Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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1. Semo Sancus oder Dius Fidius.

Unter diesen Namen ward bei den Sabinern, Umbrern und Römern ein Wesen verehrt, welches dem Jupiter in der Bedeutung des himmlischen Lichtgottes, wie derselbe sich in Rom vorzüglich in dem Institute der Fetialen und andern Zügen eines alterthümlichen Gottesdienstes darstellt, sehr nahe gestanden haben muß. Der Name Dius Fidius ist durch sich selbst klar. Dius ist desselben Stammes wie Diovis, dies, dialis u. s. w. und kann in dieser Verbindung, da Dius Fidius nicht für einen Gott, sondern nur für einen Genius, nach griechischer Vorstellung für einen Heros galtPaul. p. 74 Dium quod sub coelo est extra tectum ab Iove dicebatur et Dialis flamen et Dius heroum aliquis ab Iove genus ducens. Dabei scheint die falsche Etymologie des Aelius Stilo u. A. zu Grunde zu liegen, welche Dius Fidius durch Diovis filius (d wie oft für l) erklärten, s. Varro l. l. V, 66, Paul. p. 147 Medius fidius, Placid. gl. p. 353. Doch darf daraus und aus der Vergleichung mit Hercules wenigstens gefolgert werden, daß er nur für einen Halbgott galt., nichts Anderes bedeuten als einen das Wesen des Diovis 634 oder Diespiter in irdischen Kreisen darstellenden Halbgott, der auf Recht und Ordnung sieht, besonders im menschlichen und internationalen Verkehr der Eidschwüre und Verträge, der Ehe und Gastfreundschaft; denn Fidius hängt jedenfalls zusammen mit fido, fides, foedus in dem S. 168, 218 ff. und 224 entwickelten Ideenzusammenhange. Von dem Begriffe des Semo ist S. 79 die Rede gewesen, wo wir denselben gleichfalls durch den entsprechenden Begriff des Genius zu erklären suchten. Sancus oder Sangus, denn beide Formen waren gebräuchlich, hängt mit dem lateinischen sancio und sanctus zusammen, obwohl der alte Stammbegriff der Wurzel allgemeiner gewesen sein und der Naturempfindung näher gestanden haben mag, wahrscheinlich so daß Semo Sancus dasselbe bedeutete was Dius Fidius, ein dem Himmel entstammendes Wesen der Heiligkeit und der TreueAuch das Wort sagmina im Gebrauche der Fetialen hängt mit sancire zusammen, s. oben S. 219, 425. Nach Io Lyd. de mens. IV, 58 bedeutete Sancus in der sabinischen Sprache den Himmel d. h. i. q. Dius. Es scheint daß man auch Sangus, us declinirte, wie Ianus, us, vgl. Liv. VIII, 20, XXXII, 1, Fest. p. 241 a 2. Später sagte man gewöhnlich Sanctus für Sancus, vgl. Propert. IV, 9, 73 Hunc – Sanctum Tatiae composuere Cures.. Wir haben wiederholt gesehn daß solche Vorstellungen und diese tiefe Innigkeit einer alten Religion des Lichtes bei den Sabinern vorzüglich zu Hause waren; so wird auch die Verehrung dieses Wesens nach dem einstimmigen Berichte der Alten vorzüglich ihnen zugeschriebenVarro l. l. V, 66, Ovid F. VI, 213 ff., Propert. l. c, Dionys II, 49, Lactant. 1, 15, 8 u. A.. Außerdem ward Dius Fidius oder Semo Sancus aber auch bei den verwandten Umbrern unter den ältesten und heiligsten Göttern verehrt, wie wir dieses aus den iguvinischen Gebetsurkunden schließen dürfen, nach denen die Burg von Iguvium ocris Fisius d. h. collis Fidius hieß und Fisus oder Fisovius Sancius d. i. Fidius Sancus gleich nach dem höchsten Gott Jupiter angerufen wirdAufrecht und Kirchhoff Umbr. Sprachd. 2, 137. 187. Fisus verhält sich zu Fidius wie das sab. Clausus zu Claudius, osk. Bansae zu Bantiae, gr. μέσος (μέσσος) zu medius u. s. w. Zu ocris Fisius in Iguvium wäre zu vergleichen die Colonie Fida Tuder Gromat. vet. p. 214. Die Bedenklichkeiten der Vff., ob Dius Fidius und Semo Sancus mit Recht für identisch gehalten werden, scheinen mir insofern unbegründet zu sein, als Semo Sancus offenbar etwas Anderes sagen will als das alleinige Beiwort Sancus oder Sancius, welches in den iguvinischen Urkunden auch als Beiname des Iupiter vorkommt. Iupiter Sancus ist eben der höchste Gott des Lichtes und der Treue, Semo Sancus der ihn in den menschlichen Verhältnissen des Rechtes und der Verträge darstellende Genius Dius Fidius..

635 Ueberaus wichtig ist die Bemerkung des Aelius Stilo bei Varro l. l. V, 66, daß Sancus in sabinischer Sprache dasselbe Wesen sei was in griechischer Hercules, denn es wird sich aus dem weitern Verlaufe dieser Untersuchung herausstellen, daß wirklich der griechische Name nicht allein in Rom und Latium, sondern auch bei den Sabinern und sonst in Italien den ältern Namen eines gleichartigen Wesens verdrängt hat, welches mit dem griechischen Hercules sowohl die heroische Natur als die nahe Beziehung zum höchsten Gotte des lichten Himmels gemein gehabt haben mag. So erfahren wir gelegentlich daß es bei den Sabinern eine eigne Klasse von Priestern gab, die sich Cupenci nannten und speciell für den Cult des HerculesServ. V. A. XII, 538 Sciendum Cupencum Sabinorum lingua, sacerdotem vocari. – Sunt autem Cupenci Herculis sacerdotes. Das Wort ist zusammengesetzt aus cup und ancus. Jenes scheint mit dem Worte cuprus zusammenzuhängen, dieses mit anculus, anculare (S. 87), so daß also cupenci eigentlich boni ministri sind, heilige Diener des heiligen Lichtwesens der Treue. d. h. also des Semo Sancus bestimmt waren.

Aus ihrer Metropole Cures brachten die Sabiner unter T. Tatius diesen Cultus mit sich nach Rom, wo sie dem Semo Sancus oder Dius Fidius auf dem Quirinal, ganz in der Nähe ihres andern Nationalgottes, des Quirinus d. h. des Mars von Cures (S. 327), ein Heiligthum stiftetenOvid F. VI, 213 Quaerebam Nonas Sanco Fidione referrem an tibi Semo Pater? Tum mihi Sancus ait: Cuicumque ex illis dederis, ego munus habebo, Nomina terna fero, sic voluere Cures. Vgl. Prop. l. c. und Fest. p. 241 in aede Sancus, qui Dius Fidius vocatur. Varro l. l. V, 52 apud aedem Dii Fidii. Liv. VIII, 20 in sacello Sangus adversus aedem Quirini. In der Nähe befand sich eine porta Sangualis.. Die Nachrichten von diesem Gottesdienste sind nicht zahlreich, doch fehlt es nicht an characteristischen Merkmalen. Zunächst war Dius Fidius vorzugsweise Schwurgott, wie Iupiter und Diespiter, daher die alte Schwurformel Me Dius Fidius, welche dem Me Hercules oder Mehercule ziemlich gleichbedeutend warPaul. p. 147 Medius fidius. – Quidam existimant iusiurandum esse per Divi fidem, quidam per diurni temporis i. e. diei fidem. Vgl. Tertull. de Idololatr. 20.. Und zwar durfte nach sabinischer Sitte dieser Schwur nur unter freiem Himmel geschworen werden, in welchem Gebrauche man die alte Beziehung auf den Gott des Lichtes und des Tages deutlich erkennt; 636 daher auch sein Tempel im Dache ein Loch hatte, damit der Himmel durchscheine, und wenn zu Hause bei ihm geschworen werden sollte, der Schwörende zu diesem Ende aus dem Saale in das sogenannte compluvium d. h. den innern unbedeckten Hof des Hauses hinaustratVarro l. l. V, 66 Olim Diovis et Diespiter dictus, – a quo dei – et dius et divum, unde sub divo, Dius Fidius. Itaque inde eius perforatum tectum, ut ea videatur divum i. e. coelum. Quidam negant sub tecto per hunc deierare oportere. Non. Marc. p. 494 Varro Cato vel de liberis educandis: Itaque domi rituis nostri qui per Dium Fidium iurare vult, prodire solet in compluvium.. Ferner war Dius Fidius ein Gott des öffentlichen Gast- und Völkerrechts, auch des internationalen Verkehrs und der Sicherheit der Straßen, daher diese unter seinen Schutz gestellt waren und die alte Urkunde des von Tarquinius Superbus mit den Gabinern abgeschlossenen Bündnisses in seinem Tempel niedergelegt wurdeTertull. ad Nat. II, 9 est et Sanctus propter hospitalitatem a rege Plotio (leg. T. Tatio) fanum consecutus. Fest. p. 229 Propter viam fit sacrificium quod est proficiscendi gratia Herculi aut Sanco, qui scilicet dem est deus. Vgl. Dionys H. IV, 58, Horat. Ep. II, 1, 25, Fest. p. 317 Sanqualis avis.. Endlich muß dieser Sancus auch in der sabinischen Auspicienlehre eine hervorragende Bedeutung gehabt haben, da eine gewisse Art von Adlern in seinem Schutze stand und deshalb avis Sanqualis genannt wurde. Das von T. Tatius gestiftete Heiligthum auf dem Quirinal wurde durch Tarquinius Superbus zum Tempel ausgebaut, dessen Einweihung aber erst in den ersten Jahren der Republik, im J. 288 d. St., 466 v. Chr. vollzogen wurde, und zwar an den Nonen des Juni, welcher Tag dem Dius Fidius in colle auch in dem spätern römischen Kalender heilig bliebDionys IX, 60, Kal. Venus., vgl. Liv. VIII, 20. Dionys übersetzt Dius Fidius ungenau durch Ζεὺς Πίστιος.. In diesem Tempel befanden sich Spindel und Rocken sowie die Sandalen der Gaia Caecilia oder Tanaquil, der Gemahlin des Tarquinius Priscus, welche von den römischen Matronen als Ideal einer treuen und gewissenhaften Hausfrau verehrt wurde, deren Fleiß und häusliche Tugenden eben durch jene Andenken vergegenwärtigt werden solltenPlin. H. N. VIII, 48, 74, Plut. Qu. Ro. 30, Paul. p. 95 Gaia Caecilia, Fest. p. 238 praebia.. Auch eine eherne Statue dieser königlichen Matrone, welche zugleich für eine gute Aerztin und Erfinderin von untrüglichen Mitteln des Gegenzaubers galt, war in diesem Tempel zu sehn: so daß Sancus wohl auch, wie Quirinus und Iuno Curitis, die 637 Bedeutung eines Schutzgottes der Matronen und ihrer ehelichen Rechte gehabt haben mag.

Außer diesem alten Heiligthum des Semo Sancus gab es ein zweites auf der Tiberinsel, wo dieser Cultus vielleicht mit dem des Diiovis und des neuerdings bekannt gewordenen Iupiter Iurarius zusammenhängt (S. 238). Die Christen, welche die Inschrift des Bildes misverstanden, haben daraus gefolgert daß der Zauberer Simon Magus von den Römern göttlich verehrt worden seiIustin. M. Apolog. I, 26, 56, Tertull. Apolog. 13, Euseb. Hist. Eccl. II, 13 ὃς – ἐπὶ τῇ πόλει ὑμῶν τῇ βασιλίδι Ῥώμῃ ϑεὸς ἐνομίσϑη καὶ ἀνδριάντι παρ’ ὑμῖν ὡς ϑεὸς τετίμηται ἐν τῷ Τίβερι ποταμῷ μεταξὺ τῶν δύο γεφυρῶν (d. h. in Insula s. Becker Handb. I, 653), ἔχων ἐπιγραφὴν Ῥωμαϊκὴν ταύτην ΣΙΜΩΝΙ ΔΕΩ ΣΑΓΚΤΩ, ὅπερ ἐστι Σίμωνι ϑεῷ ἁγίῳ. Vgl. die Inschriften bei Or. n. 1860. 1861 , welche auf der Tiberinsel gefunden sein sollen und keineswegs erdichtet sind, s. Mommsen I. N. n. 6770, Henzen z. Or. p. 162. Die eine lautet: Semoni Sanco Deo Fidio Sacrum Sex. Pompeius Sp. F. Col. Mussianus Quinquennalis Decur. Bidentalis Donum Dedit, die andre: Sanco Sancto Semoni Deo Fidio Sacrum Decuria Sacerdotum Bidentalium Reciperatis Vectigalibus.. Endlich werden Heiligthümer des Sangus oder Semo Sancus auch in Velitrae und in der Gegend von Marino erwähntLiv. XXXII, 1. Vgl. die Inschr. aus Marino bei Henzen n. 6999 Phileros ex decreto XXX virum sacellum Semoni Sanco de sua pecunia fecit, wo die XXX viri als Obrigkeit auf eine kleine Landstadt deuten..


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