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61. Kapitel.
Landung der Indianer.

Von dem Platze aus, wo das alte Haus stand, konnte man deutlich die heransegelnden Kanoe's der Wilden erblicken, und Hurtig versäumte daher nie, sie durch sein Fernrohr zu beobachten, wenn er nach dem Hinaufrollen eines Fasses aus den Pallisaden zurückkehrte. Alle arbeiteten tüchtig, und selbst Madame Seagrave half Fässer rollen, oder schleppte verschiedene Gegenstände, die ihr nicht zu schwer waren, hinter die Umwallung hinauf. Binnen einer Stunde war durch ihre vereinten Bemühungen alles Werthvolle geborgen worden, und noch waren die Kanoe's gegen sechs bis sieben Meilen vom Ufer entfernt.

»Es bleibt uns bis zu ihrer Ankunft noch eine gute Stunde Zeit übrig, Herr Seagrave,« sagte Hurtig, »und selbst dann noch werden die Klippen mindestens um eine zweite Stunde ihre Ausschiffung verzögern. Wir können demnach ohne Uebereilung Alles, was wir noch zu thun haben, beseitigen. Hole den Karren, Juno, und du William, hole die Spieße! Wir wollen noch ein paar Schildkröten hinter die Pallisaden bringen. Sie, Herr Seagrave, könnten indeß die Gewehre hervorlangen, und nachsehen, ob sie alle in gutem Stande sind.«

»Ja, und sie laden,« fügte Madame Seagrave hinzu. »Juno und ich werden dieß Geschäft übernehmen, und sie immer zum Feuern fertig machen.«

»Sehr gut, Madame Seagrave!« rief Robinson. »Das ist in der That ein herrlicher Gedanke, und wir wollen Sie Beide ohne Weiteres zu diesem Dienste anwerben.«

In weniger als einer halben Stunde hatten William und Juno sechs Schildkröten aufgespießt, welche sie mit Hurtigs Hilfe hinter den Pallisaden sicherten.

»Wo aber ist unsere Ziege?« fragte Robinson plötzlich. »Ich sehe sie nicht, und wir müssen daher suchen. Doch halt!« fügte er augenblicklich hinzu – »das würde uns zu viel Zeit wegnehmen, und da wir auch ohnehin kein Futter für sie haben, so mag sie draußen bleiben. Ich denke, sie wird schon von selber davon laufen, wenn sie solche fremdartige Kreaturen sieht, wie die Indianer da.«

Sie machten sich ohne weitere Umstände an die Fässer, rollten sie bis dicht an die Pallisaden heran, stellten sie daselbst aufrecht, und befestigten einige Planken darauf. Dieß Gestelle war eben hoch genug, um von ihm über die Pallisaden hinweg sehen und auf die Wilden feuern zu können. Hierauf wurden Madame Seagrave und Juno im Laden der Gewehre unterrichtet, was sie Beide sehr bald begriffen und lernten.

»Nun, lieber Herr Seagrave,« sagte der alte Robinson, »ist Alles gehörig vorbereitet, und Juno könnte einmal nach den Kindern sehen und unser Frühstück zurecht machen.«

»Frühstück schon fertig sein!« antwortete Juno. »Kessel schon lange kochen!«

Die Kinder waren bald angekleidet, und Herr Seagrave rief Hurtig herein, der mittlerweile hinausgegangen war, und das Heransegeln der Kanoe's beobachtet hatte. Sie hielten zusammen ihre gewöhnliche Morgenandacht, beteten zu Gott, und flehten inbrünstig um seinen Beistand in dieser Zeit der Noth. Darauf nahmen Alle das Frühstück ein, aber mit einer Hast und Eile, die nur zu sehr durch ihre gefahrvolle Lage entschuldigt wurde. Hurtig begab sich gleich nachher wieder hinaus. Madame Seagrave aber umschlang ihre Kinder mit ihren Armen und drückte sie zärtlich an sich. Ihre Besonnenheit und Fassung war wirklich bewunderungswürdig.

»Diese Zögerung ist schlimmer, als Alles,« unterbrach sie endlich das lange bängliche Stillschweigen. »Ich wünschte, daß sie gar nicht eingetreten wäre!«

»Ich will zu Hurtig hinaus gehen und mich erkundigen, wie die Sache stehe;« erwiederte Herr Seagrave und entfernte sich. »In drei Minuten bin ich wieder zurück.«

Kurze Zeit nachher kam Herr Seagrave wieder.

»Die Kanoe's sind jetzt dicht am Ufer,« sagte er, »und es ist kein Zweifel, daß die Wilden Kenntniß von der Durchfahrt durch die Klippen besitzen. Sie sind rechts herum gesteuert, und haben ihre Segel nieder gelassen. Hurtig und William stehen noch auf der Lauer, halten sich aber hinter den Kokosbäumen sorgfältig Verborgen.«

»Wenn sie nur nicht zu lange verweilen,« sagte Madame Seagrave besorgt.

»Hege keine Furcht deßhalb, liebe Frau,« erwiederte ihr Gatte. »Sie stehen ganz sicher, und können die Bewegungen der Wilden ohne alle Gefahr bis auf die letzte Minute beobachten.«

Während dieses Gespräch innerhalb der Pallisaden stattfand, richteten Hurtig und William ihre Blicke auf die Indianer, deren bereits eine große Menge am Ufer stand. Zehn Kanoe's waren gelandet, und die übrigen folgten, je nachdem sie die Durchfahrt durch die Klippen erzwingen konnten. Alle Wilden hatten sich auf das Scheußlichste bemalt, trugen ihre Kriegsgewänder und ihren Federschmuck, waren mit Keulen und Spießen bewaffnet, und kamen also augenscheinlich nicht in friedlicher Absicht. Ihr erstes Geschäft bestand darin, die Kanoe's auf das Ufer hinauf zu ziehen, was bei der Größe und Schwere der Fahrzeuge die Kräfte der ganzen Mannschaft für einige Minuten in Anspruch nahm.

»Oh, was scheint dieß für eine Rasse von Kannibalen zu sein!« rief William aus, der die Indianer durch das Fernrohr auf's Genaueste beobachtete. »Wenn die uns überwältigen können, werden sie uns alle ohne Barmherzigkeit todt schlagen.«

»Ja, daran ist nicht zu zweifeln, mein Junge,« erwiederte Hurtig. »Darum müssen wir aber tapfer fechten und dürfen uns nicht überwältigen lassen. Sie würden uns nicht nur todt schlagen, sondern noch auffressen obendrein. Das freilich hätte nachher wenig mehr zu sagen.«

»Ich wenigstens werde kämpfen, so lange ich noch einen Athemzug in der Brust habe,« versetzte William mit festem Tone, obgleich Schauder und Entsetzen seinen ganzen Körper durchrieselte. »Laßt sie nur kommen, Hurtig!«

»Sie kommen schon, mein Junge,« erwiederte Hurtig. »Schau, da rechts laufen sie zum alten Hause hinauf, und wir dürfen jetzt nicht länger mehr zögern. Komm, mein Junge! Komm, William!«

»Hurtig,« sagte der Knabe, »eben war mir's, als hätte ich, gerade als wir weg gingen, drüben bei der Gartenspitze noch ein anderes Schiff unter vollen Segeln gesehen.«

»Das ist wohl möglich,« versetzte Hurtig, ohne diese Bemerkung einer größeren Beachtung zu würdigen. »Vielleicht hat sich während der Nacht ein Kanoe von den anderen getrennt, und legt nun dort drüben an. Komm schneller, lieber Junge! Eben beginnen sie schon ihr Kriegsgeschrei zu brüllen.

Binnen einer halben Minute erreichten sie die Thür zu den Pallisaden, traten hinein, schloßen sie hinter sich zu, und verrammelten sie mit kurzen Balken, die sie zwischen den Pfosten der zweiten Thür einschoben.

»Jetzt sind wir vor der Hand gesichert!« sagte Hurtig. »Im Uebrigen müssen wir auf Gott und unsere Tapferkeit Vertrauen.«

*


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