Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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6. Aeneas. Antenor.

Die neuerdings so oft besprochene AeneassageO. Müller Class. Journal 1822 Vol. XXVI n. 52 p. 308–318, Bamberger im Rh. Mus. f. Philol. 1838 VI S. 82–105, Klausen Aeneas und die Penaten, Hbg. u. Gotha 2 Bde. 1839. 40, E. Rückert Trojas Ursprung, Blüthe, Untergang und Wiederherstellung, Hamb. 1846, Schwegler Röm. Gesch. I S. 279–336. 667 unterscheidet sich von den bisher behandelten vorzüglich dadurch daß sie mit einer gewissen Form des asiatischen Aphroditedienstes Hand in Hand gehend die auf dem Haupte des Aeneas und der Aeneaden ruhenden Verheißungen dieser Religion von Troja auf Rom übertrug, also zugleich dem politischen und dem historischen Ehrgeiz der Römer schmeichelte. Anfangs in geringen und localen Anfängen auftretend ist sie allmälich durch die Ehrsucht einzelner Geschlechter und die Phantasie der Dichter und Sagenschreiber in die Mitte der latinischen und römischen Sagengeschichte gerückt worden, bis der Ruhm der Julier unter Cäsar und August und das dadurch bestimmte Gedicht Virgils ihr vollends den Vorrang vor allen übrigen hellenisch-römischen Sagen gesichert hat.

Jenen Verheißungen begegnet man schon in der Ilias. Aeneas und Priamus sind hier die Häupter von zwei verschiednen Geschlechtern, von denen jenes zurückgesetzt wird, aber für eine neue und größere Zukunft aufbewahrt, Priamus dagegen und sein ganzes Haus dem Untergange verfallen istIl. XIII, 460, XX, 302, Hymn. in Ven. 196. Nach Akusilaos b. Schol. Il. XX, 307 stiftete Aphrodite den ganzen Krieg nur deshalb an, um die Herrschaft von dem Hause des Priamus an das des Aeneas zu bringen.. Nach dem Gedichte des Arktinos von der Zerstörung Trojas verließ Aeneas die Stadt noch vor derselben, gleich nach der Katastrophe Laokoons, indem er sich ins höhere Gebirge nach dem alten Stammsitze der Landschaft Dardania mit dem ächten Palladion zurückzog; auch dichtete Sophokles so in seinem Laokoon, in welchem Stücke Aeneas theils durch das schreckliche Ende Laokoons theils durch die Weissagungen der Aphrodite zu seinem Auszuge bestimmt wurdeDionys. I, 48. 69.. Spätere Schriftsteller erzählten von einer Herrschaft der Aeneaden und Hectoriden, welches Geschlecht nun auch wieder zu Ehren gekommen war, zuerst in Alt-Skepsis im hohen Gebirge, später in dem tiefer im Aeseposthale gelegnen Neu-Skepsis, wo beide Geschlechter noch lange geherrscht haben sollen, Andre von andern Gründungen und Herrschaften des Aeneas und der Aeneaden in den Umgebungen des IdagebirgesDemetrios von Skepsis b. Strabo XIII p. 607, vgl. Schwegler Röm. Gesch. I, 294.. Immer ist es Aphrodite, welche den Sohn 668 des geliebten Anchises behütet und begleitet und über die Erfüllung ihrer alten Verheißungen wacht.

Diese trojanische und asiatische Aphrodite war aber nicht blos eine befruchtende Glücksgöttin des festen Landes, sondern auch eine mächtige Göttin der See und der Schiffahrt und an verschiedenen Punkten des mittelländischen Meeres als solche verehrt, hin und wieder unter dem Beinamen der Aphrodite Αἰνειάς, wodurch ihr enges Verhältniß zum Aeneas am entschiedensten ausgedrückt wird. Offenbar hat dieser Umstand am meisten zur Verbreitung der Aeneassage beigetragen. So treffen wir den Aeneas mit seinem Vater und der mütterlichen Schutzgöttin zunächst in der für den Verkehr zwischen Asien und Europa von jeher sehr wichtigen Bucht von Salonichi, wo er eine Stadt Aenos oder Aenea und auf dem Vorgebirge einen Tempel der Aphrodite gründetSchon Lesches in der kleinen Ilias ließ den Aeneas dahin gelangen, freilich nur als Gefangnen des Neoptolemos, s. Tzetz. zu Lycophr. 1232 und 1263. Die vollständige Sage erzählte Hellanikos, s. Dionys. I, 46 ff., Strabo VII, p. 330, Schol. Il. XX, 307.. Weiter findet sich an der gleichfalls immer vielbesuchten Küste von Zante bis Corfu eine ganze Reihe von Culten der Aphrodite und damit verbundnen Erinnerungen an Aeneas und Troja. So soll Aeneas auf Veranlassung einer Windstille auf Zante einen Dienst der Aphrodite gestiftet haben, welcher den Einwohnern immer sehr heilig blieb. Ebenso auf Leukas, wo Aeneas in dem jetzigen Canal von Sta Maura ein Heiligthum der Aphrodite Aineias stiftet, und wieder auf dem benachbarten Vorgebirge von Actium, wo auch die »Großen Götter« d. h. die Kabiren oder Dioskuren von Samothrake als schützende Dämonen der Schiffahrt verehrt wurden. Desgleichen gab es in Ambracia ein Heiligthum der Aphrodite und des Aeneas, endlich der Insel und Stadt Corfu gegenüber bei dem alten Buthrotum wieder einen von Anchises und Aeneas gestifteten T. der Aphrodite. Eine dritte Gegend endlich, wo Troja von neuem aufgelebt zu sein schien, diese schon ganz dem Westen angehörig und mitten in der Verkehrslinie zwischen Karthago und der latinischen Küste gelegen, war die nordwestliche Spitze von Sicilien, wo der Berg Eryx mit dem T. der erycinischen Aphrodite weit und breit berühmt war und an seinem Fuße die Elymer in mehreren Städten wohnten, unter denen Egesta oder Segesta die bekannteste ist. Auch hier wiesen alte Sagen und örtliche Erinnerungen sehr bestimmt auf einen 669 Zusammenhang mit dem alten Troja, so bestimmt daß selbst Thukydides sich nicht gescheut hat daran zu glaubenThucyd. VI, 2 Ἰλίου δὲ ἀλισκομένου τῶν Τρώων τινὲς διαφυγόντες Ἀχαιοὺς πλοίοις ἀφικνοῦνται πρὸς τὴν Σικελίαν καὶ ὅμοροι τοῖς Σικανοῖς οἰκήσαντες ξύμπαντες μὲν Ἔλυμοι ἐκλήϑησαν, πόλεις δ’ αὐτῶν Ἔρυξ τε καὶ Ἔγεστα. Vgl. Strabo XIII p. 608, Dionys. I, 52 ff., Virg. Aen. V. Auch der alte T. der erycinischen Venus auf dem benachbarten Berge rühmte sich später der Stiftung oder Verherrlichung durch Aeneas, s. Virg. Aen. V, 758, Diod. IV, 83., und zwar häuften sich diese Merkmale am meisten in der Gegend von Segesta, wo ein Heiligthum des Aeneas in der Stadt und ein Altar der Aphrodite Aineias auf einer benachbarten Höhe, ja im Thale selbst die beiden trojanischen Bäche Simois und Skamander gezeigt wurden. Diese Gegend ist aber eben wegen ihrer mittlern Lage zwischen Karthago und Italien für die Geschichte der Aeneassage besonders wichtig. Wie die Phönicier und später die Punier sich vorzüglich dort festgesetzt hatten, die Elymer und Phönicier gegen die Griechen zusammenhielten und zwischen dem Aphroditedienst auf Eryx und dem der Küste von Afrika ein alter Cultuszusammenhang bestandAelian N. A. IV, 2. In Karthago konnte sich die Aeneassage an die dortigen Traditionen von der Dido um so leichter anschließen, da diese nur die zur geschichtlichen Person gewordene Burggöttin von Karthago ist, die der Venus Urania eben so sehr als der Iuno verwandte Astarte der phönicischen Heimath. Auch Didos Schwester Anna ist eine Nebenfigur dieses phönicischen Astartedienstes. S. Movers Phönizier I, 609 ff., II, 1, 350 ff., 2, 92 ff., so leidet es wohl keinen Zweifel daß sich der Zusammenhang der Aeneassage mit Karthago und ihre antihellenische Tendenz d. h. die Hoffnung eines endlichen Triumphes über den alten Erb- und Nationalfeind, die Griechen, vorzüglich hier ausgebildet hat. Wie andrerseits die Erinnerungen des latinischen Aphroditedienstes und der auch hier aufs engste damit verschmolzenen Aeneassage so bestimmt auf Segesta und den Kreis der erycinischen Venus zurückweisen (S. 384), daß man auch in dieser Beziehung am besten thun wird sich einfach an diese Gegend zu halten, zumal da auch der Verkehr zwischen den Seeplätzen der latinischen Küste, darunter Ardea und Lavinium, und jener Gegend von Sicilien ein sehr lebendiger gewesen sein muß, schon wegen jenes alten Handeltractats zwischen Rom und Karthago (Polyb. III, 22). Hatte die latinische Aeneassage von Lavinium doch selbst in ihrer späteren Tradition eine bestimmte Hinweisung auf Segesta erhalten, da sie unter den Begleitern des Aeneas und als Haupt der Gründer von 670 Lavinium einen Aegestus nennt, welcher höchst wahrscheinlich daher seinen Namen hatteDionys. I, 67. Man könnte Aegestus durch Aequus erklären (S. 629), doch denkt man natürlicher an Egesta oder Segesta, s. Cic. Verr. IV, 33. 72, Tacit. Ann. IV, 43., wie die alte Verwandtschaft und Freundschaft zwischen Rom und Segesta denn auch sonst oft hervorgehoben und in Rom immer bereitwillig anerkannt wurde.

Wichtig wäre es wenn sich die Zeit, wo dieser Dienst der Aphrodite und die Aeneassage sich bis nach Latium fortrankte, genauer bestimmen ließe, doch ist dieses nur annäherungsweise möglich. Man hat die Spuren der latinischen Aeneassage schon bei dem sicilianischen Dichter Stesichorus (S. 642) aufzufinden geglaubt, aber dessen Ausdruck daß Aeneas von Troja »nach Hesperien« gezogen sei ist doch noch zu unsicher und eine unmittelbare Beziehung der ilischen Tafel auf seine Dichtung zu bedenklich, als daß man daraus seine Bekanntschaft mit dem letzten Ziele der Wanderung des troischen Helden in Latium und Rom folgern dürfteNiebuhr R. G. I, 201 geht so weit daß er Stesichorus von Aeneas Auswanderung »fast wie Virgil« singen läßt. Vgl. Welcker kl. Schr. I. 181, Alte Denkm. 2, 191 ff.. Eben so wenig wird sich nachweisen lassen daß Cumae lange vor Rom den Aeneas als Ktisten verehrt habe, wie Manche dem angeblichen Zeugnisse des Stesichorus und gewissen sibyllinischen Verheißungen von der Zukunft des AeneasDionys. I, 49 sagt sehr zuversichtlich: τῆς δὲ ἐπὶ Ἰταλίαν Αἰνείου καὶ Τρώων ἀφίξεως Ῥωμαῖοί τε πάντες βεβαιωταὶ καὶ τὰ δρώμενα ὑπ’ αὐτῶν ἔν τε ϑυσίαις καὶ ἑορταῖς μιμήματα, Σιβύλλης τε λόγια καὶ χρησμοὶ Πυϑικοὶ καὶ ἄλλα πολλά, doch gilt das eben nur für seine Zeit und von der damaligen Sammlung der sibyllinischen Sprüche, s. oben S. 272. zu Liebe angenommen haben, da bei diesen Sprüchen eine spätere Interpolation mehr als wahrscheinlich ist und Cumae selbst, die alte griechische Pflanzstadt, wohl den Ulysses, aber schwerlich den Aeneas unter ihren Heroen verehrt haben wird. Vielmehr läßt sich in der griechischen Litteratur mit Sicherheit kein älteres Zeugniß für den trojanischen Ursprung von Latium und Rom nachweisen als das des Aristoteles, dessen Schüler Theophrast sich nach Plinius zuerst eingehender mit Rom beschäftigt hattePlin. H. N. III, 5, 9 Theophrastus, qui primus externorum aliqua de Romanis diligentius scripsit. Die Erzählung des Aristoteles war noch eben so unbestimmt als mährchenhaft. s. Dionys. I, 72, Strabo VI p. 264. Die Schrift des Gergithiers Kephalon, welche Dionys. I, 49. 72 vgl. Fest. p. 266 Romam als ältestes Zeugniß für den troischen Ursprung von Rom anführt, wird bei Athen. IX p. 393 sehr bestimmt für das Product eines Alexandriners erklärt, welcher Zeitgenosse Antiochos d. Gr. war. Die bei Dionys. I, 72 angeführte Chronik der argivischen Priesterinnen mag eine spätere Ueberarbeitung der Chronik des Hellanicus gewesen sein., wie Aristoteles selbst denn darüber 671 allerdings noch sehr ungenau unterrichtet gewesen zu sein scheint. Bestimmter trat die Ueberzeugung vom trojanischen Ursprunge Roms auf bei Kallias, welcher um 300 v. Chr. die Geschichte des Agathokles beschrieben hatte, bis endlich Timäos, der Zeitgenosse des Königs Pyrrhos, die vollständige Aeneassage und zwar mit Berücksichtigung der latinischen und römischen Ueberlieferung erzählt hatteDionys. I, 67, Polyb. XII, 4.. Namentlich vermuthet man daß aus ihm die in der Alexandra des Lycophron v. 1236 ff. zusammengestellten Nachrichten entlehnt sind, welches Gedicht nach dem übereinstimmenden Urtheile gründlicher Gelehrten entweder ganz oder doch in diesem das römische Alterthum betreffenden Abschnitte in der Zeit des Kampfes zwischen Antiochus und Rom entstanden ist. In Rom selbst hatte man sich freilich schon um ein Bedeutendes früher, nehmlich um die Zeit des ersten punischen Kriegs, gewöhnt in Troja die Ursprünge Roms und des Römischen Namens zu suchenIustin. XXVIII, 1, Sueton Claud. 25 u. A., vgl. Schwegler Rö. G. I, 305 ff., daher man mit den ersten Anfängen der Sage immerhin noch einige Generationen höher hinauf gehn muß. Doch glaube ich kaum daß sie älter ist als der latinische Krieg und die Unterwerfung der Latiner im J. 338, in solchem Grade macht sie den Eindruck einer gänzlichen Verkümmerung der latinischen Bundesverhältnisse und Bundeserinnerungen. Während des Kriegs mit Tarent und Pyrrhus mag sie sich in Rom vorzüglich durch ihre antihellenische Tendenz empfohlen haben, wie später, im Verlauf der Punischen Kriege, vorzüglich der Triumph über Karthago hervorgehoben wurde.

Hernach übernahm die combinirende Dichtung und Sagenschreibung die Aufgabe, die verschiedenen Punkte wo sporadisch vom Aeneas erzählt wurde in einen historischen und geographischen Zusammenhang zu bringen, auf welchem Wege die gewöhnliche Tradition bei Cato, Varro, Virgil, Dionysius v. Halicarnass u. A. entstanden ist. Bald sind es bloße Namen, welche zur Anknüpfung dienen, bald verwandte Gottesdienste und Sagen. So ließ man den Aeneas jetzt aus der Bucht von Salonichi zunächst nach Delos gelangen, weil es dort alte Traditionen von 672 einem König und Seher Anios gab, dann nach Kythere, weil das dortige sehr alte Heiligthum der Aphrodite nun gleichfalls für seine Stiftung gelten konnte. Von Kythere macht er einen Abstecher nach Arkadien, weil Dardanos, der Stammvater aller troischen Königsgeschlechter, nach der gewöhnlichen Sage für einen Sohn der Plejade Electra galt, also eigentlich aus Arkadien stammteDionys I, 50. Bei Virgil sucht Aeneas die Ursprünge seines Geschlechts nicht in Arkadien, sondern auf Kreta, von wo er weiter nach Italien und Latium geschickt wird, weil auch Dardanus eigentlich von dort stamme, s. Aen. III, 94 ff., 193 ff., VII, 205 ff. u. 240 Hinc Dardanus ortus, Huc repetit iussisque ingentibus urget Apollo Tyrrhenum ad Thybrim et fontis vada sacra Numici. Plin. H. N. III, 5, 9 Corani a Dardano Troiano orti. Nach Andern war Corythus gemeint d. i. Cortona, s. Heyne exc. VI zu Aen. III.. Dann gelangt er zur See weiter nach Zante und den übrigen vorhin genannten Punkten der Küste von Acarnanien und Epirus, wo er bei Virgil mit dem troischen Seher Helenus und der Andromache zusammentrifft. Von dort ließen ihn Einige direct nach Mittelitalien gelangen, hier mit Ulysses zusammentreffen und in Gemeinschaft mit diesem und den Söhnen des Telephos zum Ansiedler werdenDie Chronik der argivischen Priesterinnen bei Dionys I, 72 und Lycophr. Al. 1236 ff., während ihn Andre den weiteren Seeweg um das südliche Italien nach Afrika und Sicilien und von dort an der westlichen Küste Italiens hinauf bis Latium führten. An der südlichen Küste von Italien leitete man jetzt an verschiedenen Stellen, namentlich in Siris, alte Palladien vom Aeneas abStrabo VI p. 264, Dionys I, 51., so daß er also hier den Diomedes verdrängte, wie an der westlichen den älteren Ulysses. Bei den Ortssagen nehmlich, welche in diesen Gegenden bei der Fahrt des Aeneas anknüpfen, läßt sich entweder ihre frühere Unabhängigkeit von diesem mythologischen Faden oder eine ältere Beziehung auf die Fahrten des Ulysses nachweisen. So ist die Erzählung vom Palinurus eben nur eins von den vielen griechischen Schiffermährchen, welche alle Küsten und Buchten des mittelländischen Meers belebten, eine Personification des günstigen Windes der Rückkehr (πάλιν οὖρος), welcher zum Steuermann geworden war und als solcher in verschiedenen Gegenden die Sage beschäftigte, denn auch in der Gegend von Cyrene und bei Ephesus gab es Vorgebirge des PalinurosLiv. XXXVII, 11, Lucau. IX, 41.. Ein ähnliches Mährchen ist das vom Misenus, dem Sohne des Windgottes Aeolus, daher Schiffstrompeter, so gut wie die Tritonen auf der Muschel zu trompeten pflegen, also eine 673 Personification des stürmischen Vorgebirges bei Bajä, dessen Eponym in der Cumanischen Sage für einen Begleiter des Ulysses galt, während man später mit beiden Namen bei der Aeneassage anknüpfteStrabo I p. 26, V p. 245, Serv. V. A. III, 239, IX, 710.. Auch die andern Punkte, Prochyte, Caieta und die Insel Aenaria konnten erst dann als Beweise für den Glauben der Aeneasfahrt gelten, nachdem dieselbe zu einem beliebten Sagencomplex dieser Gegenden geworden warΠροχύτη (Procida) ist eigentlich προχυτή, quia profusa ab Aenaria erat d. i. der größeren vulcanischen Insel Ischia, doch dichtete schon Naevius von der Verwandten des Aeneas, s. Serv. V. A. IX, 715, Plin. III, 6, 12. Aenaria, welchen Namen man später auf eine Landung des Aeneas deutete, Paul. p. 20, ist wahrscheinlich eine Corruption des älteren Namens Inarime. So ist die Sirene Leucosia später zu einer Nichte des Aeneas Namens Lectosia geworden, s. Strabo VI p. 252, Plin. III, 7 vgl. Dionys. I, 53, Paul. p. 115. Auch der Name Caieta wurde verschieden erklärt, s. Strabo V p. 233, Serv. V. A. VII, I.. Von dem Besuche des Aeneas in Cumae und seiner Befragung der dortigen Sibylle scheint allerdings schon Naevius gewußt zu haben (S. 267), doch kann auch dieses für das höhere Alterthum der Aeneassage in Cumae nichts beweisen.

Für Rom bildete diese Sage zugleich den Stamm der dürftigen Erinnerungen welche sich aus dem latinischen Alterthum erhalten hatten, ein sichrer Beweis daß die Blüthe des latinischen Bundes längst vorüber war als diese Erinnerungen eine feste Form annahmen. Von Alba Longa hatte sich nur ein dunkles Gerücht behauptet, welches im weitern Verlaufe dieser Sagenbildung sogar noch mehr entstellt wurde; von den übrigen latinischen Städten ist gar nicht die Rede, da sie seit 338 v. Chr. ihre Selbständigkeit verloren hatten und die Bevölkerung sich seitdem immer mehr in Rom zusammendrängte (Liv. XLI, 8). Nur Lavinium war als letzter Rest des latinischen Bundes übrig geblieben (S. 188), daher sich auch die Erinnerungen an den Ursprung und die Heiligthümer desselben dort allein erhalten hatten. Wohl aber ist Rom und seine Zukunft die eigentliche Zweckbeziehung aller Schickungen, von denen die Aeneassage erzählte, so sehr hatte sich diese ganze Sage unter dem Einflusse des Grundgedankens gebildet, daß Latium und Alba Longa nur um Roms willen existirt hätten. In Rom mag zunächst das Geschlecht der Julier diese Erinnerungen gepflegt und sie mit der Aeneassage vermischt haben, bis diese allmälich allgemeinere Geltung gewann und gleich bei den ersten Anfängen der römischen Litteratur 674 sowohl von der Poesie als von der Geschichte begierig ergriffen wurde. Naevius, welcher im ersten und zweiten punischen Kriege lebte, machte zuerst poetischen Gebrauch von der Aeneassage, indem er in seinem Gedichte über den ersten Krieg zwischen Rom und Karthago die Feindschaft beider Städte von der Entzweiung der beiden Stifter, des Aeneas und der Dido, ableitete; wenigstens wissen wir daß in diesem Gedichte ausführlich von der Flucht des Aeneas und seines Vaters, ihren Abenteuern auf der Fahrt, der gastlichen Aufnahme in Karthago und endlich von der Ankunft in Latium die Rede gewesenS. Schwegler R. G. I S. 84. 85 und Io. Vahlen Cn. Naevi de bello Punico reliquiae Lips. 1854.. Dann erzählte Ennius die Sage ausführlich im Eingange seiner Annalen, als mythische Vorgeschichte der Gründung von Rom. Wie flüssig noch zu seiner Zeit die Ueberlieferung war beweist der Umstand daß Alba Longa nach seiner Erzählung bei der Ankunft des Aeneas schon existirte, ferner daß Ilia nach ihm die Tochter des Aeneas, also Romulus dessen Enkel war; und so hatte vor ihm auch Naevius gedichtetServ. V. A. I, 273, VI, 178, Io. Vahlen Ennian. Poes. Reliq. p. XXVII sq.. Weiter hatten unter den älteren römischen Geschichtsschreibern namentlich Cato und Cassius Hemina die Aeneassage mit Sorgfalt erforscht und bearbeitet. Und zwar wird aus Cato zuerst die wichtige Neuerung angeführt, nach welcher die dreißig Ferkel des weißen Mutterschweins, welche ein altes Symbol der Metropole Alba mit ihren dreißig Colonieen war, nicht mehr diese, sondern die dreißig Jahre, welche angeblich zwischen der Gründung von Lavinium und der von Alba verflossen, bedeuten sollten: eine chronologische Klügelei welche den wirklichen Zusammenhang der Thatsachen nun vollends entstellte. Endlich hatte Varro sich mit großem Eifer auch auf diesen Abschnitt des römischen Alterthums eingelassenVarro über die Penaten des Aeneas bei Serv. V. A. III, 12 oben S. 548. Vgl. Serv. A. III, 349 Varro Epiri se fuisse dicit et omnia loca iisdem dici nominibus, quae poeta commemorat, vidisse. Von der Ankunft des Aeneas in Latium Serv. A. I, 382, III, 286 oben S. 33. Aeneas kommt mit zwanzig Schiffen, quibus portabantur reliquiae Troianorum, ib. XVIII, 19. Seine Schrift de familiis Troianis wird erwähnt ib. V, 704., in Samothrake nach der Bedeutung der Penaten geforscht, Epirus wegen der dortigen Erinnerungen an Troja und Aeneas bereist, dessen Ankunft in Latium und den Bund mit Latinus, ferner die Gründung Albas und die Geschichte der Albanischen Könige mit 675 chronologischer Genauigkeit beschrieben, und in Rom selbst Untersuchungen über die trojanischen Geschlechter d. h. über die Familien welche sich vom Aeneas und seinen Trojanern abzustammen rühmten angestellt. Endlich Virgils Aeneide, bei welchem Gedichte man nicht weiß was man mehr bewundern soll, die Kunst der Dichtung und der Sprache, den patriotischen Ernst des Studiums, die seelenvolle Empfindung so mancher tiefergreifenden Schilderung, oder die angeborne Armuth und Dürftigkeit des Stoffs in allen Punkten wo der Dichter die Hand seiner griechischen Führer verläßt und die Vorzeit von Italien und Latium durch ihre eignen Erinnerungen zu beleben sucht.

Die gewöhnliche Erzählung von der latinischen Vorzeit beginnt mit der kahlen Abstraction der Aboriginer, welche den griechischen Autochthonen entsprechenOhne Zweifel kommt das Wort von ab origine. Dionys I, 10 übersetzt es durch γενάρχαι oder πρωτόγονοι, Serv. V. A. VIII, 328 durch αὐτόχϑονες. Ennius nannte diese Ursprungsmenschen Casci d. h. die Alten, s. Varro l. l. VII, 28, Cic. Tusc. I, 12, 27, Serv. V. A. I, 6. Ihr Verhältniß zu den Faunen s. oben S. 341. Varro hatte in einer Satire Aborigines περὶ ἀνϑρώπων φύσεως das mythische Bild der primitiven Rohheit weiter ausgefübrt. und von den späteren Schriftstellern, Lucret. V, 923 ff., Sallust Cat. 6 u. A. wie diese als wilde Waldmenschen, Höhlenbewohner, Eichelesser, ohne Sitte und Gesetz, ohne Ackerbau und höheres Bedürfniß geschildert werden. Von ihnen führt uns diese Tradition alsbald an die von der Natur in jeder Hinsicht vernachlässigte Küste der Laurenter, welche niemals einen bedeutenden Einfluß auf die Geschicke der Dinge gehabt haben kann, aber hier dennoch für den Boden ausgegeben wird, wo der Wunderbaum der römischen Zukunft seine ersten Wurzeln getrieben habe. Antium, die alte Seestadt der Volsker, und Ardea, die Stadt des Turnus und der Rutuler, sind die letzten Punkte die sich einer günstigen Lage erfreuen. Von Ardea bis zur Tibermündung zieht sich ein hügeliger, von einzelnen Bächen durchfurchter Strand, welcher jetzt meist mit Gebüsch und niedriger Waldung (macchia) bestanden und nur in günstiger Jahreszeit bewohnbar ist. Entfernt man im Gedanken den breiten Gürtel von sandigen Dünen, der sich im Laufe der Jahrhunderte vor dieser und überhaupt der westlichen Küste von Italien abgelagert hat, und denkt man sich dazu eine fleißige Cultur, wie sie in dem höheren Alterthum in diesen Gegenden jedenfalls vorhanden war und unter den Kaisern der Natur noch einmal Herr zu werden versuchte, so mag die Lage der 676 Dinge immerhin eine etwas bessre gewesen sein. Der Name der Laurenter, wie sich die Bevölkerung insgemein nannte, wird von einem heiligen Lorbeerbaume abgeleitet, welcher nach Art der ältesten Zeiten ein nationales Heiligthum gebildet hatte, woraus mit der Zeit der kleine Ort Laurentum entstandVirg. Aen. VII, 63 vgL Herodian I, 12, 2 von einer Villa des Commodus: τὸ περὶ τὴν Λαύρεντον χωρίον μεγίστοις κατάσκιον δαφνηφόροις ἄλσεσιν, ὅϑεν καὶ τὸ ὄνομα τῷ χωρίῳ. Herodian schildert die Gegend überhaupt als eine freundliche, wegen der Seeluft und der schattigen Pflanzungen sogar gesuchte. Seit Claudius und Antoninus Pius war viel für die dortige Cultur geschehen. Zur Geschichte s. A. W. Zumpt de Lavinio et Laurentibus Lavinatibus Berol. 1845 und Bormann Altital. Chorogr. S. 98 ff.. Die Hauptstadt war immer Lavinium in ziemlich günstiger Lage, denn es liegt auf einem ansehnlichen Hügel unweit des Meeres und zwischen fruchtbaren Gründen, obwohl sie eine maritime Bedeutung höchstens nur bis in die früheren Jahre der Republik gehabt haben kannIn dem ersten Tractate zwischen Rom und Karthago bei Polyb. III, 22 werden noch die Λαυρεντῖνοι (Mss. Ἀρεντίνων) d. h. die Laurenter mit der Hauptstadt Lavinium unter den seefahrenden und handeltreibenden Ortschaften der latinischen Küste genannt, neben den Ardeaten, Antiaten, Circeji uml Tarracina. In dem spätern Bündnisse bei Polyb. III, 24 werden sie nicht mehr genannt.. Laurentum war ursprünglich wohl nur ein für diese latinischen Küstenbewohner ehrwürdiges Heiligthum des Mars nach Art jener älteren im Gebirge, wo der heilige Vogel Specht als Prophet walteteS. oben S. 296. Mensis Martius bei den Laurentern Ovid F. III, 93. Mars Ficanus in der Gegend von Ostia s. oben S. 98.. Darum galt Picus für den ersten König der Laurenter und dabei für einen Sohn des SaturnusVirg. A. VII, 45, Augustin C. D. XVIII, 15, vgl. oben S. 333 und 341., weil solche Bilder und Erinnerungen von selbst mit denen der seligen Urzeit zusammenfielen. Für seinen Sohn und Nachfolger galt der verwandte Nationalgott Faunus, von dessen Verehrung in dieser Gegend noch später ein ihm geheiligter Oleaster zeugte. Auf ihn folgt Latinus, nach der gewöhnlichen Sage der Sohn dieses laurentischen Faunus und der benachbarten Nymphe Marica (S. 363), der schon der Hesiodischen Theogonie bekannte Eponym des latinischen Volks, welchen die griechische Fabel zum Sohne des Ulysses und der Circe, die römische zu dem des Hercules und der Fauna machte (S. 644). Es scheint daß er in Lavinium als Indiges d. h. nach griechischen Begriffen als Heros Ktistes verehrt wurde; wenigstens wird erzählt daß er in der Schlacht mit Mezentius, dem Tyrannen von Caere, wie Aeneas plötzlich verschwunden und zum Iupiter Latiaris erhöht worden sei d. h. zum Divus Pater 677 Latiaris, dem göttlichen Vater und Urheber des latinischen Namens, mit welchem Glauben auch gewisse an den latinischen Ferien beobachtete Gebräuche zusammengehangen haben sollen (S. 84).

Zum Latinus kommt Aeneas, wahrscheinlich herbeigezogen durch den Venusdienst der Latiner und Ardeaten (S. 382 ff.) und den Verkehr mit Segesta und den Elymern in Sicilien, worauf er in Folge seiner Identification mit dem am Numicius verehrten Pater Indiges, welcher vermuthlich früher den zum Könige dieser Landschaft potenzirten Flußgott Numicius bedeutet hatte (S. 520), bald festeren Fuß faßte und die ganze Erbschaft des Cultus und der Sagen antrat, welche eigentlich diesem Pater Indiges der Laurenter gegolten hatten. Namentlich half dazu der religiöse Zusammenhang, in welchem dieser Indiges zu der Vesta und den Penaten von Lavinium stand, welche dadurch, daß sie seit der Auflösung des latinischen Bundes nächst den Erinnerungen der latinischen Ferien der einzige Rest desselben waren, eine um so wichtigere Bedeutung bekommen hatten. Daher jene jährlichen Opfer der höheren Magistrate und Priester von Rom, welche sie an Ort und Stelle der Vesta, den Penaten und dem Pater Indiges von Lavinium darbrachten, in der Ueberzeugung daß dieserGottesdienst den Ursprung des latinischen und römischen Namens unmittelbar angehe (S. 536): daher die Sacra von Lavinium und die des Albaner Bergs den Römern für gleich alt und heilig galten und namentlich Lavinium für die Metropole nicht blos von Rom, sondern auch für die von Alba Longa und aller Latiner gehalten wurdeVarro l. l. V, 144 Oppidum quod primum conditum in Latio stirpis Romanae Lavinium, nam ibi Dii Penates nostri. Liv. V, 52 Maiores nostri sacra quaedam in monte Albano Lavinioque nobis facienda tradiderunt. Dionys V, 12 εἰς Λαουίνιον ᾤχετο, τὴν μητρόπολιν τοῦ Λατίνων γένους. Plut. Coriol. 29.. Möglich daß die alte Gewöhnung der Latiner die Venus als Bundesgöttin zu verehren die erste Veranlassung zur Einschiebung ihres durch die Dichtung vom troischen Kriege so berühmt gewordnen Helden anstatt jenes namenlosen Indiges gegeben hatte. Die natürliche Folge davon aber war eine vollkommne Umkehr der früheren Tradition und älteren nationalen Ueberzeugung. Was heimisch war und bisher dafür gegolten hatte, der mit den häuslichen und städtischen Einrichtungen und Stiftungen der Latiner so eng zusammenhängende Penatendienst, das wurde nun aus dem fernen Auslande abgeleitet. Die wirkliche Metropole und das alte Haupt des latinischen Bundes, Alba 678 Longa, wurde zur zweiten, erst von der Küste und mit Hülfe der troischen Vesta gegründeten Stadt. Daher nun auch Aeneas, der in der älteren Ueberlieferung immer nur seinen Vater Anchises, den Geliebten der Aphrodite, deren Verheißungen auf dem Vater und dem Sohne ruhten, oder etwa das troische Palladion mit sich führt, von jetzt an vorzüglich als Träger und Retter der troischen Penaten geschildert wird, von denen die alte Ueberlieferung so wenig wußte, daß man sich in Rom später über ihren Ursprung und ihre Bedeutung in Troja umsonst den Kopf zerbrachSchon bei Naevius wurden die Penaten durch Aeneas und Anchises aus Troja nach Rom gebracht, s. Probus Virgil Ecl. VI, 13 p. 14 Keil. Nach Varro b. den Schol. Veron. Aen. II, 717 p. 91 behauptete sich Aeneas auf der Burg, bis er freien Abzug erlangte, worauf er zuerst alles Uebrige verschmähend mit dem Anchises auf der Schulter auszog, dann von den gerührten Griechen Erlaubniß bekam auch die Penatenbilder, endlich seine ganze Habe mitzunehmen. Aus ders. Quelle erfahren wir daß Atticus nur den Anchises mit dem Aeneas ausrücken, die Penatenbilder aber direct von Samothrake nach Italien kommen ließ. Andre malten diesen Auszug des Aeneas und Anchises noch weiter aus, vgl. das Excerpt aus L. Cassius Censorius ib. und die ilische Tafel, auf welcher Mercur den Aeneas und die Seinigen mit den Penaten aus den brennenden Mauern herausführt. Bei Naevius zimmerte Mercur auch das Schiff, Serv. A. I, 170.. Troja war und blieb fortan die wahre Metropolis von Rom, ein Glaube welcher eine Zeit lang eben nur der Eitelkeit schmeichelte und hin und wieder politisch ausgebeutet wurde, dann aber in mehr als einer, namentlich auch in religiöser Hinsicht die wichtige Folge hatte daß die Römer sich immer mehr gewöhnten in dieser entlegenen, moralisch und politisch längst verkommenen Gegend, am troischen Ida und in Phrygien, die ältesten Vorbilder ihrer Sitte und ihres Glaubens zu suchen. Bei der Einführung der Phrygischen Sacra hat dieser Aberglaube jedenfalls mitgewirkt und bei dem schnellen Zufluß so mancher Verweichlichung seit der Zeit, wo Roms Legionen zuerst in Asien auftraten, wird er wenigstens oft zur Entschuldigung gedient haben. Hat er doch auch bei dem seit Cäsar immer von neuem auftauchenden Plane, die Hauptstadt des Reiches von Rom nach dem Osten zu verlegen, den lockenden Hintergrund der älteren Heimath vorgespiegeltSueton Caes. 79 und die Ausleger zu Horat. Od. III, 3, vgl. Burckhardt die Zeit Constantins d. Gr. S. 465., so daß noch Constantin bei der endlichen Ausführung des alten Planes zuerst gleichfalls auf Troja zurückging.

Trotz dieses mit der Zeit immer stärker aufgetragenen ausländischen Colorits haben sich in der latinischen Aeneassage manche 679 Züge alterthümlicher Sitte und Erinnerung erhalten, welche einer besondern Beachtung werth sind. Zunächst gehören dahin die beiden Wahrzeichen, welche Aeneas zur Ansiedelung bestimmen. Nach der gewöhnlichen Erzählung wurden sie ihm unterwegs von griechischen oder troischen Propheten und Orakeln verkündigt, in Wahrheit beruhten sie vielmehr auf einheimischer d. h. latinischer und italischer Sitte. So die verzehrten Tische bei der ersten Landung der Trojaner. Als dieselben nehmlich am laurentischen Strande ausgestiegen sind und sich auf dem Rasen ein spärliches Mahl bereiten, bedienen sie sich dabei als einer Tafel der bei den Hirten und Bauern im Süden gewöhnlichen runden und tafelartigen Brodfladen. Der Appetit ist so groß daß sie zuerst die Speisen, dann die Tafeln mit verzehren, worauf Aeneas der Weissagung gedenkt, sein Leben werde unstet bleiben, bis seine Gefährten von Hunger gepeinigt selbst die Tische aufgegessen haben würden. Das soll ihm nach Varro das Orakel zu Dodona, nach Andern die erythräische Sibylle, nach Virgil die Harpyie Keläno und der troische Seher Helenus geoffenbart haben, während in Wahrheit diese Brodtische die natürlichen Symbole des latinischen und römischen Penatendienstes sind, in dem sie gewöhnlich als Unterlage der beim täglichen Mahle darzubringenden Speisen dienten (S. 534, 1386). Wer so weit gekommen daß er diese Brodtische angreifen mußte, der mußte sich wohl in der äußersten Noth befinden. Eben diese der Ansiedelung in einer schützenden Stadt mit ihren Häusern vorangehende Noth und natürliche Armuth der Heimathlosigkeit sollte also geschildert werdenKlausen Aeneas S. 682 ff. Einige nannten statt der Brodtafeln Eppichblätter, welche wie andre große Blätter als Unterlage eines ländlichen Mahles benutzt werden konnten., wie man in Griechenland bei Hochzeiten und andern Gelegenheiten zuerst Eicheln herumreichte, um durch sie an die Noth und Hülflosigkeit der alten Wald- und Erd-Pelasger zu erinnern, darauf die Frucht der Ceres, um die große Wohlthat der gütigen Göttin in diesem Gegensatze um so tiefer empfinden zu lassen. Erst der Gipfel der Heimathlosigkeit sollte der Wendepunkt des Looses dieser armen, weit und breit herumgetriebenen Trojaner sein, welche endlich in Lavinium eine neue Heimath fanden, oder sagen wir richtiger der latinischen Ansiedler, welche sich bisher als nomadisirende Hirten zwischen der Küste und dem Gebirge hin und hergetrieben hatten, nun aber im Begriffe standen unter dem Schutze der Vesta und der Penaten den festen Grund einer 680 bedeutenden politischen Zukunft zu gewinnen. Das zweite Zeichen ist das Wunder der trächtigen Sau, welche den Ort der Ansiedlung anzeigt. Die Penaten werden nehmlich nach jenem ersten Zeichen ans Land gebracht und Aeneas ist im Begriff ihnen die Sau zu opfern; da rennt diese vom Strande landeinwärts bis zu dem Hügel von Lavinium, lagert sich dort und wirft dreißig Junge. Als Aeneas erschrickt daß er in dieser höchst unfruchtbaren Gegend bleiben solleServ. V. A. I, 3 Fabius Maximus Annalium primo: Tum Aeneas aegre patiebatur in eum devenisse agrum macerrimum littorosissimum., erschallt aus dem Walde die Stimme des Faunus, nur er selbst solle dort bleiben, sein Sohn werde dreißig Jahre später der Gründer von Alba Longa werden. Das ist die spätere Deutung des Wunders, während in der älteren Erzählung Alba Longa bei der Landung der Trojaner schon existirte und die weiße Sau mit ihren dreißig weißen FerkelnVirg. Aen. III, 391 sus triginta capitum fetus enixa, alba solo recubans, albi circum ubera nati. Varro l. l. V, 144 Alba – ab sue alba nominata. Vgl. Varro r. r. II, 4, 18, Prop. IV, 1, 35 Alba potens, albae suis omine nata. Iuven. XII, 72 sublimis apex, cui candida nomen scrofa dedit. Nach Dio fr. 4, 5 rennt die Sau von der Küste gleich in die Gegend von Alba, und so hatte auch der alte Annalist Fabius Pictor erzählt. unverkennbar ein Sinnbild dieser Stadt mit ihren dreißig Colonieen oder vielmehr den unter ihr als Metropole verbündeten latinischen Bundesstädten ist; denn das Schwein ist das gewöhnliche BundesopferSowohl des völkerrechtlichen (S. 222) als des ehelichen Bundes, Varro r. r. II, 4, 9 quod initiis pacis foedus cum feritur porcus occiditur et quod nuptiarum initio antiqui reges ac sublimes viri in Hetruria in coniunctione nuptiali nova nupta et novus maritus primum porcum immolant. Prisci quoque Latini et etiam Graeci in Italia idem factitasse videntur. Vgl. die italischen Bundesmünzen bei Friedlaender die osk. Münzen S. 81 ff. t. IX, 10, 12. X, 18. 19 und Klausen Aeneas S. 671 ff., t. III, 3. 8. 9., wie es bei den Penaten und der Vesta des latinischen Bundes in Alba und den übrigen Bundesstädten von Jahr zu Jahr dargebracht sein mag. Höchst wahrscheinlich befanden sich im alten Latium entsprechende Bilder und Sagen in allen Bundesstädten. Später schmeichelte man sich in Lavinium das älteste und ursprüngliche Bild der Art zu besitzen. Aeneas hatte das Schwein und die Ferkel, so glaubte man, seinen Penaten auf jener Höhe geopfert, die es im Laufe erreichte und auf welcher man unter andern Denkmälern eine ähnliche Hütte des Aeneas zeigte, wie das römische Palatium eine Hütte des Romulus besaßDionys I, 57. Diese Hütten sind auch Symbole des mit den ersten Anfängen der Cultur beschäftigten Lebens, s. Tibull. II, 1, 37 Rura cano rurisque deos. His vita magistris desuevit querna pellere glande famem, illi compositis primum docuere tigillis exiguam viridi fronde operire domum etc.. Auch war dort 681 ein Bild des Schweins mit seinen dreißig Jungen in Erz gegossen öffentlich aufgestellt; ja man behauptete eine Art von Mumie des wirklichen Mutterschweins zu besitzen, welche vermuthlich unter den Heiligthümern des Vesta- und Penatentempels zu Lavinium gezeigt wurdeVarro r. r. II, 4, 18 Huius suis ac porcorum etiam nunc vestigia apparent Lavinii, quod et simulacra eorum ahenea etiam nunc in publico posita et corpus matris ab sacerdotibus quod in salsura fuerit demonstratur. Vgl. Lycophr. Alex. 1259 und die Münzen des Antonin bei Klausen Aeneas t. II, 11. 12.. Daß dasselbe Symbol als Sinnbild eines Städtebundes oder des Verhältnisses der Mutterstadt zu ihren Colonieen auch sonst in Italien herkömmlich war beweisen die Münzen der umbrischen Stadt Tuder, welche eine Sau mit drei Ferkeln zeigen, und die der sicilischen Stadt Abacaenum.

Es folgt der Bund zwischen Latinus und Aeneas. Der Laurenterkönig Latinus, durch einen Krieg mit Ardea und den Rutulern bedrängt, hört von der Landung des Aeneas und schließt alsbald ein Bündniß mit ihm, kraft dessen er ihm ein Stück Landes an der Küste für die Trojaner überläßtServ. A. XI, 316 Cato in Originibus dicit Troianos a Latino accepisse agrum qui est inter Laurentum et castra Troiana. Hic etiam modum agri commemorat et dicit eum habuisse iugera DCC. Die Zahl ist unsicher, Cassius Hemina bei Solin 2, 14 weiß nur von 500 iugera. Dionys I, 59 Ἀβοριγῖνας μὲν Τρωσὶ δοῦναι χώραν ὅσην ἠξίουν ἀμφὶ τοὺς τετταράκοντα σταδίους πανταχοῦ πορευομένοις ἀπὸ τοῦ λόφου. Vgl. Appian bei Phot. Bibl. 57 p. 16 b, 12. und sich dafür seinen Beistand gegen die Rutuler ausbedingt, die darauf glücklich aus dem Felde geschlagen werden. Aeneas vermählt sich mit der Lavinia, der Tochter des Latinus, nach welcher die neue Penatenstadt Lavinium benannt wird. Bei Erbauung derselben ereignet sich ein neues Wunder. In dem benachbarten Haine nehmlich entzündet sich von selbst ein helles Feuer. Ein Wolf schleppt trocknes Holz herbei um die Flamme zu nähren, ein Adler senkt sich aus hoher Luft herab um sie mit dem Schlage seiner Fittige anzufachen, ein arglistiger Fuchs schleicht sich herbei um sie mit seiner Ruthe, die er in den Fluß getaucht, wieder auszulöschen. Alsbald entspinnt sich zwischen diesen Thieren ein heftiger Kampf, bis der feindliche Fuchs vom Adler und dem Wolfe verjagt wird: welcher Kampf gleichfalls in Erz gegossen auf dem Markte von Lavinium zu sehen warDionys I, 59. Auf den M. der Papia sieht man den Adler und den Wolf, wie sie die Flamme nähren.. Das 682 auflodernde Feuer bedeutet die Vesta von Lavinium, der in dem Walde der Laurenter gegründeten Bundesstadt. Der Wolf ist das Symbol des latinischen Nationalgottes Mars, der Adler das des höchsten latinischen Bundesgottes JupiterOvid F. IV, 827 Condenti (Romulo) Iupiter urbem et genitor Mavors Vestaque Mater ades.. Der Fuchs dagegen ist das redende Wahrzeichen der Rutuler d. h. der Röthlichen, wie sonst der robigo (S. 437), und wirklich mögen diese Rutuler in ihrem Malepartus d. h. ihrer festen Burg zu Ardea, welches noch jetzt den Eindruck einer stark befestigten Stadt macht, für den Latinerbund und seine Versuche die Küste zu gewinnen dereinst gefährlicheFeinde gewesen sein. Was den Namen Lavinium und den der Lavinia oder Lavna betritft, so wiederholt sich derselbe in der Sage von Alba Longa und in der des römischen Palatium, in welcher letzteren Lavna die Tochter des arkadischen Evander d. h. des Faunus heißtΛαῦνα bei den Griechen, Lavinia bei den Römern. In Alba Longa galt sie für die Mutter des Silvius, Dionys I, 70. Von Λαῦνα der T. des Evander, die von Hercules den Palas gebiert, Dionys I, 32. 43. Einige griechische Fabulisten bei dems. I, 59 nannten die Launa von Lavinium eine T. des delischen Propheten Anios, was wieder auf den Begriff einer weissagerischen Fruchtgöttin hinausläuft, vgl. die Sage von den Töchtern des Anios bei Tzetz. z. Lycophr. 570–76, Ovid Met. XIII, 650 ff.. Es scheint eine Göttin des Waldes und der Flur zu sein, gleich der Fauna, der Fatua, der Acca Larentia, wie diese befruchtenden und weissagenden Mütter und Töchter der Flur sich denn in der latinischen Sage unter wechselnden Gestalten immer von neuem wiederholen.

Endlich die Kriege mit dem Könige Turnus von Ardea und Mezentius von Caere und der Tod und die Erhöhung des Latinus und Aeneas. Turnus ist ein naher Verwandter der Amata, der Gemahlin des Latinus d. h. der ersten Dienerin der Vesta von Lavinium (S. 537). Lavinia ist seine Verlobte, daher er jetzt von neuem mit seinen Rutulern anrückt, gegen Latinus und Aeneas. Bei Lavinium kommt es zur Schlacht, in welcher die Rutuler unterliegen, aber Latinus fällt, worauf er zum Jupiter d. h. Divus Pater Latiaris erhöht und auf der Burg von Lavinium als göttlicher Stamm- und Ahnherr der Latiner verehrt wurdeNach Serv. A. IX, 745 fiel Latinus in arce d. h. auf dem Burghügel von Lavinium, wo also vermuthlich sein Grab zu sehen war. Vgl. oben Seite 84.. Noch einmal erheben sich die Rutuler, jetzt mit dem Beistande des Mezentius, des Königs von Caere, und wieder kommt es in der Gegend von Lavinium zur Schlacht, in welcher nun auch Aeneas 683 entrückt wird, worauf ihm Ascanius als verklärtem Iupiter Indiges den Grabeshügel am Flusse Numicius errichtet. Auch diese Sagen enthalten schätzbare Erinnerungen aus der älteren Geschichte des Latinerbundes, welcher bei jenen Gründungen an der Küste ohne Zweifel mit mächtigen Feinden zu kämpfen hatte, unter denen die mächtige Etruskerstadt Caere (S. 13) die gefährlichste Feindin sein mochte. Es darf für historisch gelten daß die Etrusker in so früher Zeit an der Mündung des Tiber und an der latinischen und volskischen Küste, ja bis zum Liris geherrscht habenServ. A. XI, 567 Metabus – pulsus fuerat a gente Fulscorum, quae etiam ipsa Etruscorum potestate regebatur, quod Cato plenissime exsecutus est. Vgl. zu 581. Der Liris führte in dieser älteren Zeit den etruskischen Namen Clanis, Strabo V p. 233, Dionys. VII, 3. Turnus ist nicht allein deutlich Τυρρηνός (bei Dionys. I, 64 haben die besseren Mscr. wirklich Τυρρηνός), sondern Appian bei Phot. cod. 57 sagt sogar gradezu: ὑπὸ Ῥουτούλων τῶν Τυρρηνῶν.; Ardea, dessen König deshalb Turnus heißt, und Tarracina, dessen Name an Tarchon erinnert, scheinen die mittleren Glieder einer Kette von Gründungen gewesen zu sein, welche von Tarquinii und Caere bis Capua und zu den wichtigen Buchten und Landzungen am Vesuvius hinabreichten. Ehe die Griechen in Cumae, die Latiner in Latium (beide werden bis in die Zeiten des Porsenna und der wichtigen Schlacht bei Aricia meist verbündet zu denken sein) diese Kette sprengten, müssen heftige und langwierige Kämpfe stattgefunden haben. Die latinische Sage hat ein entferntes Andenken daran in der Erzählung von diesen Schlachten der Indigeten des latinischen Bundes mit den Königen von Ardea und Caere bewahrt, übrigens deutlich so daß derselbe entscheidende Kampf unter zwei verschiedenen Versionen erzählt wurde, welche man später unter mancherlei Abweichungen zu einem Ganzen verschmolzen hat: in der Erzählung der Schlacht mit dem Könige Turnus von Ardea, in welchem Latinus, und in der der Schlacht mit Mezentius von Caere, in welchem Aeneas den Sieg entschied und zum Bundesheroen wurdeNach der gewöhnlichen Tradition fallen Latinus und Turnus in der ersten Schlacht, worauf Aeneas in der zweiten Schlacht gegen Mezentius im Numicius verschwindet, Dionys I, 64, Schol. Veron. V. Aen. I, 259. Nach Cato verschwanden Turnus und Aeneas in der zweiten Schlacht, Serv. A. I, 267, IV, 620, IX, 745. Nach der Traditiou bei Fest. p. 194 oscillantes verschwindet Latinus in der Schlacht gegen Mezentius. Virgil hat die gewöhnliche Tradition aus dichterischen Gründen sehr verändert.. Eine andre Sage, welche sich in der Form einer Legende des ländlichen Festes der Vinalien erhalten hatte, setzte hinzu daß Mezentius sich 684 bei den Rutulern als Lohn für seine Hülfe die sonst immer den Göttern dargebrachten Erstlinge der Kelter von allen Weinbergen in Latium ausbedungen hatteCato und Varro bei Plin. H. N. XIV, 12, 14, Macrob. S. III, 5, 10 vgl. Fest. p. 265, Dionys. I, 65 und oben S. 174., worauf die Latiner diese Erstlinge ihrem Jupiter, dem Entscheider der Schlachten, von neuem weiheten und darauf mit der vollen Zuversicht des Sieges in den Kampf gingen. Immer wird Mezentius oder, wie man seinen Namen früher geschrieben hatte, Messentius oder Medientius, mit den schwärzesten Farben als ruchloser und grausamer Tyrann geschildert, als Bild eines alten etruskischen SeerauberfürstenContemtor Divum Mezentius Virg. Aen. VII, 648. Mortua quin etiam iungebat corpora vivis componens manibusque manus atque oribus ora – et sanie taboque fluentes complexu in misero longa sic morte necabat. Ib. VIII, 485 vgl. Iul. Capitolin. Opil. Macrin. 12 und Serv. A. VIII, 479. Ueber den Namen s. Ribbeck im Rh. Mus. f. Philol. XII (1857) S. 419 ff. Eine verwandte Sage ist die von der Vertreibung des tuskischen Herrschers Metabus aus dem volskischen Orte Privernum, Virg. Aen. XI, 539 ff., weil die Etrusker weit und breit, an den italischen und griechischen Küsten, als wilde und erbarmungslose Piraten verschrieen waren. Die Folge des entscheidenden Siegs der Latiner über Mezentius soll die gewesen sein, daß fortan der Tiberstrom als Grenze zwischen den Etruskern und Latinern anerkannt wurde (Liv. I, 3). Gewiß ist, daß in den früheren Generationen Roms nicht mehr Caere, sondern Veji als die gefährlichste Nachbarin und Nebenbuhlerin in der Herrschaft über den wichtigen Grenzstrom auftritt.

Von Ardea und Turnus ist schon bemerkt worden, daß Virgil nach latinischer Sage den ländlichen Dämon Pilumnus seinen Ahnherrn und die See- und Quellengöttin Venilia, eine Schwester der Amata, als seine Mutter und die der Juturna nenntAen. X, 76, XII, 138 vgl. oben S. 332. Ardea ist ein Seevogel, wie jene Diomedeischen, ein gutes Wahrzeichen der kühnen Seestadt, s. Serv. V. A. VII, 412.. Sein Vater heißt Daunus, welcher Name sich durch den Umstand erklärt daß auch in dieser Gegend ein Volk der Daunier erwähnt wird, es sei denn daß auch hier die häufige Verwechslung von d und l, also ein der Lavinia verwandter Name im Spiele ist. Dieselbe Tradition ist wahrscheinlich der Anlaß zur Uebertragung der griechischen Fabel der Danae auf diese Küste geworden. Die argivische Danae soll zur Zeit des Pilumnus in ihrem Kasten an dieses Land getrieben sein und mit ihm Ardea gegründet haben, daher Turnus bei 685 Virgil zu einem Abkömmlinge der alten Heroen von Argos und Mycen geworden ist, wie Aeneas seinerseits das feindliche Troja vertrittVirg. A. VII, 371 Serv., Plin. H. N. III, 9, 56.. Noch verdient die von verschiedenen römischen Schriftstellern wiederholte Tradition Erwähnung, daß der römische Stamm der Luceres seinen Namen von einem Könige oder Lucumo von Ardea bekommen habe, welcher dem Romulus im Kriege gegen T. Tatius zu Hülfe gezogen sei, wodurch wieder sehr bestimmt auf einen Zusammenhang des alten Ardea mit den Etruskern jenseits des Tiber gedeutet wirdPaul. p. 119 Lucereses, Dionys II, 37, welcher in seiner Quelle den ager Solonius (S. 400) anstatt der Stadt Ardea genannt fand. Derselbe Bundesgenosse des Romulus wird sonst immer ein tuskischer Lucumo genannt.. Noch im ersten Jahre der Republik wurde ein Vertrag zwischen Ardea und Rom abgeschlossen (Dionys V, 1). Im J. 312 d. St. schickte Rom eine Colonie dahin, welche nächst Ostia die älteste colonia maritima war und mit jenem auch in der Folge meist dasselbe Schicksal gehabt hat. Die Ueberlieferung daß die alten Rutuler von Ardea sich zum Theil nach Sagunt in Spanien übersiedelten (Liv. XXI, 7) beweist einen alten Seeverkehr mit diesen Gegenden. Von dem Dichter Silius Italicus ist sie geschickt benutzt worden, um dem Kampfe um Sagunt im zweiten punischen Kriege so viel mehr Bedeutung für Latium und Rom zu geben.

Lavinium, die Hauptstadt der Laurenter, seit 416 d. St., 338 v. Chr. der einzige Rest des latinischen Bundes, scheint durch die lex Iulia vom J. 90 v. Chr. die Civität bekommen zu haben. Obschon durch seine Gottesdienste und Erinnerungen ehrwürdig war es doch zur Zeit des Nero so verfallen, daß, wie Lucan VII, 394 sagt, der jährlich dort wegen jener Sacra zu einem nächtlichen Aufenthalte genöthigte Senator den Numa als hypothetischen Urheber auch dieses Gottesdienstes verwünschte. Unter Claudius wird derselbe wieder mit Auszeichnung erwähnt. Dieser Kaiser, welcher den neuen Hafen bei Ostia anlegte und auch sonst für diese Gegend Manches that, scheint auf Veranlassung von Prodigien und eines Ausspruchs der sibyllinischen Bücher im J. 52 n. Chr. unter anderen Cerimonieen auch den alten Brauch der jährlichen Erneuerung des Bündnisses zwischen Rom und den Laurentern wieder hervorgesucht zu habenS. die oben S. 537 angeführte Inschrift bei Or. n. 2276, Mommsen I. N. n. 2211 und die S. 676, 1847 citirte Abhandlung von A. W. Zumpt. Die Inschrift ist die einer Statue, welche zu Pompeji einem verdienten Mann errichtet wurde. Derselbe wird u. a. genannt: pater patratus Populi Laurcntis foederis ex libris Sibullinis percutiendi cum P. R., woraus die Erneuerung der Bundesceremonie mit Recht gefolgert ist. Vgl. Sueton. Claud. 22 und Tacit. A. XII, 43.. Die 686 folgenden Kaiser trugen gleichfalls Sorge daß die Gegend bevölkert und angebaut blieb. Seit Vespasian und bis in die Zeit der Antonine wurden verschiedne Ansiedelungen dort vorgenommen, daher seitdem von Lavinium und Laurolavinium, wie die Stadt nun als Hauptstadt und mit Inbegriff der Laurenter d. h. dieser Küstenbevölkerung überhaupt genannt wird, auch in Inschriften oft die Rede ist, namentlich mit Beziehung auf gewisse bürgerliche und priesterliche Privilegien der alten Penatenstadt, welche mit persönlichen Auszeichnungen und Immunitäten verbunden waren und deshalb um so eifriger gesucht wurden.

Als die Sage von den Trojanern in Latium einmal eingewurzelt war, berief man sich dafür auch auf manche Umstände, welche erst durch die Aeneassage ein Gewicht bekommen hatten oder wohl gar erst eine Folge des Glaubens an dieselbe waren. So zeigte man an der laurentischen Küste einen Ort Troja, wo Aeneas zuerst gelandet sei, sein Lager aufgeschlagen und seiner Mutter ein Heiligthum gestiftet habe: also jedenfalls nur ein Platz von monumentaler und sacraler Bedeutung, keine Ansiedelung, obgleich er dafür galt und der Name Troja sich in Folge davon an diesem Strande in immer weiterem Umfange geltend machteBald heißt der Ort Castra Troiana bald Troia. Nach Cato lag er am Strande von Lavinium, nach Andern bei Ardea, bei Laurentum, bei Ostia, s Paul. p. 367, Serv. V. A. VII, 31. 158. XI, 316, vgl. das praedium Troianum bei Cic. ad Att. IX, 13, 6: 9, 4 und Steph. B. Ἀρδέα – Τροία ἐλέγετο, ὡς Χάραξ, Dio fr. 4, 4 περὶ Λαύρεντον προσώκειλε τὸ καὶ Τροίαν καλούμενον, Liv. I, 1 classe Laurentem agrum tenuisse, Troiae et huic loco nomen est. Endlich Virgil und Strabo V p. 229 lassen Aeneas nicht weit von Ostia landen. Ueber das von ihm gestiftete H. der Aphrodite s. oben S. 384. Appian bei Phot. Bibl. cod. 57 ἔνϑα καὶ στρατόπεδον αὐτοῦ δείκνυται καὶ τὴν ἀκτὴν ἀπ’ ἐκείνου Τροίαν καλοῦσι.. Ferner pflegte man sich auf den ludus Trojae zu berufen, ein ritterliches Spiel patricischer Knaben und Jünglinge, welches angeblich Ascanius bei der Erbauung von Alba Longa gestiftet und seiner Heimath zu Liebe das Spiel von Troja genannt haben soll, s. Virgil Aen. V, 596 ff. Wir haben aber erst aus der Zeit des Sulla und der früheren Kaiser eine sichre Kunde von demselben; namentlich haben es die Julier, vor allen Augustus, sehr in Aufnahme gebracht, weil darin eine Erinnerung mehr an die göttliche Abkunft seines Geschlechts gegeben war. 687 Wahrscheinlich hängt der Name zusammen mit dem der Trossuli d. h. der Ritter, auch mit den alterthümlichen Wörtern antroare und redantruare, die sich im Gebrauche der Salier erhalten hattenKlausen Aeneas S. 820 ff., A. Goebel de Troiae ludo, Marcoduri 1852, L. Friedländer bei Marquardt Handb. IV, 520., so daß es immerhin von altem Ursprunge gewesen sein mag, aber gewiß nicht von trojanischem. Endlich und am meisten berief man sich auf den trojanischen Ursprung verschiedener Albanischer Geschlechter in Rom, welche auch in Virgils Aeneide verherrlicht werden und für Varro und Hygin ein Gegenstand besondrer Untersuchungen gewesen warenAen. V, 117 ff., Serv. vgl. Paul. p. 44 Caeculus, p. 55 Cloelia, p. 167 Nautiorum, Dionys. IV, 68. 69 u. A., Serv. V. A. V, 389. 704.. Sie leiteten sich zum Theil von den Begleitern des Aeneas ab, wie die Cäcilier, die Clölier, die Geganier, die Memmier, die Sergier und Cluentier, die Junier und die Nautier, zum Theil von Aeneas selbst, wie die Aemilier und Julier, welche letzteren schon vor Cäsar und August alle übrigen an Adel und Ansehn übertrafen. Dionysius I, 85 berichtet daß es zu seiner Zeit noch etwa fünfzig Familien trojanischer Abkunft gegeben habeIuvenal I, 99 iubet a praecone vocari ipsos Troiugenas. Vgl. Herodian II, 3, 4, Eckhel V p. 88 sq., Schol. Lucan. I, 196. Zur Zeit des Hieronymus gab es einen gewissen Toxotius in Rom, welcher von Aeneas und den Juliern abzustammen glaubte, wahrend seine Frau Paula ihr Geschlecht von den Gracchen und von Agamemnon ableitete.. Ja es gab noch in dem dritten und vierten Jahrhundert n. Chr., nachdem die Julier lange ausgestorben waren, angebliche Abkömmlinge des Aeneas in Rom, deren einen Pertinax vergeblich statt seiner zum Kaiser zu machen suchte. Die Frangipani behaupteten sogar noch im Mittelalter den Ruhm des trojanischen Ursprungs.

Endlich mag hier noch des zweiten Trojaners gedacht werden, der nach der Zerstörung Trojas nach Italien verschlagen und dort der Gründer einer Stadt geworden sein soll. Nehmlich Antenor gilt schon in der alten epischen Tradition für den beharrlichen Griechenfreund in Troja, daher er bei der Zerstörung der Stadt verschont wirdS. das Gemälde des Polygnot bei Paus. X, 26, 3; 27, 2 und Sophokles bei Strabo XIII p. 608. Auch Aeneas galt später für einen Philhellenen.. Die Sage ist daß er an der Spitze eines Haufens von Henetern, welche aus Paphlagonien flüchtig geworden, über Thracien und Illyrien an das Adriatische Meer und an den Po gelangt sei, wo er den König der einheimischen 688 Euganeer bezwungen und darauf Patavium, das jetzige Padua gegründet habeSchon Cato erzählte davon, Plin. H. N. III, 19. Vgl. Strabo III p. 157, V p. 212, XIII p. 608, Virg. Aen. I, 242 sqq. Serv., Liv. I, 1.. Einige ließen seine Söhne und deren Gefährten noch weiter bis Lusitanien vordringen. Auch bei dieser Erzählung berief man sich auf Ortsnamen und andre Merkmale, welche nur bei solchem Gefallen an griechischer Sage, wie sie später durch ganz Italien herrschte, beweisende Kraft haben konnten. Merkwürdig ist daß schon Herodot, dem die Heneter oder Veneter übrigens einfach ein illyrischer Stamm sind, von einem großen Zuge der Myser und Teukrer aus Kleinasien über Thracien ans ionische Meer weiß, welcher Zug noch vor dem trojanischen Kriege stattgefunden haben soll.


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