Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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Zehnter Abschnitt.
Schicksal und Leben.

Ich stelle unter dieser Ueberschrift die Götter zusammen, welche ihren Cultus mehr der Abstraction und dem Glauben an das Dämonische als dem älteren Polytheismus der Naturreligion verdanken. Es sind zunächst die Mächte des Schicksals und der nahe verwandte Cultus der Genien in seiner specielleren Anwendung auf das Leben, dann die Götter der alten pontificalen Indigitamenta, welche sich wieder dem Cultus der Genien anschließen lassen, endlich alle übrigen Hülfsgötter und Personificationen des praktischen Lebens, wie sie entweder die griechische Bildung oder die natürliche Neigung der Römer zur abstracten Begriffsbildung von selbst mit sich führte. Denn auch in der griechischen Mythologie ist die Personificirung abstracter Gedanken die Quelle vieler Neubildungen gewesen, obwohl ihr Ursprung gewöhnlich ein poetischer war und die ganze Summe solcher Begriffsgötter im Vergleiche mit den wirklich mythologischen immer eine geringe geblieben ist. Bei den Römern dagegen begegnet uns gleich in der frühsten Periode ihrer Glaubensgeschichte eine große Anzahl dämonischer Mächte, deren Ursprung wesentlich Reflexion und Abstraction ist, nur daß die Begriffsbildung dieser Zeit noch wesentlich die des Cerimonialgesetzes und der priesterlichen Liturgie ist und deshalb mit dem Gepräge einer naiven und alterthümlichen Frömmigkeit auftritt. Dahingegen mit der Zeit, je mehr der Naturglaube seine Frische und das alte Cerimonialgesetz seine Kraft verlor, auch diese Schöpfungen immer nüchterner geworden und zuletzt zur 552 bloßen Convention einer halb politischen halb pantheistischen Religiosität herabgesunken sind.


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