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65. Kapitel.
Neuer Angriff der Wilden.

Zwei Mal noch mußte Herr Seagrave Wasser holen, um die Dürstenden im Hause zu erquicken. Dann aber begab er sich zu William, der eben Hurtig's Kleider geöffnet hatte, um sich genauer von der Größe und Beschaffenheit der Spießwunde zu überzeugen.

»Wir würden besser thun, lieber Vater, wenn wir ihn dort drüben hin auf die andern Kokosbaumzweige trügen,« sagte William. »Er würde dort ruhiger und bequemer liegen als hier.«

Ehe Herr Seagrave antworten konnte, flüsterte Hurtig leise: »mehr Wasser!«

William reichte ihm etwas hin und trug ihn dann mit Hülfe seines Vaters auf einen behaglicheren Platz. Kaum lag er aber da, so wendete er sich mühsam auf die Seite, und warf eine ganze Menge Blut aus.

»Jetzt ist mir besser!« sagte er dann mit schwacher Stimme. »Verbinde die Wunde, William; ein alter Mann, wie ich, hat nicht viel Blut zu verlieren.«

William riß sich sofort das eigene Hemd vom Leibe, theilte es in verschiedene Streifen, und verband die Wunde, so gut er konnte. Sie war tief und breit, und es schien sogar, als ob der Spieß des Wilden bis in die Lungen eingedrungen wäre.

Hurtig, der durch die Veränderung seines Lagerplatzes ganz erschöpft zu sein schien, erholte sich jetzt nach und nach wieder so weit, daß er mit Madame Seagrave, die so eben aus dem Hause kam, ein kurzes Gespräch zu führen im Stande war.

»Wo ist er?« rief die entzückte und erquickte Frau. »Wo ist er? Wo ist der brave, gute, tapfere Mann, der jeder Gefahr trotzte, um mich, meine Kinder, uns Alle von der Qual des Dürstens zu befreien? Wo ist er, daß ich ihn segnen, ihm aus der Fülle meines Herzens danken kann?«

Herr Seagrave ging ihr entgegen und hielt sie sanft am Arme fest.

»Beruhige dich, und erschrick nicht,« sagte er. »Ich erzählte dir noch nicht, daß unser herrlicher Freund verwundet, und, wie ich fürchten muß, sehr schwer verwundet ist.«

Madame Seagrave erschrak und verstummte; ihr Gatte aber erzählte kurz, was und wie es sich zugetragen hatte, und führte sie dann zur Stelle, wo Hurtig matt und bleich auf den Zweigen und Blättern lag. Madame Seagrave kniete an seiner Seite nieder, ergriff seine Hand, und brach in einen unaufhaltsamen Strom der schmerzlichsten und bittersten Thränen aus.

»Weinen Sie nicht um mich, liebe Madame Seagrave,« sagte Hurtig leise und sanft. »Meine Tage waren schon früher gezählt, und nur um ein Weniges hat sie der Spieß des Indianers abgekürzt. Mich schmerzt nichts, als daß ich Ihnen nun in der Folge nicht länger helfen und nützen kann.«

»O, mein theurer, mein bester Freund,« erwiederte Madame Seagrave schluchzend, »nimmer, welches Schicksal uns auch betreffen, welches Loos uns der Allmächtige uns bestimmt haben möge, nimmer in meinem Leben werde ich vergessen, was Ihr für mich und die Meinigen gethan habt!«

Mit wahrhaft kindlicher Liebe und Ehrfurcht beugte sie sich über ihn nieder und küßte seine Stirn. Dann hob sie sich langsam, und kehrte weinend in das Haus zurück.

»William,« sagte Hurtig nach einem Weilchen mit matter Stimme; »ich kann jetzt nicht mehr sprechen. Lege mir den Kopf ein wenig höher, und laß mich dann allein. Gewiß wird mir besser werden, wenn ich eine Weile ganz still und ruhig liegen kann. Hab' Acht auf die Wilden, lieber Junge, und wenn du kannst, so komm in einer halben Stunde wieder. Herr Seagrave, bitte, verlassen Sie mich! Ich hoffe mich wohler zu fühlen, wenn ich ein wenig schlummern kann.«

Ohne Weigern erfüllten William und sein Vater Hurtig's Begehren. Sie begaben sich auf das Plankengerüst, untersuchten von dort aus vorsichtig und sorgfältig die ganze Gegend, und überließen sich dann ihren trüben Empfindungen.

»Das ist ein trauriges und schlimmes Ereigniß, William!« sagte sein Vater endlich.

William nickte wehmüthig mit dem Kopfe. »Er wollte mich nicht gehen lassen,« erwiederte er. »Ach, wenn er es nur gethan hätte, es würde vielleicht alles besser und glücklicher mit uns stehen! Glaubst du nicht, Vater, daß er schwer, ja tödtlich verwundet ist? Ich fürchte es nur zu sehr.«

»Ich glaube nicht, daß er sich wieder erholt, William. Wir werden ihn schmerzlich vermissen, wenn die Wilden uns morgen angreifen, und ich fürchte sehr, daß wir am Ende erliegen werden.«

»Das glaube ich nicht, Vater,« erwiederte William. »Wenigstens fühle ich, daß ich zweimal so viel zu leisten im Stande bin, wie früher, seit ich mich durch das Wasser wieder erfrischt habe.«

»Ich fühle mich auch viel kräftiger, mein lieber Junge! Aber bei alledem, was können zwei Menschen gegen solche übermächtige Anzahl blutgieriger Wilden anfangen?«

»Wenn die Mutter und Juno uns wieder die Gewehre laden, Vater, so leisten wir zwei mit unsern erneuten Kräften eben so viel, als wir alle drei geleistet hätten, wenn wir in dem früheren geschwächten, erschöpften und verschmachteten Zustande geblieben wären.«

»Nun, William, vielleicht hast du Recht! Jedenfalls müssen wir unser Möglichstes thun, da wir für unser eigenes und das Leben derer kämpfen, die von Allem in der Welt uns das Liebste und Theuerste sind.«

William ging jetzt leise wieder zu Hurtig hin. Er fand den alten Mann ruhig schlummernd, und begab sich daher, um ihn nicht zu stören und aufzuwecken, vorsichtig und ohne alles Geräusch zu seinem Vater zurück. Sie trugen das Wasserfäßchen in's Haus, stellten es, damit von dem kostbaren Schatze auch nicht das Mindeste vergeudet werde, unter die Obhut der Mutter, und verlangten dann ein wenig Speise zu Stillung ihres Hungers, der sich jetzt, da der brennende Durst gelöscht war, sehr lebhaft einzustellen begann. Juno schnitt sogleich ein Paar große Stücke von der Schildkröte ab, röstete sie über dem Feuer, und brachte sie herein. Alle hielten eine tüchtige Mahlzeit, und vielleicht nie in ihrem Leben hatte es ihnen so vortrefflich geschmeckt, als dieß Mal.

Der Tag dämmerte schon, als William, der mittlerweile öfters zu Hurtig gegangen war, um ihn zu beobachten, den alten Mann wachend und mit offenen Augen fand.,

»Wie geht es Euch jetzt, liebster Freund?« fragte er ihn.

»So ziemlich, mein Junge. Ich empfinde keine großen Schmerzen und fühle mich ruhig und leicht. Nur scheint es mir, als ob meine Kräfte in schnellem Sinken begriffen wären, und ich glaube, daß es nicht mehr lange mit mir dauern wird. Vergiß nur nicht, lieber William, daß ihr keine Rücksicht auf mich nehmen dürft, wenn ihr etwa gezwungen werdet, zu fliehen und aus den Pallisaden zu entweichen. Laßt mich liegen, wo ich bin. Ich kann ohnehin nicht mehr lange leben, und wolltet ihr mich mitnehmen, dann würde ich nur um so schneller sterben.«

»Ehe ich Euch verlasse, Hurtig, sterbe ich lieber mit Euch!« rief William mit tiefer Empfindung.

»Nein, nein, William das ist unrecht und thöricht gesprochen. Du mußt deine Brüder, deine Schwester erretten! Versprich mir, das zu thun, lieber Junge!«

William antwortete nicht.

»William, bedenke, welche Pflichten dir obliegen,« sagte Hurtig dringender. »Ich kenne und durchschaue deine Gefühle, aber in diesem Falle darfst und sollst du ihnen nicht folgen. Gib mir dein Versprechen, lieber Junge, wenn du mich nicht ganz elend machen Willst.«

Schweigend drückte William die Hand des alten, wackeren Freundes an seine Brust. Sein Herz war zu voll, er vermogte keinen Laut hervor zu bringen, aber sein Auge sprach um so beredter.

Hurtig nickte, zufrieden lächelnd, mit dem Kopfe. »Abgemacht, William!« sagte er. – »Mit Tagesanbruch werden sie anrücken, glaube ich,« fuhr er fort; »und ihr habt daher keine Zeit mehr zu verlieren. Klettere darum auf das Lug' in's Land hinauf, stelle dich auf die Lauer, und beobachte die Bewegungen der Wilden so lange, als es sich irgend mit deiner Sicherheit verträgt. Dann aber komme schnell wieder herunter, und theile mir mit, was du gesehen hast.«

Hurtig vermogte jetzt, nach dieser großen Anstrengung, nicht mehr zu sprechen. Er winkte dem Knaben zu, sich zu entfernen, und William kletterte ohne Verzug in die Krone der Palme hinauf. Als es völlig Tag wurde, bemerkte er, daß die Wilden schon in voller Arbeit begriffen, alle ihre Reisigbündel in der Nähe des alten Hauses zusammen getragen hatten, und mit vieler Geschäftigkeit ihre Vorrichtungen zu dem bevorstehenden Angriffe trafen. Endlich nahm ein Jeder von ihnen ein großes Bündel auf die Schulter, und der ganze Gewaltshaufe rückte gegen die Pallisaden vor. Jetzt stieg William eilig vom Baume herunter, theilte Hurtig das Geschehene mit und rief dann schnell seine Eltern herbei. Die Gewehre wurden geladen, und Alle, Madame Seagrave und Juno nicht ausgenommen, begaben sich auf ihren Posten. William und sein Vater stellten sich dicht hinter die Pallisaden, die Frauen aber sicherten sich unter dem Plankengerüste, um im Schutze desselben ohne Gefahr die abgeschossenen Musketen wieder laden zu können.

»Wir müssen feuern, William, sobald wir unseres Schusses gewiß sind,« sagte Herr Seagrave; »denn je länger wir ihr Vorrücken verhindern können, desto besser ist es für uns.«

Als die ersten Wilden sich auf etwa fünfzig Schritte genähert hatten, drückten beide los, und zwei Mann stürzten. Sie feuerten fort, so wie die Stürmenden heran kamen, und Schuß folgte auf Schuß, und Mann stürzte auf Mann. Eine Zeit lang, etwa zehn Minuten hindurch gelang es ihnen auf diese Weise, die Feinde in respektvoller Entfernung zu halten. Dann aber rückten die Wilden in größeren Massen vor, und gebrauchten zu ihrem Schutze die Vorsicht, im Vorwärtsschreiten ihre Reisigbündel vor die Brust zu halten. Durch diese Liste gelang es ihnen, die Pallisaden glücklich zu erreichen, und sie zögerten nun keinen Augenblick, ihre Bündel davor aufzuhäufen. Herr Seagrave und William feuerten zwar unaufhörlich fort, leider aber nicht mit dem günstigen Erfolge, wie bisher.

Obwohl Manche der Belagerer stürzten, wurden die Reisigbündel nach und nach doch so hoch aufgehäuft, daß sie beinahe die Schießlöcher in den Pallisaden verdeckten, und die Belagerten am sicheren Zielen hinderten. Da ferner die Bündel schräg anlaufend gegen den Zaun geordnet wurden, so war es augenscheinlich, daß die Wilden auf ihnen heraufsteigen, und die Festung mit Gewalt im Sturme erobern wollten. Nach kurzer Zeit schienen sie alle vorräthigen Bündel angebracht zu haben, zogen sich zurück, und machten erst bei den Kokosbäumen wieder Halt.

»Für den Augenblick sind sie fort, Vater,« sagte William: »aber ich fürchte, sie werden nur zu bald wieder kommen, und dann wird es mit uns aus sein.«

»Das fürchte ich selbst, mein tapferer Knabe,« erwiederte Herr Seagrave schwermüthig. »Sie haben sich nur zurückgezogen, um sich auf einen Hauptsturm vorzubereiten, und werden durch ihre Uebermacht den Eingang nun wohl erzwingen. Ich mögte beinahe wünschen, daß sie die Reisigbündel in Flammen gesteckt, und uns so, durch den Qualm und den Rauch, eine Gelegenheit zur Flucht gegeben hätten. Jetzt fürchte ich, wird sich uns dazu keine Gelegenheit darbieten.«

»Sage das nur nicht zur Mutter, bester Vater,« entgegnete William. »Laß uns kämpfen bis zum letzten Hauche, bis zum letzten Blutstropfen. Werden wir dann überwältigt, nun wohlan, so geschehe der Wille Gottes, dem wir uns ohne Klage unterwerfen müssen!«

»Aber ich mögte so gern von deiner Mutter, meiner theuern, geliebten Gattin, Abschied nehmen!« sagte Herr Seagrave wehmüthig. – »Doch nein!« fuhr er fort; »es würde eine Schwäche verrathen, die wir jetzt am Wenigsten zeigen dürfen. Schau, da kommen sie an, eine heulende, wilde, blutdürstige Rotte! Segne dich Gott, William! Segne dich Gott, mein Junge! In einer schöneren Welt, hoffe ich, sehen wir uns wieder!«

In einen dichten Schwarm zusammengedrängt stürmte der ganze Haufe der Wilden vorwärts. Ihr fürchterliches Geheul weckte schauerlich das Echo des Waldes, und erfüllte die Herzen der Frauen mit Schrecken und Entsetzen. Dennoch aber wankten sie nicht und wichen nicht von ihrem Posten.

Als die Indianer noch etwa fünfzig Schritte von den Pallisaden entfernt waren, eröffneten die Belagerten ihr Feuer, das mit einem abermaligen, durchdringenden Geheule beantwortet wurde. Unaufhaltsam drangen die Wilden vorwärts. Schon hatten sie ihre Reisigbündel erreicht, schon waren sie im Begriffe, hinauf zu stürmen, und ihr wildes Jauchzen wurde immer triumphirender und siegesfreudiger, schon klimmten die Verwegensten den Pallisaden näher und näher, – als plötzlich das Knallen und Knattern der Gewehre von einem weit stärkeren, schier donnerähnlichen Krachen und Brausen übertönt und verschlungen wurde, das beiden Parteien Verwunderung und Schrecken einjagte. Stämme und Zweige vieler Kokosbäume brachen, splitterten und stürzten dahin, die Erde wurde aufgewühlt und stäubte umher, und ganze Reihen der Indianer sanken zerschmettert zu Boden. Das Krachen wiederholte sich, und folgte betäubend mit immer neuer Gewalt unaufhörlich auf einander.

»Vater!« rief William plötzlich jauchzend in das Getümmel hinein, »das sind die Kanonen eines Schiffes! Wir sind gerettet! Wir sind gerettet!«

»Ja, William, es kann nichts anderes sein!« erwiederte Herr Seagrave mit der größten und freudevollsten Ueberraschung. »Es ist ein Schiff, und wie durch ein Wunder sind wir gerettet!«

Ganz verwirrt und betäubt hielten augenblicklich die Wilden im Vordringen inne und starrten besinnungslos umher. Wieder und immer wieder aber donnerte das Gekrach der Kanonen, rauschten die Kugeln, zischten brausend und pfeifend die Kartätschen durch die Luft, und brachen vernichtend und zerstörend durch die Kokoswaldung. Nach einer abermaligen vollen Lage des Geschützes kamen die Indianer wieder zur Besinnung, kehrten kreischend und schreiend den Pallisaden den Rücken, und rannten in regelloser, verwirrter Flucht gegen ihre Kanoe's. In wenigen Sekunden war auch nicht Einer mehr von ihnen zu entdecken.

»Wir sind gerettet!« rief Herr Seagrave jubelnd von Neuem, und eilte zu seiner Gattin, die wankend in ihre Knie sank und ihre gefalteten Hände lobpreisend und dankend zum Himmel emporhob.

William klimmte schnell zum Lug' in's Land aus dem Kokosbaume hinauf und schaute sich um.

»Vater, ein großer Schooner feuert auf die Wilden!« rief er den unten Stehenden zu. »Sie sind bei ihren Kanoe's, stürzen aber nach allen Seiten getroffen zu Boden. Einige sind in's Wasser gesprungen, und suchen sich durch Schwimmen zu retten. Da kommt auch ein Boot mit bewaffneten Männern an's Ufer. Schon sind sie dicht am Lande bei der Gartenspitze. Drei Kanoe's sind voller Menschen! Jetzt werden die Kanonen wieder abgefeuert – zwei von den Kanoe's sind getroffen und untergesunken! Des Boot ist gelandet; Vater, die Leute kommen gerade auf uns zu!«

So schnell er konnte, stieg William jetzt wieder vom Baume herab, hob die Balken von der Thüre der Pallisaden herunter, und riß eben die letzte Bohle weg, als er an der Außenseite die Schritte der Befreier herannahen hörte. Er sprengte die Thür auf, stürzte heraus, und lag eine Sekunde später in den geöffneten Armen eines alten Freundes, des – Kapitän Osborn!

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