Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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Anhang

Die Sühnungen und Weihungen im Dienste des Mars und der verwandten Götter.

Noch mögen hier verschiedne Arten von Sühnopfern und Weihungen der Flur, der Stadt, der Bürgerschaft zur Sprache kommen, wie sie im Culte des Mars, des Faunus Lupercus, der Bona Dea, der Pales herkömmlich waren, die sich auch dadurch als zusammengehörige Gruppe zu erkennen geben, neben ihnen aber auch in dem der Ceres, des Liber Pater und andrer Götter des ländlichen Segens. Der allgemeine Ausdruck für diese Gebräuche war lustrare, welches sich von den sinnverwandten Wörtern februare, purgare, expiare dadurch unterscheidet, daß es den Begriff eines sühnenden Umgangs mit den Opferthieren oder sonst einem Sühnungsmittel um den zu reinigenden Gegenstand, ein Grundstück, eine Stadt, eine Person oder eine größere Anzahl von Personen in sich schließt: wie die Luperci nach jenem Opfer im Lupercal zuerst um die Palatinische Altstadt und dann durch die übrige Stadt liefen. Daher die Benennung der Ambarvalia und des Amburbium, das sind weihende Umgänge mit Opferthieren, welche nachher unter Gebet und Weihung geschlachtet wurden, um die Felder und um die StadtVirg. Ecl. V, 75 quum lustrabimus agros. Dazu Servius: lustrare hic circuire, dicitur enim ambarvale sacrificium. Daher ambarvalis hostia, quae rei divinae causa circum arva ducitur ab his qui pro frugibus faciunt, nach Pomp. Festus bei Macrob. III, 5, 7, daher bei Paul. p. 5 zu schreiben ist: Ambarvales hostiae dicebantur quae pro arvis atque frugibus (für a duobus fratribus) sacrificantur. Die Form ist zu erklären wie amtermini qui circa terminos provinciales manent, amiciri u. dgl. Paul. p. 17. Der Sache nach vgl. das feierliche Umtragen und Umführen der Götterbilder bei Grimm D. M. 1202., die dadurch der magischen Kraft des Opfers und der Weihe des Gebetes theilhaftig gemacht wurden. Die Opferthiere waren bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich die sogenannten Suovetaurilien oder, wie man vor Alters gewöhnlich sagte, Solitaurilien, das speciell im Culte des Mars herkömmliche OpferCato d. r. r. 141, Liv. VIII, 10, Fest. p. 189 Opima Spolia. Namentlich durften dem Jupiter eigentlich keine Suovetaurilien geopfert werden, s. Macrob. S. III, 10, 3, Serv. V. A. IX, 627, wie sich 371 denn alle diese Sühnungen und Reinigungen vorzüglich im Culte des Mars entwickelt zu haben scheinen. Suovetaurilien hieß dieses Opfer, weil es hergebrachtermaßen aus einem männlichen Schwein, einem Schaafbock und einem Stier bestand, die dabei die drei wichtigsten Arten der durch ganz Italien unter den Schutz des Mars gestellten Viehzucht vertraten, Solitaurilien, weil diese drei Stücke und Repräsentanten des Heerdenreichthums völlig ausgewachsen und durchaus unbeschädigt sein mußtenQuintil. 1, 5, 67 mit der Note von Spalding und Fest. p. 293 Solitauritia – quia sollum Osce totum et solidum significat, so daß also a potiori blos der Stier genannt worden wäre. Vgl. Charis. 1 p. 84 P.. Für weibliche Gottheiten nahm man Thiere weiblichen Geschlechts, bei andern Gelegenheiten Thiere zarten Alters, sogenannte Suovetaurilia minora oder lactentiaServ. V. A. XII, 170, Marini Atti Arv. p. 364.. Dem Blute des Schweines und des Lammes wurde eine sühnende Kraft beigemessen; der Stier scheint mehr als honorarius d. h. als das edelste Stück und der Führer seiner Heerde hinzugefügt worden zu seinMarini Atti p. 216. 310. Namentlich war das Schwein bei Griechen und Römern das allgemeine Sühnungsopfer, bei den Römern auch für die Laren, s. Horat. Sat. II, 3, 164, Prop. IV, 1, 23 intpp., Cato d. r. r. 139. Waren junge Schweine nöthig, so mußten sie wenigstens zwei Monate alt sein, weil sie erst dann zu saugen aufhören und ad sacrificium puri sind, Varro r. r. II, 1, 20. Als solche hießen sie sacres, s. Plaut. Rud. IV, 6, 4, Menaechm. II, 2, 15, Fest. p. 318. Dasselbe bedeuten die porcae oder porciliae piaculares der Arvalischen Urkunden, s. Marini p. 307. 587.. Immer wurden diese Thiere oder statt ihrer im ländlichen Privatgottesdienste das einzelne Opferthier dreimal um den Acker, die Stadt u. s. w. herumgeführtVirg. Ge. I, 345 terque novas circum felix eat hostia frugum. Vgl. Dionys. IV, 22 von den Suovetaurilien beim Lustrum und Servius V. A. VI, 229. Dasselbe ward bei dem sühnenden Umzuge um Iguvium beobachtet, s. Aufrecht und Kirchhoff Umbr. Sprachdenkm. 2 S. 272. und darauf bei dem Opfer selbst ein feierliches Gebet in alter und herkömmlicher Formel gesprochenFest. p. 161 Marspedis oben S. 296, 644 und p. 210 Pesestas inter alia quae inter precationem dicuntur cum fundus lustratur significare videtur pestilentiam, ut intelligi ex ceteris possit quom dicitur: Avertas morbum, mortem, labem, nebulam, impetigenem., welcher man wie immer eine besondre Kraft zuschrieb. Am häufigsten erwähnt werden die ländlichen Ambarvalien, wie sie bei verschiedenen Gelegenheiten dargebracht wurden, besonders in der Zeit wenn die Felder in der 372 Blüthe standen und der Erndte allmälich entgegenreiften, in welcher Zeit die Gefahren der Witterung und andrer Schaden am meisten zu befürchten sindVirg. Ge. 1, 338 ff. Inprimis venerare deos atque annua magnae sacra refer Cereri laetis operatus in herbis (wenn die Saat blüht) extremae sub casum hiemis, iam vere sereno. Vgl. das Kal. Farnes. rust. im Mai: Segetes lustrantur und Marini Atti p. 137 sq. Auch das feriale von Capua (S. 146) schreibt für den 1. Mai eine lustratio ad flumen d. h. am Volturnus und zwar bei Casilinum vor, offenbar eine lustratio segetum. Die zweite, in demselben feriale für den 25. Juli und zwar ad iter Dianae (d. h. Tifatinae) vorgeschriebene lustratio ad flumen scheint der porca praecidanea beim Beginn der Erndte zu entsprechen.. Eine genaue Anweisung wie bei einer solchen Weihe zu verfahren ist giebt Cato r. r. 141, wo Mars noch der eigentliche Schutzgott des Ackers und alles ländlichen Besitzes und Segens ist, s. oben S. 301. Später wurden statt seiner gewöhnlich Ceres und Bacchus angerufen, während die Sitte des Umgangs dieselbe blieb, s. die Schilderungen solcher ländlicher Festlichkeiten bei Virgil Georg. I, 345 und Tibull II, 1. Alles pflegte an solchen Tagen von der Arbeit zu ruhn und sich rein und heilig zu halten, Menschen und Vieh, der Herr und die Knechte und Mägde. Während das Opferthier um die Felder geführt wurde, folgte die Schaar der Arbeiter in festlicher Kleidung und mit Oelzweigen in der Hand, zu den Schutzgöttern des Gutes betend für die Saat, den Viehstand, den Landmann und den jungen Nachwuchs der Sklaven, wie um Abwehr alles Schadens. Nicht weniger verbreitet scheint aber auch der verwandte Gebrauch des Amburbium d. h. der Stadtweihe gewesen zu sein, wo entweder regelmäßig oder auf außerordentliche Veranlassung die sühnenden Opferthiere um die Grenzen der Stadt oder eines Theiles derselben oder um die Stadtflur geführt und dazu gleichfalls um Schutz und Segen gebetet wurdePaul. p. 5 Amburbiales hostiae appellabantur quae circum terminos urbis Romae ducebantur. Serv. V. Ecl. 111, 77 dicitur autem hoc sacrificium ambarvale, quod arva ambiat victima, sicut amburbiale vel amburbium dicitur sacrificium quod urbem circuit et ambit victima.. Ein solches Opfer war dasjenige, auf welches sich die S. 40 erwähnten Urkunden von Iguvium beziehn; wenigstens wird in denselben, soweit die Deutung bis jetzt gelungen ist, ein Umgang um die Burg (ocris) oder Altstadt beschrieben, bei welchem die Opferthiere um die Grenzen derselben geführt werden, um sodann an drei verschiedenen Punkten den Göttern, unter welchen Jupiter und Mars besonders hervortreten, geopfert zu werden, mit Gebeten welche auch hier um Abwendung aller Landplagen und um Heil und 373 Segen für Stadt und Volk flehen. In Rom ward die Palatinische Altstadt bei den Lupercalien insbesondre lustrirt; dahingegen sich eine Stelle bei Strabo V p. 230, wo von Opfern der Pontifices die Rede ist, welche an einem bestimmten Tage an verschiedenen Punkten der alten Stadtgrenze dargebracht wurden, entweder auf ein Amburbium der Stadtflur oder auf Ambarvalia publica beziehtEs ist von einem Orte Festi zwischen dem 5. und 6. Meilenstein die Rede, wo ehemals die Grenze gewesen sei, οἵ ϑ’ ἱερομνήμονες ϑυσίαν ἐπιτελοῦσιν ἐνταῦϑά τε καὶ ἐν ἄλλοις τόποις πλείοσιν ὡς ὁρίοις αὐϑημερόν (an einem und demselben Tage), ἣν καλοῦσιν Ἀμβαρουίαν, wofür entweder Ἀμβούρβιον zu schreiben ist oder Ἀμβαρουάλια.. Außerdem werden solche Sühnungen der Stadt wiederholt bei außerordentlichen Gelegenheiten erwähnt, wo es den Zorn der Götter zu beschwören galtLiv. XXI, 62, XXXV, 9, XLII, 20, Iul. Obseq. passim. Bei Lucan heißt es: Mox iubet (ein etruskischer Aruspex) et totam pavidis a civibus Urbem ambiri et festopurgantes moenia lustro longaper extremos pomoeria cingere fines., u. a. bei Lucan 1, 592 ff, wo beim Ausbruch des Kriegs zwischen Pompejus und Cäsar ein Amburbium um die Grenzen der Stadt beschlossen wird, an welchem sämmtliche Priesterschaften des öffentlichen Gottesdienstes theilnehmen, die Pontifices unter der Anführung des Pontifex Maximus und in ihrem Gefolge die Pontifices minores, die Togen cinctu Gabino aufgegürtet, die Vestalischen Jungfrauen unter der der Virgo Maxima, die XV viri sacris faciundis und die phrygischen Galli, die Augurn, die VII viri Epulones, die Sodales Titii und die Salier, endlich die Flamines. Noch zur Zeit des Aurelian ist bei drohender Gefahr von ähnlichen Sühnungen der Stadt und der Stadtflur die RedeFlav. Vopisc. Aurel. 20 lustrata Urbs, cantata carmina, amburbium celebratum, ambarvalia promissa. Vgl. Hieronym. ad Vital. ep. 132 Inveniemus lustralibus hostiis – portentuosas soboles tam in hominibus quam in armentis ac pecudibus expiatas.. Endlich gehört auch die sühnende Weihe der gesammten Bürgerschaft hieher, wie sie nach dem Staatsgrundgesetze des Servius Tullius alle vier Jahre zuerst von den Königen, dann von den Consuln, seit dem J. 311 d. St. von den Censoren zum Beschlusse des gesammten Werkes der Schatzung in dem Marsfelde, wahrscheinlich bei jenem alten Altare des Mars (S. 311), mit religiösen Feierlichkeiten vorgenommen wurde. Auch hier wurden zuerst die gewöhnlichen Solitaurilien des Mars dreimal um die im Schmuck der Waffen versammelte und als Bürgerwehr (exercitus) in Rotten aufgestellte Bürgerschaft 374 herumgeführt, daher die ganze Feier auch ambilustrum genannt wurdeLiv. I, 44, Varro r. r. II, 1, 10, Valer. Max. IV, 1, 10, wo Kempf mit Recht hergestellt hat iri solitaurili sacrificio, Pseudo – Ascon. Cic. Divin. 3, 8 p. 103 Or., Dionys. IV, 22, vgl. Becker Handb. II, 2, 243. Auch der Pontifex war bei dem Opfer beschäftigt, s. Serv. V. A. VIII, 183.. Darauf erfolgte an jenem Altare das feierliche Opfer, wobei der präsidirende Magistrat, von den beiden Censoren immer derjenige den das Loos dazu bestimmt hatte, in einer herkömmlichen, von einem Staatssecretär aus der Urkunde vorgelesenen Gebetsformel die Götter um Erstarkung und Mehrung der Macht des römischen Volkes anflehte, eine Formel welche seit Scipio d. J. dahin verändert sein soll, daß man nicht mehr um die Mehrung, sondern nur noch um die Erhaltung dieser Macht betete. Auch Colonieen und Heere wurden auf gleiche Weise lustrirt, desgleichen der Capitolinische Tempelplatz beim Neubau des Vespasian; und zwar sah man wie bei allen religiösen Handlungen immer darauf daß Alles unter den glücklichsten Zeichen vor sich geheCic. de Divin. 1, 45 vgl. Cato r. r. 141 und Tacit. Hist. IV, 53.. Selbst bei den Reinigungen von Kranken, namentlich Geisteskranken, denen von Heerden Viehs, endlich der bei einem Leichenbegängnisse Versammelten und andern Anlässen der Art wiederholen sich im Wesentlichen dieselben Gebräuche, nur daß das Mittel der Reinigung ein verschiedenes war und eben deshalb auch die Ceremonie sich änderteVirgil Aen. VI, 229 ff. von der Reinigung am Schlusse eines Leichenbegängnisses, Plaut. Amphitr. II, 2, 144 und Serv. V. A. VI, 229 von der von Geisteskranken mit einer Fackel oder mit Schwefel, einer Art von Exorcismus, vgl. Tibull. 1, 2, 62, 5, 11, Ovid Met. VII, 261.. 375


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