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66. Kapitel.
Hurtig's Tod.

Ehe wir in unserer Erzählung fortfahren, müssen wir erklären, wie es zuging, daß Kapitän Osborn gerade in einem so entscheidenden Augenblicke auf der Inseln erschien.

Wir erinnern uns vor allen Dingen der Brigg, welche ein paar Monate früher an der Insel vorüber segelte, und alle Hoffnungen und Erwartungen der vereinsamten Bewohner täuschte, obwohl die Schiffsmannschaft ohne Zweifel die aufgezogenen Flaggen und Wimpel, so wie die übrigen Nothzeichen gesehen haben mußte.

In der That waren auch nicht nur die Signale, sondern auch der Name des gescheiterten Schiffes, »der Pacific,« an Bord der Brigg gesehen und erkannt worden; der Sturm aber, welcher sich so plötzlich erhob, trieb das Fahrzeug so schnell südwärts, daß der Kapitän desselben den Zeitverlust, der mit dem Umkehren zu der Insel nothwendig verknüpft war, gegen die Schiffseigenthümer nicht verantworten zu können glaubte, und deßhalb alle Segel beisetzte, um so schnell wie möglich seinen Bestimmungsort, den Hafen von Sidney in Neusüdwales zu erreichen. Zu dieser Eile veranlaßte ihn besonders die Ladung, welche er eingenommen hatte. Sie würde, wenn er damit nicht zu rechter Zeit auf dem Markte ankam, bedeutend an Werth verloren haben, und diesem Risico wagte er sich nicht auszusetzen.

Kehren wir jetzt zu der Mannschaft des Pacific zurück.

Als Kapitän Osborn von dem Steuermann Mackintosh und den Matrosen in das Boot getragen wurde, befand er sich bekanntlich in ziemlich hoffnungslosem Zustande. Nach und nach erholte er sich jedoch wieder, und kam in einer stürmischen Nacht, während welcher die Mannschaft nur mit Mühe das Boot flott erhalten konnte, so weit zur Besinnung, daß er von Mackintosh einen Bericht über die näheren Umstände und Vorfälle der letzten Zeit zu vernehmen und zu begreifen im Stande war. Am folgenden Tage mäßigte sich der Wind, und das Boot ward glücklicher Weise von einem Schiffe wahrgenommen, welches nach Vandiemensland bestimmt war, und die verunglückte Mannschaft an Bord nahm und rettete.

Aus dem Berichte des Steuermanns Mackintosh entnahm Kapitän Osborn, daß die ganze Familie Seagrave mit sammt dem Schiffe von den Wellen verschlungen sei, und zeigte deßhalb den Verlust des Fahrzeugs und seiner Ladung ordnungsmäßig den Schiffseigenthümern an. Mittlerweile gefiel ihm der Aufenthalt in Vandiemensland so wohl, und er ward von der Schönheit und Fruchtbarkeit der Gegend so eingenommen, daß er den Entschluß faßte, Ländereien anzukaufen und sich daselbst für immer niederzulassen. Vielleicht bestimmte ihn zu diesem Vorsatze auch eine leicht erklärbare Abneigung, sich nach den erlebten Unglücksfällen wieder den trügerischen Wellen des Oceans anzuvertrauen, und jedenfalls führte er ohne Zögern seinen Entschluß aus. Er übernahm eine bedeutende Besitzung, schaffte sich Heerden an, richtete sich einstweilen so behaglich wie möglich ein, und begab sich dann in einem Schooner nach Sidney, um hier die Ankunft mehrerer aus England verschriebener Gegenstände zu erwarten. Noch befand er sich dort, als die schon öfters erwähnte Brigg in den Hafen einlief. Die Mannschaft derselben erzählte sogleich von dem Dasein weißer Menschen auf einer kleinen Insel, und von einer Flagge mit dem darauf gemalten Namen »Pacific,« welche sie daselbst gesehen haben wollte.

Kapitän Osborn hörte hiervon, begab sich sofort zum Kapitän der Brigg, und ließ sich von diesem die näheren Umstände auseinander setzen. Er überzeugte sich, daß die Insel nicht fern von dem Orte liegen konnte, wo der Pacific verlassen worden war, und vermuthete nun, und nicht mit Unrecht, wie wir wissen, daß wie durch ein Wunder Herr Seagrave mit seiner Familie sich gerettet haben müsse. Ohne Zögern ging er zum Gouverneur von Neusüdwales, theilte ihm einen ausführlichen Bericht über die Sache mit, und erhielt den Bescheid, daß augenblicklich der bewaffnete Schooner des Gouvernements zu seiner Verfügung gestellt werden solle, wenn er vielleicht beabsichtige, seine früheren Passagiere und Schiffsgefährten in eigener Person aufzusuchen. Dieß zu thun, hielt Kapitän Osborn für seine Pflicht, und segelte, obgleich ihm gerade jetzt eine Abwesenheit von mehreren Wochen sehr ungelegen kam, schon zwei Tage später mit dem Schooner auf das Eiland los. Er kam daselbst an, als gerade die Flotte der Wilden ihre Landung bewerkstelligte; an dem nämlichen Morgen also, als Hurtig und William vom Kokoswalde aus die Indianer beobachteten. Hätte damals Hurtig aus die Bemerkung Williams, daß nahe bei der Gartenspitze noch ein anderes Schiff sichtbar wäre, mehr geachtet und sein Teleskop gebraucht, so würden sie sogleich erfahren haben, daß ein Schooner zur Hilfe herankäme, nicht aber jenes Schiff ein Kanoe sei, das sich zufällig in der Nacht von der übrigen Flotte getrennt hätte.

Der Schooner steuerte indeß auf die Klippen zu, hielt dann aber wieder davon ab, und schickte ein Boot ab, um nach einem guten Ankergrunde zu forschen. Die Mannschaft des Bootes entdeckte bei diesem Geschäfte die Kanoe's und die Wilden, und vernahm auch den Knall der Gewehre, welche während des ersten Angriffes von den Belagerten abgefeuert wurden. Nach der Rückkehr an Bord des Schooners statteten sie von diesen Umständen Bericht ab, und meldeten, daß vermuthlich die weißen Bewohner des Eilandes von den Wilden angegriffen wären; da jedoch das Boot erst bei beginnender Dämmerung wieder am Schiffe beigelegt hatte, so war für heute keine Zeit übrig, den Zweifel aufzuhellen und der Angelegenheit auf den Grund zu kommen. In der Stille der Nacht aber vernahm Kapitän Osborn selbst das Knattern der Flintenschüsse, und fühlte sogleich sein Herz von drückender Besorgniß erfüllt. Er bat den Befehlshaber des Schooners, auf jede Gefahr hin zu landen. Dieser jedoch, da seine ganze Mannschaft nur aus fünf und zwanzig Matrosen bestand, erklärte einen offenen Angriff auf die Ueberzahl der Wilden für ein tollkühnes Unternehmen. Doch gab er das Versprechen, vorläufig den Schooner möglichst schnell in eine solche Lage zu bringen, daß beim Ausschiffen die Mannschaft unter dem Schutze der Kanonen fechten könne, und dann auch zu erlauben, daß sie sich an das Ufer der Insel begeben dürfe.

Auf den Bericht der Bootsmannschaft, daß sich nahe bei der Gartenspitze tiefes Wasser und guter Ankergrund fände, wurden die nöthigen Vorbereitungen getroffen, am folgenden Morgen mit Tagesanbruch dahin abzusegeln. Leider trat jedoch eine völlige Windstille ein, und man konnte erst, als die Indianer bereits zu ihrem letzten Angriffe vorrückten, an dem bestimmten Platze einlaufen. Jetzt aber ward auch ohne Säumen das Feuer mit den Kanonaden eröffnet, die Wilden flohen nach allen Richtungen, das Boot wurde bemannt, Kapitän Osborn stellte sich an die Spitze der Matrosen, landete, und kam unseren Freunden, wie wir wissen, gerade im rechten Augenblicke zu Hilfe.

Die Freude Herrn Seagrave's und aller Andern über das Wiedersehen ihres alten Freundes, des Kapitän Osborn, war unbeschreiblich. Alle Gefahr war vorüber, und die gelandete Mannschaft entfernte auch die letzte Spur davon, indem sie die ganze Umgegend rings umher durchstreifte. Die Indianer waren jedoch, bis auf einige Todte und Sterbende, sammt und sonders in ihren Kanoe's entflohen.

Kapitän Osborn erzählte Herrn Seagrave in wenigen Worten seine Geschichte, und erfuhr dagegen von diesem den Zustand des armen alten Hurtig. Sogleich verlangte er zu ihm geführt zu werden, und war beinahe außer sich vor Betrübniß, als er ihn sah, und seine hoffnungslose Lage bemerkte. Hurtig erkannte ihn augenblicklich, aber nur an dem Tone seiner Stimme, denn des guten alten Mannes Augen waren schon fast gänzlich erloschen, so daß er beinahe nichts mehr zu sehen vermogte.

»Das ist Kapitän Osborn, ich weiß es,« sagte er mit matter Stimme. »Sie sind spät gekommen, Kapitän, aber noch immer zu rechter Zeit. Ich wußte wohl, daß Sie noch eintreffen würden, und habe es auch immer behauptet. Empfangen Sie den herzlichen Dank eines sterbenden Mannes dafür.«

»Nun, nun, Hurtig, sterbend dürft Ihr nicht sagen, alter Freund,« erwiederte Kapitän Osborn liebevoll. »Noch ist's nicht so weit, hoffe ich, und wir haben einen Wundarzt an Bord, der Euch wohl helfen wird. Ich will sogleich nach ihm schicken.«

»O nicht doch!« versetzte Hurtig mit schwachem Lächeln. »Mir kann kein Arzt mehr helfen, Kapitän! Ehe eine Stunde vergeht, werden meine Augen für immer geschlossen sein, denn meine Zeit ist gekommen. Aber für die Rettung Herrn Seagrave's und seiner Familie sei dem lieben Gott Lob und Dank gebracht aus dem Innersten meiner Seele!«

Der alte gute Mann faltete seine Hände über der Brust, und bewegte seine Lippen, wie in stillem inbrünstigem Gebet.

»Verlassen wir ihn jetzt,« sagte der Kapitän leise zu den Uebrigen, »damit wir sein stummes Gespräch mit dem Ewigen nicht unterbrechen und stören. Kommt, Kinder! Ich will gleich nach dem Wundarzte schicken, obgleich ich leider nur zu wohl fühle, daß es nutzlos sein wird. Die Hand des Todes schwebt schon über seinem Haupte!«

Herr und Madame Seagrave, tief ergriffen von der traurigen Scene, entfernten sich mit Kapitän Osborn. William aber blieb an Hurtig's Seite zurück, um ihm Wasser oder sonstige Bedürfnisse zu reichen, wenn er etwa danach verlangen mögte. Wenige Augenblicke nachher schlug Hurtig die Augen auf.

»Bist du hier, William?« fragte er. »Ich kann dich nicht sehen!«

William drückte zärtlich seine Hand.

»Höre mir zu, mein lieber Junge, ich habe dir Einiges zu sagen,« fuhr er mit, schwacher Stimme fort. »Wenn ich todt bin, so begrabt mich unter den Palmen, auf dem kleinen Hügel neben der Quelle. Dort mögte ich liegen und schlummern. Der Wind rauscht da so lieblich durch die Blätter und Zweige der Bäume, und die Quelle rieselt und murmelt leise dazwischen, so daß es sich dort gewiß recht ruhig und anmuthig schlafen lassen wird. – Der arme, kleine Tommy! hörst du, William, laß ihn niemals wissen, daß er die Ursache zu meinem Tode gab. Niemals, sage ich! Es mögte ihn später einmal gar zu tief kränken, und vielleicht für immer sein heiteres Gemüth verbittern. Rufe ihn her, und auch Juno und Karoline, damit ich ihnen Allen mein letztes Lebewohl sagen kann.«

William eilte unter strömenden Thränen in das Haus, und theilte seinen Eltern und Geschwistern Hurtig's Wunsch mit. Sofort begaben sich Alle hinaus, um den letzten, bitteren Abschied von dem treuen Freunde zu nehmen. Hurtig rief Einen nach dem Andern bei seinem Namen. Sie knieten neben ihm nieder, küßten seine bleiche Stirn, seinen bebenden Mund, und benetzten seine Hände mit den heißesten Thränen des Schmerzes. Mit schwacher Stimme, die nach und nach zu einem leisen, kaum hörbaren Flüstern dahin schwand, sagte er jedem Einzelnen Lebewohl. Dann standen sie auf und stellten sich schweigend und weinend um ihn herum. William allein blieb neben ihm auf den Knieen liegen, hielt seine Hand fest umschlungen, und beugte sich im bittersten Jammer über ihn hin.

Das Haupt des alten guten Mannes sank endlich zurück, sein Auge brach, seine Lippen zuckten und er athmete immer leiser.

»Gott segne dich, mein lieber Junge! Gott segne dich!« flüsterte er, und sein Herz stand still. Gott, den er anrief mit seinem letzten Hauche, hatte seine unsterbliche Seele zu sich genommen. Er war nicht mehr.

»Alles ist vorüber!« sagte Madame Seagrave voll tiefer, unendlicher Traurigkeit. »Er ist hinübergegangen in die Gefilde der Seligen, um den Lohn seines tugendhaften und gerechten Lebens zu empfangen. Selig sind, die in dem Herrn sterben!«

Herr Seagrave führte seine Gattin und die schluchzenden Kinder hinweg von der Stätte der Trauer, und ließ nur William und Juno allein zurück. So wie die Uebrigen verschwunden waren, brach der bisher mühsam erhaltene Schmerz Juno's hervor, und das arme Mädchen klagte und jammerte, als ob ihr das Herz brechen sollte. William suchte vergeblich sie zu trösten.

»Oh, Massa William!« rief sie betrübt aus. »Ich immer glauben und nun wirklich überzeugt sein, er nur gekommen sein von Himmel, uns Alle zu retten. Er nur so lange leben, bis Alles geschehen sein, und er nun zurück gehen in Himmel!«

»Ja, wahrlich, das Himmelreich ist sein, Juno,« erwiederte William. »Gott möge geben, daß ich einst lebe und sterbe, so wie Er!«

Der tief erschütterte Knabe drückte dem treuen Freunde die Augen zu, Juno holte die große Schiffsflagge, und breitete sie über seinen entseelten Körper aus, und dann begaben sich Beide still und traurig zu den Uebrigen in's Haus. –

Während William bei Hurtig verweilt hatte, war der Kommandeur des Schooners auf der Insel eingetroffen, und berieth mit Herrn Seagrave und Kapitän Osborn die nothwendigen Vorkehrungen wegen der Einschiffung. Man beschloß, am nächsten Tage das Gepäck in den Schooner zu schaffen, und sich den Tag darauf zur Abfahrt an Bord zu begeben.

Jetzt aber erwähnte William die Wünsche des armen, alten Hurtig in Betreff seines Begräbnisses, und in Folge dessen befahl der Kommandeur sogleich seinen Leuten, einen Sarg zurecht zu machen, und an dem Orte, welchen William ihnen bezeichnen werde, ein Grab zu bereiten.

Hierauf wurde bestimmt, daß Juno am nächsten Morgen bei Tagesanbruch mit einigen Begleitern nach der Südseite fahren und alle werthvollen Sachen von dort herüber holen solle. Viele Geräthschaften und alle Thiere, mit Ausnahme der Hunde, wollte man auf der Insel zurücklassen, damit sie vielleicht einst anderen schiffbrüchigen, hilflosen Menschen zur Erleichterung ihrer traurigen Lage zu dienen vermogten.

Am nächsten Morgen waren die Boote vom Schooner schon früh am Ufer, und das Gepäck, welches aus dem angeführten Grunde nicht sehr bedeutend war, wurde an Bord geschafft. Die Haus- und Küchengeräthe, das Handwerkszeug, die Eisenwaaren, die Nägel, das eingesalzene Fleisch, das Mehl und noch manches Andere wurde in das Haus gebracht, und daselbst verschlossen, damit weder durch die Thiere, noch auch durch Wind und Wetter alle die schönen Sachen verdorben werden mögten.

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