Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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10. Angitia, Circe, Marica.

Auch die Göttin Angitia wird sich hier passend anschließen, da sie von den Nachbarn und Verwandten der Sabiner, den Marsern am 362 l. Fucinus unter ähnlichen Bedingungen verehrt wurde wie die Vacuna am 1. Velinus, und zugleich als Heilgöttin, welche sich namentlich auf heilende Kräuter verstand, von selbst zur Bona Dea der Römer zurückführt. Auch ihre Verehrung war die alterthümliche und ländliche des Hains, wie davon noch jetzt der kleine Ort Luco mit einigen Trümmern alter Anlagen ein Andenken bewahrt hatSchon bei den Alten werden die Lucenses als ein besondrer Pagus der Marser erwähnt, Plin. III, 12, 7. Ueber den 1. Fucinus und die anliegenden Oertlichkeiten s. G. Kramer der Fuciner See, Berl. 1856, über den Hain der Angitia Klausen Aeneas S. 1041 Taf. IV, 2., und auch sie muß das Ansehn einer Stammgöttin gehabt haben, da die Marser ihren Namen und ihre ältesten Könige in verschiedenen Erklärungen und Genealogieen von dieser Göttin ableiteten. Da manche Texte ihren Namen Anguitia schreiben, so haben neuere Mythologen sie für eine »Schlangengöttin« erklären wollen; allein der wahre Name ist in den bessern Handschriften und verschiedenen Inschriften entweder Angitia oder Ancitia, welches Wort am natürlichsten auf den weitverbreiteten Stamm ancus zurückgeführt wird. (S. 238). Jene Inschriften sind auch deshalb interessant, weil sie den Dienst dieser Göttin in weiterer Ausbreitung kennen lehren, und zwar in der Form einer Gruppe von mehreren zusammengehörigen Göttinnen, wie die Carmentes, die Corniscae, die Furinae u. A. Eine ist aus Sulmo im Gebiet der Peligner, eine andre aus Antinum in dem der Marser, eine dritte aus Peltuinum in dem der VestinerOr. n. 115. 1846, Mommsen I. N. n. 5433 Angitiis, n. 5592 Angitiae, n. 6012 Dis Ancitibus., so daß sie also in dieser ganzen Gegend verehrt wurde und zwar als wohlthätige Heilgöttin, zu welcher man pro salute sua oder der Seinigen betete und opferte. Der alte Centralsitz blieb indessen das Gestade des Fuciner SeesVirg. Aen. VII, 750 ff. und dazu Servius. Vgl. v. Salis Reisen in verschiedenen Provinzen des K. R. Neapel 1, 259 ff., 268, 274., wo der Reichthum der benachbarten Berge einerseits an giftigen Schlangen, andrerseits an officinellen Kräutern, den auch neuere Reisende hervorgehoben haben, den eigenthümlichen Character ihrer Verehrung bestimmt hatte. Namentlich rühmten sich die Marser allerlei wirksame Kräuter und Sprüche (carmina) um die Schlangen zu beschwören und ihren Biß unschädlich zu machen von ihr geerbt zu habenPlin. H. N. VII, 2. 2, XXV, 2, 5, Solin. 2, 27, Gell. N. A. XVI, 11. Ueberhaupt waren die Marser und Sabeller d. h. jene kleineren Seitenzweige sabinischer Abkunft in Rom als Zauberer, Wahrsager und Quacksalber bekannt, s. Horat. Sat. 1, 9, 29, Epod. 17, 28, Iuven. S. III, 169.. Man identificirte sie deshalb 363 bald mit der Circe von Circeji, deren Sohn nun für den Stammvater der Marser galt, bald mit der griechischen Medea, welche nach ihrer Flucht von Kolchis bis nach Italien und an den Fucinersee verschlagen sei; oder man nannte sie eine Schwester von beiden. Jene Circe von CircejiVirg. Aen. VII, 10 ff., vgl. Cic. N. D. III, 19, 48., wo sie noch in späteren Zeiten eifrig verehrt wurde, kann aber ursprünglich auch nichts Anderes gewesen sein als solch eine der Bona Dea und der Fauna verwandte Heil- und Zaubergöttin der feuchten Gründe und der Vegetation, in welcher die Cumanischen Griechen ihre Circe wiedererkannten, was sowohl für die Auffassung und Erklärung der Odyssee und andrer Sagen als für die Sagengeschichte von Latium und Italien so viele wichtige Folgen haben sollte. Eine Spur der einheimischen Bedeutung hat sich darin erhalten, daß man sie für identisch mit der Marica von Minturnae hieltLactant. 1, 21, 23, vgl. Virg. Aen. VII, 45 ff. und Servius zu d. St. und zu Aen. XII, 164 Latinus secundum Hesiodum in ἀσπιδοποιΐα Ulixis et Circae filius fuit, quam multi etiam Maricam dicunt., welche schon als Gemahlin des Faunus, von dem sie den Latinus gebiert, gar sehr an Fauna und Bona Dea, so wie an jene Stammgöttinnen der Sabiner und Marser erinnert, zumal da auch die Verehrung der Bona Dea in Minturnae bekannt istMommsen l. N. n. 4053.. Der alte Hain und Tempel der Marica lag an der Mündung des Liris, welcher Fluß nicht weit von den Marsern und Vestinern entsprang und sich bei Minturnae ins Meer ergoß, wo jene in der ganzen Gegend hochverehrte Göttin ihr Heiligthum gleich unter der Stadt hatteStrabo V p. 233. 237, Horat. Od. III, 17, 7, Lucan. II, 424, Vib. Seq. v. Liris und Marica, u. A.. Ihre wahre Bedeutung ist auch daran zu erkennen, daß die griechische Aphrodite, die Göttin des üppigen Vegetationstriebes, neben ihr verehrt wurde. Minturnae war einst eine lebhafte und bedeutende Stadt und die Hauptstadt der umliegenden Ortschaften gewesen. Später war sie ein offener Ort, aber noch immer der Mittelpunkt eines lebhaften Marktverkehrs und auch wegen jener alten Heiligthümer viel besucht. Bekanntlich nahm Marius auf der Flucht vor den Sullanern seine Zuflucht zu dem Haine der Marica, indem er sich dort, an der Mündung des Liris, im Binsendickicht zu verbergen suchte, aber von Sullas Reitern doch entdeckt und hervorgezogen wurdeVellei. Pat. II, 19, Plut. Mar. 37. 38.. 364


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