Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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2. Agrarische Feste.

Zu unterscheiden sind die größeren städtischen Feste, welche unter den Einflusse griechischer Cultur allerlei mythologische Beziehungen und festlichen Pomp zugelassen hatten, z. B. die Cerealien und Saturnalien, von denen ausführlicher die Rede sein wird, und die ländlichen, wo sich mit der einfacheren Sitte auch das ältere Wesen reiner erhalten hatte. Diese waren 404 großentheils sogenannte popularia sacra d. h. solche welche ohne Bevorzugung gewisser Geschlechter oder das Bedürfniß von Priestern in allen Familien und Hausständen unter der Aufsicht des Hausvaters oder der Hausmutter begangen und in herkömmlichen Gebräuchen von einer Generation zur andern fortgepflanzt wurdenSo verstehe ich Fest. p. 253 Popularia sacra sunt, ut ait Labeo, quae omnes cives faciunt nec certis familiis attributa sunt: Fornacalia, Paritia, Laralia, Porca praecidanea.. Auch liegt es in der Natur der Sache daß die meisten nicht gebundene, sondern bewegliche Feste waren d. h. solche welche von Jahr zu Jahr von den Ortsobrigkeiten oder den Priestern angesagt wurden.

Beginnen wir mit der Zeit der Aussaat, welche im Herbst ihren Anfang nahm und bis in den Januar hinein dauerte, so hießen die dahin gehörigen Festlichkeiten im Allgemeinen feriae sementinae, unter welchem Namen sie von den Pontifices angesagt wurdenVarro l. l. VI, 26 Sementinae feriae dies is qui a pontificibus dictus appellatus a semente, quod sationis causa susceptae. Paul. p. 337 Sementinae feriae fuerunt institutae, quasi ex iis fruges grandescere possint. Vgl. Ovid F. 1, 657 ff. und Io Lydus d. Mens. III, 6, welcher letztere ausdrücklich von der ἀρχὴ σπόρου spricht.. Es scheint daß solche sowohl beim Beginn als beim Beschlusse der Saatzeit stattgefunden haben. Wenigstens wissen wir von einem feierlichen Opfer und Gebete an Ceres und Tellus, bei welchem der Flamen, leider ist nicht gesagt welcher, alle Götter und Genien des Ackerbaus um ihre Mitwirkung anflehte, auch die Genien des Pflügens, Eggens, Säens u. s. w. so daß es nicht wohl anders als vor der Aussaat stattgefunden haben kannServ. V. Ge. I, 21, Tellus erscheint auch bei Varro r. r. 1, 2 als die Hauptgöttin der feriae sementinae.; wie es denn auch die Analogie der Erndtefeste im Weinberge und auf dem Acker mit sich bringt, daß vor dem Beginn der eigentlichen Geschäfte gewisse einweihende und eröffnende Feierlichkeiten von Seiten der Priester vorgenommen wurden. Setzen wir also diese Ceremonie in den Beginn der Saatzeit, so folgten im December die Consualien und Saturnalien als solche Feste, wo die Saat schon in der Erde ist und baldigen Aufgang verspricht, und darauf im Januar das volksthümliche Fest der Paganalien, auch diese ein bewegliches Saatfest, welches aber jetzt den Beschluß der gesammten Mühe und Arbeit der Aussaat bildete und in diesem Sinne auf dem Lande mit großer Heiterkeit gefeiert wurde. Paganalia sind nehmlich eigentlich das jährliche Gemeinfest eines Pagus d. h. eines ländlichen 405 Verbandes von mehreren Dörfern und Bauerhöfen zu Ehren seiner Götter, wie Compitalia die gemeinschaftliche Larenfeier der zu einem und demselben compitum gehörenden Vici. Im engeren Sinne aber hieß so die Feier der Tellus und Ceres, wie sie im Januar, wenn die Saat beendigt war (semente peracta), von den versammelten Bauerschaften mit ländlichen Festlichkeiten begangen wurde und von Ovid F. I, 663 ff, lebhaft und anmuthig beschrieben wirdVgl Varro l. l. VI, 24. 26, Dionys. H. IV, 15.. Endlich haben die Ackerstiere Ruhe und stehen bekränzt an der vollen Krippe, denn erst mit dem lauen Frühlinge wird es wieder für sie zu thun geben. Der Bauer stellt den Pflug bei Seite, denn der Erdboden ist gefroren. Alles ruht von der Saat, die Erde und ihre Bearbeiter. Da winkt die Feier der Paganalien, zu welcher sich alle Paganen im Pagus d. h. in dem gemeinschaftlichen Burgwall, zu dem sie gehören, versammeln, zuerst die Stätte lustriren und auf den alten Opferheerden die jährlichen Opferkuchen darbringen, dann aber ganz vorzüglich der Tellus und der Ceres gedenken, der jetzt von der Saat schwangern Mutter aller Feldfrucht. Dazu wurde um Segen für die an ihrem Busen schlummernde Frucht gebetet, daß ihre Augen sich öffnen, ihre Halme sich strecken, ihr Korn im himmlischen Lichte der Sonne reifen möge. Auch flehte das Gebet um Schutz gegen alle Plage und Gefahren, wie sie der Landmann von einem Monate zum andern bis zur Erndte zu fürchten hat, räuberische Vögel, gefräßige Ameisen und Feldmäuse, Schaden der Witterung und des Kornbrandes. Vor allem aber galt es den Frieden zu erhalten, den nährenden, segnenden, um den die martialischen Bürger von Rom, trotz dem daß sie immer von einem Kriege zum andern eilten, ihre Götter bei den verschiedensten Gelegenheiten und immer von neuem zu bitten nicht müde wurden.

Weiterhin, kurze Zeit vor dem Sühnfeste der Palilien und in derselben Zeit da in Rom die Cerealien gefeiert wurden, nehmlich am 15. April gab es eine eigne Feier der Hordicidia oder Fordicidia, welche auch der Tellus galt, und zwar der fruchtbaren Mutter, welche nun aus ihrem Schooße die Saaten schon in die Höhe schießen und der Erndte entgegenreifen ließ. Gleichfalls ein sehr altes Fest, welches man in Rom von Numa oder gar vom Faunus ableitete, der es auf Veranlassung schlechter Erndten und andauernder Fehlgeburten der Heerde gestiftet habe. Bos horda oder forda (der oft bemerkte Lautwechsel der 406 italischen Dialekte) ist die trächtige Kuh, die das Kalb im Leibe trägtVarro l. l. VI, 15, d. r. r. II, 5, 6. Vgl. Paul. p. 83 Fordicidis, p. 102 Horda und Ovid F. IV, 629 ff.. Solche Kühe wurden dann von den Pontifices der Tellus geopfert, ein Bild des reifenden Erndtesegens. Ein Theil davon wurde auf dem Capitole geopfert, andre dreißig in den dreißig Curien, nach welchen die alte Bürgerschaft von Rom sich eintheilte, so daß dieses Opfer zugleich ein Sühn- und Reinigungsopfer für den Staat und diese Bürgerschaft d. h. die Patricier gewesen zu sein scheint. Dem entspricht auch der Gebrauch, die noch ungebornen Kälber vor dem Verbrennen der Eingeweide aus den schwangern Leibern der Kühe zu reißen und sie in einem eignen Feuer zu Asche zu verbrennen, welche Asche von den Vestalinnen mit andern Substanzen vermischt und sechs Tage darauf an den Palilien zur Reinigung der Mitfeiernden benutzt wurde.

Um dieselbe Zeit oder etwas später begannen auf dem Lande die sühnenden Umzüge der Ambarvalien, bei denen wieder vorzugsweise die Ackergottheiten, namentlich Ceres, angerufen wurden (S. 372). Darauf folgte in den Monaten Juli und August die Zeit der Erndte mit den dazu angesetzten Erndteferien, welche das städtische Geschäftsleben regelmäßig unterbrachenSeneca Apocol. 7, 4, Plin. Ep. VIII, 21, Stat. Silv. IV, 4, 40, vgl. Mommsen Leipz. Ber. 1850 S. 67.. Voran gingen auch hier gewisse Sühnopfer, namentlich die sogenannte porca praecidanea d. i. das Opfer eines weiblichen Schweins, welches vor dem Schnitt der Felder auf jedem Bauerhofe mit besondrer Beziehung auf die Todten und etwaige Versäumnisse bei ihrer Bestattung dargebracht wurde; denn auch hier geht der Glaube an die Ackergötter und an die Götter der Unterwelt Hand in Hand, indem man nur von den wohlbefriedigten und versöhnten Mächten der Erdtiefe, bei denen die Todten sind, eine gute Erndte zu hoffen wagteIn anderm Sinne nannte man praecidaneae hostiae solche Opferthiere, welche vor andern Opfern zur Sühnung eines eventuellen piaculum dargebracht wurden, daher es auch eine praecidanea agna gab, vgl. auch Fest. p. 238 propudianus porcus dictus est, ut ait Capito Ateius, qui in sacrificio gentis Claudiae velut piamentum et exsolutio omnis contractae religionis est. Dahingegen die praecidanea porca sich immer speciell auf Ceres und den Schnitt der Felder bezieht, s. Gell. N. A. IV, 6, 7 Porca praecidanea appellata, quam piaculi gratia ante fruges novas captas immolare Cereri mos fuit, si qui familiam funestam aut non purgaverant aut aliter eam rem quam oportuerat procuraverant. Vgl. Paul. p. 219 und 223, Non. Marc. p. 163, wo aus Varro de vita populi Ro. lib. III diese Worte angeführt werden: quod humatus non sit (d. h. wenn die stellvertretende Erdscholle vergessen war), heredi porca praecidanea suscipienda Telluri et Cereri, aliter familia non pura est.. Wurde doch auch bei der 407 Bestattung eines Todten der Ceres ein ähnliches Opfer zur Reinigung des gesammten Hausstandes dargebracht, noch in Gegenwart des zu bestattenden Todten, daher dieses Opfer porca praesentanea genannt wurdeFest. p. 250 praesentanea porca, vgl. Mar. Victorin A. Gramm. p. 2470. Sind die cerriti d. i. larvati wirklich von der Ceres abzuleiten (S. 71), so würde diese Göttin auch als mater larvarum gedacht worden sein.. Wie es aber mit jenem Opfer der porca praecidanea zu halten sei, darüber giebt Cato in seinen Regeln der Landwirthschaft (134) eine ausführliche Vorschrift. Man soll es darbringen vor der Einerndtung folgender Feldfrüchte, des Far, des Weizens, der Gerste, der Bohnen und der Rübsaat. Vor der ganzen Handlung soll des Janus, des Jupiter und der Juno mit einer Spende von Weihrauch und Wein gedacht werden, vor dem Opfer zuerst des Janus, dann des Jupiter mit neuen Spenden und Gebeten für das Wohl von Haus und Hof. Dann folgte das Opfer des Schweins und während seiner Zubereitung neue Spenden an Janus und Jupiter. Endlich wurden die Eingeweide des Opferthieres und eine Weinspende der Ceres dargebracht. So eng war auch bei dieser Gelegenheit die Verehrung des Gottes von allem guten Anfang und die des höchsten himmlischen Paares mit der der eigentlichen Erd- und Ackergöttin verbunden.

Ein andrer Gebrauch, welcher vor der Erndte vorgenommen wurde, war das sogenannte praemetium d. i. der erste der Ceres geweihte Schnitt der Erndte, wahrscheinlich unter Betheiligung der Priester, wie bei den ländlichen Vinalien die Weinlese durch ähnliche Gebräuche eröffnet und später auch von dem ersten Moste dem Liber Pater ein auserwählter Antheil dargebracht wurdePaul. p. 235 praemetium quod praelibationis causa ante praemetitur. Ib. p. 319 sacrima appellabant mustum quod Libero sacrificabant pro vineis et vasis et ipso vino conservandis, sicut praemetium de spicis, quas primum messuissent, sacrificabant Cereri. Vgl. Plin. H. N. XVIII, 2, 2 ac ne degustabant quidem novas fruges aut vina, antequam sacerdotes primitias libassent und oben S. 143, 220. 174.. Auf dem Lande waren alle diese Feste zugleich natürliche Veranlassungen für das Volk, seinen Gefühlen der Lust und Dankbarkeit in allerlei ländlichen Tanz und Gesangsweisen Luft zu machenVirg. Ge. 1, 347 neque ante falcem maturis quisquam supponat aristis, quam Cereri torta redimitus tempora quercu det motus incompositos et carmina dicat. Vgl. Tibull. II, 1, 51 ff.. Auf das Ende der Erndte und die damit 408 zusammenhängende altnationale Erndtefeier deuten dagegen die Consualia am 21. August, dem Tage des Raubes der Sabinerinnen, und die Opeconsiva am 25. August, von welchen Festen unten die Rede sein wird.

Endlich möge sich hier auch das alterthümliche Fest der Fornacalia anschließen, angeblich eine Stiftung des NumaVarro l. l. VI, 13, Fest. p. 253 Popularia sacra, p. 254 Quirinalia, Paul. p. 83 und 93 Fornacalia, Ovid F. II, 511 ff., Plin. H. N. XVIII, 2, 2, Lactant. 1, 20, 35.. Es war eine Art von Dankfest für den ersten Genuß des neu gewonnenen Getreides, wie man sich auf ähnliche Weise des neugewonnenen Weins erfreute. Nach alterthümlicher Weise wurde dann aber nur far, das alte nationale Korn Italiens genossen, und zwar wurde es nicht gebacken, sondern nur geröstet, gleichfalls nach altem Gebrauch und wie man es auf dem Lande immer noch gewohnt sein mochte. Dieses Rösten geschah in Backöfen, welche nach einfachster ländlicher Sitte eingerichtet sein mußten und denen zu Liebe man eine eigne Göttin Fornax annahm, nach welcher des Fest Fornacalia genannt wurde. Der Zeit nach fiel dasselbe in den Februar, doch war der Tag beweglich. Ein sichrer Beweis seines hohen Alterthums ist daß es wie die Fordicidien nach Curien begangen wurde, also aus den Zeiten der ältesten Bürgerschaft stammte, daher der Curio Maximus, welcher auch die Tage vorher ansagte, die Oberaufsicht führte. Die eigentliche Lust des Festes bestand, wie es scheint, in festlichen Schmäusen, zu denen sich die einzelnen Curien zusammenthaten, um sich gütlich zu thun und sich in Erinnerung der alten Zeiten und ihrer Unbehülflichkeit des bürgerlichen Verbandes in heitrer Geselligkeit zu erfreuen. Diejenigen welche dazu nicht erschienen wurden Narren (Stulti) gescholten, als ob sie ihre Curie nicht mehr zu finden wüßten, so wesentlich gehörte nach alter Gewohnheit der Curienverband zu dem bürgerlichen und geselligen Character jedes Römers von guter Herkunft. Solche »Narren« pflegten dann ihre Fornacalien an dem Tage der Quirinalien d. h. am 17. Februar als dem letzten Termine zu feiern, daher dieser Tag auch Stultorum feriae genannt wurde (S. 331, 752).


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