Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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7. Die Quellen.

Auch in dieser Beziehung sind wir übel genug daran, da das alte Italien bis auf einige örtliche Denkmäler verstummt ist und die römische Litteratur erst dann beginnt, nachdem sich die römische Bildung ganz mit der griechischen durchdrungen hatte. Daher die Erscheinung, daß sie weder für ihr eignes Alterthum noch für das italische Volksthum den rechten Sinn hatte. Statt aus der gewiß in einigen Gegenden noch immer lebendigen Ueberlieferung die Sagen, Mährchen und Lieder zu sammeln, deren wohl noch manche zu finden gewesen wären, begnügten sich selbst Cato und Varro in den meisten Fällen bei den Griechen und ihrer Mythographie anzufragen, welche damals noch dazu meist von dem falschen Geiste des Pragmatismus erfüllt war. Indessen wollen wir deshalb nicht zu ernstlich mit ihnen rechten, da ja selbst bei uns die Quellen der Volkssage erst in den neueren Zeiten gesucht worden sind, so stark ist die Macht des Herkommens und einer überlegenen Bildung des Auslandes. Aber auch die Quelle der älteren römischen Litteratur, welche bekanntlich erst seit der Zeit des zweiten punischen Kriegs von einigem Belange war, fließt für uns leider nur sehr dürftig, da namentlich die Dichter und Geschichtsschreiber dieser früheren 28 Periode nur in den Excerpten und Referaten der späteren Autoren zu uns reden. Naevius und Ennius sind die beiden Dichter, welche den Römern zuerst ein nationales Epos geschaffen haben, soweit dieses überhaupt möglich war. Beide begannen mit der Zerstörung Trojas und der Ankunft des Aeneas an der latinischen Küste, Naevius um von dort zu der Geschichte des ersten punischen Kriegs zu eilen, Ennius um die ganze römische Geschichte bis auf seine Zeit in der herkömmlichen Form der Annalen daran anzuknüpfen: ein Mann von hellem Verstande, lebhaftem Geiste und tüchtiger Gesinnung, auch als Dichter so hochbegabt, daß sein Einfluß auf die römische Sprache und Verskunst und auf die römische Stadtsage immer ein sehr bedeutender geblieben ist. Doch war grade er ganz griechisch gebildet, und zwar so vielseitig, daß er nicht blos die Blüthe des griechischen Heldengedichts und des griechischen Trauerspiels, sondern auch den Geist der pythagoreischen Philosophie und leider auch den des Euhemerismus in sich aufgenommen hatte, welcher letztere bei den praktischen und nüchternen Römern immer einen sehr lebhaften Anklang gefunden hat. Beide Dichter haben auch viele griechische Tragödien für die römische Bühne bearbeitet, gewöhnlich nach dem damals allgemein vorherrschenden jüngeren Meister der attischen Bühne Euripides, welcher mit seinem mit der Wahrheit des mythologischen Alterthums zerfallenen und von moderner Reflexion erfüllten Geiste also nun auch zu den Römern sprach. Was die geschichtliche Forschung betrifft, so haben die ersten Annalisten Q. Fabius Pictor, L. Cincius Alimentus u. A. nicht allein in dem Sinne der gleichzeitigen griechischen Bildung, sondern auch in griechischer Sprache geschrieben, indem sie mit einer summarischen Uebersicht der ältesten Stadtgeschichte in conventioneller Manier begannen und darauf gewöhnlich die Geschichte der letzten Vergangenheit ausführlicher behandelten. Der erste welcher die Geschichte Roms und Italiens in lateinischer Sprache und mit nationaler Gesinnung beschrieb war der alte M. Porcius Cato, ein Römer von ächtem Schrot und Korn, zu dessen Zeiten auch Italien noch nicht die Schlächtereien des Sulla erlebt hatte, so daß die alten Stammesüberlieferungen noch recht lebendig sein mochten. In drei Büchern hatte er die Anfänge (origines) von Rom und Italien beschrieben und danach das ganze Werk betitelt, obgleich mit der Zeit auch für ihn die eigentliche Geschichte des römischen Volks zur Hauptsache geworden war. Doch wußte er in dem ersten Buche nur die 29 gewöhnlichen Geschichten von den Aboriginern, den Laurentern und Aeneas, von Alba Longa und Romulus zu wiederholen, und nur in dem zweiten und dritten Buche hatten manche wichtige Nachrichten über die Etrusker und Volsker, die Latiner und Sabiner und andre italische Völker eine Stelle gefunden: obwohl auch hier neben einigen originalen Sagen die herkömmlichen Fabeln von Diomedes, Ulysses und andern griechischen Heroen als wahre Geschichte und wichtigster Inhalt der italischen Vorzeit erzählt wurden. In späteren Jahren hatte zuerst der römische Ritter L. Aelius Stilo die Richtung auf sprachliche und sachliche Erklärung der älteren Denkmäler des Staates und der Religion eingeschlagen, in welcher von ihm und nach ihm viel Ausgezeichnetes geleistet worden ist. Namentlich hatte Stilo die sehr alterthümlichen Lieder der Salier in einem oft erwähnten Commentare erörtert, in welchem er manches alte Wort allerdings nicht mehr erklären konnte, dafür aber auch vieles Wichtige ans Licht zog, vor allen Dingen aber das Verdienst hatte, die höheren Kreise in Rom und namentlich einen M. Terentius Varro für dieselben Studien zu gewinnen. Dieser und sein Zeitgenosse P. Nigidius Figulus haben in der Litteratur des römischen Alterthums immer für die Gelehrten schlechthin gegolten, nur daß der letztere sich außer seinen sprachlichen Untersuchungen vorzugsweise mit physikalischen, mathematischen und astrologischen Untersuchungen beschäftigt hatte und bei diesen durch seinen Hang zur Geheimweisheit oft auf falsche Bahnen gelenkt worden war. Dahingegen Varro ganz vorzugsweise den Realien des römischen Alterthums ergeben war und bei seinen Forschungen, wenn auch nicht immer von dem rechten Geiste, so doch von einer so warmen Liebe zum Vaterlande und solchem Fleiße, solcher Gewissenhaftigkeit beseelt war, daß seine Arbeiten jedenfalls bei weitem das Verdienstlichste gewesen sind, was Rom auf diesem Gebiete zu Tage gefördert hat. Auch haben alle späteren römischen und griechischen Schriftsteller über das römische Alterthum vornehmlich aus ihm geschöpft, daher wir uns über seine wichtigsten Werke, so weit sie für unsern Zweck in Betracht kommen, nothwendig eine bestimmtere Vorstellung verschaffen müssen: bei welchem Bemühen wir außer den erhaltenen Büchern de lingua latina auf die größeren und geringeren Excerpte der späteren Schriftsteller, namentlich des Kirchenvaters Augustin in seinem Werke de civitate dei angewiesen sind. Das Hauptwerk waren die Antiquitates Rerum Humanarum et Divinarum, aus welchem 30 Augustin uns glücklicher Weise zahlreiche Auszüge und (De Civ. Dei VI, 3) die Disposition und eine Skizze des Inhalts erhalten hatL. Krahner de Varr. Antiquitatum libris, Hal. 1834. Vgl. die Fragmente der libri rerum divinarum bei R. Merkel Ovid Fast. p. CVI etc. Nach dem durch Hieronymus erhaltenen Cataloge der Schriften Varro's (Ritschl Rh. Mus. f. Philol. Bd. VI und XII) schrieb derselbe XLV libros Antiquitatum und epitom`hn Antiquitatum ex libris XLII libros VIIII. Die Zahl XLII scheint die richtige zu sein, 41 Bücher der Antiquitates und ein eignes Buch allgemeiner Einleitung.. Dieses Werk bestand demzufolge aus 41 Büchern, von denen 25 auf die weltlichen Angelegenheiten (res humanas), die übrigen 16 auf die gottesdienstlichen kamen; und zwar hatte er den Inhalt dieser letzteren so vertheilt, daß die ersten drei Bücher sich mit den Priesterthümern, die folgenden drei mit den Tempeln und Heiligthümern, die folgenden drei mit den Weihungen und dem öffentlichen und häuslichen Gottesdienste beschäftigten und endlich erst in den drei letzten von dem eigentlichen Gegenstande aller Religion und alles Gottesdienstes, von den Göttern gehandelt wurde. Das vorherrschende Interesse der aus den besten Quellen geschöpften Forschung war allerdings das antiquarische und patriotische, daß er seine Mitbürger wieder mit dem Glauben und den Göttern der glorreichen Vorzeit bekannt machen wollte: denn soweit war es gekommen, daß die Römer in ihrem eignen Vaterlande und in der Stadt Rom, wie Cicero sich ausdrückt, wie Fremde umherirrten und in derselben erst wieder gleichsam von neuem angesiedelt werden mußtenCic. Acad. poster. 1, 3, 9 nos in nostra urbe peregrinantes errantesque tanquam hospites tui libri quasi domum deduxerunt, ut possemus aliquando qui et ubi essemus agnoscere etc. Vgl. Augustin C. D. III, 17 quod scribens de aedibus sacris tam multa ignorata commemorat. Cic. N. D. 1, 29 etenim fama multa exspoliata et simulacra deorum de locis sanctissimis ablata videmus a nostris. Vgl. die Ausleger zu Horat. Od. III, 6. In demselben Sinne sagt Varro selbst bei Augustin l. c. IV, 31 ad eum finem illam (die Geschichte des alten Götterglaubens) se scribere ac perscrutari, ut potius eos magis colere quam despicere vulgus velit. Ib. VI, 2 timere se ne pereant dii non incursu hostili, sed civium negligentia: de qua illos velut ruina liberari a se dicit et in memoria bonorum recondi atque servari, utiliore cura quam Metellus de incendio sacra Festalia et Aeneas de Troiano excidio Penates liberasse praedicatur.. Indessen wollte Varro nicht blos unterrichten, sondern auch belehren d. h. er wollte in diesem Werke nicht bloßer Alterthumsforscher sein, sondern auch Theolog und Philosoph, daher er zugleich den verwilderten Götterglauben der Zeit sowohl nach gewissen allgemeinen Grundsätzen als in einzelnen Beziehungen 31 der positiven Religion auf die Wege einer richtigeren, im Sinne der Zeit geläuterten Erkenntniß zu lenken und dadurch von neuem zu empfehlen suchte: wodurch er auf Grundsätze und auf eine Methode der Interpretation geführt wurde, welche für ihn und seine Zeit characteristisch ist, aber der Sache schwerlich so viel genützt hat als die gedrängte Fülle von nationalen und alterthümlichen Anschauungen, welche wenigstens die Gebildeten aus diesem Werke gewinnen konnten. Der Schwerpunkt dieser allgemeinen Grundsätze lag darin, daß er mit dem berühmten Pontifex und Rechtsgelehrten Q. Mucius Scaevola, demselben welcher bei einem Aufstande zur Zeit des Marius sein Leben vor dem Bilde der Vesta aushauchte, eine dreifache Religion unterschied, eine mythologische, welche speciell die Dichter und das Theater angehe und von den Göttern viele höchst unwürdige und widersinnige Vorstellungen verbreiteUeber Scaevola berichtet Augustin C. D. IV, 27, wahrscheinlich nach Varro. Nach ihm gab es drei genera tradita deorum, unum a poetis, alterum a philosophis, tertium a principibus civitatis. Das erste war für ihn ein genus nugatorium, quod multa de diis fingantur indigna. Das zweite schien ihm nicht für das bürgerliche Leben zu passen, quod habeat aliqua supervacua, aliqua etiam quae obsit populis nosse z. B. non esse deos Herculem, Aesculapium, Castorem, Pollucem. Von der Religion der Dichter wird darauf mit einer eben so lebhaften moralischen Entrüstung gesprochen wie bei Plato, Zeno und Epicur. Ueber Varros Unterscheidung der drei Religionen s. Augustin VI, 5. Die mythologische Religion hieß bei ihm das genus mythicon, quo maxime utuntur poetae. Auch hier dieselben Gründe der Verwerfung: in eo sunt multa contra dignitatem et naturam immortalium ficta. Die natürliche Religion ist das genus physicon, quo philosophi utuntur, die positive das genus civile, quo populi utuntur., eine natürliche, welche die der Philosophen sei und auf der wahren Erkenntniß der Natur und Welt beruhe, und eine bürgerliche, welche für das bürgerliche Leben überhaupt und speciell für die Geistlichen und den Cultus bestimmt sei, also nach unsrer Art uns auszudrücken die positive Religion des römischen Staates war, soweit sie auf den alten Satzungen und Gewohnheiten der Vorzeit beruhte. Diese letztere nun schien ihm obwohl für das politische Leben nothwendig, doch keineswegs die Wahrheit zu sein, vielmehr eine aus der Religion der Dichter und der Philosophen gemischte, von welchen nur die letztere zur Wahrheit führe: bei welchem Worte dem Varro ein Monotheismus im Sinne der stoischen Philosophie und ein Cultus ohne Bilder vorschwebte, wie Rom selbst ihn in den ersten 170 Jahren seiner Existenz 32 beobachtet habe. Daher der Satz, daß der Götterglaube und der Gottesdienst der positiven Religion nothwendig als Product des römischen Staates und seiner Geschichte aufgefaßt werden müsse, aus welchem Grunde Varro davon nicht zu Anfang seines Werkes, sondern erst in der zweiten Hälfte desselben gehandelt hatteAugustin C. D. VI, 3 Ipse Varro propterea se prius de rebus humanis, de divinis autem postea scripsisse testatur, quod prius exstiterint civitates, deinde ab eis haec instituta sint. lb. VI, 4 sicut prior est, inquit, pictor quam tabula picta, prior faber quam aedificiumt, ita priores sunt civitates quam ea quae a civitatibus sunt instituta. Bei einer Darstellung der natürlichen Religion würde er seine Sache anders angegriffen haben. Auch sprach er es wiederholt nachdrücklich aus, daß der Glaube der positiven Religion nicht der seiner persönlichen Ueberzeugung sei und daß er, wenn es sich nicht um die Geschichte des römischen Staats, sondern um die Gründung eines neuen Staats handle, dann auch ein andres Bekenntniß aufstellen würde, ib. IV, 31., und zweitens der starke und ganz unverhüllt ausgesprochene Satz, bei welchem Varro aber auch die große Mehrzahl der römischen Staatsmänner, ja, wie Scaevolas Beispiel lehrt, auch die höhere und höchste Geistlichkeit auf seiner Seite hatte, daß Täuschung in Sachen der positiven Religion nicht allein nothwendig, sondern auch nützlich seiAugustin C. D. III, 4 Varro utile esse civitatibus dicit, ut se viri fortes, etiamsi falsum sit, ex dis genitos esse credant. lb. IV, 27 expedire igitur existimat (Scaevola) falli in religione civitates, quod dicere etiam in libris Rerum Divinarum ipse Varro non dubitat.. Daher ferner die Grundsätze seiner Interpretation der mythologischen Thatsachen, welche wie bei Ennius aus Philosophie und Euhemerismus d. h. aus Allegorie und rationalistischem Pragmatismus gemischt waren, und daß Varro, obwohl sonst Eklektiker, in seiner theologischen Anschauung meist dem stoischen Pantheismus folgte, welcher der innern Beseelung des griechischen und römischen Götterglaubens wirklich am meisten entsprach und deshalb auch von den meisten wissenschaftlich gebildeten Theologen der späteren Zeit bei ihren Erklärungen zu Grunde gelegt wurde. So ist ihm also die Gottheit, namentlich Jupiter Weltseele, und die übrigen Götter sind nur die einzelnen Kräfte und Erscheinungen dieses alle Welt beseelenden und durchdringenden Jupiter, den Varro für den höchsten und einzig wahren Gott erklärt. Neben ihm läßt er höchstens als zweite Hauptgottheit die Mutter Erde gelten, nehmlich in der Bedeutung der Materie und des schlechthin Weiblichen und EmpfangendenAugustin VII, 5 Fatetur interim vir doctissimus, animam mundi ac partes eius esse veros deos. Ib. 6 Dicit idem Varro de naturali theologia proloquens, Deum se arbitrari esse animam mundi etc. Adiungit mundum dividi in duas partes, coelum et terram. Ib. 28 Dicturus de feminis h. e. de deabus: Quoniam, inquit, ut in primo libro dixi de locis, duo sunt principia deorum animadversa de coelo et terra, a quo dii partim dicuntur caelestes partim terrestres, ut in superioribus initium fecimus de coelo, cum diximus de Iove, – sic de feminis initium scribendi fecimus de Tellure. Auch kam er in demselben Zusammenhange auf die samothrakischen Mysterien, in denen er eine Darstellung der drei Principien der Dinge, des Himmels, der Erde, und der Ideen zu finden glaubte. Vgl. de ling. lat. V, 57, 58., auch dieses nach den 33 Grundsätzen der stoischen Philosophie, welche den Dualismus eines schlechthin schöpferischen und eines schlechthin empfänglichen Princips an die Spitze ihrer Physik zu stellen pflegte. Obwohl Varro in einem andern Zusammenhange und wieder im Einverständnisse mit einigen Lehrern der stoischen Schule seinen Jupiter selbst über diesen ersten Anfang aller Weltbildung und aller Gegensätze zu erheben suchte d. h. ihn für die ursprüngliche Indifferenz jenes ersten Gegensatzes eines männlichen und weiblichen Princips erklärt hatteAugustin VII, 9 In hanc sententiam (daß Jupiter die Weltseele sei) etiam quosdam versus Valerii Sorani exponit idem Varro in eo libro, quem seorsum ab istis de cultu deorum scripsit, qui versus hi sunt:

Iupiter omnipotens, regum rex ipse deusque
Progenitor genitrixque deum, deus unus et omnis.

Exponuntur autem in eodem libro ita ut eum marem existimaret qui semen emitteret, feminam quae acciperet, Iovemque esse mundum et eum omnia semina ex se emittere et in se recipere: wobei die stoische Lehre vom λόγος σπερματικὸς zu Grunde liegt. Jener Valerius Soranus ist eine merkwürdige Erscheinung der Zeit des jüngern Scipio, s. Gerlach Lucil. Satir. reliq. p. XXXI. Der vollständige Titel der von Augustin citirten Schrift des Varro war Curio de deorum cultu, ein Abschnitt der logistorici.

. Genug er deutete in diesem Sinne nicht allein den Jupiter, sondern auch die übrigen Götter des griechischen und römischen Glaubens auf eine sehr freie und oft recht willkürliche Weise, wobei er sich zugleich der ganz verkehrten etymologischen Methode bediente, die wir aus seinen Büchern de lingua latina zur Genüge kennen. Dasselbe muß aber auch von seinen Erklärungen der mythischen Vorgeschichte des römischen Volks gelten, die er in dem Werke de gente populi Romani d. h. von dem Herkommen des römischen VolksAuszüge daraus bei Augustin C. D. XVIII. Den Pendant bildete das Buch de vita populi Romani. Jenes führte den Leser von den alten Königen Sikyons, mit denen die Chronologen zu beginnen pflegten, durch die übrigen Könige der griechischen Vorzeit zu denen der Laurenter, ex quibus evidentior ducitur origo Romana post Graecos; dann durch den trojanischen Krieg und Aeneas nach Rom. Augustin XVIII, 2. behandelt und dergestalt mit der griechischen 34 Mythengeschichte, wie sie seit Ephorus erzählt zu werden pflegte, verschmolzen hatte, daß die Geschichte von Griechenland, Latium und Rom nun vollends in dem Lichte eines fortlaufenden Zusammenhangs erschienen. Denn auch in dieser Hinsicht war Varro ganz von den Vorurtheilen seiner Zeit abhängigNamentlich scheint Varro die unglückliche Pelasger-Hypothese zuerst auf die Vorzeit der latinischen Aboriginer angewendet zu haben, s. Macrob. 1, 7; 28 vgl. Dionys. 1, 19.. Die beiden ersten Bücher dieses Werks enthielten eine Uebersicht der griechischen Vorzeit bis zum trojanischen Kriege, an welchen sich weiterhin die Vorzeit Italiens, Latiums und Roms d. h. die Flucht des Diomedes, des Aeneas u. s. w. anschloß, untermischt mit moralisirenden Erörterungen und pragmatisirenden Erklärungen, welche nicht selten abgeschmackt waren. Ich habe es für nothwendig gehalten, auf diese Eigenthümlichkeiten der Schriften Varros ausführlicher einzugehn, weil dieselben bei den meisten Angaben der späteren Autoren über den Glauben und den Cultus der römischen Vorzeit zu Grunde liegen, muß aber noch hinzufügen, daß seine Ueberlieferung von jenen philosophischen und pragmatisirenden Grundsätzen selten oder nie afficirt wird, wie er denn auch in den wichtigen noch erhaltenen Büchern de lingua latina das Thatsächliche von seiner subjectiven Meinung und Erklärung immer genau sondert. Auch sind von diesen Büchern namentlich das fünfte und sechste schon durch ihren Inhalt für unsern Zweck sehr wichtig, da in ihnen viele Namen alter Heiligthümer, alter Feste und andre auf die Religion der Römer bezügliche Thatsachen zur Sprache kommen. Ueberhaupt fehlte es Varro trotz seiner philosophischen Neigungen keineswegs an Blick und Interesse für das Eigenthümliche und Volksthümliche, in welcher Hinsicht die Ueberreste seiner nach dem Muster des griechischen Cynikers Menippos abgefaßten Satiren belehrend sind. Desgleichen waren seine Bücher de vita populi Romani ein wahrer Schatz von Nachrichten über die alten Sitten und Gebräuche, namentlich auch diejenigen, wo altes Herkommen sich mit altem Glauben berührte.

Auch nach Varro blieben diese Studien über das Alterthum der römischen Sprache, der Sitten und Verfassung, der Religion beliebt; namentlich zeichnete sich unter Augustus aus Verrius Flaccus, ein Libertin, welcher die kaiserlichen 35 Prinzen unterrichtete und überhaupt zu seiner Zeit eine sehr angesehene Autorität war. Unter seinen Schriften war besonders lehrreich: 1) ein Werk in mehreren Büchern über allerlei Merkwürdigkeiten der Vorzeit (rerum memoria dignarum), namentlich auch Religionsalterthümer, welches Plinius d. Ä. oft benutzt hat, 2) das Werk de verborum significatione, eine Art Reallexicon des römischen Alterthums, welches späterhin mit andern gleichartigen Werken von S. Pompejus Festus excerpirt und in dieser verkürzten Form überarbeitet wurde. Von diesen Excerpten sind verschiedene sehr wichtige Bruchstücke erhalten; den ganzen Festus aber reducirte zur Zeit Carls d. Gr. ein Geistlicher Namens Paulus auf einen abermals sehr verkürzten Auszug, welcher selbst in dieser dürftigen Gestalt eine wichtige Quelle istS. Pompei Festi de verborum significatione quae supersunt cum Pauli Epitome em. et annot. a. C. O. Muellero, Lips. 1839. Vgl. praef. p. XII sqq. Zu beachten sind auch die Glossen des Placidus bei A. Mai Class. auct. e Vat. codd. ed. t. III und N. Jbb. f. Philol. u. Paedag. Suppl. II p. 439–471, 485–492, und die aus verschiedenen Mss. zusammengetragenen lateinisch griechischen und griechisch lateinischen Glossen ed. H. Stephanus P. 1572 und Car. Labbé P. 1679.. Unter den Dichtern des Augusteischen Zeitalters verdienen für unsern Zweck besonders studirt zu werden Virgil und Ovid. Jener hat in seiner Aeneide das römische und italische Alterthum in einer Weise verherrlicht, daß die natürliche Armuth des Stoffs für den Liebhaber des nationalen Epos zwar überall durchblickt, doch wird von seinen alten Auslegern neben den poetischen Vorzügen immer vorzugsweise die tiefe Kenntniß hervorgehoben, welche sich der Dichter von den sacralen Ueberlieferungen der Vorzeit verschafft habeMacrob. S. 1, 24, 16 wo zuerst Vettius seine Bewunderung über Virgil ausspricht, quia doctissime ius pontificium tamquam hoc professus in multa et varia operis sui parte servavit, er getraue sich den Beweis zu führen daß Virgil recht gut Pontifex Maximus hätte sein können. Worauf Flavianus behauptet: apud poetam nostrum tantam scientiam iuris auguralis invenio ut, si aliarum disciplinarum doctrina destitueretur, haec illum vel sola professio sublimaret. Aehnliche Aussprüche liest man wiederholt bei Servius.; daher diese Ausleger, namentlich der unter dem Collectivnamen des Servius erhaltene Commentar, auf solche Andeutungen immer geflissentlich eingehen und in Folge davon viele wichtige Nachrichten über gottesdienstliche Uebungen und das pontificale Recht erhalten haben. Ovid hat in seinen Metamorphosen die wenigen latinischen und römischen Fabeln, welche sich neben den griechischen 36 auf die Dauer behauptet hatten, in anmuthiger Weise verwebt: eine Verkettung der griechischen und römischen Fabel, welche sich durch Theater- und Schulpraxis immer mehr befestigte und in den bekannten Büchern Hygins und bei andern lateinischen Mythographen weiter verfolgt werden kann. Weit wichtiger aber sind Ovids Fasten, da in ihnen mehr das original Römische und Italische zur Sprache kommt, auch nicht selten jenes volksthümlich idyllische und mährchenhafte Element der Sagenbildung, worin sich noch am meisten Eigenthümlichkeit ausdrückt und wofür Ovid als höchst talentvoller Dichter viel Sinn hat. Diese Fasten sind bekanntlich eine poetische Bearbeitung des römischen Kalenders, wie er durch Cäsar und August festgestellt worden war. Der Dichter hat darin aus guten Gewährsmännern seines Zeitalters viele Erklärungen und Thatsachen nach seiner Art überarbeitet, wobei nur zu bedauern, daß er blos mit den ersten sechs Monaten fertig geworden ist.Die Ausgabe von R. Merkel Berl. 1841 ist besonders wegen ihrer Prolegomena de obscuris Ovidii Fastorum zu empfehlen. Unter den Geschichtsschreibern desselben Zeitalters sind Livius und der Grieche Dionysius von Halikarnass auch für unsern Zweck vom größten Belang. Livius ist mehr gewandter Schriftsteller als Quellenforscher, doch hat er, weil die älteren römischen Geschichtsschreiber verloren sind, sehr viele wichtige Nachrichten allein erhalten; auch hat ihn sein religiöses und poetisches Gemüth an solchen Thatsachen, welche den Glauben der alten Zeit betrafen, ein besondres Wohlgefallen finden lassen. Dionysius hat es an Mühe nicht fehlen lassen, doch ist er ganz und gar Grieche und der lateinischen Sprache nicht immer ganz mächtig. Auch hat er seiner Aufgabe dadurch sehr geschadet, daß er für seine Landsleute schreibend diesen zu beweisen sucht, die Römer seien weder Barbaren noch ein zusammengelaufenes Volk, sondern ächte Griechen, Rom eine griechische Stadt, ihre Sprache, Sitte, Religion eigentlich griechischen Ursprungs: worüber der alte Irrthum und der pragmatische Schlendrian von der pelasgischen, arkadischen, argivischen Vorzeit Italiens und Roms bei diesem Schriftsteller nun vollends in der vollsten Blüthe steht.

Von den Schriftstellern der Kaiserzeit mag auf folgende verwiesen werden. Zunächst ist Valerius Maximus, der unter Tiberius schrieb, zwar nur ein oberflächlicher Compilator, doch sind durch ihn manche sonst verlorne Nachrichten 37 erhalten worden. Dann hat der vielseitig gelehrte und unermüdlich thätige Plinius d. Ä. unter Vespasian und Titus in seiner Naturgeschichte nicht allein sehr gute Quellen benutzt, sondern auch selbst viel beobachtet und neben vielen merkwürdigen Thatsachen der Natur auch viele zur Geschichte des römischen und italischen Glaubens und Aberglaubens sehr interessante überliefert. Ferner bat Plutarch in seinen römischen Biographieen und in den Vorstudien zu denselben, den römischen Fragen, nach seiner Weise fleißig geforscht und aus älteren Schriftstellern, auch aus Varro, viel zusammengetragen; nur ist auch seiner Kenntniß der römischen Sitte und Sprache nicht immer zu trauen. Unter den Autoren der Kaisergeschichte sind Tacitus, Sueton, Dio Cassius, Herodian, die Schriftsteller der Historia Augusta, jeder in seiner Weise wichtig und brauchbar, unter den Grammatikern und Alterthumsforschern dieses Zeitalters hervorzuheben: A. Gellius, welcher unter den Antoninen schrieb und viel Werthvolles überliefert, Nonius Marcellus, welcher die älteren Dichter und Schriftsteller, namentlich auch Varro fleißig excerpirt hat, nur ist leider sein Text sehr verdorben, Censorin, welcher unter Maximin de die natali geschrieben hat und gleichfalls oft dem Varro folgt, endlich Macrobius unter Theodosius d. J., dessen Saturnalien sehr reich an wichtigen, aus Varro, Verrius, den Commentatoren Virgils und andern Quellen zusammengetragenen Ueberlieferungen sind. Io Lydus der byzantinische Schriftsteller hat in seinen Schriften de mensibus, de magistratibus, de ostentis manche gute Nachricht älterer Quellen durch Unwissenheit und Faselei entstellt.

Außerdem sind die Kirchenväter zu beachten, welche in Rom oder in der abendländischen Kirche das Christenthum gegen das Heidenthum vertheidigten und demzufolge dieses auch ihrerseits nach besten Kräften angriffen, daher sie sich oft sehr eingehend mit seiner Geschichte, seinen Göttern, seinem Cultus beschäftigen, namentlich Tertullian, Arnobius, Lactanz und Augustin in seinem Werke de civitate dei. Sie gehn bei der Beurtheilung der heidnischen Götter gewöhnlich von der Ansicht aus, daß dieselben böse Dämonen sindZ. B. Augustin C. D. VI, 3 Vel hominum, sunt ista instituta vel daemonum, non quales vocant illi daemones bonos, sed ut loquar apertius immundorum spirituum., welche die Menschen durch Trug und Zauberei zu gewinnen gewußt 38 und gegen die wahre Offenbarung verhärteten: welche Voraussetzung sie glücklicherweise nicht abgehalten hat sich um die Sache gründlich zu bekümmern, wo dann Varro wieder die Hauptquelle ist. Besonders ist Augustin reich an Auszügen aus diesem Schriftsteller und seine Beurtheilung des heidnischen Gottesdienstes obwohl leidenschaftlich und feindselig, doch immer geistreich und aus der Tiefe der christlichen Erkenntniß geschöpft, welcher unter den früheren Kaisern manche gebildete Römer der stoischen Schule, wenigstens was die Forderung des Glaubens an einen Gott und die des Gottesdienstes im Geiste und in der Wahrheit betrifft, gar nicht so fern standen. Erst der Neuplatonismus stellte mit seiner Theorie der Emanation, seiner Geisterlehre und Magie dem Christenthum eine neue Theologie des Heidenthums entgegen, welche den theoretischen Kampf der beiden Religionssysteme noch einige Zeit hinhielt.

Außer der allgemeinen Alterthumsforschung sind bei diesen Studien vorzüglich die topographischen zu empfehlen, nicht allein weil die Lage der älteren Heiligthümer in diesem oder jenem Stadttheile von Rom mit der Geschichte und dem Character des Gottesdienstes gewöhnlich genau zusammenhängtJ. A. Ambrosch, Studien und Andeutungen im Gebiet des altrömischen Bodens und Cultus, Breslau 1839., sondern auch weil die Quellen der Topographie und Stadtgeschichte auch über die einzelnen Culte manchen wichtigen Aufschluß geben. Namentlich gilt dieses von den alten Aufzeichnungen über die Regionen der Stadt Rom, bei denen man sich nur hüten muß den interpolirten Schriftstellern Sextus Rufus und Aurelius Victor ferner irgend welchen Einfluß zu gönnenL. Preller, die Regionen der Stadt Rom, Jena 1846.. Endlich sind von größter Wichtigkeit die Münzen und die Inschriften, beide als örtliche und authentische Denkmäler, welche über viele Dinge Aufschluß geben wo die römische Litteratur nicht ausreicht, die Inschriften namentlich dann, wenn sie die örtlichen Culte und Dialekte Italiens betreffen, oder vollends wenn sie unmittelbare Denkmäler einzelner religiöser oder geistlicher Institute sind, welche in Rom und Italien nicht allein zu jeder Zeit sehr zahlreich waren, sondern auch über alles sie Betreffende, die zu begehenden oder begangenen religiösen Gebräuche, die neuen Wahlen u. s. w. von Jahr zu Jahr sehr genau Protokoll hielten. Freilich die vielen Aufzeichnungen und alten Urkunden der römischen Pontifices, der Augurn, der 39 über die sibyllinischen Bücher gesetzten Fünfzehnmänner, die wichtigen Protokolle und Lieder der Salier und bei weitem die meisten andern Archivalien der Art sind bis auf die geringen Auszüge und Andeutungen der LitteraturVgl. über diese priesterliche Litteratur, die Annales Pontificum, die Libri und Commentarii Pontificum, Augurum, Saliorum u. s. w. Becker Handb. d. röm. Alterth. 1, 4 ff., Schwegler Rö. Gesch. 1, 7 ff. und 31 ff. unrettbar für uns verloren gegangen. Doch haben sich wenigstens einige sehr wichtige Reste der Art wirklich erhalten, zunächst in den größeren und geringeren Bruchstücken der alten römischen Kalender, welche eine Uebersicht über das gesammte jährliche Festwesen in Rom und verschiedenen andern Städten gaben, allerdings erst über den Kalender und das Festwesen seit den Pontificaten des Cäsar und August, doch sind sie auch so von größter Wichtigkeit. Ferner gehören dahin die sehr merkwürdigen Steintafeln der Fratres Arvales, welche zu verschiedenen Zeiten in der Nähe des Orts, wo der Hain der von ihnen verehrten Dea Dia lag, gefunden sind und Bruchstücke der jährlichen Protokolle dieser Brüderschaft erhalten haben, also über die jährlichen Opfer und Gebete, mit denen die Göttin gefeiert wurde, die Opfermahlzeiten der Brüder und allerlei außerordentliche Vorfälle und Sühnungen in jenem Haine sehr merkwürdige Aufschlüsse gebenG. Marini, Gli Atti e Monumenti de' fratelli Arvali, Roma 1795, 2 Bde. 4. Vgl. Gius. Melchiorri Appendice agli Atti e Monum. Roma 1855. 4. Auch Th. Mommsen und zuletzt De Rossi Bullet. dell' Inst. Arch. 1855 p. LII haben kleinere Nachträge publicirt. Das alte carmen fratrum Arvalium allein ist behandelt von Klausen de carm. fr. Arval. Bonn 1836 und Corssen Orig. Poesis Ro., Berl. 1846 p. 86 sqq., in welchem Buche auch andre dahin gehörige Reste, namentlich die der Saliarischen Lieder gesammelt und erörtert sind. Vgl. Th. Bergk de Carm. Saliarium reliquiis, Ind. lect. Marb. hib. 1847–48 und über das Lied der Arval. Brüder Ztschr. f. A. W. 1856 n. 17–19.. Auch verdienen verschiedene andere Denkmäler verwandten Ursprungs beachtet zu werden, welche dem Inhalte nach minder wichtig, aber schon wegen ihrer Form und Authenticität merkwürdig sind, z. B. ein Bruchstück ähnlicher Aufzeichnungen eines Collegiums des Jupiter Propugnator auf dem Palatin, ein Bruchstück von jährlichen Aufzeichnungen über die Feier der latinischen Ferien und verschiedene Reste römischer SacerdotalfastenMarini Atti p. 129, Or. n. 42. 2471. 2472, Henzen n. 6057. 6058, Mercklin die Cooptation der Römer S. 212 ff.. Endlich haben sich auch aus dem übrigen Italien zwei sehr wichtige Urkunden 40 von unmittelbarem sacralem Interesse und in der authentischen Gestalt der alten Landesdialekte erhalten: die sogenannten Iguvinischen Tafeln, welche im J. 1444 zu Gubbio, dem alten Iguvium in Umbrien gefunden sind und im umbrischen Dialekte sehr merkwürdige und alterthümliche Anweisungen zu auguralen Beobachtungen, Opfern und Gebeten geben, die auf Veranlassung eines sühnenden Umzugs um die Stadt oder einen Theil der Stadt angestellt werden solltenAufrecht und Kirchhoff die Umbrischen Sprachdenkmäler, 2 Bde., Berl. 1849, 51., und die sogenannte Weihinschrift von Agnone in oskischer Sprache, ein Verzeichniß von Opfern und Weihungen an gewisse ländliche Gottheiten, welches im Jahr 1848 in der Gegend von Agnone im nördlichen Samnium entdeckt worden istTh. Mommsen die Unterital. Dialekte S. 128–144. Vgl. Ph. Ed. Huschke, die Oskischen und Sabellischen Sprachdenkmäler, Elberfeld 1856 S. 2–32.. Eine zweckmäßige Auswahl aus der großen Masse der übrigen Inschriften, darunter auch der die Gottesdienste von Rom und den romanisirten Gegenden betreffenden, ist die von Orelli angelegte und neuerdings von Henzen vervollständigteInscriptionum latinarum selectarum amplissima collectio ad illustrandam Romanae Antiquitatis disciplinam accommodata ed. I. C. Orelli, Turici 1828. 2 Voll. 8. Vol. tertium Collectionis Orellianae Supplementa Emendationesque exhibens ed. W. Henzen, Turici 1856..

Die bildende Kunst hat in Rom eben so wenig etwas Neues, wenigstens keine Götterideale geschaffen, als die Poesie eine Mythologie, deren Blüthe jene voraussetzt. Anfangs waren es etruskische, dann griechische Künstler, welche den Römern ihre Götterbilder lieferten, unter denen wie bei den Griechen die alterthümlichen und roheren lange für die heiligeren galten, bis mit der Zeit auch auf diesem Gebiete die griechische Aesthetik und ihre ideale Götterwelt sich geltend machte. So waren die drei Capitolinischen Götter, Jupiter, Juno, Minerva, wie sie in Sullas und Domitians Tempel zu sehen waren, ganz nach den besten griechischen Vorbildern geschaffen, und selbst solche Götter, von denen sich die ursprüngliche nationale Auffassung wenigstens im Cultus reiner erhalten hatte, z. B. Mars, Saturnus, Vejovis-Apollo u. a. folgten dem allgemeinen Impulse der griechischen Kunst; höchstens mit Ausnahme des wesentlich italischen und ungriechischen Janus, obgleich es auch hier die Frage bleibt, ob der Doppelkopf nicht den Griechen entlehnt ist. Selbst die 41 bildlicheDarstellung der conventionellen Mythengeschichte von Latium und Rom, die Abenteuer des Aeneas und die Geschichte des Romulus, wurden entweder von griechischen Künstlern oder doch in griechischer Manier ausgeführt. Auch war es erst die Zeit des Cäsar und August, in welcher diese Bildnerei einen gewissen Schwung bekam; ihre Tempel der Venus Genitrix und des Mars Ultor, später der von Hadrian erbaute Tempel der Venus und Roma, waren reich an solchen Decorationen. Der letzte Kaiser, welcher an solchen Darstellungen Geschmack gefunden, ist Antoninus Pius, dessen Münzen eine Uebersicht von ihnen gebenEckhel D. N. VII p. 28 sqq.. Für die Mythologie haben solche Bilder kein andres Interesse als das untergeordnete einer alterthümlichen und im Sinne der Zeit gedachten Illustration.


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