Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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2. Die Devotion.

Die furchtbare Seite der Unterwelt tritt am meisten in dem alterthümlichen Gebrauche der devotio hervor. Diese ist eine eigenthümliche Art von votum d. h. an die unterirdischen Götter gerichtet und ein Gelübde auf den Tod und gänzliches Verderben der Feinde, indem man durch gewisse Opfer und Ceremonien die Mächte der Unterwelt gegen diese zu erregen glaubte. In gewissen Fällen ist sie mit stellvertretender Selbstaufopferung verbunden, wenn nehmlich ein großes Unheil für eine Stadt, ein Heer, ein Land u. s. w. zu befürchten war und ein Bürger oder der Feldherr den grollenden Zorn der Götter dadurch auf sich lud, daß er sich den Unterirdischen für Alle preisgab. In Rom knüpfte sich eine solche Erinnerung an den 1. Curtius auf dem Forum, welcher seinen Namen nach Einigen von dem Sabiner Mettus Curtius bekommen hatte, welcher durch seinen Sturz in dieses Wasser den Sieg des T. Tatius entschieden habe, nach Andern von einem edlen Römer M. CurtiusLiv. VII, 6, Dionys. II, 42, Dio Cass. fr. 30 p. 26 Bekk.. Ein gräßlicher, unergründlicher Schlund öffnet sich mitten auf dem Forum, der nicht ausgefüllt werden kann, es sei denn daß das römische Volk sein Bestes hinein werfe. Da stürzt sich M. Curtius, der beste Krieger seiner Zeit, in voller Waffenrüstung hinein, nachdem er sich vorher devovirt und dabei feierlich zu den Göttern der Ober- und der Unterwelt gefleht hatte. Hinter ihm schüttet das Volk fromme Gaben und Feldfrüchte in den Abgrund, der sich über dem 467 Helden schließt: eine Erzählung welche sehr an jenen Mundus auf dem Comitium (S. 456) erinnert. Ein andrer Fall der Art ist die Devotion der Alten nach der Schlacht an der Allia (S. 124), ein dritter und der bekannteste die Devotion der beiden Decier, des Vaters und des Sohnes, in den verhängnißvollen Kriegen mit den Latinern und SamniternLiv. VIII, 6. 9. 10, X; 28. 29, Val. Max. 1, 7, 3.. Eine nächtliche Erscheinung sagt es den römischen Consuln, daß die Unterwelt, wenn sich einer der beiden Feldherrn devovire, das ganze Lager der Feinde dem Untergang preisgeben werde. Am andern Morgen kommt es zur Schlacht, der Flügel des Decius weicht, also ruft er den Pontifex herbei, um sich und die Schaaren der Feinde der Unterwelt weihen zu lassen. Der Pontifex heißt ihn die Prätexta anlegen (das Feierkleid aller sacralen Gelegenheiten), den Kopf verhüllen, die Hand unter der Toga ans Kinn legen, sich mit den Füßen auf einen Speer stellen, und so die Devotionsformel nachsprechen: »Janus, Jupiter, Vater Mars, Quirinus, Bellona, ihr Laren, Novensilen, Indigeten, ihr Götter die ihr über uns und über die Feinde Macht habt und alle guten Geister (Diique Manes), ich rufe euch, ehre euch, bete zu euch um Gunst und Gnade, daß ihr der römischen Quiritengemeinde Kraft und Sieg verleihen, die Feinde aber der römischen Quiritengemeinde mit Furcht, Schrecken und Tod schlagen wollt. Wie ich es mit Worten gesagt, so weihe ich für das gemeine Wesen der Quiriten, das Heer, die Legionen und Hülfsvölker der Quiritengemeinde die Legionen und Hülfsvölker der Feinde mit mir allen guten Geistern und der Erde (Diis Manibus Tellurique)«. Darauf gürtet er sich mit dem Gabinischen Gurt, springt in voller Rüstung aufs Pferd und jagt mitten hinein in die feindlichen Heerschaaren. Es war als ob ein wilder Geist des Schreckens vor ihm hergehe, als ob er die Feinde mit sich in die Unterwelt hinabziehe. Wie er sank, wie er stürzte, ergossen sie sich in wilder Flucht über das Blachfeld; man fand seinen Leichnam erst am folgenden Tage, so dicht waren die feindlichen Leichen und Speere über ihm aufgeschüttet. Livius setzt zur Erläuterung des Gebrauches hinzu, daß der Oberfeldherr, wenn er die Legionen der Feinde devovire, nicht immer sich selbst zu devoviren brauche, sondern daß auch jeder andre römische Bürger und Legionarsoldat seine Stelle vertreten könne. In dem Falle daß der Devovirte nicht selbst umkomme müsse ein wenigstens sieben Fuß hohes Bild von ihm in der Erde begraben und darüber ein blutiges Sühnopfer gebracht werden; wo 468 ein solches Bild begraben sei, dürfe kein römischer Magistrat seinen Fuß hinsetzen. Wenn ein Oberfeldherr sich devovire und nicht wie Decius wirklich den Tod leide, so könne derselbe ferner keine gottesdienstliche Handlung begehn, weder in seinem eignen noch in des Staates Namen. Bei der Devotion thue er gut seine Waffen dem Vulcan oder sonst einem Gotte zu weihen. Der Speer, auf welchem er bei der Devotionsformel gestanden, dürfe nicht in die Hände des Feindes kommen; geschehe es, so müsse Mars mit Suovetaurilien gesühnt werden. So sehr war auch hier das Ceremoniel ins Einzelne ausgebildet, ein sichrer Beweis daß solche Devotionen in dem ältern Italien bei dem blutigen Wechsel der Schlachten unter so vielen streitbaren Völkern nichts Seltenes waren. Auch liegt etwas Aehnliches in solchen Fällen zu Grunde, wo ganze Schaaren sich dem Tode weihen, wie bei einem Ausfall der Etrusker aus Fidenä, wo eine Schaar sich mit brennenden Fackeln und in wilder Begeisterung, wie Furien auf die Römer stürztLiv. IV, 33. So sieht man auch die etruskischen Priester hin und wieder mit Schlangen und Fackeln, s. Dennis a. a. O. 1, 256., desgleichen bei der oben S. 311 besprochenen Vereidigung ganzer Schaaren zum Kampfe auf Leben und Tod. Ja es pflegten auch belagerte Städte auf ähnliche Weise devovirt zu werden, nachdem ihre Götter zuvor evocirt worden waren, gleichfalls mit einem bestimmten Ritus, von welchem uns aber nur die Devotionsformel bekannt ist, welche sich der Evocationsformel unmittelbar anschloß und gleichfalls mit der Berufung sowohl der Mutter Erde als des Jupiter endeteMacrob. III, 9, 9, wo aber auch die Formel überarbeitet ist. Er setzt hinzu: In Antiquitatibus autem haec oppida inveni devota: Stonios(?), Fregellas, Gabios, Veios, Fidenas, haec intra Italiam, praeterea Carthaginem et Corinthum, sed et multos exercitus oppidaque hostium Gallorum, Hispanorum, Afrorum, Maurorum aliarumque gentium, quas prisci loquuntur Annales. Vgl. Iul. Capitol. Max. et Balb. 8 und Flav. Vopisc. Aurelian. 21.. So wird auch die in den römischen Annalen wiederholt erwähnte Ceremonie der lebendigen Vergrabung eines Mannes und einer Frau von ausländischem Herkommen auf einer gewissen Stelle des Forum Boarium am besten als Devotion aufzufassen sein, indem aller Wahrscheinlichkeit nach dieses Paar, der Grieche und die Griechin, der Celte und die Celtin u. s. w. stellvertretend die ganze Nation bedeuten, also diese devovirt werden sollteWenigstens muß man dieses nach der Art wie Plinius H. N. XXVIII, 2, 3 davon spricht voraussetzen: Boario vero in foro Graecum Graecamque defossos aut aliarum gentium cum quibus tum res esset etiam nostra aetas vidit etc., während andre Schriftsteller diese Opfer als Sühnungsopfer schildern, die auf Veranlassung der sibyllinischen Bücher von Zeit zu Zeit wiederholt wurden, s. Becker Handb. d. R. A. 1, 485.. Ja 469 diese Art von Verfluchungen und Verzauberungen (devotiones und defixiones), wodurch man sich im öffentlichen und im privaten Leben seiner Feinde oder selbst der Angehörigen zu entledigen suchte, wurde mit der Zeit immer häufiger, vorzüglich unter den bösen Kaisern, einem Tiberius und einem Nero, wo der wildeste Aberglaube und die schmählichste Angeberei mit einander wetteifertenTacit. Ann. II, 69, III, 13, IV, 52, XII, 65, XVI, 31. Vgl. Plin. H. N. XXVIII, 2, 4 defigi quidem diris precationibus nemo non metuit, die Inschriften b. Henzen z. Or. 6114 ff., 7408. 7409 und Marquardt Handb. IV, 134..


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