Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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Eilfter Abschnitt.
Halbgötter und Heroen.

Eine Heldensage und einen Heroendienst im Sinne der griechischen darf man in dem alten Italien nicht suchen. Diese Erscheinungen hängen aufs engste mit dem epischen Gesange und der epischen Dichtung zusammen, wozu es dort nun einmal nicht gekommen ist. Wohl aber wirkte auch hier das Bedürfniß eines übernatürlichen Anfangs der Geschichte, wo die Götter wie Menschen auf der Erde leben und als Könige über die Völker herrschen, wie wir einen solchen Glauben in den Fabeln vom Janus, Saturnus, Faunus wirklich nachweisen konnten; obwohl auch diese in dem Lichte einer patriarchalisch ruhigen und friedlichen, keineswegs einer kriegerisch und episch bewegten Vorzeit erscheinen. Dazu kam der Glaube an die Semonen und Indigeten, an die Genien und Laren, lauter halbgöttliche halbmenschliche Wesen, welche sich zur Ausfüllung einer mythischen Vorgeschichte der Nation wohl geeignet hätten. Aber überall fehlt jenes ästhetische Bedürfniß, jener poetische Trieb der Verdichtung und Localisirung solcher Fabeln, welcher allein zum Epos führen konnte, überall sind solche Züge der Landessage und des volksthümlichen Gesanges auf der Stufe der Mährchendichtung stehen geblieben, welche wohl auf einen poetischen Trieb im Volke schließen läßt, aber durch die priesterlichen und praktischen Bestrebungen der höheren Stände und des früh entwickelten Staatslebens, auch wohl durch den Zudrang ausländischer Bildung in ihrer weiteren Entwicklung gestört wurde. Also können hier auch nur wenige eigenthümliche und nationale Gestalten zur Sprache kommen, der sabinische Semo Sancus und der latinische Hercules, 633 welcher letztere seinen Namen und die mythische Einkleidung schon von dem griechischen Heroen erborgt hat, endlich die älteren, gleichfalls sehr entstellten Züge der Aeneas- und der Romulussage. Alles Uebrige ist griechischen Ursprungs, die Castoren als ideale Vorbilder der Ritterschaft, Diomedes, Ulysses, Telephus, Aeneas und Antenor als älteste Ansiedler des südlichen, mittleren und nördlichen Italiens: wie diese Fabeln, die letzten Nachklänge der griechischen Nostendichtung, durch die in Campanien, Großgriechenland und Sicilien angesiedelten Griechen sich allmälich verbreitet und durch Verschmelzung gleichartiger Sacra zuerst einen festen Boden gewonnen hatten, darauf zum Bedürfniß der conventionellen Geschichtsüberlieferung geworden waren. Allerdings ist sehr vieles Alte und Einheimische gewiß verloren gegangen. Rom war nach seiner ganzen Art und im Drange der Umstände viel zu lange und viel zu sehr mit Thaten beschäftigt, um der Erinnerungen seiner eignen Vorzeit, geschweige denn der andern italischen Völker, mit Worten und Erzählungen pflegen zu mögenVgl. die Parallele zwischen Griechen und Römern bei Virgil Aen. VI, 847 ff., Horat. A. P. 323 ff, Sallust Catil. 8.. Könnten wir nach andern Quellen als den römischen über die Sabiner und Samniter, Alba Longa und die Latiner urtheilen, so würde freilich auch die italische Sagengeschichte eine ganz andre Gestalt haben.


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