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49. Kapitel.
Die Rettungsbucht.

Am nächsten Morgen wurden die Spaten zur Hand genommen, und unsere Freunde schritten an das Yamsfeld hinunter, um dort mit allen Kräften das Werk der Einzäunung zu beginnen. Der Graben machte, da Grund und Boden feucht und locker war, sehr schnelle Fortschritte. Er wurde beinahe zwei Fuß breit ausgestochen, und die herausgeschaffte Erde, zu einem ziemlich festen Walle oder Damme über einander gehäuft. Späterhin holten sie junge Schößlinge der Stachelbirnen herbei, gruben eine dichte Reihe davon auf dem Damme ein, und bildeten so eine stachlichte und schon jetzt beinahe undurchdringliche Hecke. Noch vor Einbruch der Nacht vollendeten sie eine Strecke von mindestens achtzehn bis zwanzig Fuß.

»Wenn die ganze Arbeit erst fertig ist, glaube ich nicht, daß die Schweine hinüber kommen können,« sagte Hurtig, Wall und Graben mit prüfendem Blicke betrachtend. »Uebrigens ist gar kein Zweifel, daß William recht gut mit der Arbeit fortfahren kann, auch wenn wir ihm nicht mehr helfen, Herr Seagrave.«

»Ich denk' es selbst,« bemerkte William lachend, »nur wird's nicht so schnell gehen, wie heute.«

»Ei nun, das ist auch gar nicht nöthig, mein Junge, und du darfst dich auf keine Weise überarbeiten,« erwiederte Hurtig. »Vergiß nur nicht, jeden Abend, wie ich es gestern gethan habe, die Hunde in der Nähe des Feldes anzubinden, und sei versichert, daß dann die Schweine, ein paar vergebliche Versuche vielleicht ausgenommen, nicht wieder kommen werden.«

»Soll ich nicht einmal den Versuch machen, eins zu schießen?« fragte William.

»Warum nicht,« entgegnete Hurtig. »Du mußt nur Acht geben, daß du ein junges und nicht ein altes erlegst, denn diese letzteren müssen wir schonen. Doch jetzt, dächte ich, gingen wir nach Hause; die Sonne neigt sich schon zum Untergange, und Juno trägt, wie ich eben bemerke, das Abendbrod auf.«

Ehe Herr Seagrave und Hurtig am nächsten Morgen sich auf die Reise machten, erhielt William von letzterem noch einige Weisungen hinsichtlich des Bootes, die er genau zu befolgen versprach. Dann nahmen die Reisenden die vorsorglich mit Mundvorrath angefüllten Reisetaschen zur Hand, verabschiedeten sich von Madame Seagrave und den Kindern, und traten, jeder mit einem Gewehre bewaffnet, wohlgemuth ihren Weg an. Hurtig hatte sich, der Vorsicht wegen, außer der Flinte noch mit einer Axt versehen, die er auf seiner Schulter trug.

Die beiden Männer hatten einen weiten Weg zurück zu legen, da sie, um zur Rettungsbucht gelangen zu können, einen Umweg über das Haus machen mußten; denn nur dorthin, und von da aus nach der Bucht führten die sicher leitenden, in die Bäume gehauenen Merkzeichen durch die Waldung.

Bei dem Hause angelangt, ruheten sie ein Stündchen aus, und begaben sich dann zu dem Garten auf der Landspitze hinab, um nach den Sämereien und Früchten zu sehen. Die Kartoffeln und Erbsen standen vortrefflich, und auch die Zwiebeln waren bereits aufgegangen. Nachdem Hurtig seine Freude hierüber ausgesprochen hatte, untersuchte er auf das Sorgfältigste den Zaun des Gartens, und besserte ihn an verschiedenen Stellen, wo er schadhaft geworden war, aus.

»Da wir die Schweine von dem Yamsfelde vertrieben haben,« sagte er, »werden sie sich bald genug, um Futter zu suchen, in diese Gegend wenden, und in diesem Falle wäre es mir denn doch nicht eben angenehm, wenn sie den Zaun durchbrechen, und die Früchte unserer mühsamen Arbeiten in Grund und Boden verderben würden.«

Nach Beendigung des erwähnten Geschäftes setzten die beiden Männer ihren Weg fort, und erreichten nach zwei Stunden den Ort, wo sie zuerst das rettende Ufer der Insel betreten hatten, und den wir fortan immer die Rettungsbucht nennen wollen. Sie sahen den Strand rings umher mit Brettern und Balken bedeckt, die zum Theil der sengenden Gluth der heißen Sonnenstrahlen ausgesetzt, zum Theil auch halb im Sande des Ufers eingegraben waren. Herr Seagrave warf einen düsteren Blick auf die umherliegenden Trümmer, setzte sich auf einen Felsen nieder, und seufzte schwer und tief.

»Hurtig,« sagte er nach einem kurzen, sinnenden Schweigen, »der Anblick dieser nach allen Seiten hin zerstreuten Bruchstücke des alten, guten Schiffes Pacific erweckt von neuem Gefühle in meinem Herzen, die ich schon ganz erstorben glaubte und nun doch wieder mit aller Kraft meiner Seele bekämpfen muß. Diese armseligen Ueberreste des braven Schiffes, sie sind das letzte und leider zerrissene Band, das uns noch mit jener Welt verknüpft, aus deren Mitte wir so plötzlich und gewaltsam geworfen worden sind. Sie lenken alle meine Gedanken zu meiner Heimath, meinem Vaterlande hin, und gerade in diesem Augenblicke empfinde ich eine stärkere und lebhaftere Sehnsucht nach diesen verlorenen Gütern, als sie noch jemals in meinem Herzen erwacht ist.«

»Ich finde das ganz natürlich und theile Ihre Gefühle, Herr Seagrave,« erwiederte Hurtig. »Obgleich ich im Ganzen mit meiner Lage zufrieden bin, indem ich alter Mann nicht viel mehr zu hoffen und zu erwarten habe, so richten sich doch recht oft meine Gedanken auf Kapitän Osborn und meine Schiffskameraden, und immer steigt dabei der lebhafte Wunsch in meiner Seele auf, ihnen Allen noch einmal recht von Herzen die Hand schütteln zu können. Sehen Sie, das sind natürliche Gefühle in der menschlichen Seele! Sie können mir glauben, Herr Seagrave, daß selbst der arme gescheiterte Kauffahrer mich dauert. Wir Seeleute lieben unsere Schiffe, wie einen Theil von uns selbst, und ganz besonders dann, wenn sie so gute Eigenschaften besitzen, wie der Pacific. Der war in der That ein so schönes Schiff, als je Eines vom Stapel lief, und hatte keinen Fehler weiter, als daß er vielleicht ein klein wenig zu gerade aufstand. Und das schadete weiter nichts! – Ja, ja, lieber Herr, ich werde selber ordentlich trübsinnig, wenn ich mir so die Bretter und Balken da herum ansehe, und sie kommen mir beinahe vor, wie das Gerippe eines verunglückten menschlichen Wesens, dessen zerstreute Gebeine nun aus dem Sande von Regenschauern und Sonnengluth gebleicht werden. Trotzdem aber, Herr Seagrave, müssen wir doch unsere Gefühle, wenn wir sie auch nicht ganz unterdrücken können, wenigstens zu bekämpfen suchen, damit sie nicht gar zu sehr Herr über uns werden. Ich mindestens halte das für meine Pflicht.«

»Sehr wahr, Hurtig!« erwiederte Herr Seagrave aufstehend. »Nutzlos und sündhaft ist es, solchen trüben Gedanken nachzuhängen, da sie uns nur zu leicht verleiten, gegen die weisen Rathschlüsse des Himmels zu murren. Kommt hinab zu den Klippen und laßt uns nachsehen, ob das Meer vielleicht noch etliche schätzbare Gegenstände an's Ufer getrieben hat.«

Sie suchten umher, fanden aber außer einer Menge von Spieren und ein Paar kleinen Fäßchen voll Theer nichts, was ihnen hätte von einigem Nutzen sein können. Doch lagen außerdem noch eine Masse Faßdauben und eiserne Reife von zerbrochenen Tonnen umher, von denen Hurtig meinte, daß sie ein prächtiges Stacket abgeben würden, wenn man sie nur ohne weitere Umstände gleich an Ort und Stelle hätte.

»Im Falle wir einmal Zeit erübrigen können, müssen wir sie doch hinüber zu schaffen suchen,« sagte er. »Sie reichen am Ende gar hin, ein ganz Stück Feld, in das wir Weizen oder Roggen säen könnten, einzuhägen, und das wäre doch ein bedeutender Vortheil für uns. Jetzt freilich geht's nicht, aber wir sprechen vielleicht später noch einmal über die Sache.«

Nachdem sie die Küste rings umher auf das Genaueste untersucht hatten, legten sie sich ein wenig nieder, um einer kurzen Ruhe zu pflegen, und begaben sich dann in den Kokoswald zu der Stelle, wo sie früherhin die geretteten Vorräthe vom Pacific unter einem großen Segel aufgespeichert hatten.

»Oh weh!« rief Hurtig, als sie daselbst anlangten; »ich sehe, die Schweine haben hier auch schon gewirthschaftet und mit aller Gewalt das Faß Mehl da auseinander gesprengt. Es muß wohl schon geborsten gewesen sein, da, wie ich sehe, die Uebrigen alle noch unbeschädigt sind. Das alte Segel da wird wohl auch nicht mehr viel taugen, und ich bin darum herzlich froh, daß ich damals noch ein Paar große Stücken neue Leinwand aus dem Schiffe an's Land geschafft habe. Lassen Sie uns doch nachsehen, in welchem Zustande die Vorräthe in den Fässern sich befinden. Was wir hier sehen, sind lauter Mehltonnen, und wir wagen daher nichts, wenn wir sie öffnen und nach ihrem Inhalte schauen.«

Sie schlugen eins von den Fässern auf, und stießen unter dem Boden auf eine Kruste, die so hart und fest wie Gyps zu sein schien. Mit der Axt ward sie zertrümmert, und unter ihr fand sich das übrige Mehl wohl erhalten und vollkommen genießbar.

»'S ist Alles gut so, lieber Herr,« sagte Hurtig, »und ich denke, wir werden die andern Tonnen im gleichen Zustande finden. So weit das Meerwasser eindringen konnte, hat es das Mehl eingeweicht und auf diese Weise die Kruste gebildet, die uns den Rest des Mehles gut erhalten hat. Späterhin wollen wir auch die andern Fässer der Reihe nach öffnen, jetzt aber, wenn's Ihnen recht ist, vorläufig unser Mittagbrod verspeisen. Die Juno hat uns ein Paar prächtige, geröstete Schildkrötenschnitte eingepackt, die uns gewiß nach der langen Wanderung ganz vorzüglich schmecken werden.«

Sie setzten sich nieder, und hielten offene Tafel unter Gottes freiem Himmel.

*


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