alte Todesgott gleichfalls wie ein schwarzes, behaartes und riesiges Ungethüm geschildert wirdGrimm D. M. 454, vgl. oben S. 47, 43.. Damals also sollen die Römer jenen Altar gestiftet, denselben aber nach dem Opfer wieder zugeschüttet haben, bis er bei einer außerordentlichen Veranlassung, wo dieselben Götter der Tiefe sich als heilende zu erkennen gaben, von neuem aufgefunden wurde. Bei einer schweren Seuche, welche Rom und die Umgegend verheerte, erkrankten dem Valesius, einem reichen Bauer in der Gegend des sabinischen Fleckens Eretum am obern Tiber seine Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, dergestalt daß man an ihrem Leben verzweifelte. Der Vater geht an den Heerd um warmes Wasser für die Fiebernden zu holen, da fällt er in seiner Verzweiflung nieder vor den Laren des Hauses und bietet sein Leben für das der Kinder. Alsbald ertönt eine Stimme, die Kranken würden genesen, wenn er sie auf dem Tiber nach Tarent bringe und dort mit warmem Wasser vom Heerde des Dis Pater und der Proserpina erquicke. Valesius denkt an die Stadt Tarent, trägt die Kinder in einen Kahn und schifft stromabwärts, bis ihn die Nacht am Marsfelde zu landen nöthigt. Die Kleinen liegen wieder im Fieber und leiden Durst; da er im Schitfe kein Wasser wärmen kann, hört er von dem Schiffer daß in der Nähe ein Rauch aufsteige, an einem Orte den man Tarentum nenne. Er erkennt seinen Irrthum, schöpft Wasser aus dem Flusse, wärmt dieses an jener Stelle und bringt es den Kindern, welche darauf in einen tiefen Schlaf fallen und genesen. Als sie erwachen erzählen sie dem Vater, sie hätten im Traume gesehn wie ihnen ein unbekannter Gott mit einem Schwamm den Körper abgewaschen habe; derselbe habe gefordert daß bei dem Altare des Dis und der Proserpina, woher ihnen der heilende Trank gekommen sei, dunkle Opferthiere geopfert und nächtliche Lectisternien und Spiele gehalten werden sollten. Der Vater läßt nun auf jener Stelle nachgraben; da findet sich zwanzig Fuß tief unter der Erde jener Altar mit einer 471 Dedication an die Unterirdischen. Als Valesius das vernommen, opfert er die dunklen Opferthiere (furvas hostias) und feiert die Spiele und Lectisternien drei Nächte hinter einander, weil ihm drei Kinder durch jene Götter vom Tode errettet worden warenVielmehr ist die Dreizahl der Kinder erst aus der Dreizahl der Nächte entstanden. Diese Zahl ist bei allen Sühnungen wie beim Todtendienste die heilige.. Es ist dieses die Familiensage der Valerier von dem Ursprunge der Secularspiele, deren Geschichte ein gelehrtes Mitglied dieser Familie, der Geschichtsschreiber Valerius Antias mit Eifer untersucht hatte. Valesius oder Valerius, der reiche sabinische Bauer, ist der Stammvater der römischen Valerii, deren Name Heil und Wohlsein bedeutete und wirklich der mythische Ausdruck alter gentiler Sacra der Heilgötter, in diesem Falle der unterirdischen, gewesen sein mag. In einem andern Berichte lautet die Erzählung noch wunderbarer. Ein Blitz schlägt die Bäume des Hains (der Laren) nieder, der vor dem Hofe steht. Das bedeutet den Tod der Kinder. Verzweifelnd fällt nun Valerius am Heerde nieder und verspricht seine Seele und die seiner Frau für die Kinder: da ertönt dieselbe Stimme aus dem zerstörten Haine. Immer ist die Hauptsache, daß er an jener Stelle im Marsfelde durch die unterirdischen Götter Genesung für seine Kinder gefunden und darauf den nächtlichen Gottesdienst derselben gestiftet habe. Er selbst, dieser Stammvater der Valerier, soll danach benannt worden sein Manius Valerius Terentinus, von den Manen, von der Heilung und nach dem Terentum.

Also wahrscheinlich Gentilsacra, welche wie so manche andre mit der Zeit zu öffentlichen erhoben wurden: wobei es interessant ist zu beobachten wie die doppelte Beziehung dieses Gottesdienstes, die auf die Unterwelt und die auf Heilung und Verjüngung, sich auch in dieser neuen Gestalt behauptet hat und immer dieselbe geblieben ist. Leider ist nur die Ueberlieferung von den römischen Secularspielen eine sehr verworrene. Die Familienansprüche der Valerier und die künstlichen Berechnungen und Erdichtungen der Sibyllinischen Quindecimvirn, welche seit August, vermuthlich auch schon früher officiell mit diesen Spielen zu thun hatten und sie deshalb möglichst alt zu machen suchten, endlich verschiedene Methoden ein sogenanntes Seculum zu berechnen durchkreuzen sich hier dergestalt, daß es schwierig ist eine klare Uebersicht der Hauptsachen zu gebenVgl. Roth über die römischen Secularspiele im Rh. Mus. f. Philol. 1853 S. 370 ff..

472 Was zunächst den Begriff eines Seculum betrifft, so ist derselbe in dieser Gestalt etwas Etruskisches und durch Vermittlung der etruskischen Haruspicin nach Rom gekommen. Zunächst bedeutet seculum dasselbe was Generation oder Zeitalter (αἰών), eine bestimmte Periode, innerhalb deren sich das Leben der Menschen oder der Staaten vollendet und abschließtVarro l. l. VI, 11, Censorin d. d. n. 17, Zosim. II, 1. O. Müller Etr. 2, 232 glaubt daß seculum und ἡλικία dasselbe Wort ist. Auf den iguvinischen Tafeln und oskischen Sprachdenkmälern bedeutet zicolom nicht seculum, sondern dies, s. Aufrecht und Kirchhoff Umbr. Sprachd. I, 107, II, 72.. Die Staaten durchleben viele Secula, der Mensch nur ein einziges, welches nach der Theorie der Etrusker für das Leben der Staaten zum Maaßstabe diente. Wer von den am Gründungstage einer Stadt Gebornen am längsten lebte, gab nach den etruskischen Ritualbüchern durch die Dauer seines Lebens bis zu seinem Todestage das Maaß des ersten Seculum, der von den an diesem Tage Gebornen am längsten Lebende das des zweiten u. s. f. Um aber solche Zeitabschnitte noch auffallender zu machen, werden von den Göttern vor dem Ablaufe jedes Seculums Zeichen geschickt, welche die Menschen auf eine neue Wendung der Dinge vorbereiten sollen: allerlei außerordentliche Naturerscheinungen, über welche in den Büchern der etruskischen Haruspices genaue Aufzeichnungen zu finden waren. Daher auch die Geschichtsbücher der Etrusker, welche nach Varro seit dem achten Seculum ihrer Nation geführt wurden, sowohl über die Zahl der ihrer Nation im Ganzen gegönnten Secula als über die Dauer, Wendepunkte und Zeichen der einzelnen Secula berichteten. Da stehe geschrieben daß die ersten vier Secula jedes 100 Jahre gedauert habe, das fünfte 123, das sechste 180, das siebente gleichfalls 180, das achte sei das laufende, das neunte und das zehnte seien noch zu erwarten und würden die letzten sein. Auch in Rom wurden ähnliche Zeichen beobachtet, z. B. im J. 666 d. St., 88 v. Chr., wo der Marsische Krieg zu Ende ging, der scharfe Klageton einer Trompete, welcher bei heiterm Himmel so laut ertönte, daß alle Menschen sich darüber entsetztenAuch Varro hatte davon erzählt, in einer eignen Schrift de seculis, s. Serv. V. A. VIII, 526, vgl. Suid. v. Σύλλας, Dio fr. 102 p. 91 Bekker.: worauf »die Weisen unter den Etruskern« sich in demselben Sinne, nur mehr im Geschmacke der Geistlichkeit vernehmen lassen. Ein andres Zeichen der Art schien dem etruskischen Aruspex Vulcatius der Stern zu sein, welcher 473 bei den Leichenspielen des Cäsar im J. 43 v. Chr. bei hellem Tage erschien und von Octavian für den Geist seines Adoptivvaters erklärt wurde. Jener Aruspex nannte ihn dagegen vor allem Volk einen Kometen, welcher den Ausgang des neunten und den Anfang des zehnten Seculums verkündige, mit dem Zusatze daß er selbst alsbald seinen Geist aufgeben werde, weil er gegen den Willen der Götter dieses Geheimniß verrathen habe. Und wirklich sank er noch vor dem Schluß seiner Rede entseelt zusammenServ. V. Ecl. IX, 47. Die Berechnung der dem römischen Volke zugemessenen Dauer von 1200 Jahren bei Censorin 17, 15 ist dagegen ein Resultat römischer oder umbrischer Auguralwissenschaft, nicht etruskischer Haruspicin..

Daß es auch die sibyllinischen Bücher an solchen Weissagungen von einer periodischen Erneuerung der Dinge nicht fehlen ließen, beweist das merkwürdige Gedicht Virgils, die vierte Ecloga. Auch waren es diese Bücher, welche zu der Stiftung regelmäßig wiederkehrender Secularspiele die erste Veranlassung gaben, wie es scheint erst im Verlaufe des ersten punischen Krieges; denn alle früheren Secularspiele sind erst durch spätere chronologische Klügelei in die römischen Annalen gekommen. Und zwar scheint man sich dabei eben an jene gentilen Traditionen der Valerier angeschlossen zu haben: ein Beweis mehr, daß diese wirklich früher des Dienstes der Unterirdischen auf dem Terentum pflegten, bis im Laufe des ersten punischen Kriegs die ersten öffentlichen ludi Tarentini und hernach, je nachdem man das Seculum zu 100 oder zu 110 Jahren berechnete, denselben Göttern regelmäßige ludi Seculares veranstaltet wurden. So soll schon der erste Consul P. Valerius Poplicola jenen von dem Ahnherrn seines Geschlechts gestifteten Gottesdienst auf Veranlassung einer Pest wiederholt haben, nach Einigen im J. 245, nach Andern im J. 250 d. St., dann wieder ein Valerier im J. 298 d. St., wo M. Valerius und Sp. Verginius Consuln waren: daher nachmals Einige jene Spiele des ersten Consuls, Andre diese spätern für die ersten römischen Secularspiele gehalten wissen wolltenVal. Max. II, 4, 6, Zosim. III, 3, vgl. Fest. p. 329, Censorin. 17, Plut. Popl. 21.. Eben so liegen über die zweiten ganz verschiedne Berichte vor, indem einige Referenten das J. 353 d. St. nennen, wo Rom wieder von Krankheit und Noth bedrängt gewesen sei und unter den Militärtribunen des Jahres wirklich wie 474 der ein Valerier genannt wirdL. Valerius Potitus IV. Zosimus II, 4 nennt ihn irrig einen Consul. Nach Liv. V, 13 wurde um dieselbe Zeit das erste Lectisternium gehalten., dahingegen Verrius Flaccus das J. 406 d. St., die Aufzeichnungen der Quindecimvirn, eine Hauptquelle dieser apokryphischen Nachrichten, dagegen das J. 408 genanntzu haben scheinenFest. p. 329 in einer verstümmelten Stelle nannte ein Jahr wo Popillius Laenas Consul war, vermuthlich das J. 406, M. Pop. Laen. IV, M. Valerio Corvo Coss., die Commentarii XV vir. b. Censorin 17 (p. 47 ed. O. Jahn) das J. 408, M. Valerio Corvo II, C. Poetilio Coss., immer solche Jahre wo ein Valerier Consul war.

Die wirklichen ersten Secularspiele, gewöhnlich galten sie für die dritten, wurden nach den glaubwürdigsten Berichten im J. 505 d. St., nach den Aufzeichnungen der Quindecimvirn im J. 518 gehalten, auf Veranlassung der sibyllinischen Bücher und als ludi Tarentini, aber mit dem Beschlusse (und erst dadurch wurden sie Secularspiele), daß sie fortan mit jedem neuen Seculo wiederholt werden sollten. Ohne Zweifel war es diesesmal noch der Glaube an Erneuerung der Zeiten und Abwendung einer schweren Gefahr, welcher den Anlaß zu der Wahl grade von diesen Spielen der Unterirdischen gab. Ist dieser Glaube mit der Zeit verloren gegangen, so war das die natürliche Folge der ganz mechanischen Berechnung des Seculums zu 100 oder 110 Jahren: denn so differirte nachmals die Rechnung, wovon eine neue Verwirrung der Zeiten und unter den Kaisern sogar eine lächerlich oft wiederholte Feier der Secularspiele die Folge war. Damals gab der ungünstige Verlauf des ersten punischen Kriegs und eine außerordentliche Sorge den Anstoß: nehmlich der Blitz hatte in die alte Servianische Mauer zwischen der p. Collina und Esquilina so heftig eingeschlagen, daß ein Theil derselben trotz ihrer außerordentlichen Festigkeit eingestürzt war. Die sibyllinischen Bücher versprachen Hülfe in der Noth, wenn man den unterirdischen Göttern, d. h. dem Dis und der Proserpina im Marsfelde (vielleicht wurden hier zuerst die griechischen Namen anstatt der älteren einheimischen genannt) in drei auf einander folgenden Nächten Tarentinische Spiele halte und dazu dunkle Opferthiere (furvas hostias) schlachte, auch eine regelmäßige Wiederkehr dieser Spiele nach Ablauf jedes Seculums gelobeCensorin 17, vgl. Comm. Cruq. z. Horat. Carm. Saec. 1, wo der Ursprung dieser Spiele sogar auf Numa zurückgefuhrt wird, Liv. Epit. l. XLIX, Val. Max. II, 5, 5. Bernays macht im Rh. Mus. f. Phil. XII (1857) S. 436 ff. darauf aufmerksam, daß mit dem J. 505 d. St. auch die regelmäßige und amtliche Aufzeichnung der Prodigien beginne, was wahrscheinlich mit der etruskischen Seculartheorie zusammenhänge.: das war also 475 die eigentliche Stiftungsurkunde, aus welcher die sacralen Bestimmungen jener Legende natürlich erst später entstanden sind. Andre sprechen von einer Feier dieses Festes an drei Tagen und drei Nächten und einem schon damals abgesungenen Secularcarmen; doch ist zu befürchten daß diese Angabe erst aus der späteren Feier der Secularspiele unter August auf diese frühere übertragen ist.

Neue Widersprüche sind hinsichtlich der vierten, eigentlich der zweiten Secularspiele zu schlichten. Wahrscheinlich wurden sie grade hundert Jahre nach den ersten, also im J. 605 d. St., 149 v. Chr., zu Anfang des dritten punischen Kriegs gefeiert. Doch verlegten sie Andre auf das J. 608, noch Andre, namentlich jene Commentare der Sibyllinischen Quindecimvirn, welche das Seculum zu 110 Jahren berechneten, auf das J. 628Censorin und Liv. Epit. l. c, Fischer, Rö. Zeittafeln z. J. 605. 628..

Die nächsten Secularspiele waren die des August, welche im J. 737 d. St., 17 v. Chr. gehalten wurden und in der Geschichte dieses Gottesdienstes in mehr als einer Hinsicht Epoche machen. In den Stürmen des letzten Ausganges der Republik war er so gut wie viele andre vergessen worden; August zog ihn nicht allein wieder hervor, sondern er erlaubte sich auch mehrere Neuerungen. Die merkwürdigste habe ich schon oben S. 275 beim Apoll besprochen; es ist die Verschmelzung des Dienstes der Unterirdischen mit dem der Capitolinischen Götter und seines Lieblings und Schutzgottes, des Palatinischen Apoll: eine Theokrasie welche in der Geschichte des römischen Gottesdienstes überhaupt sehr bemerkenswrerth ist und ohne Zweifel daher entsprang, daß nach dem damaligen Glauben die Gnade und Hülfe dieser himmlischen Götter als Schutzgötter des Staates und des Kaisers bei einem so verhängnißvollen Zeitabschnitte wohl noch wichtiger war als die der Unterirdischen. Dazu kam daß die Quindecimvirn der sibyllinischen Bücher, die eigentlichen Anstifter und Anordner der Tarentinischen Secularspiele, durch August zugleich die Priester des palatinischen Apoll geworden waren. Ihnen also wurde damals auch die Berechnung der Zeit überlassen, wobei sie das Seculum zu 110 Jahren nahmen und von dem J. 737 ruckwärts gehend auf die Jahre 628, 518, 408 und 298 geführt wurden, wo nach ihren Berechnungen also nun 476 die früheren Secularspiele trotz aller abweiehenden Ueberlieferungen guter Quellen gehalten sein mußtenCensorin l. c., vgl. Zosim. l. c., Sueton Octav. 31, Dio LIV, 18. Alle sprechen von den fünften Secularspielen, ein sichrer Beweis daß auch das bei Censorin erwähnte Edict des August nach vorhergegangner Berechnung der Quindecimvirn denselben Ausdruck gebraucht hatte. Die Disposition des Festes machte Atejus Capito, der berühmte Jurist und eben so große Kenner des pontificalen Rechts.. Ueber die Feier selbst geben Zosimus II, 5 und ein von ihm mitgetheiltes sibyllinisches Orakel, welches vermuthlich damals publicirt wurde, genaue Nachricht. Vorher, es war im SommerMan vermuthet im Juli, zur Zeit der ludi Apollinares. Die Angabe bei Zosimus κατὰ τὴν ὥραν τοῦ ϑέρους wird bestätigt von Claudian de VI Cons. Honor. 388 iam flavescentia centum messibus aestivae detondent Gargara falces etc., ging ein Herold durch Rom und durch Italien mit dem auch später bei derselben Gelegenheit wiederholten Rufe der Ankündigung von Spielen, quos nec spectasset quisquam nec spectaturus essetDiesen Herold sieht man auf den Münzen Augusts von diesem Jahre und auf denen der Gens Sanquinia, ferner auf denen Domitians, s. Eckhel D. N. VI p. 385. Ueberhaupt sind die röinischen Münzen, namentlich die Domitians, reich an Beziehungen auf diese außerordentliche Feier.. Einige Tage vor dem Feste wurden von den Quindecimvirn auf dem Capitol und im Tempel des Palatinischen Apoll die zu den vorgängigen Reinigungen nöthigen Materialien d. h. Fackeln, Schwefel und Asphalt vertheilt, wobei alle Sklaven als nicht zur Theilnahme berechtigt zurückgewiesen wurden. Zugleich erhielt das Volk an denselben Stätten und im T. der Diana auf dem Aventin eine Spende von Waizen, Gerste und BohnenAuf den Münzen Domitians, wo der Kaiser selbst bei diesen Vertheilungen präsidirt, werden diese FRVGes genannt, jene Reinigungsmittel (τὰ καϑάρσια, λύματα) dagegen SVFfimenta.. Dann begann die eigentliche Feier, welche jetzt sowohl den obern Göttern als den untern galt, also sowohl bei Tage als bei Nacht stattfand, drei Tage und drei Nächte hinter einander. Geopfert wurde dem Jupiter und der Juno auf dem Capitol, dem Apollo, der Latona und der Diana im kaiserlichen Palaste, und endlich den Parcen, den Göttinnen der Geburt und dem Dis nebst der Ceres und Proserpina d. i. der herkömmlichen Gruppe unterirdischer Gottheiten. In der ersten Nacht begab sich der Kaiser nach dem Terentum, um dort an drei Altären drei schwarze Lämmer zu opfern, welche ganz verbrannt wurdenNach den Münzen Domitians wurde bei derselben Gelegenheit von dem Kaiser der Tellus ein Schwein geopfert, vgl. Horat. Carm. sec. 29 nach Andern in dieser ersten Nacht am Tiber den Unterirdischen ein Bock und ein Lamm, später auf dem Capitole dem Jupiter ein Stier. Auch der Gesang der Knaben und Mädchen im T. des Palat. Apoll, gleichfalls in Gegenwart des Kaisers, ist auf diesen Münzen abgebildet.. Zugleich wurde auf einer Bühne bei 477 künstlicher Beleuchtung ein für diese Gelegenheit gedichteter Gesang vorgetragen, auf welchen die herkömmlichen Spiele folgten. An dem auf diese Nacht folgenden Tage zog eine Procession aufs Capitol, um hier die vorgeschriebenen Opfer zu bringen, und von dort zu jener Bühne, um Apollo und Artemis zu feiern. In den folgenden Nächten scheinen die Opfer und Spiele der Unterirdischen wie früher fortgedauert zu haben; am zweiten Tage aber zogen die Frauen aufs Capitol, um dort auch ihrerseits zu beten und zu singen. Endlich am dritten Tage wurde der Gesang im Tempel des Palatinischen Apollo von neun Knaben und Mädchen aufgeführt, verschiedne Hymnen und Päane in griechischer und in lateinischer Sprache, darunter bekanntlich das für diese Gelegenheit bestimmte Gedicht des Horaz.

Auf diese Spiele des August folgten schon im J. 800 unter Claudius neue Secularspiele, weil dieser Kaiser, beiläufig ein gelehrter Alterthümler, der Ueberzeugung war daß August und seine Rathgeber nicht die rechte Zeit beobachtet hätten. Also ging er auf die allerdings besser beglaubigte Ueberlieferung zurück, nach welcher die dritten und vierten Secularspiele um 500 und 600 gefeiert worden waren, behauptete daß die fünften hätten um 700 gefeiert werden müssen, und glaubte seinerseits die eben bevorstehenden nicht unterlassen zu dürfen. So zog denn wieder der Herold mit seinem stattlichen Rufe durch Stadt und Land, wurde aber nicht wenig ausgelacht, da wohl noch Manche lebten, die vor 63 Jahren die Spiele des Augustus mitgemacht hatten; ja es fand sich sogar ein Mime, der damals getanzt hatte und jetzt von neuem auftratSueton Claud. 21, Plin. H. N. VII, 48, 49, Censorin 17, 11.. So gab es nun vollends zwei verschiedene Canones, welchen die späteren Kaiser nach Belieben folgen konnten. Und wirklich fanden beide ihre eifrigen Anhänger, was bei der zunehmenden Lust an Schauspielen aller Art nicht auffallen kann. So folgte dem Canon des August zunächst Domitian bei der im J. 841, also 41 Jahre nach der des Claudius veranstalteten Feier, von welcher sowohl die Dichter als die Münzen der Zeit zeugen und bei denen der Geschichtsschreiber Tacitus als Quindecimvir beschäftigt gewesen sein mußTacit. Ann. XI, 11, vgl. Martial. IV, 1, 5, X, 63, Stat. Silv. I, 4, 17, IV, 1, 37, Sueton Domit. 4, Zosim. II, 4, Censorin l. c. Der Altar im Terentum wurde nach jeder Feier wie der des Consus von neuem zugeschüttet.: ferner Septimius 478 Severus im J. 957 d. St., die achten Secularspiele in der ganzen Reihe, wobei freilich der Abstand von 110 Jahren nicht ganz genau beobachtet wurdeHerodian III, 8, Eckhel D. N. VII p. 185.. Dahingegen dem das Seculum zu 100 Jahren berechnenden Canon des Claudius vielleicht Antoninus Pius folgteAurel. Victor Caes. 15 celebrato magnifice Urbis nongentesimo., dann gewiß die beiden Philippe, Vater und Sohn, welche im J. 1001 nach sicherer Ueberlieferung der Münzen und der Schriftsteller wieder Secularspiele gefeiert habenAur. Vict. Caes. 28, vgl. Eckhel D. N. VII p. 323 sqq. und den Chronogr. v. J. 354 p. 647 ed. Mommsen: Hi seculares veros in Circo Max. ediderunt.. In den folgenden Zeiten ging man sogar noch einen Schritt weiter, indem man fortgesetzt an beiden Canones festhielt, aber das Maaß eines Seculums auf die Hälfte reducirte, also das des August auf 55, das des Claudius auf 50 Jahre. So ist es zu erklären daß Gallien schon wieder im J. 1012, also 55 Jahre nach den Spielen des Septimius Severus, und Diocletian und Maximian im J. 1051, also 50 Jahre nach denen der beiden Philippe Secularspiele hieltenEckhel D. N. VII p. 409, VIII p. 20 sqq.. Diese sind aber auch die letzten geblieben, denn weiterhin, in den Zeiten des Constantin, war das Heidenthum schon zu ohnmächtig geworden, als daß man auf diese veralteten Traditionen wieder hätte zurückkommen mögen.


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