Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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1. Neptunus.

Der Name Neptunus, der bei den Etruskern Nethuns und Nethunus lautete, scheint mit nare, νάω, νέω, vgl. ναῦς und 503 navis zusammenzuhängenS. Schömann zu Cic. N. D. II, 26. »Für ein Digamma in den Wörtern nare, νάω, νέω zeugen die Formen ναύω, das Fut. νεύσομαι oder νευσοῦμαι, und ναῦς, navis. Also wäre Nevitunus, Nevtunus, Neptunus nicht unglaublich und der Name gleiches Stammes mit dem griechischen Νηρεύς.« Nethuns ist die gewöhnliche Form der etruskischen Spiegel, Nethunus ist nachgewiesen von O. Jahn Vasenb. S. 39 T. IV D. Vgl. Arnob. III, 40, Serv. V. A. VIII, 285 und den Namen der etruskischen Stadt Nepet, auch Nepete und Nepte. Etymologieen der Alten b. Varro l. l. V, 72, Cic. l. c, Arnob. III, 31., also ursprünglich einen Gott der Fluth und alles Fließenden und Strömenden zu bedeuten, wie bei den Griechen Okeanos und Poseidon, Nereus und Acheloos. Eine specielle Beziehung auf das Meer schließt indessen seine Zusammenstellung mit der weiblichen Salacia, einer Personification der Salzfluth in sich, während Venilia oder Venelia, welche gleichfalls für seine Gattin, in andern Sagen aber für die Mutter der Canens vom Janus, in noch andern für die des Rutulerfürsten Turnus galt, eine der Liebesgöttin Venus verwandte Quellengöttin gewesen zu sein scheintVarro l. l. V, 72, Augustin C. D. VII, 22, vgl. Virg. Aen. X, 76 und dazu Servius und die Intp. Mai. p. 103 ed. Keil, Ovid Met. XIV, 334. Venulus ein mythischer König aus der Vorzeit von Tibur oder Lavinium. Virg. Aen. VIII, 9 Serv. Wäre der Name Vĕnīlia; eines Stammes mit ventus, so würde auf die Wurzel vâ, wehen zurückzugehen sein. Da Venilia in den Indigitamenten aber auch als Göttin des Verlangens genannt wurde; so wird der Name wohl wie der der Venus erklärt werden müssen. Ueber Salacia Neptuni s. S. 50, 45. Sie wird auch der Tethys und der Amphitrite gleichgesetzt und war also die eigentliche Meeresgöttin, s. Cic. Tim. fr. XI, Serv. V. Ge. I, 31, Aen. 1, 44, Pacuvius b. Fest. p. 326 hinc saevitiam Salaciae fugimus. Martian. Cap. I, 54 nennt neben dem Neptunus eine weibliche Göttin Neverita oder Nerita, vielleicht ein weiblicher Νηρεύς, wie die Empedokleische Νῆστις.. Auch finden sich weiter keine eigenthümlichen Ansätze zu einer poetischen und mythologischen Verherrlichung des Meeres und seiner Wunder und Abenteuer, sondern Alles, was sonst noch zu erwähnen ist, scheint entweder etruskischen oder griechischen Ursprungs zu sein. Den Einfluß der Etrusker sind wir freilich auch hier genauer abzuschätzen nicht im Stande; doch ist zu erwarten daß ein Volk, welches das obere und untere Meer von Italien beherrschte und mit den Griechen lange um die Herrschaft auf dem Meere kämpfte, auch in seiner Mythologie und in seinen Sagen viel von dem Meere erzählt haben wird, wie denn wirklich auf den etruskischen Gräbern viele Bilder von weiblichen und männlichen Seeungeheuern und geflügelten Seedämonen zu sehen sind, welche auch hier den Zug zum Phantastischen 504 verrathenG. Dennis die Städte und Begräbnißpl. Etruriens S. 480 ff.. Auch könnten die Fabeln von den Skyllen und Charybden und die von den Sirenen, welche in den Gewässern von Italien und Sicilien besonders zu Hause waren, wie die vom Könige Phorcus auf Corsica und Sardinien, welcher nach Varro mit dem Könige Atlas um die Herrschaft gestritten haben und darauf in einen Meeresgott verwandelt sein sollServ. V. A. V, 824. Nach Alexander Polyb. b. Serv. V. A. I, 388 war Rhoetus, Marrubiorum rex, ein Sohn des Phorcus., wohl etruskischen Ursprungs sein, obwohl das Etruskische auch hier sehr schwer von dem Griechischen zu sondern ist. Gewiß ist daß Rom und das geschichtliche Italien sich aus dieser letzten Quelle die ganze wohlbekannte Bilderwelt des Seelebens angeeignet hatte, Tritonen und Nereiden, unter denen Amphitrite nicht selten auf den römischen Münzen erscheintAuf denen der Crepereia und des P. Plautius Hypsaeus., während sich die übrigen Nereiden hin und wieder truppweise an der Küste sehen ließen und die Tritonen sich in den vielen Grotten und Höhlen derselben Küste auf ihren Muscheln hören ließen; wozu man später auch von Seemenschen, Seeelephanten, Seeböcken, Seebäumen und vielen andern Ungethümen der See phantasirtePlin. H. N. IX, 5, 4, XXXII, 11, 53.. Der Herr und König über diese Wunderwelt, der griechische Poseidon, erscheint in Rom mit andern griechischen Göttern zuerst bei dem einige Jahre vor der Eroberung Veji's auf Veranlassung der sibyllinischen Bücher veranstalteten ersten LectisterniumS. oben S. 134. Sonst war im südlichen Italien besonders berühmt der Poseidon von Tarent, s. Horat. Od. I, 28, 29, Mommsen in den Ber. d. K. Sächs. Ges. d. W. 1849 S. 49 ff. Bei einem Lectisternium der zwölf Götter im Hannibalischen Kriege erscheint Neptunus nach griechischer Weise an der Seite der Minerva, s. Liv. XXII, 10, vgl. die Inschr. a. England b. Or. n. 1338 Neptuno et Minervae templum etc.. Er wurde fortan unter dem einheimischen Namen Neptunus, aber nach griechischer Weise zugleich als Seegott und als Gott der ritterlichen Uebungen verehrt. Als Seegott ist er bald der wilde, gewaltige, trotzige, wie ihn die Dichter gerne schildernPlaut. Trin. IV, 1, 6 Ennius Sat. p. 156, Virg. Aen. I, 124 ff. Ennius nennt in den Annalen vs. 490 das Meer imber Neptuni, dahingegen Naevius b. Paul. p. 58 cocus edit Neptunum, Venerem, Cererem unter Neptun die Fische, unter Venus die Gemüse versteht. Bei Catull. 31, 3 ist uterque Neptunus der des Meeres und der des festen Landes. Vgl. b. dems. 64, 28, Priscian. II, 585 die Form Thetis Neptunine., bald der beruhigende, wie er in den Häfen an der Seite der 505 Tranquillitas, der griechischen Galene, und der sanften Winde verehrt wurde (S. 293). Für den Vorstand der ritterlichen Uebungen scheint er besonders im Circus Flaminius gegolten zu haben, während sich im Circus Maximus der alte latinische Gott Consus behauptete, den man nachmals für einen Neptunus equester hielt (S. 420). Beim Circus Flaminius befand sich auch der einzige Tempel des Neptun, welcher von diesem Gotte in Rom erwähnt wird, ein von Cn. Domitius entweder neu erbauter oder wiederhergestellter Tempel, in welchem sich eine der berühmtesten Gruppen des griechischen Meisters Scopas befand, Neptun und Thetis und Achill und ein Zug von Nereiden und Tritonen auf und unter allerlei MeeresungeheuernPlin. H. N. XXXVI, 5, 2, vgl. die Inschr. b. Grut. 318, 5 Abascanto Aug. Lib. Aedituo Aedis Neptuni, quae est in Circo Flaminio. Eine ara Neptuni in circo Flaminio erwähnt Liv. XXVIII, 11.. Neptunalia wurden am 23. Juli gefeiert mit eignen Spielen, entweder am Tiber oder in Ostia an der See und im Freien, denn es werden Laubhütten (umbrae) erwähnt, durch welche man sich in der heißen Jahreszeit vor der Sonne zu schützen suchteKal. Maff. Pinc. Allif. z. 23 Juli, Varro l. l. VI, 19, Horat. Od. III, 28, Tertull. de Spectac. 6, Paul. p. 377 umbrae. Die Neptunalia, welche am 1. Sept. zu Ehren des Siegs bei Actium gefeiert sein sollen, beruhen auf einer falschen Lesart des Kal. Maff. b. Or. II p. 398.. Sonst waren Portunus, der alte HafengottS. oben S. 158. 286. Aber auch Portunus wurde später ganz als Neptunus gedacht., und die Laren (S. 496) die Götter, denen man das Glück und die Erfolge zur See zuschrieb, obgleich die Römer auf letztere im Allgemeinen bei weitem weniger Gewicht legten als auf die zu Lande erfochtenen Siege. Erst Sextus Pompejus gefiel sich so in seiner kurzen Seeherrschaft, daß er sich einen Sohn des Neptunus nannte und zuletzt wirklich als solchen gebehrdeteDio XLVIII, 19. 31, Appian b. c. V, 100.. Dann war es Agrippa, der größte römische Seeheld, der nicht allein die Flotte des Sextus Pompejus, sondern auch die des Antonius und der Kleopatra eigentlich geschlagen und sich dabei durch verschiedene sinnreiche Erfindungen um das Seewesen verdient gemacht hatte, durch welchen Neptun in Rom noch einmal zu Ehren kam. Er gründete ihm nehmlich zum Andenken an jene Siege im Marsfelde ein Heiligthum und eine Halle, welche fortan das ausgezeichnetste Denkmal der römischen Seeherrschaft bliebenDio LIII, 27. Dieselbe Halle wird als τὸ Ποσειδώνιον erwähnt ib. fr. 57, 60, wo auch von einem Altare die Rede ist, und LXVI, 27. Später heißt das Gebäude Basilica Neptuni s. die Regionen d. St. R. S. 177. Den von Agrippa dedicirten Neptun sieht man auf seinen Münzen, stehend, nackt, die Chlamys über die Schultern, in der R. einen Delphin, in der L. den Dreizack, also ganz nach griechischer Weise. Auch unter den spätern Kaisern ist nur ausnahmsweise von Neptun die Rede, s. Eckhel D. N. VI p. 330.. An den 506 Wänden der Halle sah man die griechischen Bilder und Sagen von den Argonauten und ihren Abenteuern.


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