Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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5. Acca Larentia und Dea Dia.

Acca Larentia und Dea Dia können nicht wesentlich von einander verschieden sein, da beide Göttinnen der römischen Stadtflur sind und die eine den Dienst der andern stiftet. Vielmehr ist Acca Larentia die mythologische und mährchenhafte, Dea Dia die ernstere, im Cultus der Arvalischen Brüder festgehaltene Seite einer und derselben Göttin, welche mit der alten italischen Tellus, Ops und Ceres identisch gewesen sein wird und nur durch ihre specielle Beziehung auf den Segen und die Pflege der römischen Stadtflur diesen ihren eigenthümlichen und örtlichen Character bekommen haben kann.

Acca Larentia ist eigentlich die Laren-Mutter, unter welchem Namen uns die Erdgöttin der fruchtbaren Tiefe, welcher man die Saaten und die Todten anvertraute, später von neuem begegnen wird. Acca ist i. q. Atta, dasselbe Wort welches die Kindersprache aller Orten wiederholt und auch im Sanskrit in der Form akka die Mutter bedeutet; Larentia hängt deutlich genug mit den Laren zusammen. In der römischen Stadtsage erscheint sie bald als Buhle des Hercules, welcher in dieser Verbindung ganz der schöpferische und segnende Genius der römischen Stadtflur ist, bald als Pflegemutter der Zwillinge und Mutter der ersten zwölf Arvalischen Brüder. Das Mährchen von ihrer Buhlschaft mit Hercules wurde mit einigen Abweichungen auch von der Flora und einer sonst nicht bekannten Göttin Favola oder Faula erzählt, welche wohl der Fauna gleichzustellen istMacrob. S. I, 10, 11 ff., Gell. N. A. VII (VI) 7, Plutarch Rom. 4. 5, Qu. Ro. 35, Lactant. 1, 20, 5. Vgl. Tertull. ad Nat. II, 10. Augustin C. D. VI, 7.; 423 jedenfalls waren alle drei Göttinnen, Flora, Fauna und Acca Larentia, einander nahe verwandt. Der Küster des Hercules kommt in einer müßigen Stunde auf den Einfall, mit dem üppigen Segensgotte um ein üppiges Mahl und eine schöne Dirne zu würfeln, wobei er mit der einen Hand für den Gott dem er dient, mit der andern für sich selbst würfelt. Natürlich gewinnt Hercules, worauf der Küster ihm das schönste Mädchen der Zeit, Acca Larentia zuführt, mit welcher er sich in seinem Tempel beim fröhlichen Mahle gütlich thut. Als sie am andern Morgen davon geht, giebt ihr der Gott alles unverhofften Glücks ein solches mit auf den Weg. Es begegnet ihr nehmlich ein reicher alter Herr, ein tuscischer Gutsbesitzer Namens TarutiusTarutius oder Tarrutius lautet der Name bei den meisten Schriftstellern, Carutius bei Macrobius. Die Erinnerung an das Legat der Vestalin Gaia Taracia scheint sich mit dem Mährchen von der Acca Larentia verschmolzen zu haben., der von ihren Reizen hingerissen ihr Mann wird und bald darauf verstorben sie als reiche Erbin hinterläßt: worauf die Gute nach Einigen dem Romulus, nach Andern, welche diese Geschichtc in die Zeit des Ancus verlegten, dem römischen Volke alle ihre Besitzungen vermacht; Cato wußte sogar die Namen der Fluren zu nennen, welche durch sie an das römische Volk gekommen warenMacrob. 1, 10, 16 Cato ait Larentiam meretricio quaestu locuptetatam post excessum suum populo Romano agros Turacem, Semurium, Lintirium et Solinium reliquisse et ideo sepulchri magnificentia et annuae perentationis honore dignatam. Der ager Semurius wird auch bei Cic. Phil. VI, 5, 14 erwähnt. Ueber die Vestalin Taracia s. Plin. H. N. XXXIV, 6, 11, Gell. N. A. VII (VI), 7., wie später die Vestalin Gaia Taracia der Stadt den campus am Tiber vermacht hatte. Endlich verschwindet Acca Larentia an demselben Orte, wo ihr seitdem alljährlich am 23. Dec., dem Tage des Larentinal oder der Larentalia, ein Todtenopfer gebracht wurde, im Velabrum, wo man auch ihr Grab zeigte. Das Opfer wurde von dem Quirinalischen Flamen und den Pontifices dargebracht und auch Jupiter dabei angerufenVarro l. l. VI, 23, Verr. Fl. z. Fast. Praen., Ovid F. III, 55 ff., Macrob. I, 10, 11. 15. Ueber das Oertliche Becker S. 492. Die Pontifices nennt Cic. ep. ad. Brut. 1, 15, 8, den fl. Quiriualis Gellius l. c.. Bekannter war die Geschichte von der Pflegemutter des Romulus,welche daher gewöhnlich mit jener andern combinirt wurdeLiv. I, 4, Ovid F. III, 53 ff., Plut. Rom. 4, Qu. Ro. 35, Lactant. 1, 20 u. A., wie denn auch diese Acca Larentia oft eine Buhlerin heißt, lupa, welches Thier auch 424 in der deutschen Thierfabel verliebter Natur ist. Nach der ältern Ueberlieferung aber war sie die Frau des Hirten Faustulus, den ich für den palatinischen Faunus halte. Und von eben dieser Acca Larentia, der Gattin des Faustulus und Pflegemutter des Romulus, wird dann weiter erzählt, daß sie zwölf Söhne gehabt und mit diesen jährlich einmal pro agris geopfert habe. Als einer von ihnen gestorben, sei Romulus als Adoptivsohn statt seiner eingetreten und habe darauf mit seinen Adoptivbrüdern das Collegium der sogenannten fratres Arvales gestiftet, welche an dem priesterlichen Abzeichen eines Aehrenkranzes mit weißer Rinde zu erkennen waren und für eins der ältesten und heiligsten Institute in ihrer Art galtenPlin. H. N. XVIII, 2, Gell. l. c., Fulgentius p. 560.. Schon ihr Name und dieses Symbol des Aehrenkranzes bezeichnet deutlich genug ihre Bestimmung für den Cult einer Flur oder AckergöttinPlin. l. c. nennt sie arvorum sacerdotes. Vgl. Varro l. l. V, 85 Fratres Arvales dicti sunt qui sacra publica faciunt propterea ut fruges ferant arva, a ferendo et arvis Fratres Arvales dicti. Sunt qui a fratria dixerunt; fratria est graecum vocabulum partis hominum, ut Neapoli etiam nunc. Vielmehr ist fratres zu verstehn wie sodales, s. oben S. 111. Die fratres Arvales werden sonst nur noch bei Minuc. Fel. Octav. 25 genannt., welche freilich in dem Culte selbst einen andern Namen führte, aber von der fruchtbaren Laren-Mutter, welche diesen Cult mit ihren Söhnen gcstiftet hatte, schwerlich wesentlich verschieden gewesen ist.

Näheren Aufschluß über diesen Gottesdienst und die für ihn bestimmte priesterliche Brüderschaft erhalten wir durch die oben S. 39 erwähnten amtlichen Protokolle, welche zwar sämmtlich aus späterer Zeit (sie beginnen mit der Zeit des August und reichen bis in die des Gordian) und in ihren Ausdrücken nicht immer verständlich sind, aber in der Hauptsache dennoch eine eben so vollständige als belehrende Uebersicht geben, eine um so wichtigere, weil man nach dieser Analogie zugleich über viele verwandte Thatsachen des römischen Gottesdienstes urtheilen darf. So erfahren wir zunächst über das Collegium der fratres Arvales, daß es sich wie alle Institute der Art durch Cooptation ergänzte, wobei wie bei den Saliern die angesehensten Familien es sich zur Ehre rechneten, wenn die Wahl ihre Mitglieder traf. Der Vorsteher des Collegiums hieß wie gewöhnlich Magister; vermuthlich galt Romulus in seinen Acten für den ersten Inhaber dieser Würde. Er wurde wie die übrigen Beamteten von Jahr zu Jahr bei der Feier im Haine der Göttin neu erwählt und hatte neben sich als eventuellen Stellvertreter einen Promagister. 425 Außerdem gab es einen eignen Flamen und zu seiner Stellvertretung gleichfalls einen Proflamen und zu den dienenden und helfenden Verrichtungen bei den Opfern und Opfermahlzeiten wie gewöhnlich sogenannte Camilli d. h. ministrirende Knaben, welche wie immer patrimi matrimi sein mußten und gleichfalls aus den besten Familien ausgehoben wurden. Außer ihnen gehörte noch eine zahlreiche Dienerschaft von Schließern, Ausrufern, Schreibern, Aufwärtern u. s. w. zu diesem Cultus, wie man sich denn die ganze Ausrüstung und das Auftreten dieser Brüderschaft und überhaupt der höheren priesterlichen Collegien in Rom als ein sehr vornehmes und glänzendes zu denken hat. Die Versammlungen und priesterlichen Functionen der Brüder waren ordentliche oder außerordentliche, wie sie von gewissen regelmäßigen gottesdienstlichen Obliegenheiten oder von außerordentlichen Veranlassungen herbeigeführt wurden. Der Mittelpunkt aller gottesdienstlichen Verrichtungen war der Dienst der Dea Dia, so heißt die Göttin der fratres Arvales in diesen Urkunden, während wir aus andern Quellen von einer Göttin dieses Namens nichts erfahren. Offenbar war es eine Erd- und Ackergöttin, vermuthlich wie bemerkt identisch mit der Tellus, Ceres oder Ops, aber auch der Flora und der Fauna nahe verwandt und speciell eine Göttin der römischen Stadtflur, deren Wünsche und Hoffnungen von den Arvalischen Brüdern vertreten wurden. Der Hain dieser Göttin lag nicht weit von der Stadt am rechten Ufer des Tiber, an der Via Campana d. h. Feldstraße, fünf Millien vom Thore, in derselben Gegend wo auch jene Urkunden größtentheils gefunden worden sind und wo sich durch Nachgrabung gewiß noch andre Denkmäler der Art würden auffinden lassenDer Ort heißt jetzt Affoga l'asino und liegt grade vier Millien vor dem jetzigen Stadtthor an der Via Portuese, was genau zu jenen Angaben paßt. Im Jahre 1573 wurden dort 19 solcher Tafeln und bei andern Gelegenheiten andre ausgegraben, während sich andre in der Nachbarschaft verschleppt haben. Ueberdies läßt sich aus Aufzeichnungen des 16. Jahrhunderts nachweisen, daß selbst die alten Gebäude des Hains sich zum Theil bis zu jener Zeit erhalten hatten, s. Abeken Ann. dell' Inst. 1841 p. 121, Melchiorri Append. agli Atti e Mon. de' Fr. Arv. p. 57, De Rossi Bullet. d. Inst. Arch. 1855 p. LIV. Ueber die Via Campana s. meine Regionen S. 97. 230.. In diesem Haine wurden auch die wichtigsten Acte des jährlichen Gottesdienstes der Dea Dia vorgenommen, während andre vorbereitende oder beschließende in der Stadt und zwar in dem Hause des Magister oder Promagister stattfanden. Und zwar geschah dieses jährlich im Mai, um die Zeit da die ersten Feldfrüchte reif waren 426 und die Erndte bald beginnen konnte, so daß sich diese Feier der Dea Dia wohl mit den gewöhnlichen Gebräuchen der porca praecidanea und des praemetium auf dem Lande vergleichen läßtVom 7. bis zum 14. Mai sammelten die Vestalinnen die spicas adoreas (Dinkel, Spelt) zu dem von ihnen bereiteten far pium, Serv. V. Ecl. VIII, 82. Unbekannt ist die Beziehung von Paul. p. 91 Florifertum dictum quod eo die spicae feruntur ad sacrarium.. Auch war diese Feier wie die meisten agrarischen keine feststehende, sondern sie wurde zu Anfang jedes Jahrs von dem Magister des Collegiums angesagt, nach den vorhandnen Urkunden indessen so, daß sie entweder auf den 17., 19. und 20. Mai oder zehn Tage später auf den 27., 29. und 30. Mai fiel. Immer wurde der erste Festtag domi d. h. im Hause des Magister oder Promagister, also in der Stadt begangen, der zweite als der heiligste im Haine der Dea Dia vor der Stadt, der dritte als eine abschließende Nachfeier wieder »zu Hause«. Die Feier des ersten TagsDie ältern Urkunden berichten über diese Gebräuche kürzer, die späteren immer ausführlicher, als ob sich die Sicherheit der mündlichen Tradition mit der Zeit verloren hätte. So ist hier und überhaupt besonders tab. XLIa. b. zu vergleichen, die wichtigste unter allen diesen Urkunden, welche aber erst aus der Zeit des Elagabal ist. bestand in einem Morgengottesdienste und in einem gemeinschaftlichen Mahle der Brüder und der ministrirenden Knaben, welches Nachmittags gehalten wurde. Am frühen Morgen wurde zunächst der Dea Dia mit Weihrauch und Wein geopfert, darauf trockne Früchte d. h. die Cerealien des vergangnen Jahrs und grüne d. h. frische des neuen Jahrs berührtDer Ausdruck der Urkunden ist: fruges aridas et virides contigerunt, wo contingere wohl ein weihendes Berühren und Kosten bedeutet, s. Plin. H. N. XVIII, 2, 2 ac ne degustabant quidem novas fruges aut vina antequam sacerdotes primitias libassent, und XXVIII, 2, 5 cur ad primitias pomorum haec vetera esse dicimus, alia nova optamus? Vgl. oben S. 175. Fruges sind Feldfrüchte, speciell Cerealien, s. Marini p. 201. Heilige Brode kommen auch sonst vor, s. oben S. 323, 729. Hier sind sie zur Weihe mit Lorbeer bekränzt und vermuthlich von frischem Korn gebacken., auch mit Lorbeer bekränzte Brode herumgereicht und das Bild der Dea Dia gesalbt; worauf eine kurze Sitzung gehalten und somit dieser Act beschlossen wurde. Nach Mittag kamen die Brüder, nachdem sie gebadet, von neuem zusammen, speisten zunächst, wie auch die vier ministrirenden Knaben, opferten dann von neuem mit Weihrauch und Wein, worauf die Knaben nach der frommen Sitte der Alten, die bei jeder Mahlzeit beobachtet wurdeServ. V. A. I, 730 apud Romanos coena edita sublatisque mensis primis silentium fieri solebat, quoad ea quae de coena libata fuerant ad focum ferrentur et igni darentur ac puer deos propitios nuntiasset: wobei für gewöhnlich an die Laren und Penaten zu denken ist., mit 427 Hülfe von Dienern von den Speisen, namentlich den neuen Früchten des Jahres einige zum Altare trugen (fruges libatae), empfingen darauf Salben und Kränze, berührten noch einmal die neuen Früchte der Ceres und schritten so zum Nachtisch, dessen Abhub wie die Salben und die Rosen der Kränze vertheilt und mit nach Hause genommen wurden, sobald die Brüder mit dem gewöhnlichen Rufe Glück auf (feliciter) auseinander gingen. Der nächste Tag verging ohne Feier, an dem darauf folgenden aber, entweder am 19. oder am 29. Mai, versammelten sich die Arvalen früh Morgens im Haine der Dea Dia vor dem Thore, in welchem außer dem auf einer Anhöhe gelegnen Hain der Göttin im engeren Sinne verschiedne Gebäude und Anlagen genannt werden, ein Tempel, ein großer Altar und mehrere andre Opferheerde und Altäre, ein sogenanntes Tetrastylum und ein Circus. Eröffnet wurde die Feier dieses Tages durch ein vom Magister dargebrachtes Sühnopfer zweier Ferkel und das Ehrenopfer einer weißen KuhAd aram immolavit porcilias piaculares duas luci coinquendi et operis faciundi, ibique vaccam honorariam albam ad foculum immotavit. Lucum coinquire ist i. q. collucare, sublucare arbores, opus facere ist den Gottesdienst verrichten, s. Marini p. 309. 339. Offenbar säuberte man den Hain, ehe man die heiligen Gebräuche in ihm vornahm, und brachte eben deshalb vorher das Sühnopfer, s. oben S. 371, 882. 406, 992. Die vacca honoraria bildet als honoris ergo dargebrachtes Opfer einen Gegensatz zu den porciliis piacularibus, s. Marini p. 310. Ohne Zweifel galt sie der Dea Dia als der lichten und wohlthätigen Ackergöttin. Die Eingeweide dieser Kuh wurden auf einem Altare in dem Circus niedergelegt.. Darauf versammelten sich alle Brüder in dem Tetrastylum, genossen von den Sühnferkeln und ihrem Blute und zogen darauf in Procession, mit verhülltem Kopfe und mit dem von Romulus verordneten Aehrenkranz mit weißer Binde geschmückt hinauf zum Haine, wo der Magister im Namen Aller ein fettes Lamm opferte, dessen Eingeweide der Zeichen wegen mit Fleiß beschaut wurden. Nach diesem Opfer spendeten Alle mit Weihrauch und Wein, kehrten darauf zum Tempel zurück und brachten dort eine Gabe in Töpfen dar, während der Magister und der Flamen ein andres Opfer vor dem Tempel auf grünem Rasen vollzogen. Es folgten noch andre Ceremonien, die nicht mehr verständlich sind; namentlich heißt es daß zwei Brüder mit einigen Dienern ausgegangen seien um »Früchte« zu holen, welche sämmtliche Brüder sich dann unter einander von Hand zu Hand zureichten, bis sie in die Hände der begleitenden Diener 428 zurückkehrten: eine neue Weihe der Feldfrüchte, wie es scheint, bei welcher vermuthlich ein heiliger Acker in der Nähe des Hains oder in demselben vorauszusetzen ist. Darauf begaben sich die Brüder wieder in den Tempel, sprachen ein Gebet über die Töpfe, öffneten die Thür und lagerten sich an dem Abhange, setzten sich darauf auf steinerne Bänke und ließen mit Lorbeer bekränzte Brode unter dem versammelten Volke austheilen, salbten die Bilder u. s. w., bis endlich der Tempel geschlossen und alle Diener aus demselben entfernt wurden. Nun begann ein Tanz (tripudium) um den Altar, bei welchem sich die Brüder aufgürteten und in drei Gruppen, wie es scheint, theilten, und der Gesang eines alterthümlichen Liedes, wozu der geschriebene Text unter den Brüdern vertheilt wurde, denn es kam hier wie immer ganz wesentlich auf die Worte an, auch wenn der Sinn nicht mehr verstanden wurde. Glücklicher Weise ist auch dieses Lied, ein an Mars und die Laren gerichtetes kurzes Gebet, urkundlich bewahrt worden. Der Text lautet in der alterthümlichen Sprache so:

E nos Lases iuvate,
Neve luerve Marmar sins incurrere in pleoris.
Satur furere Mars limen sali, sta berber.
Semunis alternei advocapit conctos.
E nos Marmor iuvato.
Triumpe, Triumpe.

Der Sinn scheint in das gewöhnliche Latein übertragen dieser zu sein: Age nos Lares iuvate. Neve luem Mars sine incurrere in plures. Satur furere Mars limen sali, sta verbere. Semones alterni advocabite cunctos. Age nos Mars iuvato etc.E steht entweder wie in den Schwurformeln Ecastor, Equirine, Eccere, oder es ist mit nos zu verbinden, wie in eccum, ellum, ellam u. dgl. Luerve ist luervem d. i. luerem, luem. Sins scheint eine veraltete Imperativform zu sein für sine, vgl. Fest. p. 205 in Saliari carmine – prospices prospice – perfines perfringas. Pleoris sind plures, der Sinn wie οἱ πολλοί, plebs, das VoIk. Zu satur furere vgl. Horat. Od. 1, 2, 37 heu nimis longo satiate ludo. Ueber das Folgende s. oben S. 308, sta verbere (das e ist am Schlusse weggefallen wie in advocapit) ist zu verstehen: Stehe still, halte Ruh mit deiner Geißel, vgl. Ovid Met. XIV, 821 conscendit equos Gradivus et ictu verberis increpuit. Advocapit ist das Futurum anstatt des Imperativs. Daß die Tanzenden in drei Gruppen vertheilt waren folgere ich aus der dreimaligen Wiederholung des Textes in der Urkunde. Außer den S. 39, 31 Citirten vgl. Mommsen R. G. 1, 204.. Zu Deutsch: Helfet uns ihr Laren. Laß keine Seuche über das Volk kommen Mars. Satt vom Rasen kehre heim in deinen Tempel und 429 höre auf zu geißeln deine Streitrosse. Rufet abwechselnd alle Semonen u. s. w. Also im Wesentlichen derselbe Inhalt wie sonst bei solchen Gebeten, nehmlich die Bitte um Segen und Schutz vor aller Beschädigung und um Frieden. Nach dieser Ceremonie schritten die Brüder zur Wahl des Magister und Flamen für das folgende Jahr, hielten darauf wieder ein gemeinschaftliches Mahl und begaben sich endlich in den Circus des Hains, wo einer der beigeordneten Knaben das Zeichen zu den Rennen gab, die nun mit Bigen, Quadrigen und sogenannten desultores erfolgten, unter dem Vorsitze von einem oder mehreren Brüdern, welche als Preise Palmen und silberne Kränze (wahrscheinlich Aehrenkränze) vertheilten. Dann kehrten die Brüder nach der Stadt, in das Haus des Magister zurück, wo sie nochmals zusammen speisen, wieder mit Räucherwerk und Wein opfern und darauf mit Kränzen, Salben und Sporteln beschenkt auseinandergehn. Der dritte und letzte Tag bildete in derselben Weise den Abschluß der ganzen FeierImmer heißt es von diesem Tage, daß die Brüder zusammenkommen ad consummandum sacrificium. So auch in der Ankündigung des Festes t. XXXII, 1, 18: XIII K. Iun. consummabitur domi. Vgl. Marini p. 198. 286. wie der erste den Eingang. Die Gebräuche waren genau dieselben wie am ersten Tage.

Außer diesem feierlichen Dank- und Weihungsfeste für die Erstlinge der Flur gedenken dieselben Urkunden noch wiederholter Sühnungen im Haine der Dea Dia, zu denen verschiedene Vorfälle Anlaß geben. Bald muß ein vor Alter umgefallener oder vom Blitz beschädigter Baum aus dem Haine entfernt werden, bald ist etwas auf Stein einzugraben oder an den Gebäuden auszubessern, zu welchem Zwecke man ein Eisen in den Hain oder in den Tempel tragen mußte: was jedesmal ein piaculum zur Folge hatte, also einer besondern Sühnung bedurfte, welche dann gewöhnlich sowohl vor als nach jenem Geschäfte mit dem Opfer eines Schweins oder eines fetten Lammes vorgenommen wird. Ausnahmsweise war bei solchen Acten auch der Magister des Collegiums thätig, bei feierlichen Veranlassungen aber sämmtliche Brüder zugegen, z. B. als es nöthig geworden war einen Feigenbaum, der sich auf dem Giebel des Tempels der Dea Dia eingenistet hatte, gewaltsam zu entfernen, und als einige Bäume des Hains bei einern starken Gewitter vom Blitze getroffen waren, so daß sie neu gepflanzt und auch sonst im Haine 430 verschiedene Herstellungen vorgenommen werden mußten. Auch hier wird immer sowohl vor dem vorzunehmenden Geschäfte (operis inchoandi causa) als nach demselben (operis perfecti causa) geopfert; und zwar werden bei diesen Anlässen, da die Heiligthümer des Ortes in so außerordentlicher Weise betroffen waren, nicht allein größere Suovetaurilien als Sühnopfer, sondern auch nach diesen jedem einzelnen Gott des Ortes einzelne Opfer gebracht, daher bei diesen Gelegenheiten das ganze im Hain der Dea Dia vereinigte Göttersystem zur Sprache kommtVgl. t. XXXII, 21 und t. XLIII.. Noch andre Feierlichkeiten wurden in Rom vorgenommen, besonders häufig auf dem Capitol, wo sich die Brüder an verschiedenen Stellen zu versammeln pflegen, doch kommen sie gelegentlich auch in der Regia zusammen, im kaiserlichen Palaste u. s. w. Die gewöhnlichen Veranlassungen zu solchen Zusammenkünften sind die Ankündigung des Festes der Dea Dia oder Berathungen über außerordentliche Vorfälle in ihrem Hain, oder auch die Wahl neuer Brüder, die Theilnahme des Collegiums an gewissen ludis votivis, oder endlich die außerordentlich häufigen Gelübde und Dankgebete für das Wohl, das Gedeihen und die Sicherheit des Kaisers und des kaiserlichen Hauses. Auch bei solchen Gelegenheiten trat das Collegium immer sehr stattlich auf, namentlich war das herkömmliche Gelübde an die drei Capitolinischen Götter immer sehr feierlich. Ihnen wird immer geopfert, zuweilen auch der Salus Augusti, der Salus Populi Romani, der Providentia Deorum, der Concordia, Fecunditas, Felicitas u. s. w., dem Genius Imperatoris, der Iuno Imperatricis, wobei den männlichen Gottheiten gewöhnlich Ochsen, selten Stiere, den weiblichen immer Kühe geschlachtet werden.


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