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50. Kapitel.
Die Kisten und Vorräthe.

Gleich nach dem Essen gingen die beiden Männer wieder an die Arbeit.

»Ich mögte wohl wissen, was in dieser Kiste hier sein mag,« sagte Herr Seagrave, indem er auf einen ziemlich großen Kasten zeigte, der in seiner Nähe stand.

Hurtig machte sich sogleich mit seiner Axt daran, brach den Deckel auf, und fand eine Menge verschiedener Pappschachteln mit seidenen und leinenen Bändern, mit Schnürsenkeln, Fischbeinstäben und aufgewickeltem Baumwollengarn in allen Farben.

»Dieß Alles ist ohne Zweifel für eine Modehändlerin in Botanybay bestimmt gewesen,« sagte Herr Seagrave lächelnd. »Gewiß wird die arme Frau durch das Ausbleiben der Kiste in große Verlegenheit gerathen sein, und mag nicht wenig ängstlich die Ankunft des Pacific erwartet haben. Nun kommt uns der Modetand zu Statten, denn ich denke ohne Umstände die Kiste für meine Frau und die kleine Karoline in Beschlag zu nehmen, und sie damit zu überraschen, sobald wir Zeit gewinnen. Aber weiter, Hurtig! Wir müssen in noch ein Paar Kisten hineinschauen.«

Es stand ein Kasten ohne Schloß in der Nähe. Der zugenagelte Deckel ward aufgesprengt, und es zeigten sich ein Dutzend große, viereckige Flaschen voll Genever oder Wachholderbranntwein, die auf das Sorgfältigste in verschiedene Abtheilungen eingepackt waren.

»Das kommt aus Holland, Herr Seagrave, ich kenne es,« sagte Hurtig. »Was sollen wir hier damit anfangen?«

»Nun, Hurtig, wir wollen es nicht gerade wegschütten,« entgegnete Herr Seagrave, »den Branntwein aber auch nur als Medicin gebrauchen. Das frische reine Quellwasser bekommt uns so gut, daß es wirklich ein Jammer wäre, wenn wir es mit dem entnervenden Gifte des Branntweins vermischen oder gar vertauschen wollten. Trotzdem wollen wir eine oder zwei Flaschen mitnehmen, da ihr Inhalt uns vielleicht bei äußerlichen Verletzungen von Nutzen sein kann.«

»Na, ich will hoffen, daß wir ihn weder innerlich noch äußerlich brauchen werden,« sagte Hurtig,« und wendete sich von dem Kasten zu einem Fasse mit hölzernen Reifen.

Sie öffneten ohne große Mühe den Deckel, und fanden ein äußerst kostbares, prachtvoll gemaltes Tafelservice von vergoldetem Porzellan darin.

»Das läßt sich schon eher gebrauchen,« sprach Robinson. »Es fehlt uns gar sehr an Schüsseln und Tellern, und obgleich diese da beinahe zu schön für den gewöhnlichen Gebrauch sind, so thun sie doch die nämlichen Dienste, wie andere.«

»Gewiß,« versetzte Herr Seagrave, »und darum sollen sie auch nicht verschmäht werden.«

»Hier ist eine Kiste mit Ihrem Namen versehen,« sagte Hurtig weiter schreitend. »Wissen Sie vielleicht, was darin ist?«

»Nein, Hurtig, ich kann's nicht errathen,« erwiederte Herr Seagrave; »aber Eure Axt wird die Sache bald entscheiden.«

Als Hurtig den Deckel öffnete, schien der ganze Inhalt der Kiste von eingedrungenem Seewasser verdorben zu sein, und die oberste Schicht zeigte sich ganz mit Schimmel überzogen. Dennoch fand sich, nachdem die verschiedenen Pappen und Packpapiere weggenommen waren, daß die Sachen weniger gelitten hatten, als man vermuthen konnte. Die Kiste enthielt Schreibmaterialien aller Art, und nur die äußeren Lagen davon schienen etwas beschädigt zu sein.

»Das ist ein wahrer Schatz für mich, Hurtig,« sagte Herr Seagrave vergnügt. »Es wird uns nun weder an Papier, Feder und Tinte, noch auch an Lesebüchern, Vorschriften, Farbenkasten und andern derartigen Dingen fehlen.«

»Wenn das ist,« erwiederte Hurtig, »dann müssen wir den Fund in der That einen glücklichen nennen, indem er uns zu einer Schule verhilft. Sie wird im wahren Sinne des Worts eine Volksschule werden, indem die ganze Bevölkerung unseres Eilandes daran Theil nehmen muß.«

»Sehr wahr,« erwiederte lächelnd Herr Seagrave. »Doch nun zu diesem Fasse hier.«

»Ich seh' es ihm schon von Außen an, daß Oel darin ist,« sagte Robinson. »Ein guter und nützlicher Fund in der That, da unsere Lichter bald alle sein werden. Es müssen sich übrigens auch noch ein Paar Kisten voll von diesen finden, und wir werden später gewiß daran kommen. Jetzt aber gelangen wir zu den kostbarsten und werthvollsten Schätzen unseres ganzen Eigenthums.«

»Was ist dieß, Hurtig?«

»Es sind die verschiedenen Sachen, die ich im Boote aus dem Wracke an's Ufer brachte. Sehen Sie, lieber Herr, Eisen kann nicht schwimmen, und deßhalb richtete ich damals mein ganzes Augenmerk auf die eisernen Werkzeuge und die übrigen Eisenwaaren, und schaffte deren von allen Gattungen und Größen in Sicherheit. Eine ungeheure Menge Nägel haben wir. Hier sind gleich drei Tönnchen voll kleine, und dort zwei Säcke voll große. Hier sind verschiedene Aexte, da Hämmer, dort Beile, dort Sägen und Hobel und andere Werkzeuge. Hier außerdem noch große Knäuel Schnüre, Packnadeln, Wachs, mehrere Rollen feine Leinwand – Alles in bester und schönster Ordnung.«

»Das Alles ist freilich sehr werthvoll für uns, Hurtig,« sagte Herr Seagrave.

»Ja, ganz gewiß, lieber Herr,« erwiederte Robinson, »besonders jetzt, wo die Spitzbuben von Indianerinnen alles Eisenwerk, was sie erwischen konnten, in ihrem Kanoe mitgenommen haben. Hier finden wir aber noch mehr Plunder allerlei Art, wie die Amerikaner sagen. Da sind Eimer, ein Faß voll Pökelfleisch, und da auch des Kochs hölzerner Backtrog, der besonders unserer Juno sehr willkommen sein wird, indem ich verschiedene Küchensachen, als Feuerhaken, Koch- und Eßlöffel, eiserne Dreifüße, Lampen, baumwollene Dochte und mehr dergleichen nützliche Gegenstände hinein gepackt habe. Hier sehe ich noch ein Paar Fässer mit Pulver und Patronen, und da unsere sechs Flinten, die nur einer kleinen Reinigung bedürfen, um wieder vollkommen brauchbar zu werden; Alles in bester Ordnung.«

»Es sind wirklich lauter kostbare Schätze für uns, Hurtig! Und doch, wir haben uns auch ohne sie wohl befunden!«

»Freilich wohl, Herr Seagrave, aber ich denke, mit ihnen werden wir uns noch besser befinden. Jedenfalls kommen sie uns gewiß sehr zu Statten, wenn wir das Magazin zu unserem Wohnhause umwandeln. Wir können es bequemer und behaglicher einrichten, können mit den tannenen Planken und Brettern, die ich mit William in die Erde vergrub, den Fußboden dielen, uns ordentliche Bettstellen machen, und tausend andere gute Dinge anbringen, an deren Ausführung wir früher wegen Mangel an Werkzeugen und Material nicht denken durften.«

»Daran freilich dachte ich nicht,« erwiederte Herr Seagrave, »sehe aber nun, daß zu Ausführung aller Eurer Pläne genug Vorräthe hier aufgespeichert sind. Wenn ich mich der Furcht vor den Wilden entschlagen könnte, Hurtig, so glaube ich wirklich, ich könnte hier auf unserem Eilande ein recht gemüthliches und zufriedenes Leben führen.«

»Es freut mich herzlich, Sie so sprechen zu hören, Herr Seagrave,« erwiederte Robinson. »Es beweist mir, daß Sie mehr als früher in Ihr Schicksal ergeben sind.«

»Ja, ich bin es, oder glaube es doch zu sein,« entgegnete Herr Seagrave. »Vielleicht ist aber nur die Angst vor der Gefahr, mit welcher die Indianer uns bedrohen, die Ursache, daß ich nicht mehr mit dem früheren sehnsüchtigen Verlangen nach der weit entlegenen Heimath hinüber schaue. Die eine Sorge hat die Andere bewältigt oder erstickt.«

»Mag sein, lieber Herr,« entgegnete Hurtig; »doch ist's nicht gut, viel über solche Gegenstände zu sprechen. Lassen Sie uns lieber in unserer Untersuchung fortfahren. Sehen Sie, da sind die Schiffscompasse, da die große Lothleine mit dem Haspel, und hier auch das Senkblei. Das Alles ist ein guter und nutzbarer Fund für unser Boot.«

»Ich freue mich besonders über die Compasse, Hurtig,« sagte Herr Seagrave. »Sobald ich nun Zeit gewinnen kann, will ich mit ihrer Hülfe einen Plan von unserer ganzen Insel aufnehmen, zu welchem Geschäft Euer Taschencompaß viel zu klein ist. Ich verstehe mich ein wenig auf die Sache, da ich, wie Ihr vielleicht noch nicht wißt, in meiner Jugend als Feldmesser nach Sidney ging.«

»Nein, das wußte ich noch nicht,« erwiederte Robinson. »Da können Sie uns wohl gar sagen, wie viele Morgen Weideland wir für unsere Heerde« haben?«

»O ja! Ihr sollt es erfahren, sobald wir wieder nach Hause kommen, Hurtig. Da ich übrigens einmal hier bin, und für's Erste, wie ich vermuthe, nicht wieder her kommen werde, so will ich doch Spasses halber nachher einmal die Höhe aufnehmen.«

»Thun Sie das, Herr Seagrave. Jetzt aber, dächte ich, öffneten wir blos diese Kiste da noch, die mit Ihrem Namen bezeichnet ist, und ließen's dann für heute genug sein. Die Sonne ist schon untergegangen, und ich bin wirklich ein wenig müde geworden. Wenn wir unser Nachtlager aufgeschlagen und unser Abendbrod genossen haben, wird uns der Schlaf recht wohl thun.«

»Einverstanden, Hurtig! Ich bin selber müde, und daher mit Eurem Vorschlage sehr zufrieden. Diese Kiste übrigens, sehe ich, enthält Bücher, obgleich ich nicht weiß, was für welche.«

»Das sollen Sie bald erfahren,« sagte Hurtig, indem er den Deckel mit seiner Axt aufbrach. »Zum Glück haben sie, wie ich bemerke, nicht viel gelitten, weil sie fest genug eingepreßt worden sind. Nur die Einbände sind hie und da ein bischen fleckig geworden. Hier nehmen Sie!«

»Ah, das sind Plutarch's Lebensbeschreibungen!« rief Herr Seagrave. »Darüber freue ich mich, Hurtig, denn sie sind ein gar herrliches und lehrreiches Buch für Jung und Alt. Aber laßt's gut sein! Wir brauchen nichts mehr heraus zu nehmen, da ich nun schon weiß, daß alles dieß Werke über Geschichte sind. Gerade die beste Kiste ist uns erhalten worden.«

»Da sind noch einige, Herr Seagrave,« sagte Hurtig; »doch denke ich, die sparen wir auf bis Morgen.«

*


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