Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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3. Die Neuerungen der Tarquinier und ihre Folgen.

Mögen diese Tarquinier nun wirklich von dem Griechen Demaratos, jenem Auswanderer aus Korinth, abgestammt haben oder ein eingebornes etruskisches Geschlecht gewesen sein, gewiß ist daß die Bildung der Etrusker damals schon mit hellenischen und andern ausländischen Civilisationselementen ganz durchdrungen war und daß durch sie der Strom dieser neuen Bildung zuerst in das bisher im ältern latinischen und sabinischen Herkommen noch gleichsam embryonisch verschlossene Rom geführt wurde: eine Thatsache welche um so merkwürdiger ist, weil das Zeitalter der Tarquinier der Zeit nach mit dem der griechischen Tyrannen vom ältern Datum, zu denen auch sie gewissermaßen gezählt werden können, zusammenfällt. Wie diese im Kampfe mit der Aristokratie begriffenen Tyrannen überall zugleich die untern Stände gehoben und eine glänzende Architectur, einen glänzenden Gottesdienst gefördert haben, so geschah es auch in Rom; ja es ist geschichtlich überliefert daß der letzte Tarquinier in persönlicher Verbindung nicht allein mit den gleichartigen Dynasten in Latium, sondern auch mit dem Tyrannen Aristodemos von Cumä stand. Die durch die Tarquinier herbeigeführten Neuerungen mußten aber in Rom schon deshalb weit folgenreicher sein als bei den Griechen, weil diese auf den Polytheismus der Kunst durch ihre Mythologie und den Einfluß des Orients lange vorbereitet waren; dahingegen in Rom, wie ich mir durch die Entwickelung des von Numa eingerichteten Gottesdienstes deutlich nachgewiesen zu haben schmeichle, die alte Zeit mit der nun eindringenden neuen im entschiedensten Widerspruche gestanden haben muß.

Vermuthlich dachte Varro, wenn er den bilderlosen Cultus der Vorzeit auf 170 Jahre berechnete, an das alte Schnitzbild der Diana auf dem Aventin, welches nach der herkömmlichen Chronologie der Stadt zwischen dem J. 176 und 219 d. St. von dem Könige Servius Tullius dedicirt und dem Vorbilde des Cultus der Artemis zu Massalia, mittelbar zu Ephesus entlehnt sein sollStrabo IV p. 180 vgl. Mommsen Rö. Gesch. 1, 220.. Indessen war genau genommen nicht dieser Cultus, sondern der von dem ersten Tarquinier begründete, von dem letzten vollständig ausgestattete der Capitolinischen Trias der erste in seiner neuen und bildlichen Art; jedenfalls war er es, durch welchen 128 zugleich ein neuer Geist ausgesprochen und das Vorbild eines neuen Gottesdienstes aufgestellt wurde, welches für den gesammten römischen Staatscultus außerordentlich folgenreich werden sollte. Diese Götter treten zuerst mit einem Anspruch auf weltliche Macht und Herrlichkeit auf, wie er gleichzeitig von ihren Schützlingen, den Königen, später von den Prätoren, Consuln und Dictatoren im Namen des römischen Volkes erhoben wurde. Ihnen zuerst wurde von etruskischen Baumeistern der prächtige Tempel auf dem Capitol erbaut, welcher immer eine der schönsten Zierden der Stadt geblieben ist, ihnen zuerst von etruskischen Künstlern jene Bilder in ganz ausgeführter menschlicher Gestalt errichtet, welchen ganz im Stile des etruskischen und hellenischen Götzendienstes der Zeit von vielen dienenden Personen aufgewartet wurdeSeneca b. Augustin C. D. VI, 10 Alius numina deo subiicit, alius horas Iovi nuntiat, alius lictor est, alius unctor, qui vano motu bracchiorum imitatur ungentem. Sunt quae Iunoni ac Minervae capillos disponant; longe a templo, non tantum a simulacro stantes digitos movent ornantium modo. Sunt quae speculum teneant, sunt quae ad vadimonia sua deos advocent, sunt qui libellos offerant et illos causam suam doceant. Doctus archimimus, senex iam decrepitus, quotidie in Capitolio mimum agebat, quasi dii libenter spectarent quem homines desierant: – Sedent quaedam in Capitolio quae se a Iove amari putant etc. Offenbar ist hier manches Spätere auszuscheiden, doch gehören die Wurzeln dieses Aberglaubens der Idololatrie der älteren Zeit an, vgl. die Toilette und Garderobe der griechischen Tempelbilder bei Müller Handb. d. Archäol. § 69. Neuerdings erzählt Granius Licinianus Annal. fragm. p. 32 ed. K. A. F. Pertz von einer matrona, quae quasi mente commota sedit in consilio Iovis, worauf das Capitolium lustrirt wird.. Dazu kam die Einführung der ludi Romani, der ersten Spiele in dem specifisch römischen Sinne, wie sie sich bald in den verschiedensten Kreisen des Götterdienstes geltend machten und zuletzt für das Volk und die vornehme Welt bei weitem zur Hauptsache des Gottesdienstes überhaupt wurden. Zwar sollen auch Romulus und Numa einzelne Spiele gefeiert und gestiftet haben, doch können dieses nur elementare Anfänge gewesen sein, da jene von den Tarquiniern nach etruskischen Mustern gestiftete, für welche Tarquinius Priscus den großen Circus zwischen dem Palatin und Aventin einrichtete, von allen Kundigen für die ersten in ihrer Art gehalten werden und mit dem ganzen Character des neuen Capitolinischen Gottesdienstes genau zusammenhängen. Zerlegen wir sie in ihre einzelnen Bestandtheile, so wird das Außerordentliche auch dieser Neuerung noch einleuchtender werden. Da gab es zuerst 129 reichliche Opfer und einen feierlichen Opferschmaus, das epulum Iovis, wie solche Opferschmäuse fortan gleichfalls wesentlich zu den heiligen Spielen gehörtenDio Cass. LI, 1 ἀγῶνα – ἱερόν, οὕτω γὰρ τοὺς τὴν σίτησιν ἔχοντας ὀνομάζουσι, κατέδειξεν. und namentlich bei den Spielen Jupiters immer den alten Mittelpunkt der Feier bildeten. Ja diese Opfer und Opferschmäuse wurden mit der Zeit so zahlreich, daß die Stiftung einer eignen priesterlichen Behörde für diesen Theil des Cultus nöthig wurde. Bald nach dem zweiten punischen Kriege, im J. 196 v. Chr., wurde nehmlich ein eignes Collegium, anfangs triumviri, später septemviri epulones zu diesem Behufe eingesetzt, zunächst zur Erleichterung der Oberaufsicht der Pontifices, da sie propter sacrificiorum multitudinem d. h. bei der von Jahr zu Jahr zunehmenden Menge von Opfern und Opferschmäusen so vielen Pflichten nicht mehr genügen konnten.Liv. XXXIII, 42, Cic. de Or. III, 19, 73, Marquardt Handb. IV, 291 ff. Wenn nach Cicero die Pontifices illud ludorum epulare sacrificiorum schon nach der Stiftung Numas besorgten, so ist das nur eine von seinen vielen Ungenauigkeiten. Nach Paul. p. 78 hießen die Epulones in älterer Sprache Epoloni. Er setzt hinzu: Datum est autem his nomen, quod epulas indicendi Iovi ceterisque diis potestatem habent.. Ein zweiter Act war die feierliche Procession, pompa, welche die Attribute der Capitolinischen Götter auf sogenannten Tensen d. h. den Processionswagen vom Capitole herab zum Circus geleitete, damit sie bei den dort zu ihrer Ehre gefeierten Spielen sinnbildlich gegenwärtig wären, ein buntes Gewimmel von Wagen und Reitern, von Tänzern und Spielern, welche im etruskischen Geschmack costümirt waren, von Göttern und Heiligthümern, welches gleichfalls zuerst bei den Römischen Spielen aufkam und immer vorzugsweise bei ihnen beibehalten wurde. Endlich und drittens folgten dann die Circensischen Spiele selbst, für welche schon Tarquinius Priscus den Circus Maximus angelegt hatte, auch diese ein neuer Cultusact der Capitolinischen Götter, daher die Quadriga ein wesentliches Attribut des Capitolinischen Jupiter und der Capitolinische Tempel selbst so gerichtet wurde, daß die Götter auf den Circus Maximus, den Schauplatz ihrer heiligen Spiele, hinabblickten. Auch dabei lagen aber etruskische Vorbilder zu GrundeLiv. I, 35, 9 Ludicrum fuit equi pugilesque ex Etruria maxime acciti. Sollemnes deinde annui mansere ludi, Romani Magnique varie appellati., ja man findet die lebendigen Bilder zu jenen Processionen, jenen Spielen in Rom in den Wandgemälden der 130 alten Gräber der etruskischen Stadt Tarquinii. Wurden doch selbst die ersten scenischen Spiele, wie sie in Rom zuerst im J. 390 d. St., 364 v. Chr. beliebt worden waren, nach etruskischen Mustern und durch etruskische Künstler besorgt, bis später die griechische Bildung auch hier die etruskische verdrängt hat, s. Liv. VII, 2. Ja damit der Capitolinische Göttercultus in jeder Hinsicht seinen umbildenden, die alte Sitte und den alten Cultus ganz erschütternden Einfluß bewähre, wurde damals auf Veranlassung des neuen Tempelbaus auch die etruskische Haruspicin zuerst in Rom geübt und somit auch eine neue Art von Divination gestiftet, welche sich neben der älteren und einheimischen Technik der Augurn zwar niemals völlig einbürgern konnte, aber doch seitdem gleichfalls sowohl für den römischen Staat als für das Familienleben unentbehrlich geblieben ist.

Die Tarquinier haben aber nicht allein den etruskischen Gottesdienst nach Rom verpflanzt, welcher die herben Eigenthümlichkeiten seiner Heimath in späteren Generationen wieder abgestreift hat. Sie haben durch die Einführung der Sibyllinischen Sprüche aus dem griechischen Cumä auch ein fruchtbares Reis der griechischen Bildung und des griechischen Gottesdienstes in den römischen Boden eingesenkt, welches mit der Zeit einen Sproß nach dem andern getrieben, ja auf die Dauer ganz vornehmlich zur Hellenisirung des gesammten römischen Gottesdienstes beigetragen hatMarquardt a. a. O. S. 294 ff.. Tarquinius Superbus war es, der diese Sprüche erwarb, in dem neu erbauten Tempel des Capitolinischen Jupiter niederlegte und für den Staatsgebrauch heiligte. Der Gebrauch, den der Staat von diesen Sprüchen machte, bestand darin, daß man bei außerordentlichen Calamitäten und Prodigien Sühnmittel in ihnen suchte, welche gewöhnlich in der Stiftung von neuen Culten und Cultushandlungen bestanden. Ihr umbildender Einfluß beruhte wesentlich darauf, daß sie griechischen Ursprungs waren und speciell zum Kreise der Apollinischen Religion gehörten, also auch im Sinne dieser Religion d. h. zur Verbreitung Apollinischer und verwandter Griechischer Sacra in Rom wirkten.

Die Apollinische Religion hatte sich mit den griechischen Colonieen nach Italien verbreitet und auch hier, wie überall, ihren seelenvollen und bildenden Character in den hervorragendsten Städten von Großgriechenland bewiesen, vorzüglich dadurch daß sie mit den Künsten der griechischen Musik, Mantik und 131 Kathartik überall Hand in Hand ging und in dieser Hinsicht für die Pflege des Geistes sowohl als des Körpers wie kein andrer Gottesdienst sorgte. Von dem Apoll von Cumä, der nächsten Nachbarin der Latiner (S. 15), dürfen wir schon wegen der Sibyllinischen Weissagung annehmen, daß er vorzugsweise als Päan d. h. als Heiler und Sühner bei leiblichen und geistigen Schäden angesehen wurde. So erscheint Apollo aber auch in Metapont und Kroton, wo die Pythagoreische Schule sich vornehmlich an diesen Dienst anlehnte und wo die Münzen eine sehr enge Verbindung mit Delphi nachweisen, auch in Kaulonia, dessen alterthümliche Münzen das Bild des sühnenden Apollo mit seinem Lorbeerzweige zeigen, auch in Rhegium, wo die Sage von der Zuflucht des Orestes zu Hause war. So endlich auch in Rom, wo wir alle diese Institute der Sühnung, der Weissagung, der Musik, wie sie organisch zusammengehören, nach und neben einander auftreten sehen werden. Daß aber der Apollinische Cultus und seine Priesterin und Prophetin, die Cumanische Sibylle, schon so früh in Rom Anklang fand, dieses beweist wohl nicht so sehr ein vorherrschendes Vertrauen zu solcher Prophetie, denn an wahrsagenden Nymphen und andern dämonischen Wahrsagern, die sich der griechischen Sibylle wohl vergleichen mochten, fehlte es weder in Latium noch in Etrurien. Wohl aber beweist gleich die Aufnahme jener Sprüche eine sehr bestimmte Hinneigung zum Apollinischen Cultus, welcher sich von Cumä und den südlichen Griechen frühzeitig unter den Campanern und Samnitern verbreitet hatte (S. 59) und in der benachbarten Etruskerstadt Caere eine feste Verbindung mit Delphi unterhielt. Ja es wird überliefert daß Rom selbst kurz vor dem Ausgang der Königsherrschaft und später bei der Belagerung von Veji seine Theoren nach Delphi so gut wie eine griechische Stadt sendete. Dennoch bleibt es eine außerordentlich wichtige, für Rom und das ganze Gebiet der romanischen Bildung äußerst folgenreiche Thatsache, daß die in der griechischen Welt allgemein verbreitete Religion nun auch in der für die Zukunft der Welt bestimmten Stadt einen neuen und fruchtbaren Boden gewann. Kein Gott ist nächst den alten latinischen und sabinischen, dem Janus, dem Jupiter, dem Mars so populär geworden als der griechische Apollo, ja dieser ausländische Gott hatte die Kraft sich in einer Zeit, da jene alten Culte schon im Absterben begriffen waren, unter Augustus, noch einmal zu verjüngen und neben dem Capitolinischen Jupiter als der mächtigste und am 132 meisten angebetete Gott bis zum Ausgange des Heidenthums zu behaupten.

Die nächste Folge jener Aufnahme der sibyllinischen Bücher war die Gründung einer eignen priesterlichen Behörde für die Beaufsichtigung und Anwendung derselben, einer bald durch ihren Einfluß auf Religion und Politik so wichtigen, daß sie mit den ältern Collegien der Pontifices und Augurn an Rang und Würde wetteiferte und die Plebejer einen ihrer frühsten Triumphe dadurch erlangten, daß sie den Zutritt zu diesem Collegium gewannen. Wie sehr dasselbe auf griechischen Gottesdienst und auf griechische Bildung angewiesen war, sieht man daraus daß ihm zum richtigen Verständniß der Sprüche von Staatswegen zwei geborne Griechen als Dollmetscher beigegeben wurden und daß sie da, wo sie bei bestimmten gottesdienstlichen Veranlassungen opfernd auftraten, dieses immer graeco ritu thaten, also mit solchen Eigenthümlichkeiten des religiösen Herkommens, welche dem griechischen Gottesdienste unmittelbar entlehnt waren. Uebrigens waren ihrer anfangs nur zwei Patricier, welche duumviri sacris faciundis genannt wurden d. h. eingesetzt zur Begehung solcher, meist griechischer Sacra, wie sie von den sibyllinischen Sprüchen befohlen wurden. Seit dem J. 387 d. St., 367 v. Chr., wo Patricier und Plebejer in gleicher Anzahl zugelassen wurden, bestand das Collegium aus zehn Männern, endlich seit Sulla aus funfzehn, daher sie seitdem X viri und XV viri sacris faciundis genannt werden. Die specifische Beziehung zum Dienste des Apollo tritt bei verschiedenen Gelegenheiten hervor, ja Livius nennt sie gradezu Priester des Apollinischen GottesdienstesLiv. X, 8 decemviros sacris faciundis, carminum Sibyllae ac fatorum populi huius interpretes, antistites eosdem Apollinaris sacri cerimoniarumque aliarum. Vgl. Jul. Obseq. 47 (107) apud aedem Apollinis decemviris immolantibus.. Sie wurden dieses vollends seitdem August die sibyllinischen Sprüche vom Capitol in das von ihm neu gestiftete Heiligthum des Palatinischen Apollo verlegte, so daß sie nun auch örtlich und amtlich immer mit diesem Dienste zu thun hatten.

Eine weitre Folge derselben Stiftung war die Einführung einer ganzen Reihe von griechischen Gottesdiensten, welche unter solcher Autorität sehr bald in Rom feste Wurzeln schlugen, ja dem römischen Volke, namentlich allen Bestandtheilen desselben welche nicht zum Patriciate und zur alten Ordnung der Dinge 133 gehörten, ganz vorzugsweise gefallen zu haben scheinen. Abgesehen von dem nächst verwandten Apollodienste sind folgende Religionen und Religionsgebräuche auf solche Weise nach Rom gekommen: 1) Im J. 258 d. St. 496 v. Chr. der Dienst der Ceres, des Liber und der Libera d. h. der griechischen Götter Demeter, Dionysos und Persephone, welchen bald darauf in der Nähe des Circus Maximus der Tempel erbaut wurde, welcher immer der Mittelpunkt dieses Cultus geblieben ist. Eine um so wichtigere Stiftung, da bei dieser Gelegenheit zuerst griechische Künstler in Rom thätig waren; denn vor diesem Tempelbau war, wie Varro berichtet hatte, alle Einrichtung der Tempel von den Etruskern besorgt wordenPlin. H. N. XXXV, 12, 45 Plastae laudatissimi fuere Damophilus (vermuthlich aus Himera in Sicilien gebürtig, s. Bröcker Unters. S. 35) et Gorgasus, iidem pictores, qui Cereris aedem Romae ad Circum Maximum utroque genere artis suae excoluerant, versibus inscriptis graece quibus significarent ab dextra Damophili esse, ab laeva Gorgasi. Ante hanc aedem Tuscanica omnia in aedibus fuisse auctor est Varro.. 2) Zuerst im J. 355 d. St., 399 v. Chr., dann später oft wird durch die sibyllinischen Bücher ein sogenanntes Lectisternium veranlaßt, eine eigenthümliche Art von religiöser Feier, welche mit der Zeit immer allgemeiner in Aufnahme kam. Die Feierlichkeit bestand darin, daß man den Göttern wie zu einem heiligen Mahle Pfühle (pulvinaria, lectos) bereitete, auf diese ihre Attribute oder ein Geflecht von heiligen Zweigen oder auch ihre Büsten (capita deorum), wahrscheinlich als drapirte Wachsmasken legte und darauf ihnen Speise vom Opfer oder von den Mahlzeiten mittheilte, welche gleichzeitig durch die ganze Stadt begangen wurden. Gewöhnlich sind damit allgemeine Supplicationen verbunden, bei welchen durch die ganze Stadt von allem Volke bei denselben Pulvinarien gebetet und dazu mit Wein und Weihrauch geopfert wurde. Ich möchte beide Gebräuche keineswegs für ausschließlich griechischen Ursprungs halten, da die elementaren Bestandtheile derselben, das ture et vino supplicare, die Vergegenwärtigung der Götter durch pulvinaria mit ihren Attributen und selbst die Sitte die Götter zu speisen sicher altitalisch warenIch stimme also nicht mit Marquardt Handb. IV, 52 ff. überein, der diese Gebräuche für griechische hält, doch bedarf es einer ausführlicheren Nachweisung. Hier nur einige Stellen zum Beweise, daß die lecti und pulvinaria deorum, auch das Speisen der Götter und das supplicare etwas Altes und Volksthümliches war: Plin. H. N. XXXII, 2, 10 in einer Verordnung des Numa: ut convivia publica et privata coenaeque ad pulvinaria facilius compararentur. Serv. V. A. X, 76 Varro Pilumnum et Picumnum infantium deos ait eisque pro puerpera lectum in atrio sterni, dum exploretur an vitalis sit qui natus est. Vgl. die Sitte der Juno bei Geburten einen Tisch zu bereiten b. Tertull. de An. 39, Serv. V. Ecl. IV, 62. Im Liede der Salier: Divum Deo supplicante, Varro l. l. VII, 27. Supplicare ist eigentlich kniefällig beten.. Indessen leidet es keinen 134 Zweifel daß bei den durch die sibyllinischen Bücher veranlaßten Lectisternien der griechische, speciell der Apollinische Gottesdienst mit im Spiele ist; erscheinen doch gleich bei der ersten Feierlichkeit Apollo mit seiner Mutter und Schwester, die gewöhnliche Apollinische Trias, neben andern griechischen Göttern als die wichtigsten, s. Liv. V, 13, Dionys XII, 9. Auch kennen wir unter den Apollinischen Cultusacten ein Fest, welches wohl als Vorbild dienen konnte, ich meine die Theoxenien, wie sie namentlich zu Delphi als eine Art von Erndte- und Freudenfest im Sommer mit einer allgemeinen Speisung der Götter gefeiert wurden, zumal da die großen Lectisternien gewöhnlich durch ganz Rom mit Mahlzeiten und mit großer Festlichkeit und Geistlichkeit begangen wurden. So erinnern auch die allgemeinen Supplicationen sehr an den Päan, dieses ächt griechische und Apollinische Bitt- und Freudenfest, auch dadurch daß sie in den meisten Fällen zur Sühne von Prodigien und andern Calamitäten, ferner bei schweren Seuchen mit dem Gebet um Heilung, auch bei kriegerischen Unternehmungen um Segen für dieselben zu erflehn, endlich als Dank- und Freudenfest nach gewonnenen Siegen befohlen wurden. Auch wurden sie gewöhnlich, zumal wenn es Prodigien und böse Seuchen zu beschwören galt, von den Decemvirn der Sibyllinischen Bücher dirigirt, bei feierlichen Gelegenheiten so, daß das ganze Volk, Männer, Frauen und Kinder, Städter und Landleute, durch die Stadt wogte um in allen Tempeln bei den Pulvinarien anzubeten, während von Staatswegen gleichzeitig große Opfer dargebracht wurden. Ja es ist hin und wieder auch der Apollinische Lorbeer mit im Spiele, das Laub der Sühne, des Heiles und des Glücks, welches sich in dieser symbolischen Bedeutung in Rom ohnehin eine allgemeine Anerkennung erworben hatteLiv. XL, 37 Maiores duodecim annis omnes coronati et tauream in manu tenentes supplicaverunt. Vgl. XXVII, 11. 37; XXXIV, 55: XXXVI, 37.. 3) Im J. 463 d. St., 291 v. Chr. wird in Folge einer heftigen Pest auf Befehl der Sibyllinischen Bücher die Schlange des Aesculap von Epidauros geholt, das erstemal daß Rom von dem griechischen Italien nach Griechenland selbst hinübergreift, übrigens auch nur eine weitere 135 Folge des schon bestehenden Apollodienstes, da Aesculap ganz wesentlich zum Kreise des Heilgottes Apollo gehörte. 4) Im J. 514 d. St., 240 v. Chr. die Stiftung der Floralien, auf Veranlassung eines Miswachses. Obgleich Flora sonst wie Venus eine italische Göttin ist, so lag doch bei so ausgelassenen Gebräuchen, wie sie bei diesen Floralien zur Regel gehörten, höchst wahrscheinlich ein Fest der griechischen Aphrodite der Gärten zu Grunde. 5) Im J. 518 d. St., 236 v. Chr. die erste Feier von Secularspielen (nach der späteren Zählung die dritte), ein Fest welches ursprünglich nur die Götter der Unterwelt anging und erst später durch August mit einer Feier des Apollo und der himmlischen Götter verbunden wurde, damals aber von den Decemvirn höchst wahrscheinlich nach dem Muster des chthonischen Götterdienstes der Griechen begangen wurde, s. Liv. XXXVII, 3, Iul. Obseq. 1 (55). 6) Im J. 537 d. St., 217 v. Chr., nach der Schlacht am Trasimenischen See wird auf Veranlassung der Decemvirn u. a. der Tempel der Erycinischen Venus gelobt, einer schon ganz orientalischen Gottheit, deren Cult zugleich wesentlich beigetragen hat die Aeneassage in Rom zu befestigen. 7) Im J. 549 d. St., 205 v. Chr., die Einholung der Großen Idäischen Mutter aus Pessinus, auf welche nach einigen Jahren die Stiftung der Megalesien folgte, ein gleichfalls wesentlich asiatischer Cultus, welcher trotz aller Beschränkungen, die er sich anfangs gefallen lassen mußte, zur Verbreitung des Fanatismus und der geistlosen Superstition in Rom sehr viel beigetragen hat. – Also eine ganze Reihe von griechischen Gottesdiensten, denn die beiden zuletzt genannten waren, obgleich ungriechischen Ursprungs, doch in der Form lange hellenisirt, und ein Einfluß welcher je länger desto mehr an Kräften gewinnen mußte, da ohne Zweifel alle diese Elemente der griechischen Bildung gemeinschaftliche Sache und gegen die alte italische und römische Weise Partei machten. Kein Wunder wenn nun bald die Römer sich selbst griechisches Ursprungs zu sein schienen und die Griechen in Rom, die ihnen dieses vordemonstrirten und ihre Stadtgeschichte danach zurechtmachten, gläubig anhörten.

Auch die Ausstattung der Tempel und Bilder blieb nicht zurück; hatten darin ehemals die Etrusker geherrscht, so wurde nun auch hier Alles griechisch. Und zwar findet man in Rom wie in Griechenland selbst zugleich den Geschmack an alten Holz- und Cultusbildern und an der ästhetisch vollendeten Bildung der Götter und Verzierung der Tempel. Eins der ältesten Holzbilder griechischen Ursprungs in Rom war jedenfalls jenes angeblich 136 von Servius Tullius im Tempel der Diana auf dem Aventin aufgestellte, von welchem die Rede gewesen. Ferner galt für sehr alt das troische Palladion im Tempel der Vesta, welches vermuthlich von den Griechen im südlichen Italien herstammte und jedenfalls vor dem ersten punischen Kriege schon vorhanden war. So werden auch die Heiligthümer der Penaten von Lavinium, von denen Timaeos zu erzählen wußteBei Dionys. H. 1, 67 κηρύκια σιδηρᾶ καὶ χαλκᾶ καὶ κέραμον Τρωϊκὸν εἶναι τὰ ἐν τοῖς ἀδύτοις τοῖς ἐν Λαοϋινίῳ κείμενα ἱερά., in der ältesten Zeit des griechischen Einflusses dahingekommen sein. Außerdem wird ein altes Bild des Vejovis von Cypressenholz erwähntPlin. H. N. XVI, 40, 79 Nonne simulacrum Veiovis in arce e cupresso durat a condita urbe DCLXI anno dicatum? Leider ist die Zahl verdorben., endlich zwei Bilder von demselben Holze, welche der Juno Regina auf dem Aventin, im J. 547 d. St., 207 v. Chr., von einer Procession unter Anführung der sibyllinischen Decemvirn ganz nach griechischer Weise überbracht wurden. Dazu hatte der Grieche Livius Andronicus in lateinischer Sprache einen Hymnus gedichtet, der nach griechischer Weise von einem Mädchenchore aufgeführt wurde, wieder etwas ganz Neues und eine für die Poesie in Rom sehr folgenreiche Anregung, da solch ein Hymnus nach griechischer Art und die alten Gesänge der Salier, der Arvalen u. s. w. (S. 126) etwas wesentlich Verschiedenes waren. Beide Feierlichkeiten, die Procession mit den Bildern und Opfern und der Chorgesang des Hymnus, wurden nach römischer Weise mehrfach wiederholt. Der Dichter Livius Andronicus aber erlangte durch sein Lied, so kümmerlich es übrigens ausgefallen sein mochte, sogar die Ehre und Concession eine Art von Schule und Zunft der wenigen Litteraten und Schauspieler jener Zeit im Tempel der Minerva auf dem Aventin zu stiften: eine Einrichtung deren stillen Einfluß wir in jenen Zeiten immerhin recht hoch anschlagen dürfen.

Man würde aber irren, wenn man sich den alten römischen Cultus so bald von der griechischen Weise überflügelt denken wollte. Noch immer waren die Pontifices und die Augurn mit ihren alten Gebräuchen und Satzungen die angesehensten Priesterthümer; immer von neuem erinnerten die Umzüge der Salier im März, die naiven Gebräuche der Luperci im Februar an die ältesten italischen Zeiten und Gewohnheiten. Immer blieben Janus und Vesta der Anfang und das Ende jeder öffentlichen Cultushandlung und in der langen Reihe der Götternamen, 137 welche sich im öffentlichen Gebete zwischen diesen beiden einschoben, war Iupiter Optimus Maximus ein für allemal der alte römische Gott über alle Götter, römische und fremde, auch der Gott, welcher im Cultus bei weitem am meisten hervortrat, denn die Römischen Spiele, die Plebejischen Spiele, die oft wiederholten Großen Spiele dienten alle zu seiner als des höchsten Staatsoberhauptes Verherrlichung. Auch ist nicht zu verkennen daß in der älteren Zeit, da Roms Eroberungen und Erweiterungen sich noch auf Italien beschränkten, aus den verschiedenen Gegenden desselben viele andre italische Culte und Götter nach Rom versetzt wurden, die nothwendig zur Verstärkung des nationalen Elementes der Religion dienen mußten. Bald geschah es durch Einbürgerung und Einwanderung einzelner Personen und Geschlechter, oder in älteren Zeiten auch wohl ganzer Gemeinden; in welchen Fällen die Anzügler gewöhnlich ihre heimathlichen Götter mitbrachten, welche dann wohl als dii adventicii von den diis publicis d. h. den Göttern des römischen Staatscultus unterschiedenTertullian ad Nat. II, 9. Außer den von Varro unterschiedenen diis certis, incertis und selectis sei noch zu unterscheiden zwischen den diis publicis und adventiciis. Hoc enim arae docent adventiciorum ad fanum Carnae, publicorum in Pa[latio]. Das Heiligthum der Carna lag auf dem Caelius, wo allerdings besonders viele Metökengötter zu finden gewesen sein mögen. Vgl. übrigens Fest. p. 157 Municipalia sacra vocantur quae ab initio habuerunt ante civitatem Romanam acceptam, quae observare eos voluerunt pontifices et eo more facere quo adsuessent antiquitus, was auch für die nach Rom eingewanderten Bürger aus solchen Städten galt, s. Marquardt Handb. IV, 37 ff., mit der Zeit doch aber auch sehr oft unter diese aufgenommen wurden. Auf solche Weise mag namentlich auch die großentheils aus übersiedelten latinischen Gemeinden entstandene Plebs ihre Götter anfangs für sich verehrt haben, bis dieselben zuletzt unter dieselben aufgenommen wurden, worauf u. a. die große Zahl der s. g. flamines minores deutet (S. 108). In andern Fällen waren solche Erweiterungen die Folge der Verbündung, namentlich des vieljährigen und sehr engen Bundes mit den Latinern, welchem Rom verschiedene wichtige Gottesdienste verdankt, zuerst die Diana auf dem Aventin und den Jupiter Latiaris, der auch in Rom verehrt wurde, später die Juno Sospita von Lanuvium, welche seit dem J. 416 d. St., 338 v. Chr. zu den angesehensten Culten in Rom gehörteLiv. VIII, 14. Vgl. Ambrosch Studien S. 183 ff.. Dazu kommen ferner die in älterer Zeit gleichfalls nicht seltenen evocationes der Götter bei Belagerungen und Eroberungen feindlicher Städte, deren Schutzgötter dann 138 feierlich zur Uebersiedelung nach Rom eingeladen werden und dort einen neuen Cultus erhalten, z. B. die Juno Regina von Veji. Daß die Zahl solcher Götter in Rom ziemlich groß war, beweisen die oft auf diesen Gebrauch zurückweisenden Erklärungen der AlterthumsforscherCincius erklärte den Namen der Novensides durch diese Sitte, s. oben S. 90, 118. Vgl. S. 124 und Fest. p. 257 Peregrina sacra appellantur quae aut evocatis dis in oppugnandis urbibus Romam sunt coacta aut quae ob quasdam religiones per pacem sunt petita, ut ex Phrygia Matris Magnae, ex Graecia Cereris, Epidauro Aesculapii: quae coluntur eorum more, a quibus sunt accepta. Die dii evocati waren natürlich meist italischen, die auf Veranlassung der sibyllinischen Bücher geholten Götter ausländischen Ursprungs.. Endlich die vielen neuen Stiftungen von Tempeln, Bildern und Spielen ex voto, ein ganz besonders oft erwähnter Anlaß zur Gründung neuer Gottesdienste, nachdem entweder der Senat durch die Consuln oder der Feldherr in heißer Schlacht diesem oder jenem Gotte einen Tempel in Rom gelobt hatteLiv. X, 42 in ipso discrimine, quo templa diis immortalibus voveri mos erat. Beispiele von ludis votivis giebt Friedländer bei Marquardt IV, 474., worauf diesem Gelübde später durch Erbauung des Tempels, seine Einweihung und Einrichtung des Cultus von Staatswegen Folge gegeben wird. Die letzte Entscheidung hatte sich in allen diesen Fällen, wo es auf die Anerkennung und Stiftung eines neuen Gottesdienstes in Rom ankam, der Senat vorbehalten, ohne welchen also kein Gott zu der Ehre gelangen konnte, vom römischen Staate anerkannt zu werdenLiv. IX, 46 ne quis templum aramve iniussu Senatus dedicaret. Tertull. Apolog. 5 vetus erat decretum ne qui deus ab imperatore consecraretur nisi a Senatu probatus. Scit M. Aemilius de deo suo Alburno. Ad Nat. 1, 10 ne qui imperator fanum, quod in bello vovisset, prius dedicasset quam Senatus probasset, ut contigit M. Aemilio, qui voverat Alburno Deo –, ut deus non sit nisi cui esse permiserit Senatus etc. Die Quelle ist auch in diesen Stellen Varro. Die Geschichte des Gottes Alburnus scheint in ihrer Art berühmt gewesen zu sein.. Im Uebrigen hatten die Pontifices die Einrichtung des neuen Cultus und die Dedication und Consecration des Tempels zu überwachen, vor welcher der ganze Gottesdienst, wie er in dem neuen Tempel gehalten werden sollte, und die Rechte desselben durch eine eigne lex consecrationis aufs genaueste formulirt wurdeMerkwürdige Beispiele solcher leges consecrationis sind die des t. Iovis Liberi zu Furfo im Lande der Vestiner b. Or. n. 2488, Mommsen I. N. n. 2488, und die des t. Martis Ultoris b. Dio LV, 10. Mehr bei Marquardt a. a. O. 225.. Der Tag der Einweihung wurde immer 139 zugleich der jährliche Fest- und Kalendertag des Gottes, sein Geburtstag, natalis, wie er in den späteren Kalendern genannt zu werden pflegteVirg. Aen. VIII, 600 Silvano fama est veteres sacrasse Pelasgos, Arvorum pecorumque deo lucumque diemque, wozu Servius: Hoc a Romanis traxit, apud quos nihil fuit tam sollemne quam dies consecrationis. Vgl. die Nachweisungen bei Marquardt 148.. Die Dedication selbst wurde nach alter Sitte durch einen Consul oder Imperator, wo möglich den welcher den Tempel gelobt hatte, später oft durch dazu ernannte Duumvirn vollzogen, immer unter dem Beistande des Collegiums der Pontifices, namentlich des die Dedicationsformel vorsprechenden Pontifex Maximus (S. 124). Immer war diese Handlung eine der feierlichsten und die Ehre der Dedication sehr begehrt, da der Name des Dedicirenden durch die Inschrift des Tempels zugleich aufs höchste geehrt und auf die Nachwelt gebracht wurde. Mithin fehlte es weder an einer strengen und erfahrnen Aufsicht noch an Gelegenheit für die natürliche Eifersucht des Priesterthums, sich geltend zu machen. So lange diese Behörden ihre Schuldigkeit thaten, konnte ein anderer Verfall als derjenige, welchen die innere Seelengeschichte des römischen Staates und seiner Bürger von selbst mit sich brachte, nicht wohl eintreten.


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