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11. Kapitel.
Wie machen wir Feuer an?

Herr Seagrave war am folgenden Morgen der Erste, der aus dem erquickendsten Schlummer erwachte und sich von seiner Ruhestätte erhob. Er trat vor das Zelt und blickte um sich her. In tiefer durchsichtiger Bläue, klar und wolkenlos, erglänzte der Himmel, ein leichter Hauch wehete über den Spiegel des Meeres und kräuselte zierlich die kleinen Wellen, die leise rauschend und klingend sich an dem weißen Sande der Bucht brachen. Zur linken Seite erhoben sich niedrige Hügel, auf deren Gipfeln die grünen Blätterkronen der Kokospalmen, vom Winde gebogen, lieblich schwankten und zitterten. Zur Rechten starrte, gleich einer Mauer, eine Reihe niedriger Korallenfelsen aus dem Meere, die weiter hin von dem Laubwerk dicht wuchernder Gesträuche verborgen ward, während drüben, gerade im Mittelpunkte der reizenden Landschaft, das Wrack des Pacific, einem gestrandeten Seeungethüme vergleichbar, majestätisch auf den Wogen ruhte.

Die Sonne leuchtete strahlend vom blauen Himmel hernieder und hauchte eine glühende Hitze aus; über Herrn Seagrave's Haupte aber bildeten die fächerartigen Blätter der Palmen ein undurchdringliches Dach und verbreiteten den köstlichsten, labendsten Schatten.

Trotz der Schönheit der paradiesischen Gegend aber schlug Herrn Seagrave's Herz bang und traurig, und das nahe vor seinen Augen liegende Wrack erweckte mancherlei Gedanken in seiner Seele.

»Hätte ich, lebensmüde und lebenssatt, mich aus den Bedrängnissen der Welt hinweggesehnt, und ein stilles Asyl des Friedens und der Ruhe gesucht,« dachte er, »so würde ich mir gewiß kein schöneres und lieblicheres gewünscht haben, als dieses Eiland hier. Wie überaus herrlich ist diese Landschaft! Welche Ruhe waltet über ihr – welche Stille! Welche Gemütlichkeit und Zufriedenheit athmet sie! Aber auch, welche schwermüthige Trauer erweckt sie in mir! – Und dennoch, warum schwermüthig? – Hat Gott uns nicht gnädig gerettet, als die drohendsten Gefahren uns umringten und jede Hoffnung zu schwinden schien? Hat er nicht gütig für uns gesorgt, da wir gerettet waren? – O, nicht länger soll mein Herz grollen und murren, wo es vom innigsten Danke gegen die Vorsehung erfüllt sein muß! Vergib mir, Gott, meine Traurigkeit! Das Theuerste, was ich besitze, Weib und Kind, hast Du mir ja erhalten, und nichts mir entrissen, als wenige weltliche Güter, deren Verlust gewißlich leicht zu ertragen sein wird. Vergib mir, Gott, und ist es Dein heiliger Wille, daß ich nimmer wieder diese Insel verlassen soll, so verleihe mir Muth und Stärke, die Abgeschiedenheit von allen lebenden, vernünftigen Wesen mit Fassung und christlicher Standhaftigkeit zu ertragen.«

Gestärkt und getröstet durch dieses kurze, aber im tiefsten Herzen empfundene Gebet, kehrte Herr Seagrave in das Zelt zurück. William, Tommy und Robinson Hurtig schliefen noch fest. Er stellte sich an des alten Bootsmannes Ruhestätte und betrachtete den Alten mit gerührten Blicken. »Trefflicher, braver, wackerer Mann,« murmelte er leise vor sich hin, »wie vielen und unendlichen Dank bin ich dir schuldig! Wahrlich, wenn der Himmel uns in die Heimath zurückführen sollte, so will ich mit allen Kräften vergelten, was du in edler Seelengröße für mich und meine Theuren gethan hast! Welches feste, kühne und fromme Herz schlägt unter dieser rauhen und gebrechlichen Hülle! Was würde ohne deine Hingebung, deine Aufopferung, deine Liebe und Treue aus mir und meinem armen Weibe, aus meinen hilflosen Kindern geworden sein? Schlummre sanft, du guter alter Mann, und der Himmel träufle seinen besten Segen auf dich hernieder!«

In diesem Augenblicke schmiegten sich die Hunde, welche über Nacht mit in das Zelt gekrochen waren und neben William und Tommy auf der Erde gelegen hatten, liebkosend an Herrn Seagrave an, und William wurde durch ihr leises Winseln aus dem Schlafe erweckt. Der Vater winkte ihm Stille zu, um den alten Hurtig nicht im Schlummer zu stören, und lud ihn sodann durch Zeichen ein, ihm aus dem Zelte zu folgen. William warf rasch seine Kleider über, und trat in das Freie.

Als er einen herzlichen guten Morgen gewünscht und empfangen hatte, fragte er den Vater, ob er Juno wecken solle, das Frühstück zu bereiten. »Ich glaube, ich kann es, ohne die Mutter zu stören,« fügte er hinzu.

»Nun so thu' es, mein Sohn,« sagte Herr Seagrave, »ich will indeß nachsehen, was für Kochgeschirr uns Hurtig aus dem Wracke gebracht hat.«

William sprang davon und kehrte nach wenigen Augenblicken mit der Nachricht zurück, daß Juno wach sei und gleich kommen werde, die Mutter aber und die kleinen Kinder noch im besten Schlafe lägen.

»Laß sie schlafen,« sagte Herr Seagrave. »Wir wollen indeß für sie sorgen und versuchen, ein Frühstück für sie zu bereiten. Die dürren Kokosblätter da werden ein prächtiges Feuer geben.«

»Aber wie es anzünden, Vater?« fragte William. Wir haben weder Zunder, noch Schwefelhölzchen.«

»Das ist freilich wahr, William,« sprach der Vater. »Aber es gibt noch andere Mittel, Feuer zu bekommen, obgleich fast immer Zunder dazu nöthig ist. Die Wilden, zum Beispiel, verschaffen sich eine Flamme, indem sie zwei glatte Stückchen Holz, ein weiches und ein hartes, so lange wider einander reiben, bis sie in Brand gerathen. Doch glaube ich schwerlich, daß diese Art und Weise uns gelingen würde, und vermuthe vielmehr, daß wir jedenfalls lange Zeit darüber zubringen müßten. Aber wir haben Schießpulver, und können uns leicht einen Zündstoff daraus bereiten, wenn wir es anfeuchten und ein Läppchen oder ein Stück Papier tüchtig damit einreiben. Es dann anzuzünden, stehen uns zwei Mittel zu Gebote, entweder Stahl und Stein, oder ein Brennglas.«

»Aber wir haben kein Brennglas, Vater.«

»Nein, jetzt nicht. Aber wir können uns heute noch eins verschaffen, wenn wir an Bord des Wrackes gehen, und eines der Gläser aus dem ersten besten Fernrohre nehmen. Für den Augenblick jedoch müssen wir uns allerdings mit der Flinte begnügen.«

»Aber, Vater, wenn nun auch das Feuer brennt, was wollen wir dann kochen? Wir haben weder Thee, noch Kaffee hier.«

»Das ist schlimm,« klagte Herr Seagrave. »Ich glaubte, Hurtig hätte Etwas der Art mit an's Land geschafft.«

»Kartoffeln sind da, Vater!« sagte William.

»Das weiß ich, lieber Junge,« erwiederte Herr Seagrave. »Meinst du aber nicht, daß es besser wäre, uns für dießmal mit Schiffszwieback und eingesalzenem Fleische zu begnügen, anstatt unsern kleinen Vorrath von Kartoffeln anzugreifen? Wer weiß, ob wir ihn nicht ganz und gar zur Aussaat benutzen müssen? Doch da fällt mir ein, wir könnten ja auf das Wrack gehen und Alles, was wir gebrauchen, herbeiholen! Du verstehst recht gut die Ruder zu handhaben, und an fleißiges Arbeiten müssen wir uns nach und nach gewöhnen, um nicht unserem braven Hurtig gar zu viel aufzubürden. Freilich wird's uns Mühe kosten, bis wir so geschickt und gewandt geworden sind, wie der alte wackere Mann, aber mit Gottes Hilfe und gutem Willen kann der Mensch mit der Zeit Alles erreichen. Komm, William!«

Beide gingen an den Strand hinab, und sahen das kleine Boot ruhig in der Bucht liegen; die leicht gekräuselten Wellen schaukelten es kaum bemerkbar hin und her. Sie banden es los, sprangen hinein und ruderten vorwärts.

»Ich weiß, wo der Küchenmeister Thee und Kaffee aufbewahrte, Vater,« sagte William während der Ueberfahrt. »Sicher wird der Mutter eine Tasse Thee sehr willkommen sein, und ich werde deßhalb nicht vergessen, mich mit einer tüchtigen Portion zu versehen. Für den kleinen Albert aber will ich die Ziege melken.«

Sie gelangten, obgleich Keiner von ihnen sich besonders gut auf das Rudern verstand, dennoch sehr bald zum Schiffe, befestigten das Boot an dessen Seitenwand, und klimmten an Bord. Vor allen Dingen stieg William in die Kajüte hinab, um Thee und Kaffee zu suchen, und während dann sein Vater einige andere Gegenstände zusammen suchte, begab er sich zu den Ziegen, melkte sie, und goß die Milch aus dem Eimer in eine gläserne Flasche, die er als ein vorsichtiger Knabe vorher tüchtig ausgespült hatte, um die Milch vor dem Sauerwerden zu bewahren. Darauf pfropfte er die Flasche zu, und kehrte zu seinem Vater zurück.

»Sieh, William,« sagte dieser, »ich habe jene beiden Körbe da mit allerhand Sachen angefüllt, die der Mutter besonders willkommen sein werden. Sollen wir außerdem noch etwas mitnehmen?«

»Auf jeden Fall noch ein Fernrohr, lieber Vater, und einige Kleidungsstücke, die der Mutter gewiß sehr angenehm sind,« erwiederte William. »Wir können sie leicht in ein Stück Segeltuch einbinden. Auch könnten wir noch ein Paar Bücher mit einschiffen. Wenigstens würde sich die Mutter gewiß ungemein über ihre Bibel und ihr Gebetbuch freuen. Sie hat sich schon gestern danach gesehnt, und sieh', hier sind sie schon bei der Hand.«

»Du bist ein guter Junge, William,« sagte Herr Seagrave, dem Knaben freundlich die Wange streichelnd, – »und ich freue mich, daß du so fleißig an deine Mutter denkst. Gib her die Bücher! Ich will sie in's Boot tragen, und nachher das Uebrige holen.«

In kurzer Zeit hatten sie Alles an Ort und Stelle geschafft und ruderten wieder dem Lande zu. Am Ufer fanden sie Juno, die sich eben gewaschen hatte und auf sie wartete, um die Ladung zum Zelte tragen zu helfen.

»Guten Morgen, Juno!« rief ihr Herr Seagrave entgegen. »Wie geht es dir heute?«

»Recht gut, Massa,« erwiederte Juno; und indem sie auf das klare Wasser deutete, fügte sie lächelnd hinzu: »Menge Fische hier sein, Massa!«

»Ja, ja! wenn wir nur Angeln hätten, sie zu fangen,« sagte Herr Seagrave. »Ich will doch jedenfalls unseren Robinson Hurtig einmal darnach fragen. Doch komm her, Juno! Nimm dieß Bündel Leinen und trag es in das Zelt – das Andere wollen wir selber nachbringen.«

»Halt, Juno!« rief William. »Du könntest noch diese Flasche voll Milch, die ich für den kleinen Albert zum Frühstücke gemolken habe, mit hinaufnehmen. Willst du?«

»Ja, Massa, danken Euch, Massa! Ihr sehr guter Knabe sein, Massa William,« erwiederte die Negerin, und nahm die Milch in Empfang.

»Eile dich aber ein wenig, Juno,« sagte Herr Seagrave; »denn wie ich sehe, ist unser Tommy da schon auf den Beinen, und springt ein bischen im bloßen Hemde umher.«

Juno eilte davon.

Als William mit seinem Vater zu den Zelten kam, da fanden sie die ganze Familie, bis auf den alten Hurtig, der noch im süßesten Schlafe lag, wach und munter. Madame Seagrave hatte eine sehr gute Nacht gehabt, und fühlte sich recht kräftig und gestärkt. Die Kinder aber spielten schon lustig umher, und freuten sich der warmen Luft und des herrlichen Sonnenscheins.

William, nachdem er Mutter und Geschwister freundlich begrüßt hatte, machte sich Zündpapier zurecht, setzte es vermittelst eines Glases aus dem mitgenommenen Fernrohr in Flammen, und zündete ein mächtiges Feuer an. Herr Seagrave ging indessen an die Bucht hinab, um ein Paar Steine zu suchen, aus dem sich allenfalls ein kleiner Herd erbauen ließe. Er fand deren, brachte sie, und hatte die Freude, eine halbe Stunde nachher kochendes Wasser und eine Tasse des vortrefflichsten Thee's zu besitzen.

*


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