Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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7. Ceres, Liber, Libera.

Wie diese drei Götter mit einheimisch italischen Namen benannt sind, so waren sie selbst ohne Zweifel altitalischen Ursprungs. Diese bestimmte Gruppe aber, wo Ceres der Demeter entspricht, Liber dem Dionysos, Libera der Persephone als κόρη Δήμητρος, ist griechischen Ursprungs und für die Geschichte des römischen Gottesdienstes um so wichtiger, da sie zu den ältesten griechischen Culten in Rom gehörte und sowohl auf die religiösen Ideen als auf die äußerliche Ausstattung des Gottesdienstes der Römer einen nicht geringen Einfluß ausgeübt zu haben scheint. Der Tempel lag beim Circus und heißt gewöhnlich Aedes Cereris, genauer Aedes Cereris Liberi Liberaeque. Gestiftet wurde er im vierzehnten Jahre der Republik, nachdem die Römer durch die Vertreibung der Tarquinier zuerst in den Krieg mit Porsenna, dann in den mit dem mächtigen Anhange der Tarquinier unter den Latinern verwickelt worden waren und in Folge davon u. a. eine Störung der ohnehin noch nicht geordneten Kornzufuhr entstand, welche bei den schlechten Erndten der letzten Jahre vollends bedenklich wurde. Man wendete sich in dieser Bedrängniß an die sibyllinischen Bücher, die nach ihrer Weise auf die griechischen Götter des Ackerbaus und alles regelmäßigen Ertrages der Erde hinwiesen, wie sie in dem griechischen Italien und in Sicilien allgemein verehrt wurden. Also gelobte der Dictator A. Postumius, der Sieger am l. Regillus im J. 258 d. St. (496 v. Chr.) jenen Tempel, welcher drei Jahre darauf von dem Consul Sp. Cassius, demselben der das Bündniß mit den Latinern schloß, eingeweiht wurdeDionys. VI, 17 und 94. Vgl. Tacit. Ann. II, 49, Becker Handb. 1, 471.. Kurz vorher war auf Veranlassung der Secession der Plebs mit dem Volkstribunate auch das Amt der plebejischen Aedilen gestiftet worden, welche im Interesse der Plebs speciell für die Kornzufuhr und den Kornmarkt zu sorgen hatten und dabei zugleich in einem sehr engen Verhältnisse zu diesem neu gestifteten Culte und Tempel der Ceres standen. Kurz darauf ward auf Veranlassung einer Hungersnoth nach Campanien und Sicilien geschickt, um von dort her eine 433 Kornzufuhr zu vermitteln: daher man aus diesen Thatsachen zusammengenommen folgern darf, daß gleichzeitig mit der Stiftung des griechischen Cultus der Ackergottheiten eine lebhaftere Verbindung mit den griechischen Nachbarn im Süden eingegangen und wohl auch selbst jene polizeiliche Sorge für den Kornmarkt zunächst nach ihrem Beispiele eingerichtet wurde. Der Cultus selbst war so sehr ein griechischer, daß die Priesterinnen der Ceres aus dem griechischen Italien, namentlich aus Neapel, der Colonie von Cumä, welches bei der ersten Einrichtung des Cultus höchst wahrscheinlich noch selbst thätig gewesen war, und aus Elea herbeigeholt wurden; auch die Sprache und Terminologie des Gottesdienstes blieb die griechischeCic. pro Balbo 24, 55 Sacra Cereris – summa maiores nostri religione confici ceremoniaque voluerunt: quae quum essent assumta de Graecia et per Graecas semper curata sunt sacerdotes et Graeca omnia nominata. (Vgl. S. 138, 210). Has sacerdotes video fere aut Neapolitanas aut Velienses fuisse, foederatarum sine dubio civitatum. Diesen Priesterinnen wurde immer vorher durch einen besondern Gemeindebeschluß die Civität gegeben, s. Cic. l. c. und Valer. Max. I, 1, 1.. Auch der über dem Eingange zum Circus am Abhange des Aventin gelegene Tempel der Ceres war nach seiner Architectur, Ausstattung und Decoration durchaus ein griechischer und von griechischen Künstlern ausgeführt, so daß er als das erste Beispiel griechischer Kunst in Rom, wo bis dahin die etruskische Kunst geherrscht hatte, Epoche machtePlin. H. N. XXXV, 12, 45 (S. 133, 203) vgl. Bröcker Unters. über die Glaubwürdigkeit der altröm. Gesch. S. 26. 35 ff., und über die Lage des Tempels Dionys. VI, 94 und Liv. XL, 2.. Selbst der griechische Ritus der Einweihung von Frauen wurde bei diesem Gottesdienste zugelassen, freilich mit Ausschließung alles heftigen Orgiasmus und der nächtlichen FeierCic. de Leg. II, 9 vgl. ib. II, 15, 37 und Dionys. II, 19.. Was die Oberaufsicht der plebejischen Aedilen betrifft, welche der ihnen obliegenden Sorge für diesen Tempel der Ceres wahrscheinlich sogar den Namen aediles verdanken, so scheint diese sich auf das Praktische der cura annonae, die sie im Sinne der Ceres verwalten sollten, und auf die Cerealischen Spiele beschränkt zu haben. Als Aufseher über die annona hatten sie ihr amtliches Local in oder bei dem Tempel der CeresLiv. III, 55, vgl Pün. II. N. XVIII, 3, 4, Non. Marc. p. 44 pandere, Becker Handb. d. R. Alterth. II, 2, 292 ff., so daß sie von dort aus ihre Kornmarktspolizei ausübten und unter den Armen ihres Standes gelegentlich auch Korn- und Brodspenden vertheilten: daher Ceres und ihr Tempel bald zu Symbolen der plebejischen 434 Freiheiten überhaupt wurden und in solchen Fällen, wo gegen dieselben verstoßen wurde, ihren Antheil an der Buße zu bekommen pflegteLiv. II, 41, vgl. XXXIII, 25 und Plin. H. N. XXXIV, 4, 9.. Selbst als später, seit dem J. 389 d. St. (365 v. Chr.), neben den plebejischen Aedilen curulische gewählt wurden, blieb die Sorge für den Kornmarkt und für die Spiele der Ceres ein wesentliches Attribut dieses Amtes, daher wir nun beide, sowohl die plebejischen als die curulischen Aedilen, mit diesen Spielen beschäftigt sehenLiv. X, 23, vgl. Cic. in Verr. V, 14, 36.. Endlich übertrug Cäsar diese doppelte Aufgabe des Kornmarktes und der Cerealischen Spiele zwei neuen plebejischen Aedilen, welche zum Unterschiede von den übrigen Cerealische genannt wurdenBecker – Marquardt Handb. II, 2, 327, 3, 248. Ein solcher Aedilis Cerealis des Cäsar war C. Memmius C. F., welcher sich auf Münzen der Memmia nennt, mit der Aufschrift MEMMIVS AED. CERIALIA PREIMVS FECIT und dem Bilde der Ceres..

Das alte Hauptfest dieser Götter fiel in den April, der wichtigste Tag der Spiele auf den 19. dieses Monats. Die Spiele hießen Cerialia oder ludi Cereales und wurden wie andre Spiele anfangs nur von Zeit zu Zeit und auf außerordentliche VeranlassungLiv. X, 23, XXX, 39., später regelmäßig alle Jahre gegeben. Die Grundidee war die Stiftung des Ackerbaus, nach griechischer Weise mit dem Hintergrunde der Mythe vom Raube des Demeterkindes und seinem Wechsel zwischen Ober- und Unterwelt, in welcher Hinsicht sich die Römer mit dem südlichen Italien überhaupt die Traditionen Siciliens mit dem heiligen Mittelpunkte Enna aneigneten. So wurde in der Zeit der Gracchischen Unruhen auf den Rath der sibyllinischen Sprüche, die älteste Ceres zu versöhnen, eine eigne Gesandtschaft nach Enna geschickt, weil man den römischen Gottesdienst für ein Filial des dortigen Demeterdienstes hielt, und Cicero macht es dem Verres ganz besonders zum Verbrechen, daß er gegen die ehrwürdige Religion der Ceres in ihren heiligsten Stätten und Bildern zu Catana und Enna mit ruchloser Hand gefrevelt habeCic. in Verr. V, 72, 187, vgl. Val. Max. I, 1, 1.. Daher auch die römischen Dichter den Raub der Proserpina gewöhnlich nach Anleitung der Legende von Enna erzählen, die eben dadurch immer mehr zur Herrschaft gelangte, namentlich Ovid F. IV, 392 ff., wo er auf Veranlassung der Cerealischen Spiele ausführlich von dieser Göttin und ihrem Cultus berichtetVgl. Stat. Theb. XII, 270 ff., Sil. Ital. Pun. XIV, 239 ff., Claudian de raptu Proserpinae, und als letzten Nachklang der sicilianischen Legende die Erzählung bei Iul. Firmicus Mat. 7 p. 10 ed. Bursian.. Sie habe die Menschen in dem Anbau ihrer 435 edlen und veredelnden Frucht unterwiesen, in einer Zeit wo noch Alles einfach und friedlich gewesen sei, daher auch Ceres den Frieden und einfache Gaben liebe, wenn man sie mit reinem Gemüthe darbringe, etwas Opfermehl und Weihrauch und brennende FackelnNach Dionys. 1, 33 wäre der Gottesdienst der Ceres in Rom ohne Wein begangen worden. Vgl. aber Virg. Georg. I, 344 und dazu Servius.. Vor allem hüte man sich einen Stier zu schlachten, denn dieser ist heilig als Diener des Ackerbaus, den Ceres selbst jochen lehrte; wohl aber ist ihr das Opfer von Schweinen willkommen. Auf der fruchtbaren Insel Sicilien, der Kornkammer Italiens, ist ihre Heimath, am liebsten weilt sie in der ganz von Kornfeldern umgebenen Gegend von Enna. Bei einem Mahle, mit welchem Arethusa die Götter von Sicilien bewirthet, wird Proserpina, als sie mit ihren Gespielinnen auf der Frühlingsflur Blumen liest, von Pluton entführt. Ihr Geschrei dringt ach! zu spät zur Mutter, die nun ihr Kind mit rasendem Schmerze umherirrend sucht, zuerst in der Gegend von Enna, dann durch die ganze Insel, bis die Nacht hereinbricht. Da entzündet sie zwei Fichtenstämme an den Gluthen des Aetna zu leuchtenden Fackeln, schirrt die Drachen vor ihren Wagen und eilt über das Meer nach Korinth und Attika, wo sie sich zuerst wieder Ruhe gönnt und den Knaben Triptolemos, den Sohn des eleusinischen Keleos, unter allen Sterblichen zuerst mit ihrer Frucht und der Unterweisung ihres Anbaus begnadet. Dann eilt sie weiter nach Asien und über die ganze Welt bis zu den fernsten Völkern des Morgen- und Abendlandes, denn auch am Rhein, am Rhodanus und Po, auch am Tiber ist sie gewesen. Auch am Himmel hat sie gesucht und gefragt, bis endlich die Sterne sie an Sol weisen und dieser die Wahrheit sagt. Jupiter verspricht die Rückkehr unter der bekannten Bedingung, worauf endlich der Beschluß erfolgt daß das liebliche Kind die Hälfte jedes Jahres unter den Himmlischen und bei der Mutter, die andre Hälfte bei den Unterirdischen zubringen solle. Da kehrt die alte Lust und die alte Güte der Ceres zurück und sie flicht sich den Aehrenkranz in das blonde Haar und spendet so reiche Erndten, daß keine Tenne groß genug ist. So soll man sie feiern, als die versöhnte, die gütige Erndtegöttin, in einer Zeit wo die Aecker von neuem in dem hoffnungsvollen Grün prangen, mit dankbarer Freude und in der lichten Kleidung der Freude; denn 436 nur weiße Kleider ziemen der Ceres. daher an den Cerealien Alles weiß gekleidet war und namentlich die Priesterinnen und die Geweiheten der Ceres nur diese Farbe trugenOvid F. IV, 619, V, 355, Tertull. de pallio 4 ob cultum omnia candidatum et ob notam vittae et privilegium galeri Cereri initiantur. Die vitta war nehmlich das priesterliche Abzeichen im Dienste der Ceres. Der galerus scheint hier nicht eine Kopfbedeckung wie beim fl. Dialis, sondern eine eigenthümliche Haartracht gewesen zu sein, vgl. Iuvenal S. VI, 50, Tertull. de test. an. 2, de cult. fem. II, 7.. Das ganze Fest dauerte nach den Kalendern der Augusteischen Zeit acht Tage lang, vom 12. bis 19. April. Es begann wie die römischen Spiele mit einer feierlichen Procession durch den CircusOvid F. IV, 389, welche Worte schon auf die Cerealien zu beziehen sind. Vgl. Varro d. r. r. 1, 2, 11., worauf die Spiele in demselben folgten, so daß sich die Megalesien vom 4. bis 10. April und diese Spiele der Ceres fast unmittelbar an einander anschlossen; wie diese Spiele sich auch darin glichen daß zur Feier des Wohlseins, das beide Göttinnen gebracht, die Bürger sich gegenseitig bewirtheten, die Patricier an den Megalesien, die Plebejer an den CerealienGellius N. A. XVIII, 2, 11. Bei solchen Mahlzeiten ging es üppig zu, daher Cereales coenae für ein reichliches, üppiges Mahl, Plaut. Menaechm. 1, 1, 25.. Die Aedilen scheinen als Oberaufseher der Spiele auch an dem einleitenden Opfer theilgenommen zu habenTertull. d. idololatr. 10, wo von den verschiedenen Schulferien die Rede ist: Flaminicae et Aediles sacrificant, creatis schola honoratur feriis. Höchst wahrscheinlich bezieht sich dieses auf die Cerialien. Von einem Opfer der Ceres, bei welchem ein goldnes und ein silbernes Schwein gebraucht wurde, spricht Fest. p. 238 porcam. Auch auf dem Lande war der 19. April der herkömmliche Festtag, s. Or. n. 1495., welches vermuthlich am 19. April dargebracht wurde, dem alten Hauptfesttage der Cerialien und dem volksthümlichsten Tage der ganzen Circusfeier. Dann füllte sich der Circus mit den dichtesten Schaaren, unter welche allerlei Geschenke und Eßwaaren geworfen wurden, namentlich NüsseFest. p. 177 Nuces mitti in Cerialibus. Auch bei Tacit. Ann. XV, 53 sind die Cerialien ein durch seine Heiterkeit ausgezeichnetes Fest; daher es ein nicht geringes Versehn war, als die Aedilen gelegentlich bei diesen Spielen anstatt der gewöhnlichen Rennen Gladiatoren auftreten ließen, Dio XLVII, 40., welche Frucht auch in Italien ein altherkömmliches Symbol der üppigen Fruchtbarkeit war. Außer den Pferderennen gab es an diesem Tage eine sehr volksthümliche Fuchshetze durch den Circus, wobei den Füchsen brennende Fackeln an den Schwanz gebunden wurden: eine sinnbildliche Erinnerung an den Schaden, den die 437 Felder vom Kornbrande, den man den Rothfuchs (robigo) nannte, zu befürchten hatten und in dieser verhängnißvollen Jahreszeit auf mehr als eine Weise beschwur. Ovid hatte sich auf einer Reise in seine Heimath von einem Landmann zu Carseoli den Zusammenhang erzählen lassen (F. IV. 679 ff.). Ein sparsames, hartgewöhntes Paar habe in dieser Gegend ein kleines Gut besessen; der Mann bestellte das Feld, die Frau sorgte für Haus und Hof und war eine fleißige Spinnerin. Sie hatten einen Sohn, der zwölf Jahre alt war und ein muthwilliger Bursch. Dieser fängt einen Fuchs, welcher oft den Hühnerstall beschädigt hatte, wickelt ihn in Stroh und Heu, steckt dieses in Brand und läßt ihn so wieder los, worauf der Fuchs durch das Getreide laufend Alles in Brand steckt; daher ein Gesetz von Carseoli den Tod jedes gefangenen Fuchses forderteOvid l. c. nam vivere captam nunc quoque lex volpem Carseolana vetat. Die Stelle ist verdorben und sehr verschieden emendirt, s. Merkels Ausgabe und Hertzbergs Rec. in der Zeitschr. f. A. W. 1846 n. 19 ff.. Deshalb würden die Füchse auch an den Cerialien dadurch bestraft, daß man ihnen einen Brand an den Schwanz hänge und sie dann durch den Circus hetze. Vielmehr liegt bei diesem Gebrauche und bei jenem Mährchen dasselbe Bild zu Grunde wie bei dem böotischen Mährchen vom Hunde des Kephalos, der den Teumessischen Fuchs verfolgt bis beide in Stein verwandelt werdenGriech. Mythol. 2, 97.. Es ist die Zeit des Hundssterns, wo man den Kornbrand am meisten zu fürchten hatte; folgt in dieser Zeit der heiße Sonnenbrand zu schnell auf den Reif oder den Thau der kühlen Nächte, so rast jenes Uebel wie ein brennender Fuchs durch die Fruchtfelder. In der Nähe von Rom gab es einen eignen Hain der Robīgo oder des Robīgus; unter diesem Namen, der von rōbus d. i. rufus abzuleiten ist, kannte man eine eigne Gottheit, deren Verehrung sehr alt war und bei welcher man sowohl die Ursache des Uebels als eine abwendende Hülfe gegen dasselbe suchteGell. N. A. V, 12, Varro l. l. VII, 102, vgl. Plin. H. N. XVII, 44, 2, XVIII, 28, 68. Im Griechischen heißt der Kornbrand gleichfalls wegen der rothen Farbe ἐρυσίβη, daher Apollo ἐρυϑίβιος auf Rhodos, s. Strabo XIII p. 912.: daher man den Mars mit der Robigo und den Robigus mit der Flora zusammen verehrteTertull. d. Spectac. 5, Varro r. r. 1, 1, 6, vgl. oben S. 302, 658, 379, 909.. Namentlich wurden am 25. April, also bald nach den Cerealien und kurz vor den Floralien, eigne Robigalia begangen, angeblich eine Stiftung des Numa, wo man zu diesen 438 Göttern um Schutz vor dem verheerenden Uebel flehtePlin. XVIII, 29, 69, vgl. Varro l. l. VI, 16, Paul. p. 267, Serv. V. Ge. I, 151, nach welchem die Bauern den Kornbrand calamitas nannten d. i. also eigentlich Halmschaden, Kal. Maff. Praenest.. Es war die Zeit wo der Hundsstern aufging, daher man an diesem Tage im Haine des Robigus, fünf Millien von Rom, auf dem Wege nach Nomentum, junge Hunde von rother Farbe als Sühnopfer darbrachte, wonach ein benachbartes Thor das Hundsthor genannt wurdePaul. p. 45 Catularia porta Romae dicta est, quia non longe ab ea ad placandum Caniculae sidus frugibus inimicum rufae canes immolabantur, ut fruges flavescentes ad maturitatem perducerentur. Vgl. Fest. p. 285 rutilae canes, Colum. X, 342. Auch bei Plin. XVIII, 3, 3 Ita est in commentariis pontificum: Augurio canario agendo dies constituantur priusquam frumenta vaginis exeant et antequam in vaginas perveniant ist an diese Feier zu denken.. Ovid erzählt wie ihm, als er einst an jenem Tage früh Morgens auf dem Wege von Nomentum nach Rom war, die Procession nach jenem Haine in weißen Festkleidern begegnet sei, voran der Flamen Quirinalis, um die Eingeweide eines Hundes und die eines Schaafes darzubringen. Er tritt hinzu und hört das Gebet des Flamen, in welchem er die große Macht der strengen Robigo pries und um Schonung der reifenden Saat bat, woran sich die gewöhnliche Fürbitte um Segen der Felder und um Frieden anschloß. Darauf wurde zuerst mit Weihrauch und Wein, dann mit den Eingeweiden der beiden Thiere geopfert. Zuletzt wurden auch hier, wie im Haine der Dea Dia, gewisse Spiele aufgeführtVerr. Flacc. z. Fast. Praen. ROB. Feriae Robigo via Claudia ad milliarium V, ne robigo frumentis noceat. Sacrificium et ludi cursoribus maioribus minoribusque fiunt..

Eine andre Feier der Ceres, diese vorzüglich die Frauen angehend, fiel in den August, bald nach dem Tage der Schlacht bei Cannä, welche am 2. Aug. des J. 538 d. St. (216 v. Chr.) verloren wurde und ganz Rom so mit Trauer erfüllte, daß die Feier der Ceres darüber unterblieb; daher die Trauer durch ein eignes Gesetz auf die Frist von dreißig Tagen beschränkt und darauf die Feier der Ceres nachgeholt wurdeSo werden sich die verschiedenen Berichte am ersten vereinigen lassen, s. Liv. XXII, 56 und XXXIV, 6, Val. Max. I, 1, 15, Plut. Fab. 18, Paul. p. 97 Graeca sacra festa Cereris ex Graecia translata, quae ob inventionem Proserpinae matronae colebant etc, wo irrig von einer Beschränkung der Trauer auf 100 Tage die Rede ist. Vgl. Fest. p. 154 Minuitur populo luctus – cum in casto Cereris est.. Es war ein Fest der Wiedervereinigung der Ceres und der Proserpina nach 439 griechischem Vorbilde, wobei die Frauen sich, wie es scheint, neun Nächte ihrer Männer enthalten mußten und dann in weißer Kleidung und geschmückt mit den Kränzen reifer Aehren die Erstlinge der Früchte darbrachtenOvid Met. X, 431 Festa piae Cereris celebrabant annua matres, vgl. Merkel O. F. p. CLXXX. Auch die sacra Cereris Matris b. Arnob. II, 73 gehören wohl hieher.. Wegen der vorgeschriebenen Enthaltsamkeit und des zu Grunde liegenden Mythus von der Trauer der Ceres über den Raub des Kindes galt sie in Rom für eine Widersacherin der EheServ. V. A. III, 139, V. A. IV, 58 Alii dicunt, – Cererem propter raptum filiae nuptias execratam. – Et Romae cum Cereris sacra fiunt observatur ne quis patrem aut filiam nominet, quod fructus matrimonii per liberos constet, mit Beziehung auf die geraubte Libera, vgl. Cic. N. D. II, 24, 62 sed quod ex nobis natos liberos appellamus, id circo Cerere nati nominati sunt Liber et Libera, quod in Libera servant, in Libero non item. Immer liegt bei diesen Vorstellungen das Bild der Ceres deserta zu Grunde, wie sie b. Virg. Aen. II, 714 heißt, wozu der Int. Mai. bemerkt: perpetuum epitheton factum propter raptum Proserpinae., obwohl Ceres sonst in Rom wie Tellus und die Thesmophoros bei den Griechen für eine Ehegöttin gehaltenServ. V. A. IV, 58, vgl. Paul. p. 87 facem in nuptiis in honorem Cereris praeferebant. Daß auch der Dienst der griechischen Thesmophoros in Italien verbreitet war, lehrt die Inschr. aus Pompeji b. Or. n. 2190, daß sie den Römern wohlbekannt war Cic. Verr. V, 72, 187. und selbst eine Hochzeit der Ceres oder des Orcus mit großer Feierlichkeit und unter Betheiligung der Pontifices begangen wurdePlaut. Aulul. II, 6, 5 auf Veranlassung einer Hochzeit wo der Wein fehlt: Cererine has facturi nuptias? Serv. V. Ge. I, 344 aliud est sacrificium aliud nuptias Cereris celebrare, in quibus revera vinum adhiberi nefas fuerat, quae Orci nuptiae dicebantur, quas praesentia sua Pontifices ingenti solemnitate celebrabant. Also eigentlich die Hochzeit des Pluton und der Persephone, wie sie in Griechenland im Sommer viel gefeiert wurde, s. Griech. Mythol. 1, 485, daher auch in Rom an dieselbe Jahreszeit zu denken sein wird. Man scheint sich die Ceres dabei als Gastgeberin gedacht zu haben. Auch das lectisternium Cereris b. Arnob. VII, 32 gehört vermuthlich in diesen Zusammenhang.: aus welcher Auffassung auch der Gebrauch zu erklären sein wird, daß bei leichtsinnigen Ehescheidungen der Mann die eine Hälfte seines Vermögens der geschiedenen Frau, die andre der Ceres überlassen und den unterirdischen Göttern ein Opfer darbringen mußtePlut. Rom. 22. Da Ehescheidungen vor 231 v. Chr. in Rom unerhört waren, so kann dieses Gesetz nicht wohl älter sein.. Endlich wurde seit dem J. 191 v. Chr., wieder auf Anstiften der sibyllinischen Bücher zuerst alle vier Jahre, dann jährlich am 4. October ein Fasten der Ceres (ieiunium Cereris) beobachtetLiv. XXXVI, 37, Kal. Amitern. z. 4. Octb., welches 440 wenigstens der Zeit nach den griechischen Thesmophorien entsprach.

Immer gehörte der Dienst der Ceres und ihr altes Heiligthum am Circus zu den angesehensten in Rom; nach Cicero war sie so einheimisch geworden, daß es den Anschein hatte als ob sie nicht anderswoher dahin gekommen, sondern von dort zu andern Völkern gegangen seiCic. Verr. l. c. Wirklich war später durch ganz Italien der Name Ceres der vorherrschende, Demeter wird nur ausnahmsweise genannt, z. B. in der Inschrift aus Cumae b. Or. n. 1498, vgl. Mommsen I. N. ind. p. 459. Ueberall war diese Religion sehr angesehn und namentlich wurden die Priesterinnen der Ceres vielfach ausgezeichnet, s. die Inschriften aus dem südlichen Italien, Pompeji, Capua, Samnium b. Mommsen I. N. n. 375. 1083. 2206. 2207. 3563. 3572. 3573. 4535. 4743 und die aus Verona b. Or. n. 1494. Besondre Erwähnung verdient die Ceres Helvina oder Elvina in Aquinum, s. Iuvenal Sat. III, 319, Mommsen I. N. n. 4312.. Augustus baute den im J. 31 v. Chr. durch eine Feuersbrunst zerstörten Tempel von neuem auf, worauf er von Tiberius wieder eingeweiht wurdeTacit. Ann. 11, 49. Eine supplicatio der Ceres und Proserpina nach dem Neronischen Brande b. Tacit. A. XV, 44.. Der Kaiser Claudius machte sogar den Versuch, die eleusinischen Mysterien nach Rom zu übertragen.

Neben der Ceres also wurden Liber und Libera verehrt d. h. im Sinne des griechischen Cultus Dionysos und Persephone, da diese Götter nach dem Vorbilde von Eleusis bei den Griechen überhaupt und so auch in Sicilien und Italien oft zusammengestellt wurden. Namentlich war Campanien das Land, über welches Ceres und Bacchus in gleicher Fülle ihre Gaben ausgeschüttet, oder wie sich die Alten in solchen Fällen eines gleichartigen Anspruchs auszudrücken pflegten, wo diese beiden Götter mit einander gekämpft hattenPlin. H. N. III, 5, 9, vgl. Sil. Ital. Pun. VII, 162 ff.; und das Mährchen von der Einkehr des Bacchus bei guten Freunden, welche er dann den Weinbau lehrt, wurde sogar bis hinauf in das Gebiet des Falerner Weins erzählt, von wo sich der Gott weiter nach Spanien gewendet habe. Indessen kamen auch hier den griechischen Gottesdiensten ältere italische entgegen, wie dieses schon die einheimischen Namen beweisen, mit denen sich auf dem Lande auch die alten volksthümlichen Gebräuche und Feste der Weinlese in herkömmlicher Art und Lustbarkeit erhalten hatten. Liber oder wie man ihn insgemein nannte Liber Pater ist eigentlich der BefreierDer Stamm ist lib, in der älteren Sprache loeb, wohl zu unterscheiden von lŭbet, lĭbet, wovon Libentia, Libitina u. s. w. Paul. p. 121 Loebesum et loebertatem antiqui dicebant Liberum et libertatem. Ita Graeci λιυβὴν et λείβειν. Vgl. Serv. V. G. I, 7 Sabini– Liberum Loebasium (appellant). Dictum autem quia graece λοιβὴ dicitur res divina. Allerdings hängt wohl auch λείβειν, lībare mit diesem Stamm zusammen, nur nicht blos in dem Sinne der gottesdienstlichen Spende, sondern in dem allgemeineren des fließenden und strömenden Segens, des vegetativen Ueberflusses überhaupt, s. Augustin C. D. VII, 21 Liberi sacra, quem liquidis seminibus ac per hoc non solum liquoribus fructuum, quorum quodammodo primatum vinum tenet, verum etiam seminibus animalium praefecerunt. Hinsichtlich des Nebenbegriffs der Befreiung von Sorge und Mühe, der in Italien zur Hauptsache geworden, entspricht dem italischen Liber am meisten der griechische Λύσιος oder Λύαιος, wie denn auch Einige Liber von luo ableiten, s. Lobeck Aglaoph. p. 644. In der deutschen Mythologie entsprechen Fro und Frowa dem italischen Paare Liber und Libera, s. Grimm D. M. 191 ff., 1209., der frohe Gott des Scherzes und der heitern 441 Ausgelassenheit, in demselben Sinne wie man in alter Zeit auch von der libertas, der Freiheit zu reden und diese zu personificiren und im Bilde zu denken pflegte, als eine schöne und reich geschmückte Frau, von welcher üppige Fülle und Kraft, reichlicher Segen der Felder und das dadurch bedingte Glück eines heitern und sorgenlosen Lebensgenusses ausgehe. Immer ist dieses die vom Liber und der Libera unzertrennliche Vorstellung, daher auch das Fest der Weinlese immer vorzugsweise von dieser Seite einer ungebundnen Freiheit in der Rede und im Genuß des neu gewonnenen Natursegens aufgefaßt wirdPaul. p. 115 Liber repertor vini ideo sic appellatur, quod vino nimio usi omnia libere loquantur. p. 116 Naevius: Libera lingua loquemur ludis Liberalibus. Pomponius b. Ribbeck Com. lat. p. 211 cuiusvis leporis Liber diademam dedit. Auch die libera coena bei Petron. 26 wird so zu verstehen sein, vgl. Ael. Lampr. Heliog. 11 vere liberam vindemiam esse quam sic celebrarent. Dahingegen Seneca d. tranq. an. 15, 15 den Liber nicht ob licentiam linguae so benannt wissen will, sed quia liberat servitio curarum animum., wie in der Vorstellung von dem Lande »wo Milch und Honig fließt« die des ungetrübten nationalen Glücks von selbst enthalten ist. Weiter sind Liber und Libera die Götter aller üppigen Production, daher zu ihnen nicht blos um Segen der Felder, sondern auch um Fruchtbarkeit von Menschen und Vieh gebetet wurde, und zwar schon in den alten pontificalen Gebetsurkunden, ein Beweis mehr daß wir es hier mit altitalischen Göttern zu thun haben. Daher das in diesem Kreise von Vorstellungen sowohl bei den Griechen als bei der Bevölkerung von Italien und bei vielen andern Völkern herkömmliche Symbol des Phallos oder wie man in Italien sagte des fascinum, welches zur Zeit der Weinlese auf dem Lande von 442 Ort zu Ort auf einem Wagen mit großer Lust und religiöser Feierlichkeit bis in die Stadt gefahren wurdeAugustin l. c. nach Varro.. Ja in Lavinium, der alten Stadt der latinischen Penaten, war sogar ein ganzer Monat dem Liber heilig, durch dessen ganze Dauer die ungebundensten Späße erlaubt waren, bis jenes Symbol über den Markt geführt und im Tempel des Liber wieder zur Ruhe gebracht worden war. Auch pflegte das fascinum hier, als Symbol des von dem Gotte ausströmenden Segens zugleich ein Gegenzauber gegen jeden Schaden, der diesen Segen durch Neid, bösen Blick, Bezauberung u. s. w. treffen könnte, von der angesehensten Matrone des Ortes öffentlich bekränzt zu werden; wie denn dasselbe Symbol in gleichartiger Auffassung und mit gleichartiger Auszeichnung auch sonst bei den Alten, namentlich in der römischen und italischen Sitte etwas ganz Gewöhnliches warVgl. die lehrreiche Abh. von O. Jahn über den Aberglauben des bösen Blicks bei den Alten, in den Berichten der K. Sächs. Ges. d. W. z. Leipzig 1855 S. 68 ff. und oben S. 205, 382.. So werden auch die sogenannten fescennini versus, in denen sich die Lust der Weinlese mit derben Späßen Luft machte, am besten von diesem ländlichen Umzuge mit dem fascinum abgeleitetHorat. Ep. II, 1, 145 ff., Virg. Ge. II, 385, Liv. VII, 2. Die Ableitung von fascinum leuchtete auch den Alten ein, nur daß sie auch hier an eine everruncirende Wirkung dachten, Paul. p. 85. Die Stadt Fescennium in der Gegend von Falerii, von welcher auch Serv. V. A. VII, 695 die nuptialia carmina ableitet, hatte ihren Namen vermuthlich von einem besonders eifrigen Culte des fascinum bekommen, dessen Bild man als mächtigen Gegenzauber noch jetzt hin und wieder über den Thoren alter Städte in Italien angebracht findet., daher dieselben Verse und dieselben Witze auch bei dem Hochzeitszuge gebräuchlich waren. Auch wissen wir daß dieses Symbol dem Liber Pater als einem Gotte der männlichen Erzeugung überhaupt heilig war und in seinen Tempeln als Anathem dargebracht wurde, während der Libera von den Frauen als einer Göttin des weiblichen Empfängnisses das entsprechende Symbol des weiblichen Geschlechts geweiht wurde, daher man die Libera gewöhnlich für identisch mit der Venus hieltAugustin C. D. VI, 9. Höchst wahrscheinlich ist auch das hin und wieder in Inschriften des südlichen Italiens erwähnte Priesterthum der Ceres und Venus auf Ceres und Libera zu beziehn, s. Mommsen I. N. n. 4227. 5434, vgl. n. 5006.. Genug mit diesen beiden Göttern wurden durch griechischen Einfluß der griechische Dionysos und die griechische Persephone dergestalt 443 identificirt, daß jener fortan im römischen und lateinischen Sprachgebrauche allgemein Liber und Liber Pater, diese entweder Libera oder vermöge einer in solchen Fällen zumal im höheren Alterthum gewöhnlichen Zustutzung des griechischen Wortes für das lateinische Verständniß Proserpina genannt wurde, für welches Wort man nachträglich auch eine etymologische Rechtfertigung fandAugust. C. D. IV, 8 vgl. VII, 20 Proserpinam – praefecerunt frumentis germinantibus – dictam a proserpendo. Arnob. III, 33 quod sata in lucem proserpant cognominatam esse Proserpinam. Ennius übertrug nach Varro l. l. V, 68 dieselbe Erklärung auf Proserpina als Mondgöttin, quod haec ut serpens modo in dexteram modo in sinistram partem late movetur, denn serpere und proserpere sei in der alten Sprache z. B. bei Plaut. Poen. V, 2, 74 proserpens bestia Dasselbe. Uebrigens ward Proserpina gewöhnlich als Gattin des Dis Pater, Libera als Tochter der Ceres gedacht, vgl. Cic. N. D. II, 26, 66.. So wurden also diese beiden griechischen Götter fortan in Rom und auf dem Lande neben einander und neben der Ceres und andern Gottheiten des ländlichen Segens verehrt, aber nur in dieser populären Bedeutung der segenspendenden Gaben, nicht in der mystischen des ekstatischen Gottesdienstes, wie er bei den Griechen, auch bei denen im südlichen Italien nothwendig zur Sache gehörte, aber in Rom durch die natürliche Nüchternheit der religiösen Gewöhnung, später auch durch das Staatsgesetz ausdrücklich ausgeschlossen blieb. Was speciell den Liber Pater betrifft, so wurde er als Behüter und Segenspender ländlicher Grundstücke auch wohl neben dem Silvanus oder nach griechischer Weise in der Umgebung von Panisken und PriapiskenMommsen I. N. n. 5009 Libero Gratilliano n. 5984 (Or. 1487) Sig. Lib. Patris et Silvani etc. unter einer Nische, in welcher die beiden Bilder standen. n. 4834 L. Octavius Charito operi faciundo praefuit et parietem supra arcus de suo fecit, signum Liberi et Priapisci posuit. Eben dahin gehört die versificirte Inschrift aus Lambaese in Numidien b. Henzen z. Or. n. 5716: Alfinio Fortunato | Visus dicere somnio | Leiber Pater bimatus (ein Versehn des Steinmetzen für bimater), | Iovis e fulmine natus | Basis hanc novationem | Genio domus sacrandam. | Votum deo dicavi | Praefectus ipse castris. | Ades ergo cum Panisco | Memor hoc munere nostro | Natis sospite matre. | Facias videre Romam | Dominis munere honore | Mactum coronatumque: wo Liber Pater eben der genius domus ist, dem Alf. Fort. in der Fremde Weib und Kind und seine eigne Rückkehr nach Rom anbefiehlt., in den Städten dagegen häufig als Symbol der bürgerlichen Freiheit verehrt, daher man sein Bild, wie das seines Gesellen, des bekannten Silen Marsyas aus Kleinasien, nicht selten auf den Märkten fand, u. a. in RomServ. V. A. III, 20, IV, 58, Schol. Cruq. z. Hor. S. 1, 6, 120. Als einen Gott der üppigen Freiheit bekränzte ihn Livia, die Tochter Augusts, bei ihren nächtlichen Schwärmereien, s. Plin. XXI, 3, 6, Seneca d. Benef. VI, 32, Dio LV, 10. Das Bild dieses Marsyas sieht man auf den Münzen der g. Marcia und Vibia.. Die Hauptfeier des 444 Liber und der Libera blieb immer die Zeit der Weinlese, welche durch ganz Italien mit großer Lust und Ausgelassenheit begangen wurde und wie die Zeit der Erndte selbst in dem ernsten Rom die Geschäfte des Staates und der Gerichte regelmäßig unterbrachSowohl für den Senat als für die Gerichte brachten der September und October Ferien, s. Sueton Octav. 35, Minuc. Fel. Octav. p. 10. Daß auch die Städter und die vornehme Welt an diesen oft sehr ausgelassenen Freuden eifrig theilnahm, sieht man aus Tacit. Ann XI, 31, Ael. Lampr. Heliog. 11, vgl. Iul. Capitol. Anton. P. 11, Gell. N. A. XX, 8. Für Campanien bestimmt das feriale Capuanum den 15. Octbr. zur Feier der Weinlese, und zwar soll dieses Fest am acherusischen See bei Cumä begangen werden.. Vornehme und geringe Leute pflegten sich den Freuden der Zeit zu überlassen und namentlich ging es auf dem Lande immer sehr lustig zu, indem theils jene älteren Gebräuche ihr Recht behielten, auch Oscillen an den Bäumen aufgehängt und allerlei Mummenschanz getrieben und dazu als herkömmliches Opfer des Liber Pater Böcke geschlachtet wurdenVirg. Ge. II, 380 ff., wo der Dichter die italischen Gebrauche der Weinlese aus Griechenland, speciell aus Attika ableitet, wie denn nachmals auch auf dem Lande die beiderseitigen Gebräuche sich immer mehr ausgeglichen haben mögen. So bleibt es zweifelhaft, ob die oscilla bei dieser Gelegenheit altherkömmlich oder Nachahmung der attischen αἰώρα waren, vgl. Serv. Philarg. und Prob. z. Virgil l. c, Fest. p. 195 oscillum. Der ganzen ländlichen Feier gedenkt auch Tibull. II, 1, 55 ff, des Bocksopfers Varro r. r. 1, 2, 19 u. A. Varro liebte es auch in seinen Satiren auf die Genüsse und Feste des Bacchus anzuspielen, s. den Preis des Weins b. Non. Marc. p. 28 v. coagulum und ib. p. 59 Homines rusticos in vindemia incondita cantare, sarcinatrices in machinis.. Auch beim Keltern und der Weinbereitung weihte derselbe Glaube das Geschäft, indem namentlich alle Gefäße, die Kelter, der Most durch eigene Opfer und Spenden zum Dienste des Liber und der Libera geheiligt wurdenPaul. p. 319 Sacrima (oben S. 407, 995), p. 349 Suffimenta dicebant quae faciebant ex faba milioque molito mulso sparso. Ea diis eo tempore dabantur, quo uvae calcatae prelo premebantur. Vgl. Colum. XII, 18, 4.. Andre Liberalien wurden in Rom am 17. März mitten in der Zeit der Salierumzüge gefeiert, ein städtisches Fest, daher auch der bürgerliche Character überwog. Die gewöhnliche Opfergabe waren die sogenannten liba d. h. Opferkuchen von far, Honig und Oel, wie sie auch sonst dem Liber dargebracht wurden, offenbar wegen des gleichen Klangs mit 445 seinem Namen. Durch die ganze Stadt wurde dieses Gebäck an jenem Tage von betagten Priesterinnen, die sich mit Epheu bekränzten, feilgeboten, indem sie einen kleinen Opferheerd zum Opfer für den Käufer gleich bei sich hattenVarro l. l. VI, 14, vgl. Kal. Maff. Farnes. z. 17. März und oben S. 320. Ueber die ganze Feier Ovid F. III, 711 ff., vgl Serv. V. A. VII, 109, Varro l. l. VII, 44.; um sich den Gebrauch zu erklären, behauptete man daß Liber die Libationen und den Honig und dessen richtigen Gebrauch erfunden und daher wohl gar seinen Namen bekommen habe. Ferner pflegte an diesem Feste den mannhaft gewordenen Jünglingen die sogenannte toga libera gegeben zu werden, wo also Liber wieder der Gott der Freiheit und des ungehinderten Lebensgenusses istOvid. vs. 777 Sive quod es Liber, vestis quoque libera per te sumitur et vitae liberioris iter. Vgl. Cic. ad Att. VI, 1, 12, IX, 9, 4. Die Jünglinge opferten auf dem Capitole, wo deshalb auch Liber sein Heiligthum hatte, Serv. V. Ecl. IV, 50, Kal. Farnes. LIBERalia LIBERO IN CApitolio, vgl. Tertull. de Idolol. 16, Appian B. C. IV, 30 u. A. Nach Tertull. Apol. 42 fanden auch öffentliche Schmäuse an den Liberalien statt, wenn hier nicht die Cerealien im April gemeint sind. Uebrigens pflegen die römischen Schriftsteller auch die griechischen Dionysien Liberalia zu nennen.. Eigne Spiele wurden an diesem Tage keineswegs aufgeführt, sondern es sind, wenn von ludi Liberales die Rede ist, die der Ceres im April zu verstehn, welche zugleich den engverbundnen beiden andern Göttern, dem Liber und der Libera galtenCic. Verr. II, 5, 14 ludos – Cereri Libero Liberaeque faciundos. Serv. V. Ge. I, 7 quia eis templa simul posita sunt et ludi simul eduntur. Vgl. Ovid F. III, 785. Ob diese Spiele später scenisch waren, wie die griechischen Dionysien, muß dahin gestellt bleiben, s. Ritschl Parerga Plaut. p. 287, Marquardt Handb. d. R. Alt. IV, 309.. Natürlich hat sich von allen diesen Festen das ländliche Fest der Weinlese am längsten erhalten. Noch in den letzten Zeiten des Heidenthums, ja als schon das Christenthum zur alleinigen Herrschaft gelangt war, ließ es sich der Landmann so wenig in Italien als in Griechenland nehmen, an diesen fröhlichen Tagen der alten Götter zu gedenken und die alten volksthümlichen Lustbarkeiten so gut es ging zu wiederholen.


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