Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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1. Die Götter.

Dei sind, wie schon Varro l. l. V, 66 richtig erklärtDer Himmel sei der Ursprung aller Dinge und die höchste Macht. Das beweise der ältere Name des Iupiter Diovis und Diespiter d. i. Dies Pater. A quo dei dicti qui inde (d. h. welche daher, coelitus stammen), et dius et divum, unde sub divo, Dius Fidius u. s. w. Vgl. Pott etymol. Forsch. 1, 98 ff. 265 und J. Grimm D. Mythol. S. 175 ff., eigentlich die Lichten, die Himmlischen, denn der Himmel ist nach einer alle Naturreligionen durchdringenden Ueberzeugung der Sitz des Lichtes und die höchste Quelle alles Lebens, aller Macht und Herrlichkeit in allen Dingen. Es ist derselbe Stamm, welcher bei dem Namen des griechischen Ζεὺς und des römischen Jupiter d. i. eigentlich der himmlische Vater zu Grunde liegt und auch bei den generellen Benennungen der indischen dêvas und der griechischen ϑεοί den Wurzelbegriff bildet: ein Begriff, in welchem sich die sinnliche Vorstellung von dem strahlenden Glanze des Himmels und dem beseelenden Tageslichte mit 46 der religiösen von göttlichen Wesen, die über alle irdischen Dinge erhaben und vollkommner und seliger als alle irdischen Dinge sind, zu einem Ganzen verschmolzen hat. Wie wesentlich in den italischen Religionen diese Vorstellung zu der göttlichen Natur überhaupt gehörte beweist der Umstand, daß nicht allein die eigentlichen Götter und Mächte des Himmels Janus, Jupiter, Juno, Diana danach benannt sind, sondern auch Gottheiten der Erde und des Getreidesegens z. B. die Dea Dia der Arvalischen Brüder, welche von der Ceres, der schöpferischen Göttin des Ackers nicht wesentlich verschieden gewesen sein kann.

Unterschieden werden die Götter nach den verschiedenen Gebieten des Naturlebens, welches sie vertreten, namentlich nach den beiden Hauptgebieten des Himmels und der Erde, auf welchen Unterschied auch Varro oft zurückkommt, nur daß seine an diese Zweitheilung geknüpften Betrachtungen weit mehr der stoischen Theologie als dem wirklichen Sinne der alten Naturreligion entsprechen (S. 33). Die Götter der See, welche in der griechischen Mythologie von solcher Bedeutung sind, daß auch ihnen ein eigenthümliches, von vielen individualisirten Kräften und Erscheinungen belebtes Gebiet eingeräumt wurde, blieben für die ältere italische Volksanschauung so unbedeutend, daß eine besondre Klasse für sie gewöhnlich nicht angenommen wurde. Vielmehr ist das ganze Gebiet des Feuchten, Fließenden und Strömenden, das Reich der Flüsse, der Bäche, der Quellen, mit ihren singenden und reinigenden Lebensgeistern, ihren väterlich waltenden und befruchtenden Dämonen, in dem Gebiete des Erdelebens mit einbegriffen, zu welchem auch die Götter des Waldes und der Weide gehören, während andrerseits die Götter des feurigen Elements, der beseelende und bildende Vulcanus und der heimathliche Heerd der Vesta, zu dem Reiche der Himmlischen gerechnet werden mochten. Wohl aber wurde insgemein für die verborgnen Mächte der Erdtiefe, bei denen die Saaten gedeihen und die Geister der Verstorbenen fortleben, eine eigne Klasse ausgesondert, grade so wie bei Griechen, wo die Obern und die Untern auch den gewöhnlichen Gegensatz bilden. Dem entspricht im Lateinischen die geläufige Eintheilung der Götter in Superi und InferiVgl. Drakenborch zu Liv. 1, 32 9., welche auch im Gottesdienste bei vielen örtlichen und ritualen Einrichtungen, wodurch dem religiösen Gedanken die Richtung nach der Höhe oder nach der Tiefe gegeben werden sollte, zu Grunde 47 liegt. Dazwischen pflegen sich, wo eine mittlere Klasse unterschieden wird, die Gottheiten der Erde einzuschieben, z. B. in der alten Formel der Fetialen bei Liv. 1, 32 Audi Iupiter et tu Iane QuirineSo liest Perizonius mit Recht für Iuno, Quirine. diique omnes caelestes vosque terrestres vosque inferni audite. Eine alterthümliche Benennung für diese mittlere Klasse war die der dii medioxumi, wie es namentlich bei Plautus Cistell. II, 1, 36 heißt: ita me di deaeque, superi atque inferi et medioxumi d. h. medii, in welchem Sinne auch Varro den Ausdruck gebrauchteNon. Marc. p. 141. Vgl. Serv. V. A. III, 134 quidam aras superorum deorum volunt esse, medioximorum i. e. marinorum focos, inferorum vero mundos, wo die dii marini die ϑαλάσσιοι der Griechen sind.. Erst spätere, von den dämonologischen Theorien ihrer Zeit bestimmte Schriftsteller gebrauchen den Ausdruck medioxumi für die in der Mitte zwischen den Göttern und Menschen schwebenden Geistern, vgl. Apulej. d. dogm. Pl. I p. 204 Oud., Serv. V. A. VIII, 275, Martian. Cap. II, 154.

Obwohl die italische Mythologie weder den seligen und ewig heitern Olymp noch den finstern Hades kannte, so ist doch ein gewisser qualitativer Unterschied zwischen diesen Götterklassen, wie er in dem Eindruck, den jene verschiedenen Naturgebiete auf das menschliche Gemüth machen, tief begründet ist, recht wohl zu bemerken. Die himmlischen Götter sind ganz vorzugsweise die wohlwollenden und helfenden, die herrschenden und heiligen, auch die schöpferischen Götter alles Anfangs und aller Beseelung, daher Ennius sie gelegentlich die dii genitales nannte, d. h. die Ursprungsgötter, von denen Alles abstammtEnnius b. Serv. Aen. VI, 764 Romulus in coelo cum dis genitalibus aevum degit. Vgl. Auson. Perioch. Iliad. 4 Iuppiter interea cum dis genitalibus una Concilium cogit Superum de rebus Achivis. Zu vergleichen genitalia corpora, genitalia semina d. h. die Elemente der Dinge, die befruchtenden Stoffe. In einem andern Sinne wird dii genitales von den Göttern der Geburt und der Entbindung gesagt auf einer Münze der Crispina, Gemahlin des Commodus, Eckhel D. N. VII p. 139.. Auch war das Bild, das man sich von ihrer Erscheinung machte, ein lichtes und freundliches, dahingegen die Götter der Tiefe und des Todes natürlich finster und unhold und von schrecklicher Gestalt sind, danach hin und wieder dii aquili d. h. fusci, atri benannt wurden und in entsprechender furchtbarer Erscheinung auch in alten Volkssagen vorkommenDer Todesgott erscheint nach der Legende der römischen Secularspiele b. Zosimus II, 1–3 als τις τερατώδης τὴν ὄψιν, ἠμφιεσμένος δέρματι μέλανι. Auch können die finstern, die schwarzen, die unholden Götter, von denen einige Schriftsteller wissen, keine andern sein als die des Todes und der Unterwelt, vgl. Plin. H. N. II, 7 atri coloris, Arnob. III, 14, Martian. Cap. II, 164 dii aquili, Placidi glossae: Diaquilii inferi. Aquilosi antiqui nigros dicebant, zu lesen: Dii aquili und Aquilos. Daher die Furinae und furvae hostiae, die Furiae und Proserpina furva, Paul p. 84. 93, Valer. Max. II, 4, 5, Horat. Od. II, 13, 21.. 48 Vollends aber war der Cultus dort ein eben so freundlicher und heiterer als hier ein schwermüthiger und grausamer, daher Einige zwischen diesen beiden Klassen wie zwischen guten und bösen Göttern unterschiedenAugustin C. D. II, 11 Labeo, quem huiuscemodi rerum peritissimum praedicant (es ist der Jurist unter August) unterschied zwischen numina bona und numina mala. – Malos deos propitiari caedibus et tristibus supplicationibus, bonos autem obsequiis laetis atque iucundis, qualia sunt, ut ipse ait, ludi, convivia, lectisternia.. Endlich ist die zwischen beiden in der Mitte stehende Klasse der Feld- und Waldgötter, der Erndte und Weinlese, der Quellen und Flüsse, wie sie die volksthümlichste war und in ihrer Natur sich am meisten der Wandel des Jahres und irdischen Dinge offenbarte, so auch die mythologisch und durch Mährchendichtung noch am meisten bewegte. Auch ließ sich der Cultus und die Festfeier bei diesen Göttern so wenig in Italien als in Griechenland den derben Scherz und die ausgelassene Lustbarkeit nehmen, obgleich eine solche Schwermuth und ein solcher Fanatismus, wie er in Griechenland wesentlich zur Religion der Demeter und des Dionysos gehörte, dem ernsteren Gemüthe der alten Latiner und Römer immer widerstanden hat.

Beschäftigen wir uns näher mit den Benennungen dieser Götter, ihrem Verhalten unter einander und zu der Natur und Menschenwelt, ihren verschiedenen Ordnungen, so sind zunächst die Namen bei den meisten merkwürdig unbestimmt und blos in allgemeinster Weise prädicativ. So Janus und Diana, Jupiter und Juno d. i. der Himmlische und die Himmlische, Faunus und Fauna d. i. der Gute und die Gute, Bona Dea, Dea Dia, Ceres d. i. die Schöpferische und viele andere; daher oft die große Schwierigkeit einer näheren Bestimmung, das leichte Hinüberfließen des einen Götterbegriffs in den andern, die große Geneigtheit vieler von diesen Göttern und göttlichen Wesen sich ins Griechische übersetzen zu lassen, wodurch die Vorstellung gleich so viel mehr Festigkeit und Dichtigkeit bekam, z. B. Evander und Hercules, welche dem Faunus der Latiner und dem Semo Sancus der Sabiner entsprachen. Auch gehört 49 dahin die große Sprödigkeit dieser Götter gegen locale und landschaftliche Beziehungen, wenigstens soweit sich dieselben in entsprechenden Beinamen und Fabeln auszudrücken pflegen; da bei den Griechen grade dieses Localisiren der Götterbegriffe nach der besondern Art und Natur der Berge, Thäler, Landschaften, Städte eine der wichtigsten Ursachen der Mannichfaltigkeit und so mancher feineren Schattirung ihrer Mythen und Sagen geworden ist. Allerdings ist zu bedenken, daß wir von dem alten Italien und seinen örtlichen Gottesdiensten zu mangelhaft unterrichtet sind, um darüber mit Sicherheit urtheilen zu können. Doch scheint es wohl, soweit man nach römischen Beispielen urtheilen darf, daß überall weit mehr Cultusbeziehungen und die Rücksicht auf das menschliche Leben die Quelle der Beinamen gewesen sind als landschaftliche Naturbeziehungen und ähnliche Umstände, unter welchen die Götter andrer Religionssysteme auf die örtlichen Bedingungen der Natur oder Geschichte selbst eingehen und dadurch in ihrem persönlichen Verhalten bestimmt werden, also als Subjecte eines gewissen Wechsels von handelnden und leidenden Zuständen auftreten: bei welcher Auffassung sich der Mythus von selbst bildet und weiter entwickelt.

So zeigt sich das Wesen der italischen Götter auch rücksichtlich ihres Verhaltens unter einander und zu den Menschen durchaus nicht geneigt zu mythologischer Bewegung; vielmehr verharren sie auch in dieser Beziehung in einer würdigen und feierlichen, aber abstracten Ruhe, wie sie wohl bei einem vielseitig ausgebildeten Gottesdienste mit seinen Opfern, Anrufungen und Gebeten bestehen konnte, aber nicht mit der lebendigen Anschauung eines geistreichen und phantasievollen Volkes vereinbar war, welches die Götter nicht allein anbetete, sondern dieselben auch bei seinem Nachdenken und seinen Ueberlieferungen über die Anfänge der Dinge und der Geschichte überall mit einmischte. Von einer Kosmogonie und Theogonie sind nur sehr schwache Anfänge bemerkbar; in den Erzählungen vom Ursprunge der Nation treten von italischer Seite nur die Culturgötter auf, Saturnus, Faunus, Pales u. a., welche den Segen der Agricultur, der Viehzucht, der göttlichen Inspiration bedeuten, einige gute Genien, einige alte Könige: alles Uebrige, namentlich die Helden mit bestimmten Eigennamen, sind von den Griechen entlehnt. Unter sich sind die italischen Götter zwar durch das Geschlecht verschieden: eine Unterscheidung, welche gleich bei der ersten Begriffsbildung der Naturreligion und den ersten 50 Schöpfungen der Sprache so nothwendig und von selbst mit einfließt, daß sie allen auf diesem Boden entsprungenen Göttersystemen angeboren ist. Auch kamen diese Götter in den älteren römischen Gebeten zwar als paarweise und ehelich verbundene vor, die Lua Saturni, Salacia Neptuni, Hora Quirini, Maia Volcani und namentlich die Nerio MartisGellius N. A. XIII, 23 Comprecationes deum immortalium, quae ritu Romano fiunt, expositae sunt in libris sacerdotum populi Romani et in plerisque antiquis orationibus. In his scriptum est: Luam Saturni, Salaciam Neptuni, Horam Quirini, Virites Quirini, Maiam Volcani, Heriem Iunonis, Moles Martis Nerienemque Martis., wie man bei diesem Gotte denn auch von seiner Liebe zur Minerva und seiner Buhlschaft mit der Mond- und Quellengöttin Anna Perenna erzählte, ja selbst von der Liebe des ernsten Janus zur Iuturna, Venilia, Carna und Camasene, von der des Vortumnus zur Pomona, des römischen Hercules zur Acca Larentia und andern Nymphen wußte und selbst Varro ähnliche Vorstellungen schon bei den alten Römern anerkennen mußteAugustin C. D. III, 12 ut Varro dicit – in omnibus generibus deorum sicut in animalibus mares et feminas. Ib. IV, 32 Dicit etiam de generationibus deorum magis ad poetas quam ad physicos (die Philosophen) fuisse populos inclinatos et ideo et sexum et generationes maiores suos i. e. veteres credidisse Romanos et eorum constituisse coniugia. Der Eifer Andrer gegen die coniugia und matrimonia deorum, z. B. des Stoikers Balbus b. Cic. N. D. II, 28 und des Seneca b. Augustin C. D. VI, 10 trifft nur die Griechen.. Doch sind diese Ehen in den meisten Fällen kinderlos, und vollends fehlt es der italischen Mythologie gänzlich an dem Sinn für ein solches Princip, wie in der griechischen der allgemeine Liebesgott Eros wirkt, durch welches die Götter unter sich und zu den Menschen in eine lebendige Wechselbeziehung des Geschlechts gesetzt werden und dadurch die Quelle der genealogischen Dichtung eröffnet wird, welche in der griechischen Mythologie gleichfalls so außerordentlich reichlich strömt. Vielmehr wurden die italischen Götter insgemein als Väter und Mütter gedacht, im Sinne einer patriarchalischen und einfach gemüthlichen Vorstellungsweise, von welcher sich bei den Griechen und andern Völkern wohl einzelne SpurenΖεὺς πατήρ und Δημήτηρ bei den Griechen, Δειπάτυρος bei den epirotischen Tymphaern nach Hesych. s. v., d. i. wahrscheinlich der italische Jupiter, Vater bei den Deutschen für Gott, Allvater Odin u. dgl., s. J. Grimm D. M. 20, nach welchem die Letten beinahe jeder Göttin das Epithet mahte, mahmina d. i. Mutter, Mütterchen anhängen., nirgends aber so viele als in der Praxis des römischen Gottesdienstes erhalten haben. Wenigstens muß in 51 diesem der Zusatz von Pater und Mater zu dem Namen des Gottes viel allgemeiner gewesen sein als man nach den gewöhnlich angeführten Beispielen Iupiter, Marspiter, Liber Pater glauben sollte, da aus den uns erhaltnen Quellen auch folgende Fälle feststehen: Ianus Pater, Diespiter, Dis Pater, Summanus Pater, Vediovis Pater, Quirinus Pater, Saturnus Pater, Neptunus PaterSo führte Lucilius in seiner Götterversammlung einen Gott redend ein: Ut nemo sit nostrum quin pater optimu' divum, Ut Neptunu' pater, Liber Saturnu' pater, Mars Ianu' Quirinu' pater nomen dicatur ad unum, s. Lactant. Inst. IV, 3, 12. Vgl. Gell. N. A. V, 12 nach alten Gebetsformeln : Sic et Neptunuspater coniuncte dictus est et Saturnuspater et Ianuspater et Marspater, hoc enim est Marspiter, itemque Iovis Diespiter appellatus., daneben freilich nur die einzige Terra Mater; doch leidet es keinen Zweifel, daß auch dieser Zusatz bei den weiblichen Gottheiten in alter Zeit gewöhnlich war. Ja wir wissen aus Varro, daß auch in den Indigitamenten bei den Anrufungen jener vielen kleineren Hülfsgötter der einzelnen Acte und Thätigkeiten des menschlichen Lebens derselbe Zusatz herkömmlich war, und zwar in der verwandten Formel Divus Pater und Diva MaterAugustin C. D. VII, 3 Unde dicit etiam ipse Varro, quod Diis quibusdam Patribus et Deabus Matribus sicut hominibus ignobilitas accidisset, wobei nur die Götter der Indigitamenta gemeint sein können. Vgl. ib. VI, 10; wo Augustin diese Götter, bei denen Varro keine männliche oder weibliche Hälfte hinzugefügt hatte, caelibes und viduae nennt., aus welcher ersten im gemeinen Sprachgebrauche nicht selten Iupiter geworden zu sein scheint, z. B. Iupiter Indiges für Divus Pater Indiges, Iupiter Glitumnus für Divus Pater Clitumnus, Iupiter Ruminus, neben welchem die Diva Rumina angerufen wurde, für Divus Pater Ruminus u. s. w. So erklärt es sich wohl auch am besten, wie Varro in seinen Satiren von dreihundert Jupitern sprechen konnteTertull. ad Nat. 1, 10 Sed et Diogenes nescio quid in Herculem lusit et Romani stili Diogenes Varro trecentos Ioves seu Iuppiteres dicendum est sine capitibus inducit. Vgl. Tertull. Apolog. 14 und Oehler Varr. Menipp. p. 48. 238 sq., Tertull. Vol. 1 p. 171.; vermuthlich dachte er dabei an eben jene sehr zahlreichen Divi Patres d. h. eben so viele dii minuti von untergeordnetem Range, welche er mit großer Mühe aus den bald näher zu besprechenden Indigitamenten zusammengesucht hatte.

Sehr characteristisch ist der häufige Gebrauch des Wortes numen für Gott, da dieses Wort weit mehr unserm Begriffe der Gottheit im Sinne einer abstracten Macht als dem eines 52 persönlichen Gottes entspricht. Numen ist nehmlich eigentlich nur die Machtäußerung eines Gottes oder eines geistigen Wesens in der Natur oder der von menschlicher Thätigkeit bewegten Welt, von nuere in der bekannten Bedeutung der zustimmenden Bewegung des Hauptes, die durch die erhabnen Verse der Ilias 1, 528 vom Olympischen Zeus so berühmt geworden istVgl. auf einem andern Gebiete Liv. V, 22, von dem Transporte des Bildes der Juno Regina von Veji nach Rom: Dein cum quidam seu spiritu divino tactus seu iuvenali ioco »Visne Romam ire Iuno?« dixisset, adnuisse ceteri deam conclamaverunt.. So erklärt namentlich Varro l. l. VII, 85, indem er aus dem älteren römischen Tragödiendichter L. Attius diesen Vers anführt: Multis nomen vestrum numenque ciendo und dabei erklärend hinzufügt: Numen dicunt esse imperium, dictum a nutu [quod cuius nutu] omnia sunt, eius imperium maximum esse videatur. Itaque in Iove hoc et Homerus et Annalis et aliquotiens LiviusSo ist diese Stelle verbessert worden von Lachmann z. Lucret. p. 111. Bei den Annales wäre zu denken an die des Ennius, aus denen Lachmann den bekannten Vers anführt: Iuppiter hic risit tempestatesque serenae Riserunt omnes risu Iovis omnipotentis. d. h. der alte römische Dichter und Uebersetzer der Odyssee Livius Andronicus. Wie in jener Stelle des Attius offenbar eine höchste menschliche Autorität vorausgesetzt werden muß, so wird es auch bei Liv. VII, 30 von dem römischen Senate gebraucht: Adnuite patres conscripti nutum numenque vestrum invictum Campanis, und Lucretius III, 144 sagt mentis numen von der Herrschaft des menschlichen Geistes, während unter den Kaisern oft vom numen Augusti die Rede ist, welchem auch Altäre errichtet wurden. Gewöhnlicher aber ist der Gebrauch des Wortes von dem unsichtbaren Walten der Götter, entweder von der höchsten Gottheit im Allgemeinen, oder von einzelnen Göttern, s. Cic. d. Fin. IV, 5, 11, wo er von dem Eindruck des gestirnten Himmels auf das menschliche Gemüth spricht, wie sehr dieses zugleich von Demuth und von Zuversicht durchdrungen werde, quum cognitum habeas quod sit summi rectoris ac domini numen, quod consilium, quae voluntas, und von der göttlichen Vorsehung im Allgemeinen pro Mil. 30, 83 nec vero quisquam aliter arbitrari potest nisi qui nullam vim esse ducit numenque divinum. Dagegen ein merkwürdiges Beispiel für den Gebrauch von der Willensäußerung eines einzelnen Gottes diese Inschrift aus Tereventum ist bei Mommsen I. N. n. 5162: P. Florius u. s. w. Dianae numine iussu posuit, und die Inschrift 53 des in Rom auf Constantin errichteten Triumphbogens, wo es ursprünglich hieß, er habe seine Siege gewonnen Nutu Iovis Optimi Maximi, wofür man später instinctu divinitatis zu setzen für gut fandS. J. Burckhardt die Zeit Constantins d. Gr. S. 363.. Sehr oft, ja mit besonders prägnantem Ausdruck wird es ferner von den Offenbarungen der Götter in den verschiedensten Kreisen des Naturlebens gebraucht, z. B. bei Horaz, wenn er Od. III, 10, 7 von Jupiter als dem Gotte des Himmels sagt: (Sentis) et positas ut glaciet nives puro numine Iuppiter, und bei Virgil Aen. V, 766, wo es eben so schön vom Meere heißt: quibus aspera quondam visa maris facies et non tolerabile numen: namentlich auch von der unsichtbaren Gottheit eines heiligen Haines und von den Dämonen der Gebirge und Wälder, für welche die Alten immer ein sehr lebendiges Naturgefühl gehabt haben, z. B. Ovid. Met. I. 320 Corycidas nymphas et numina montis adorant, und Ders. Fast. III, 295 Lucus Aventino suberat niger ilicis umbra, Quo posses viso dicere: Numen inest. Ders. Am. III, 17 Stat vetus et densa praenubilus arbore lucus, Aspice, concedas numen inesse loco, endlich Plinius H. N. XII, 2 quin et Silvanos Faunosque et deorum genera silvis ac sua numina tanquam et caelo attributa credimus, welcher Schriftsteller ein andermal sehr schön von der Alles belebenden Naturmacht der Sonne sagt II, 6 hunc (Solem) mundi esse totius animum ac planius mentem, hunc principale naturae regimen ac numen credere decetTacitus Ann. II, 17 gebraucht das Wort sogar von einer begeisternden Erscheinung von acht Adlern vor einer Schlacht der Römer mit den Deutschen: Interea pulcherrimum augurium, octo aquilae petere silvas et intrare visae imperatorem (Germanicum) advertere. Exclamat, irent sequerentur Romanas aves, propria legionum numina, mit Beziehung auf die Legionäradler.. Und so scheint es denn auch in dem römischen Cultus vorzugsweise von den untergeordneten Göttern gebraucht zu sein, in welchen sich die durch die ganze Natur und Welt verbreitete Gottheit wie in eben so vielen einzelnen Kräften offenbart; wenigstens werden diese in den pontificalen Indigitamenten zu ganzen liturgischen Reihen zusammengruppirten Götter von den Schriftstellern, welche darüber meist nach Varro berichten, häufig numina genannt, z. B. von Censorin d. d. n. 3 omnes hi semel in unoquoque homine numinum suorum effectum repraesentant d. h. sie zeigen ihre göttliche Thätigkeit bei jedem Menschen in seinem Leben nur einmal, während der Genius durch das ganze Leben hindurch sein 54 unsichtbarer Begleiter und Schutzgott ist. Vgl. Serv. Georg. I, 21, wo es von denselben göttlichen Kräften heißt: nomina numinibus ex officiis constat imposita, und Augustin C. D. VII, 2 wo den eigentlichen Haupt- und Cultusgöttern des römischen Staates, welche Varro dii selecti nannte, entgegengesetzt wird illa quasi plebeia numinum multitudo minutis opusculis deputata: daher auch bei Varro in einem bei Non. Marc. p. 167 erhaltnen Bruchstücke seines Cato vel de liberis educandis betitelten Buches gewiß zu schreiben ist: Hisce numinibus (für manibus) lacte fit, non vino, Cuninae propter cunas, Ruminae propter rumam d. i. mammam. Und in der That werden wir sehen, daß die römische Religion grade auf der Stufe ihrer Entwickelung, welcher die gewöhnlich dem Numa zugeschriebenen Indigitamenta entsprechen, noch weit mehr pantheistisch gestimmt war als polytheistisch d. h. daß die Zahl der höheren Cultusgötter mit persönlichen Eigennamen, eignen Priestern u. s. w. damals noch eine sehr geringe war, die dieser göttlichen Kräfte dagegen, welche das menschliche Leben unsichtbar umschweben und nur in einer besondern Beziehung auf dasselbe für das Gebet und den Cultus personificirt wurden, eine um so größere, ja unbegrenzte.

Auch in der Art und Weise, wie sich sonst die Götter offenbaren und mit den Menschen verkehren, zeigt sich überall dieses pantheistische Grundgefühl, welchem das griechische Volk durch seinen Polytheismus weit mehr entfremdet wurde. So ist namentlich der Schicksalsglaube in allen seinen Gestaltungen, sowohl der Fortuna als des Fatum, der Orakel und aller möglichen Mittel der Divination in Italien immer außerordentlich lebendig gewesen und geblieben, namentlich auch der Glaube an göttliche Vorbedeutungen, Warnungen, Mahnungen, die in den verschiedensten Formen und Arten auftraten und in Rom bekanntlich einen so weit ins Einzelne ausgebildeten Wunder- und Aberglauben zur Folge hatten, wie er auf solcher Stufe der Civilisation sonst unerhört ist. Denn niemals oder doch nur ganz ausnahmsweise treten die römischen und italischen Götter persönlich unter das Volk, wie die griechische Demeter und Dionysos, wenn sie den Ackerbau und den Weinbau stiften, Minerva wenn sie den Oelbaum pflanzt, Poseidon wenn er das Roß zähmt, oder Apollo und andere Götter in ihren Epiphanieen, sondern immer wirken sie nur mittelbar durch Zeichen und Wunder, Misgeburten, Erdbeben, Sonnenfinsternisse, außerordentliches Brausen der Luft u. s. w., abgesehen von den regelmäßigen Beobachtungen des Vögelflugs und des Angangs der Thiere 55 oder der Blitze und der Eingeweide: so daß in dieser Hinsicht auch für den Römer die ganze Natur von Göttern und Geistern durchdrungen war, nur daß sein Glaube ihn wohl zum Aberglauben und zum opus operatum anleiten konnte, aber nicht zu Kunst und Wissenschaft. So hört man auch sehr oft von redenden Thieren und von geisterhaft erschallenden und schwer zu deutenden Stimmen der Götter, mit denen sie ihren Willen aus den Hainen und Wäldern oder von den Bergen herab und aus ihren Tempeln unter die Menschen rufen, wie solch ein Ruf nach der Zerstörung Alba Longa's von der Höhe des heiligen Berges über der Stadt erscholl, der über die Vernachlässigimg des alten Gottesdienstes klagte, ein andrer aus dem Tempel der Juno Moneta, welcher bei einem Erdbeben eine trächtige Sau als Sühnopfer forderteCic. de Divin. 1, 45, 101. Zu Satricum im Lande der Volsker rettet eine vox horrenda edita templo cum tristibus minis den Tempel der Mater Matuta bei der Zerstörung der Stadt durch die Latiner, Liv. VI, 33. Vgl. auch Virgil. Ge. I, 476 Vox quoque per lucos vulgo exaudita silentes Ingens et simulacra modis pallentia miris Visa sub obscurum noctis etc., ein andrer aus dem Haine der Vesta, der vor dem Einfalle der Gallier warnte, daher man später an derselben Stelle einen Altar des Aius Locutius d. h. des Sagers und Sprechers errichtete, endlich viele Stimmen der Faune und Silvane aus dem einsamen Dickicht des Waldes, welche bald die Herzen der Dorfbewohner mit süßem Zauber bald die der Feinde mit wildem Schrecken erfüllten. Und zwar sind es natürlich immer ganz besonders die eminenten Naturerscheinungen, Erdbeben, Sonnenfinsternisse u. dgl., welche den Staat und seine Priester am meisten in Bewegung setzen, wo es denn wieder sehr characteristisch ist, daß bei solchen Gelegenheiten, namentlich bei Erdbeben, die Ursache nicht auf einen bestimmten Gott zurückgeführt wird, wie die Griechen in solchen Fällen zu ihrem Poseidon Asphalios zu beten pflegten, sondern es wurde in Rom der dann immer beschlossene Feiertag ohne nähere Bestimmung des zu versöhnenden Gottes angesagt, und, war ja bei diesem Feste ein Versehen vorgefallen, das dadurch nöthig gewordene Sühnopfer unter der Formel Si Deo Si Deae dargebracht, so wenig getraute man sich den Namen oder das Geschlecht des Gottes, welcher das Erdbeben veranlaßt haben könnte, zu bestimmenGellius N. A. II, 28 Propterea veteres Romani, cum in omnibus aliis vitae officiis tum in constituendis religionibus atque in dis immortalibus animadvertendis castissimi cautissimique, ubi terram movisse senserant nuntiatumve erat, ferias eius rei causa edicto imperabant, sed Dei nomen ita uti solet, cui servari ferias oporteret, statuere et edicere quiescebant, ne alium pro alio nominando falsa religione populum alligarent. Eas ferias si quis polluisset piaculoque ob hanc rem opus esset, hostiam Si Deo Si Deae immolabant, idque ita ex decreto Pontificum observatum esse M. Varro dicit, quoniam et qua vi et per quem deorum dearumve terra tremeret incertum esset. Obwohl bei Erdbeben gewöhnlich die Götter der Erde angerufen wurden, s. Tellus.. Eine Gewissenhaftigkeit übrigens, 56 welche auch sonst in dem öffentlichen Gottesdienste der Römer d. h. dem unter Oberaufsicht der Pontifices begangenen herkömmlich war, da bei allen feierlichen Anrufungen eines Gottes oder bei Dedicationen eines Tempels an denselben zu dem gewöhnlichen Namen hinzugesetzt zu werden pflegte: Quisquis es und Sive quo alio nomine fas est appellare, so wenig glaubte man durch einen einzelnen Namen das ganze Wesen des Gottes umschreiben zu können. Oder man ließ in gewissen Fällen, namentlich in solchen wo zu verborgenen Göttern und Ortsgenien gebetet wurde, deren Individualität nicht genau zu bestimmen war, oder absichtlich nicht näher bestimmt werden sollte, das Geschlecht dahingestellt sein, entweder mit der schon bemerkten Formel Sive Deo Sive Deae oder mit den gleichartigen Sive Mas Sive Femina, Si Deus Si Dea u. dgl.S. Serv. V. A. II, 351, wo diese Unbestimmtheit der Schutzgötter und Ortsgenien auf die Sitte diese Götter bei Belagerung einer Stadt zu evociren zurückgeführt und dann hinzugesetzt wird: et in Capitolio fuit clypeus consecratus, cui inscriptum erat: Genio Urbis Romae Sive Mas Sive Femina, et Pontifices ita precabantur: Iupiter Optime Maxime sive quo alio nomine te appellari volueris. Vgl. die Vorschrift bei Cato r. r. 139 für die Säuberung eines Hains, wobei man so beten solle: Si Deus si Dea es quoium illud sacrum est etc. und die Acta fratr. Arv. t, 32, wo in einem ähnlichen Falle sämmtlichen Göttern des Haines der Dea Dia geopfert wird und darauf Sive Deo Sive Deae, Virginibus Divis, Famulis Divis etc. und darauf noch einmal Sive Deo Sive Deae, in cuius tutela hic lucus locusve est, Fonti, Florae etc., beidemal offenbar örtlichen Schutzgöttern. Vgl. Marini Atti p. 370 sq., woraus man ja nicht die Folgerung ziehen darf, als ob die Römer auch doppelgeschlechtige Wesen, wie die orientalischen Völker und die Griechen, verehrt hätten. Vielmehr liegt in allen diesen Fällen eine und dieselbe Religiosität zu Grunde, welche das persönliche Wesen eines Gottes lieber ungewiß läßt als zu eng umschreibt; wie man denn auch sonst bei Opfern, Gebeten und Sühnungen immer von dem Glauben ausging, daß nicht blos der einzelne Gott, dem die religiöse Handlung zunächst galt, sondern die ganze Götterwelt solidarisch betroffen sei, so wenig wagte man den 57 einzelnen Fall auf diese oder jene besondre Gottheit allein zurückzuführen. Man pflegte deshalb nach jedem Gebete zu einem einzelnen der Götter immer nachträglich alle Götter insgemein anzurufen, wofür der Ausdruck galt deos confuse oder generaliter invocareServ. V. Georg. I, 10 Hoc enim in sacris fieri solebat, ut post specialia ad eam rem, de qua agebatur, invocata numina omnes Dii vel Deae confuse invocarentur. Ib. vs. 21 zu den Worten Dique Deaeque omnes: Post specialem invocationem transit ad generalitatem, ne quod numen praetereat, more Pontificum, per quos ritu veteri in omnibus sacris post speciales Deos, quos ad ipsum sacrum quod fiebat necesse erat invocari, generaliter omnia numina invocabantur. Vgl. zu Aen. VIII, 103 und Brisson. de formulis I, 88 und 89 p. 49 sq..

Besondre Geschlechter und Ordnungen der Götter, wie man sie in den mythologischen Systemen andrer Völker findet, werden wir in dem religiösen Grundgesetze des Numa und den pontificalen Urkunden kaum voraussetzen dürfen, sondern auch hier werden nur die Formeln des Gebetes eine gewisse herkömmliche Reihenfolge und Gruppirung der Götter herbeigeführt haben. So wurde unter allen Umständen Ianus, der alte Sonnengott des Anfangs, zuerst genannt und Vesta als die Göttin alles heiligen Heerd- und Altarfeuers, bei welchem gebetet und geopfert wurde, zuletzt, so daß diese beiden Götter recht eigentlich das Alpha und Omega des römischen Gottesdienstes genannt werden könnenWenn es bei Ovid. Fast. VI, 298 u. A. heißt, Vesta werde zu Anfang angerufen, so ist dieses vielmehr die griechische Sitte, s. Griech. Mythol. I, 271.. Zwischen ihnen wurden die übrigen Götter in größeren oder längeren Reihen eingeschoben, wie und zu welchem Zweck man eben opferte und betete. In den meisten Fällen folgte gleich auf den Janus der höchste Himmelsgott Iupiter, welchem, wie Varro sagt, in gleicher Weise alle höchste Majestät gebührte wie dem Janus aller Dinge AnfangBei Augustin C. D. VII, 9 penes Ianum sunt prima, penes Iovem summa.. In dem alten Göttersysteme des Numa folgten darauf nur noch die beiden obersten Schutzgötter der vereinigten Römer und Quiriten Mars und Quirinus, daher Numa auch nur für diese drei Götter Jupiter, Mars und Quirinus eigne Opferpriester eingesetzt hatte, unter denen der Flamen Dialis bei weitem der vornehmste war, während die Opfer des Janus von dem Rex Sacrorum dargebracht wurden, der Cultus der Vesta aber wie die Vestalinnen unter der speciellen Aufsicht des Pontifex Maximus stand: daher dieser in Fällen der geistlichen Etikette 58 wie Vesta beim Opfer zuletzt zu kommen pflegte, der Rex Sacrorum aber immer zuerstFestus p. 185 Ordo sacerdotum aestimatur deorum [ordine, ut deus] maximus quisque. Maximus videtur Rex, dein Dialis, post hunc Martialis, quarto loco Quirinalis, quinto Pontifex Maximus. Itaque in [conviviis] solus Rex supra omnis accubat, sic et Dialis supra Martialem et Quirinalem, Martialis supra proximum, omnes item supra Pontificem. Es ist die alte von Numa eingesetzte Folge der Götter: Janus, Jupiter, Mars, Quirinus, Vesta, die sich darin bestätigt, daß die drei flamines maiores immer in derselben Folge Flamen Dialis, Martialis, Quirinalis genannt werden und Janus und Vesta immer den Anfang und das Ende bilden, vgl. auch Serv. V. A. VIII, 663 Salii – sunt in tutela Iovis, Martis, Quirini und Polyb. III, 25, wo die Fetialen die Verträge beschwören beim Iup. Lapis, Mars und Quirinus. So lange es Könige gab, werden diese den Cult des Janus und der Vesta besorgt haben, letzteren freilich auch mit Hülfe der Vestalinnen. Hernach verglichen sich der Rex Sacrorum und der Pontif. Max. in der Weise wie Festus es andeutet. Vgl. Gellius X, 15, 21, Serv. Aen. II, 2 und die verschiedenen Erklärungen von Ambrosch, Mercklin und Marquardt bei Diesem Handb. d. R. A. 4, 187.. Später änderte sich dieses System wesentlich dadurch, daß Jupiter als Schutzgott des Capitols und des Staates die beiden Göttinnen Juno und Minerva zu seinen unzertrennlichen Gefährtinnen bekam, wenn diese nicht, wie früher Juno allein, bei dem Jupiter des alten Systems fortan stillschweigends mit einbegriffen wurden. Jedenfalls blieben diese drei Götter Jupiter, Juno, Minerva fortan die angesehensten des römischen Staates, welche bei jedem feierlichen Gebete gleich nach dem Janus in derselben Folge genannt wurden; auch waren sie nach Varro die ältestenTertull. ad Nat. 11,12. Varro antiquissimos deos Iovem, Iunonem et Minervam refert. Vgl. Varro l. l. V. 158., da namentlich die Sabiner des Quirinals schon vor der Gründung des Capitols dieselbe Göttergruppe gekannt haben sollen. Es ist eine Art von höchstem Ausschuß der himmlischen Götterwelt in Form einer Trias, die höchste Macht, die höchste Weiblichkeit, die höchste Weisheit, wie bei Homer gleichfalls Zeus, Apoll und Athene als die drei höchsten Götter angerufen werden und in der deutschen und nordischen Mythologie ebenfalls verschiedene Spuren von drei obersten Göttern nachgewiesen sindJ. Grimm D. M. 98. 102. Es verdient Beachtung und ist ein Beweis von der hohen Achtung, dessen das weibliche Geschlecht im alten Italien genoß, daß von den drei Capitolinischen Gottheiten zwei weiblichen Geschlechts sind.. Neben der Capitolinischen Trias blieb immer Mars der eigentliche Nationalgott der Römer, während Quirinus später mit dem verklärten Romulus identificirt und dadurch zu einem Halbgott herabgesetzt wurde. 59 Außerdem wurden je nach der besondern Veranlassung und dem besondern Culte die andern Götter in längeren oder kürzeren Reihen angerufen, wie davon die Urkunden der Arvalischen Brüder und andre sacrale Urkunden allerlei Beispiele an die Hand geben. Auch die Redner und andre öffentliche Verhandlungen pflegten wohl mit einer feierlichen Anrufung der höchsten Götter des römischen Staates zu schließen, daher noch Velleius Paterculus seine Geschichte mit einer ähnlichen Anrufung abschließt. Selbst Varro in seinem Abschnitte über die dii selecti, obgleich er mit denselben sonst ziemlich willkürlich umgeht, nannte zuerst den Janus und Jupiter und zuletzt die Vesta.

Die Spuren eines sabinischen Systems von zwölf Göttern hat man bei Varro l. l. V, 74 finden wollen, wo nach alten Jahrbüchern der Stadt von Altären die Rede ist, die der König T. Tatius zu Rom geweiht und mit Inschriften in sabinischer Sprache versehen habe: nam, ut Annalis dicunt, vovit Opi, Florae, Vediovi Saturnoque, Soli, Lunae, Volcano et Summano itemque Larundae, Termino, Quirino, Vortumno, Laribus, Dianae LucinaequeVgl. O. Müller Etrusker 2, 64 und Fest. p. XLIV.. Indessen fehlen hier nicht allein die drei wichtigsten Götter des Capitolium vetus d. h. Jupiter, Juno, Minerva (Varro l. l. V, 158), sondern auch noch andre Götter, die wir für altsabinisch halten dürfen; auch scheint die Folge, in welcher jene Götter aufgezählt werden, keineswegs die des gottesdienstlichen Gebrauchs zu sein: so daß man allenfalls zwölf Altäre an jener Stelle annehmen, aber doch etwas Näheres für das Göttersystem der Sabiner daraus nicht folgern kann. Wohl aber scheint mit so vielen andern Elementen der griechischen Bildung und des griechischen Glaubens auch das griechische Zwölfgöttersystem sich der italischen Bevölkerung ziemlich früh mitgetheilt zu haben, jenes System von sechs männlichen und sechs weiblichen Göttern, welches für alle Griechen, sowohl die des Mutterlandes als die der Colonieen, eine nationale Geltung bekommen hatte und deshalb durch Altäre und Bilder besonders an solchen Stellen vergegenwärtigt wurde, wo viel nationaler Verkehr war, z. B. auf dem Markte von Athen, in dem Haine des Zeus zu Olympia, auf einem alten Vereins- und Verkehrspunkte in Thessalien, und auf einem Berge über der Einfahrt in das schwarze Meer, wo jährlich so viele griechische Schiffer aus und einfuhren. Im mittleren Italien dürfen wir es zeitig bei den Etruskern voraussetzen, im südlichen bei den Samnitern und den von ihnen ausgegangenen Mamertinern, 60 welche nach Festus p. 158 diesen Namen angenommen hatten, weil sie unter den Namen der zwölf Götter, von denen der griechische Apoll sie zur Auswanderung aus Samnium bewog, den des Mars, der in ihrem Dialekte Mamers hieß, durch das Loos gezogen hatten. In Rom hören wir von demselben Systeme zuerst zu Anfang des zweiten punischen Krieges, wo bei der Annäherung des Hannibal unter andern religiösen Gebräuchen auch drei Tage lang ein Lectisternium von sechs Kissen veranstaltet wurde, bei welchem die Decemvirn der sibyllinischen Bücher den Dienst hatten. Das erste Kissen galt dem Jupiter und der Juno, das zweite dem Neptun und der Minerva, das dritte dem Mars und der Venus, das vierte dem Apoll und der Diana, das fünfte dem Vulcan und der Vesta, das sechste dem Mercur und der Ceres (Liv. XXII, 10): wo schon wegen jener Decemvirn nur an griechische Götter gedacht werden kann, wie denn auch die Auswahl und Paarung derselben entschieden die des griechischen Systems ist. Bald darauf gefiel sich Ennius in seinen Annalen darin, die Namen derselben zwölf Götter in zwei Hexameter zu bringen, wodurch die rechte Folge derselben freilich sehr gestört wurdeIuno, Vesta, Minerva, Ceres, Diana, Venus, Mars, Mercurius, Iovis, Neptunus, Vulcanus, Apollo., und aus Varro d. r. r. I, 1, 4 erfahren wir, daß dieselben Zwölf als Consentes d. h. als hoher Rath der Götter am Forum in vergoldeten Bildern aufgestellt waren, sechs männliche und sechs weibliche, auch dieses also nach griechischer Sitte und höchst wahrscheinlich nach dem Vorbilde einer bestimmten Stadt im südlichen ItalienVarro nennt sie ausdrücklich städtische Götter, deos urbanos, und setzt ihnen deshalb zwölf ländliche Gottheiten entgegen, lauter alte italische und fortwährend auf dem Lande verehrte etc., auch diese nach Paaren geordnet: Iupiter Tellus, Sol Luna, Ceres Liber, Robigus Flora, Minerva Venus, Lympha Bonus Eventus.. Und zwar standen diese Bilder, wie der Fund eines Restaurationstitels vom J. 367 n. Chr. an derselben Stelle gelehrt hat, in einer eignen Halle beim Aufgange vom Forum auf das CapitolHenzen z. Or. n. 5083, vgl. Becker Handb. d. R. A. 1, 318., wo sie ursprünglich gleichfalls, wie auf dem Markte zu Athen und in andern griechischen Städten, als die höchsten, allem Geschäft der Menschen präsidirenden Götter gedacht sein mögen. Der Name Consentes, welcher jedenfalls älteren Ursprungs ist und ursprünglich wohl nur die Zusammenseienden, also eine Göttersitzung bedeutete, wird von diesem höchsten Götterrathe auch sonst gebraucht, namentlich in 61 verschiedenen Inschriften aus verschiedenen Theilen des römischen ReichsOrelli n. 2119 aus einer Stadt in Pannonien: I. O. M. ceter[isque] Dis Cons[en]tibus M. Opellius cet. n. 2120 aus Spoletum: Consentio Deorum Manana Sozomene etc. n. 2121 aus Alba Julia in Siebenbürgen: I. O. M. et Consessui Deorum Dearumque pro salute imperii Romani et virtute leg. XIII cet. Vgl. Arnob. III, 40 und Augustin C. D. IV, 23 inter Consentes, quos dicunt in consilium Iovis adhiberi. Die Griechen pflegten einen solchen consessus deorum eine ἀγορὰ ϑεῶν zu nennen.. Das Wesen der Sache drückt Ovid. Met. VI, 72 aus: Bis sex coelestes medio Iove sedibus altis Augusta gravitate sedent. Die ganze Vorstellung scheint den an einen starken Abstand des Senats von dem übrigen Volke gewöhnten Römern sehr gefallen zu haben, daher bei späteren Schriftstellern auch von diis maiorum gentium und im Gegensatze dazu von einer Plebs der Götter nicht selten die Rede istCic. Tusc. I, 13, Ovid lbis 81, Augustin C. D. VII, 2 inter illam quasi plebeiam numinum multitudinem minutis opusculis deputatam. Ib. 3 cum igitur in his minutis operibus – etiam ipsos selectos videamus tanquam Senatum cum plebe pariter operari. Numina minora der Ovantes im Gegensatz des Iupiter O. M. b. Serv. A. III, 189. Auch bei Plautus Cas. II, 5, 24 sind die dii minuti keine Zwerge, wofür J. Grimm D. M. 409 sie nimmt, sondern dii minores.. In diesem Sinne gefiel sich Augustus darin, mit seinen engeren Freunden gelegentlich ein »Zwölf-Götter-Mahl« einzunehmen, bei welchem er selbst als Apollo auftratSueton 70. Tiberius erbaute bei seinem Aufenthalte auf Capri zwölf Villen, welche vermuthlich nach den zwölf Göttern benannt waren, s. Tacit. Ann. IV, 67, Sueton Tib. 65.. Auch die beiden wichtigsten Denkmäler des Zwölfgöttersystems, die Ara Gabina und die Ara Borghese sind römischen Ursprungs.

Ein noch weiter ausgebildetes System der Götter fand sich bei den Etruskern. Wir erfahren davon durch Seneca Natur. Quaest. II, 41 in einem Excerpte aus dem etruskischen Schriftsteller Aulus Caecina, einem Freunde Cicero's, welcher den Römern die Fulguraldisciplin seiner Heimath in einem lateinischen Werke zugänglich gemacht hatte, vgl. Fest. p. 129 v. Manubiae, wo dieselbe Quelle zu Grunde liegt. Es wurde darin zwischen solchen Blitzen unterschieden, die Jupiter auf eigne Hand schleuderte, aber nur zur Mahnung und in friedlicher Absicht, 2) solchen welche schon viel gewaltsamer wirkten und von Jupiter in Uebereinstimmung mit dem Rathe der zwölf Götter geworfen wurden, endlich 3) solchen Blitzen, welche zünden und zerstören und nach etruskischem Glauben von Jupiter in Uebereinstimmung mit dem Rathe der sogenannten dii superiores s. involuti geworfen wurden, also höherer und verhüllter Götter einer 62 geheimen Weltordnung, welche der menschlichen Beobachtung nicht zugänglich ist. Man wußte weder die Zahl noch die Namen dieser Götter, wohl aber daß sie den allerintimsten Rath des Jupiter bildeten und in den innersten Räumen des Himmels wohnten, dahingegen man von den zwölf Göttern glaubte, daß sie einer niederen Ordnung angehörten und der bestehenden Natur und dem menschlichen Geschlechte näher ständen: daher man diese auch für entstanden und für vergänglich hielt und deshalb Consentes und Complices nannte; wenigstens scheint Caecina mit diesen lateinischen Benennungen entsprechende etruskische übersetzt zu habenVgl. das confuse Excerpt aus Varro b. Arnob. III, 40 und O. Müller Etrusker I, 81.. Höchst wahrscheinlich waren diese identisch mit den zwölf Göttern der Griechen; über denselben aber standen nach diesem Systeme also gewisse verborgene Mächte des Schicksals oder einer höheren Weltordnung, welche sich nur selten und dann immer in gewaltsamen Katastrophen offenbarte. Wie dieselben sonst zu denken und wie das Verhältniß des Jupiter zu ihnen gedacht wurde, ist bei so mangelhaften Nachrichten nicht klar; gewiß aber ist es, daß Jupiter auch bei den Etruskern für den höchsten Gott und den wahren König und Regierer der Welt gegolten hat.

Endlich mag hier noch von solchen Eintheilungen der Götter die Rede sein, wie wir sie hin und wieder bei den römischen Schriftstellern finden, namentlich bei denjenigen, welche aus Varros großem Werke über die Religions-Alterthümer geschöpft haben. Varro hatte erst in den drei letzten Büchern dieses Werks von den Göttern gehandelt und zwar in dieser Folge: 1) de diis certis, 2) de diis incertis, 3) de diis selectis. Es ist nicht leicht zu sagen, wie namentlich die dii certi und incerti unterschieden gewesenMerkel Ovid Fast. p. CLXXXV sqq. scheint mir nicht immer das Richtige zu treffen, am wenigsten in der Art wie er die einzelnen Götter über diese Bücher vertheilt., doch ist das Wahrscheinlichste dieses, vgl. namentlich Serv. V. A. II, 141; V, 45; VIII, 275; XII, 139. Die dii certi gelten ihm für ab initio certi et sempiterni, daher er sie auch dii perpetui und dii proprii nannte, also für eigentliche und ausgemachte Götter, die dazu nicht erst durch Consecration geworden, sondern von jeher Götter gewesen waren. Als Kriterion dienten ihm dabei ohne Zweifel die sacralen und priesterlichen Urkunden, namentlich die Indigitamenta und 63 alten öffentlichen Gebetsformeln, wohin Serv. Aen. II, 141 deutet: Pontifices dicunt singulis actibus proprios deos praeesse: hos Varro certos deos appellatDer gewöhnliche Text hat certe deos, doch liest die Ausgabe von Burmann, Marini Atti Arv. p. 381 und Merkel Ovid Fast. p. CLXXXV certos deos. Vgl. Intp. Mai. Virg. Aen. X, 76 p. 103 Keil. Varro rerum divinarum XIIII de diis certis, in welchem Buche namentlich die Götter der Indigitamenta vorkamen. Vermuthlich hatte auch Gellius N. A. XIII, 23 und V, 12 diesen Abschnitt des Varro vor Augen.. Und so war es auch dem Principe seines Werkes gemäß, eben nur oder doch hauptsächlich den positiven Götterglauben erläutern zu wollen, d. h. also über die Natur und Bedeutung der einzelnen Götter nicht nach seinem eignen Meinen, sondern nach Maßgabe der bestehenden sacralen Ordnungen zu referiren. Dii incerti müssen also dem entsprechend solche Götter gewesen sein, welche nicht von Anfang an, sondern erst zu einer gewissen Zeit d. h. durch Consecration zu Göttern geworden waren, also im engeren Sinne des Worts nicht für Götter gehalten werden konntenDaher zur Einleitung die bei Augustin C. D. VII, 17 erhaltenen Worte. Varro, sagt Augustin, komme bei allen seinen Erklärungen nicht über Schwanken und Zweifeln hinaus. Nam et trium extremorum primum cum de diis certis absolvisset librum, in altero de diis incertis dicere ingressus ait: »Cum in hoc libello dubias de diis opiniones posuero, reprehendi non debeo. Qui enim putabit iudicari oportere et posse, cum audierit faciet ipse. Ego citius perduci possem ut in primo libro quae dixi in dubitationem revocem, quam in hoc quae perscribam omnia ad aliquam dirigam summam.« Ita, setzt Augustin hinzu, non solum de diis incertis, sed etiam illum de certis fecit incertum. Es scheinen aber in diesem Buche besonders viele Fabeln zur Sprache gekommen zu sein, die vom Liber Pater, vom Hercules, vom Aesculapius u. s. w., vgl. Serv. Aen. VIII, 275 Varro dicit deos alios esse qui ab initio certi et sempiterni sunt, alios qui immortales ex hominibus facti sunt, also Castor und Pollux, Liber, Hercules u. A. Auch glaube ich daß nicht allein solche Götter, die man nach der tief eingefressenen euhemeristischen Anschauung der Zeit, welcher auch Varro ganz ergeben war, für consecrirte Menschen hielt, in diesem Abschnitte behandelt wurden, sondern auch die Personificationen der Tugenden und Fehler, vgl. Cic, de Leg. II, 8, 19. Endlich die dii selecti waren solche, welche im öffentlichen Cultus der Tempel und Bilder am meisten hervortraten, vgl. das Excerpt aus dem Vorworte zu diesem letzten Buche bei Augustin C. D. VII, 17. In tertio porro isto de diis selectis posteaquam praelocutus est quod ex naturali theologia praeloquendum putavit. – De diis, inquit, Populi Romani publicis, 64 quibus aedes dedicaverunt eosque pluribus signis ornatos notaverunt in hoc libro scribam, sed, ut Xenophanes Colophonius scribit, quid putem, non quid contendarn ponam. Nehmlich in diesem Buche ganz vornehmlich hatte er sich auf allegorische Erklärungen eingelassen. Es kamen also erst jetzt die eigentlichen Haupt- und Cultusgötter des römischen Staates zur Sprache, nicht blos die Consentes, sondern alle welche im öffentlichen Gottesdienste der Zeit am meisten galten, obschon sie unter andern Gesichtspunkten hin und wieder schon im ersten und im zweiten Buche de diis certis und incertis besprochen worden warenAugustin C. D. VII, 2. Janus, Jupiter, Saturnus kamen auch in den Reihen der Indigitamenta vor, Liber Pater als mythologischer Gott vermuthlich auch im zweiten Buche, u. s. w.. Es waren zwölf männliche und acht weibliche Gottheiten, die zwölf männlichen: Ianus, Iupiter, Saturnus, Genius, Mercurius, Apollo, Mars, Vulcanus, Neptunus, Sol, Orcus, Liber Pater, die acht weiblichen: Tellus, Ceres, Iuno, Luna, Diana, Minerva, Venus, Vesta. Man darf behaupten, daß bei der ganzen Eintheilung in gewisser Weise die beliebte Unterscheidung einer dreifachen Theologie (S. 31) zu Grunde liegt. Die dii certi entsprechen dem genus civile, denn beide, sowohl die Sicherheit jener Götter als der bürgerliche Character dieser Ueberzeugung, beruhen auf derselben Autorität der sacralen Rechtsquellen. Die dii incerti entsprechen dem genus mythicon, da die Geschichte, wie diese Götter aus Menschen zu Göttern geworden waren, wesentlich Mythologie ist. Endlich die selecti dem genus physicon, wenigstens hatte Varro sich vornehmlich in diesem Buche auf ausführliche Erklärungen der einzelnen Götter eingelassen, immer nach den allegorischen Principien der stoischen Philosophie und des damit verbundnen Pantheismus.

Man hat, glaube ich, nicht bemerkt, daß diese Eintheilung Varros, namentlich was die beiden ersten Glieder betrifft, sich mit einigen Aenderungen bei Cicero de Leg. II, 8, 19 wiederholt. Es werden dort nehmlich unterschieden: 1) die Götter, qui caelestes semper habiti, diese entsprechen den diis certis bei Varro. 2) Die Götter, quos endo caelo merita locaverunt, Herculem, Liberum, Aesculapium, Castorem, Pollucem, Quirinum, welche den diis incertis des Varro entsprechen würden. 3) Die consecrirten Virtutes oder wie er sich ausdrückt illa propter quae datur homini adscensus in caelum, d. h. die Mens, Virtus, Pietas, Fides etc., welche Varro wahrscheinlich in 65 seinem zweiten Abschnitte mitbehandelt hatte. Und in der That ist zu vermuthen, daß Cicero bei dieser Eintheilung dem Varro folgte, da er von dessen Verdiensten um die richtige Erkenntniß und Beurtheilung des römischen Alterthums, auch des alten Glaubens, im Eingange der Academica posteriora mit so großer Emphase spricht. Wie weit übrigens auch Cicero im Euhemerismus ging, beweist die gelegentliche Aeußerung, daß selbst die oberen Götter doch eigentlich nur Menschen gewesen seienTuscul. I, 13 Si scrutari vetera et ex his ea quae scriptores Graeciae prodiderunt eruere coner, ipsi illi maiorum gentium dii qui habentur hinc a nobis profecti in coelum reperientur. Er meint Geschichten wie von der Geburt und dem Tode des Jupiter, der Flucht des Saturn nach Italien u. s. w., wie Ennius sie den Römern aus dem Euhemerus zusammengetragen. Vgl. auch die gelegentliche Mittheilung bei Cic. N. D. III, 19, 49 Nostri quidem publicani, quum essent agri in Boeotia deorum immortalium excepti lege censoria, negabant immortales esse ullos qui aliquando homines fuissent. Es handelte sich um die Grundstücke des Trophonius bei Oropos..

Es würde zu weit führen, wenn ich hier auch auf die Versuche der späteren Schriftsteller eingehn wollte, in dem Wirrwarr altitalischer Cultusgebräuche und griechischer Fabeln, in welche der öffentliche Gottesdienst zuletzt verfiel, durch allegorische Deutung oder durch schroffen Widerspruch einen Ausweg in den reineren Monotheismus zu finden, den die ganze Zeit so dringend empfahl. Sowohl die griechische Philosophie drängte dahin als die Uebersättigung am Polytheismus, endlich auch der vom Judenthum und Christenthum in immer weitere Kreise ausgestreute Glaube an den einen Gott, der zugleich Schöpfer und Erhalter aller Dinge ist. Lange hatte man sich in Italien mit dem Pythagoreismus beholfen, dessen Schule bei den südlichen Griechen, namentlich in Tarent niemals ganz ausgestorben war. Dann flüchteten sich die keckeren Geister zum Epicur, die skeptischen zur Akademie, die positiven zur Stoa, mit deren Lehrsätzen namentlich Varro den Göttern einen neuen Schein von Leben und Wahrheit bei den Gebildeten zu gewinnen suchte; obwohl es sehr bemerkenswerth ist, daß er sich bei seinen Mahnungen zu einem geistigeren Gottesdienste nicht blos auf die eigne Vorzeit Roms, sondern auch schon auf den Gott der Juden berief (Augustin C. D. IV, 31). Aus etwas späterer Zeit sind die Aeußerungen Senecas beachtenswerth, aus dessen Schrift contra superstitiones Augustin C. D. VI, 10 einen bedeutenden Auszug erhalten hat. Kein Kirchenvater hätte schonungsloser über den öffentlichen 66 Gottesdienst urtheilen können als dieser im Leben eben so gefügige als in seinen Schriften ungestüme Mann. Endlich eifert Plinius d. Ä. als vollendeter Pantheist gleich heftig gegen alle Vielgötterei, sowohl die der griechischen Mythologie, als gegen den einheimischen Pandämonismus, wo jede Wirkung und Lebenserscheinung als die Thätigkeit eines eignen Geistes oder Gottes aufgefaßt wurde. Auch er will nur von der einen Weltseele wissen, die unsichtbar sichtbar und überall fühlend, hörend, beseelend gegenwärtig sei. Es sei nur Schwäche und Endlichkeit der Menschen, wenn sie diese eine Seele nach ihren verschiedenen Wirkungen und Erscheinungen in eben so viele Theile zerlege und als eben so viele einzelne Götter anbete, welche sich nach der Zahl der Länder, Völker, ja der einzelnen Menschen vollends ins Unendliche vervielfacht habe (H. N. II, 7).


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