Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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d. Terminus.

Auch die Grenze und der sie darstellende Grenzstein oder Grenzpfahl (termen, terminus) galten im höheren Alterthum, wo die bildliche Darstellung einer Idee noch mehr vermochte als ihr abstracter Ausdruck, für etwas Heiliges und von den Göttern Eingesetztes, unter welchen Göttern in Griechenland und Italien der höchste Gott des Himmels, Zeus und Jupiter, als Princip aller Ordnung auch der eigentliche Schutzherr und Urheber der Grenzsteine ist. Man wußte es wohl daß die Abtheilung und Abmarkung des Grundeigenthums nach Gemeinden, Corporationen oder Privatgrundstücken der Anfang aller Befriedigung und Berechtigung der sonst einander wild widerstrebenden Ansprüche Aller auf Alles ist. In Rom sind es wieder die beiden fürstlichen Sabiner, auf welche auch in diesem Kreise die elementaren Ordnungen zurückgeführt wurden. T. Tatius soll den bekannten Terminus auf dem Capitole geheiligt haben (Liv. 1, 55 vgl. Varro l. l. V, 74), Numa galt für den Stifter der Terminalia, wie sie zu Ende jedes Jahrs d. h. am letzten Februar in Rom und auf dem Lande begangen wurden (Dionys II, 74, Plut. Numa 16, Qu. Ro. 15). Weil solch ein Fest ohne Grenzen und Abmarkung des ländlichen Grundeigenthums nicht denkbar ist, machte man den Numa auch zum Urheber der Begrenzung überhaupt und der auf ihr beruhenden Eintheilung des ländlichen Gebietes nach s. g. pagis d. h. Landgemeinden, welche aus verschiednen Dörfern und zerstreut liegenden Höfen bestehend durch gemeinsame Verwaltung und gemeinsamen Gottesdienst verbunden warenCic. Rep. II, 14, 20 primum agros, quos bello Romulus ceperat, divisit viritim civibus. Vgl. Dionys II, 76. Der magister pagi war zugleich der Grenzaufseher in jedem pagus, dessen Mitglieder pagani hießen, wie die Glieder jedes vicus vicani. Das Wort pagus hängt zusammen mit pago und pax und bedeutet eigentlich Dorffrieden, den ländlichen Gemeindeverband sämmtlicher zu demselben pagus gehörenden Bauernschaften.. 228 Und weil diese Grenzen und Grenzsteine nach altem Herkommen durch religiöse Gebräuche geheiligt und durch sehr strenge Gesetze geschützt wurden, galt Numa auch für den Begründer dieser Gebräuche und dieser Gesetze, namentlich des eben so strengen als alterthümlichen und häufig wiederkehrenden, daß derjenige welcher einen Grenzstein auspflüge verflucht sein solle, er und das mitschuldige Joch OchsenPaul. p. 368 Termino und Dionys II, 74. Natürlich galten diese Gesetze eben so sehr für die Gebietsnachbarn und die Grenzsteine des Gebiets als für die Besitzungen auf römischem Grund und Boden. Ueber verwandte Gesetze und Gebräuche s. Rudorff zu den Gromat. vet. II p. 236 sqq. und J. Grimm Deutsche Grenzalterthümer, Abh. der Berl. Akad. v. J. 1843.. Jeder durfte den Schuldigen ungestraft und ohne sich zu verunreinigen wie den Frevler gegen ein Heiligthum todtschlagen; wofür freilich mit der Zeit mildere Strafen eintraten, d. h. Geldstrafen anstatt der Capitalstrafen. Nach deutschen Weisthümern sollte einem solchen Verbrecher mit vier wilden Pferden das Haupt abgepflügt und er selbst auf der Stätte des ausgeackerten Grenzsteins vergraben werden.

Auch die bekannte Legende von dem Capitolinischen Terminus, daß er dem Jupiter nicht habe weichen wollen und deshalb in dessen Tempel mit aufgenommen werden mußte, ist nur eine Umschreibung seiner Unverrückbarkeit und seines idealen Zusammenhanges mit Jupiter. In dem Tempel hatte man über diesem alten Symbole eine Oeffnung im Dache angebracht; so wesentlich schien Terminus und sein Cultus unter den lichten Himmel zu gehörenPaul. p. 368 Terminus, Serv. V. A. IX, 448 unde in Capitolio prona pars tecti patet, quae tapidem ipsum Termini spectat, nam Termino nonnisi sub divo sacrificabatur.. Später giebt es dann auch einen eignen Iupiter Terminus oder Terminalis, der dem Ζ. ὅριος der Griechen nachgebildet ist und auf römischen Familienmünzen als Herme mit starkem gelocktem Haupthaar und gleichem BartAuf Münzen des M. Terentius Varro, des berühmten Gelehrten, der sie als Proquästor im Gefolge des Pompejus schlug. Ueber die Herme aus der Gegend von Ravenna mit der Inschr. IOV. TER. M. VAL. ANT. AN. TI. CO. V. L. S. s. Gerhard Annali dell' Inst. 1847 p. 327 Pl. S. T. und Henzen z. Or. n. 5648, der nur eine Dedication dieser Herme an den Iup. Terminalis, nicht eine Darstellung desselben gelten lassen will. Jedenfalls ist es eine griechische Form der Darstellung, vgl. Griech. Myth. 1, 252, und nichts daraus für das italische Alterthum zu schließen. Scheint man doch später jenen alten symbolischen Grenzstein im T. des Capitolinischen Jupiter für den Stein ausgegeben zu haben, den Saturnus anstatt des Jupiter verschluckt haben soll, s. Lactant. 1, 20., 229 auf einer aus der Gegend von Ravenna erhaltnen Herme sogar mit den Merkmalen beider Geschlechter, also nach Art der griechischen Hermaphroditen dargestellt wird. Dagegen sich der alte italische Volksglaube, etwas modificirt durch die Lehre etruskischer Priester, erhalten hat in dem merkwürdigen Fragmente eines Orakels oder einer Offenbarung, welches in dem Sammelwerke der römischen Landmesser stehtGromat. vet. p, 350. Die Ueberschrift ist: Ex libris Vegoiae Arrunti Veltymno. Also ein aus den Büchern des Vegoia entlehntes Orakel, welches an den Arruns Veltymnus gerichtet war. Nach den ersten Worten Scias –remotum ist etwas ausgefallen, da nothwendig von der Entstehung der Erde und ihrer Vertheilung unter den verschiedenen Völkern die Rede sein mußte. Auch weiterhin nach den Worten quos quandoque quis scheint etwas ausgefallen zu sein. Der ganzen Sprache merkt man die Uebersetzung an. und so lautet: »Wisse daß das Meer aus dem Aether abgeschieden ist (S. 153). Als aber Jupiter das Land Etrurien für sich in Beschlag nahm, beschloß er und befahl, daß man die Felder messen und die Aecker abgrenzen solle. Denn er kannte die Habsucht der Menschen und ihre irdische Begierde, daher er Alles durch Grenzsteine abgemarkt haben wollte. Diese werden die Menschen im achten Seculum, wo es bald zu Ende geht, antasten und verrücken. Aber wehe dem der sie antastet und verrückt um seinen Besitz zu mehren, den des Nächsten zu mindern: er ist wegen dieses Verbrechens verdammt von den Göttern. Wenn Sklaven es thun, so sollen sie von ihrer Herrschaft harte Strafen leiden. Wenn es mit Wissen der Herrschaft geschieht, so wird deren Haus schnell ausgerottet werden und all ihr Geschlecht untergehnVgl. die Inschr. eines terminus bei Or. n. 4332 quisquis hoc sustulerit aut laeserit, ultimus suorum moriatur.. Die aber, deren Hände den Stein verrückt haben, werden mit schlimmen Krankheiten und Wunden geschlagen und ihre Glieder werden schwach werden. Dann wird auch die Erde unter Gewitterstürmen und Wirbelwinden erbeben und einstürzen, die Feldfrucht von Sturm und Hagel zerschlagen, von den Hundstagen verbrannt, vom Mehlthau gefressen werden, und im Volke wird viel Kampf und Streit seinVgl. Cic. de Harusp. resp. 19 und 25. Nach Deutschem Glauben sind die unseligen Geister und Irrwische solche die bei ihren Lebzeiten am Ackerfeld frevelten oder die Heiligkeit der Grenze nicht achteten, s. Mösers Patriot. Phantas. 3, 309, Grimm D. M. 870.. Das wird geschehn wenn solche Verbrechen begangen werden. Deshalb merke es Dir und hüte Dich vor Betrug und Falschheit und bewahre diese meine Lehre in einem feinen Herzen«.

230 Die durch die Heiligkeit der Grenze veranlaßten religiösen Gebräuche betreffen theils die Setzung der Grenzsteine theils das städtische und ländliche Fest der Terminalien am 23. Febr. d. h. am alten Ausgange des Jahrs, welches durch dieses Fest selbst begrenzt und abgeschlossen wurdeVarro l. l. VI, 13 Terminalia quod is dies anni extremus constitutus; duodecimus enim mensis fuit Februarius et quom intercalatur inferiores quinque dies duodecimo demuntur mense. Vgl. Ovid F. II, 49, Macrob. S. 1, 13, 15, Censorin 20, 6, Liv. XLIII, 11, XLV, 44.. Beim Setzen der Grenzsteine wurden diese Gebräuche beobachtet. Zuerst wurden die Steine in der Nähe der Gruben, in welche sie eingelassen werden sollten, aufgerichtet, gesalbt und mit Binden und Kränzen geschmückt. Dann wurde in den Gruben ein Opfer dargebracht und verbrannt, der Boden der Grube mit dem Blute des Opferthiers getränkt und dazu Weihrauch und Feldfrüchte, Honig und Wein hineingeschüttet. Wenn das Opferthier ganz verbrannt war, wurden die Steine auf die noch heißen Kohlen und die Knochenreste des Opferthieres aufgesetzt, weil diese in der Erde nicht verwittern, also dem künftigen Friedensrichter als sichres Merkmal dienen konnten. Endlich wurden die Steine selbst mit der größten Sorgfalt in die Erde eingerammelt. Und zwar betheiligten sich bei diesen Feierlichkeiten entweder beide Nachbarn oder, wo drei Grundstücke an einander stießen, alle dreiSiculi Flacci de condicionibus agrorum, Gromat. vet. p. 141.. Die ländlichen Terminalien, welche Ovid F. II, 641 ff. beschreibt, waren ein gemüthliches Fest der Familien und der guten Nachbarschaft. Denn auch hier vereinigten sich die Nachbarn, indem der eine die eine, der andre die andre Seite des Grenzsteins bekränzte und an derselben opferte, gewöhnlich mit einem Opferkuchen und unblutigen Opfern, wobei sich immer die ganze Familie betheiligte, Mann und Frau, die Kinder und das Gesinde, jeder etwas zum Opfer herbeitragend, alle festlich und andächtig. Von Andern wurde auch wohl ein Lamm oder ein Ferkel geopfert und der Grenzstein mit dem Blute besprengtOvid F. II, 653, Horat Epod. 2, 59 vel agna festis caesa Terminalibus.. Endlich vereinigte sich die ganze Nachbarschaft zum gemeinschaftlichen Mahle und sang Lieder auf den Terminus, den Urheber aller Grenzen zwischen Gemeinden, Städten und mächtigen Reichen, ohne den überall Streit und Hader sein würdeVgl. Gromat. vet. p. 366 und Varro ib. p. 393, wo nicht allein die Begrenzung der Aecker und der Friede, sondern auch alle Meßkunst in Zeit und Raum vom Terminus abgeleitet wird. Vgl. Plut. Numa 16, Qu. Ro. 15, Numa habe den terminus geheiligt ὡς ἐπίσκοπον καὶ φύλακα φιλίας καὶ εἰρήνης, weshalb auch früher keine blutigen Opfer erlaubt gewesen wären. Dasselbe versichert Dionys. II, 74.. Gewiß wurden an 231 diesem Tage auch auf dem Capitole und an der alten Grenze der römischen Stadtflur entsprechende Gebräuche verrichtet; auf die letztere bezieht sich der Hain des Terminus an der Via Laurentina, sechs Meilen von Rom, wo an den Terminalien mit einem Lamme geopfert wurde. Vermuthlich war dieses die alte Grenze zwischen dem Gebiete der Stadt Rom und dem der Laurenter, wo ein alter Grenzstein und ein nachbarlicher Cultus desselben sich am längsten erhalten konnte, weil Laurentum und Lavinium von den Römern fort und fort als zu gleichen Rechten verbündete Gemeinden angesehen wurden.


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