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54. Kapitel.
Fernere Unterhaltung über die Eigenschaften verschiedener Thiere.

Am nächsten Tage wurden, als am Tage des Herrn, die gewohnten religiösen Andachtsübungen vorgenommen. Während noch Herr Seagrave eine Predigt vorlas, stahl sich Tommy ganz heimlich aus dem Zelte und lief an den Herd, um einen neugierigen Blick auf die Schildkrötensuppe zu werfen, die eben über dem Feuer stand. Juno jedoch, die ihm nie ganz traute, eilte ihm nach, erwischte ihn, als er eben den Deckel vom Topfe nehmen wollte, und führte ihn zurück. Er ward tüchtig ausgescholten, und sein Vater drohte ihm, daß er keine Suppe zum Mittagsessen bekommen werde. Da er aber reuig schien und sein Vergehen nicht allzu schwer war, so ließ man dießmal Gnade für Recht ergehen und er bekam sein Theil, wie die Uebrigen.

Gegen Abend bat William seinen Vater, den abgerissenen Faden des gestrigen Gespräches wieder aufzunehmen.

»Recht gern, William,« erwiederte Herr Seagrave; »es scheint mir ohnehin eine recht passende Unterhaltung für einen Sonntag-Abend. Laß uns zunächst die verschiedenen geistigen Fähigkeiten, die wir an den Thieren entdecken, untersuchen.

Vor allem Andern also erwähne ich, daß die Thiere Gedächtniß, vorzüglich Personen- und Orts-Gedächtniß, und zwar in demselben hohen Grade besitzen, wie der Mensch. Ein Hund erkennt seinen Herrn, selbst nach einer Abwesenheit von Jahren, auf den ersten Blick, den ersten Laut wieder. Ein zahmer Elephant, der in die Wälder entkam und zwanzig volle Jahre im wilden Zustande verblieb, erinnerte sich sofort seines alten Mahoot's oder Treibers, als er ihn nach so langer Zeit wieder sah. Ein Hund findet den Weg zu seines Herrn Hause zurück, auch wenn man ihn Hunderte von Meilen davon hinwegführt, und nicht minder bewundernswürdig ist das Erinnerungsvermögen der Pagageien und Kakadu's. Ein schlagender Beweis, daß die Thiere Gedächtnißkraft besitzen, liegt in dem Umstande, daß sie während des Schlafes träumen. Der Traum ist nur eine, wenn auch verworrene Erinnerung an vergangene Zustände und Ereignisse, und wie oft habt ihr selbst nicht schon gehört, daß Romulus und Remus im Schlafe knurrten, bellten und heulten.«

»Das ist wahr, Vater!«

»Siehst du wohl? – Ferner besitzen die Thiere Achtsamkeit und Beobachtungsgabe. Stundenlang kann eine Katze vor einem Loche liegen, um das Herauskommen der Maus zu erwarten; Tagelang lauert die Spinne geduldig auf eine Fliege, die sich in ihr Netz verirren mag. Bei jedem Thiere lassen sich diese Fähigkeiten beobachten, sobald sie ihre Nahrung aussuchen und auf Beute ausgehen.

Uebrigens fehlt es ihnen auch nicht an Unterscheidungsgabe, welche in Wirklichkeit Urtheilskraft genannt werden kann. Der Hund gibt uns die mannigfaltigsten Beweise zu dieser Behauptung in die Hand. Er wird z. B. einem anständig gekleideten Manne nicht wehren, das Haus seines Herrn zu betreten, wohl aber wird er den zerlumpten Bettler von seiner Schwelle wegjagen. Bewacht er irgend einen Gegenstand, so wird er von einem blos Vorübergehenden gar keine Notiz nehmen, wohl aber sofort heftig zu bellen anfangen, wenn Jemand bei dem ihm anvertrauten Gute stehen bleibt. – Ich kannte einen Schweißhund, der frei in einem Hofe mit niedriger Mauer umherlief. So oft er die Fußtritte eines Vorübergehenden hörte, sprang er auf die Mauer hinauf und lief so weit neben Letzterem her, als die Mauer ausreichte. Dann sprang er wieder in den Hof, ohne sich mehr um Jenen zu bekümmern.

Bei dem Elephanten ist die Unterscheidungsgabe noch bemerkbarer; die Urtheilskraft desselben ist außerordentlich groß, und er versteht mehr als jedes andere Thier, was zu ihm gesprochen wird. Verspricht man ihm eine Belohnung, so gibt er sich alle mögliche Mühe, um die wundervollsten Thaten zu verrichten, wobei er häufig auch ein lebhaftes Schamgefühl zeigt. In Indien z. B., wo man die Elephanten zum Transporte des schweren Geschützes benutzt, strengte sich einer der Schönsten und Stärksten vergebens an, eine Kanone durch einen Sumpf zu bringen –

›Fort mit dem trägen Geschöpfe, und ein anderes Thier her!‹ rief endlich sein Wärter und Führer.

Der kluge Elephant verstand diese Worte; sein Ehrgefühl ward rege, er strengte alle seine furchtbare Kraft des Nackens an, um die Kanone fortzubringen und – stürzte plötzlich mit eingedrücktem Schädel todt zu Boden.

Chunee, ein Elephant, der lange in England gezeigt ward, erhielt öfters den Befehl, mit seinem Rüssel ein kleines Stück Silbergeld vom Boden aufzuheben. Eines Tages fiel das Geldstück so nahe an die hölzerne Wand seines Behälters, daß der Elephant es nicht erreichen konnte. Chunee steht eine Weile, offenbar im tiefsten Nachsinnen, still, zieht dann plötzlich mit einer lebhaften Bewegung seinen Rüssel voll Luft, und bläst mit solcher Gewalt gegen die Einfassung, daß jenes Geldstück durch den Luftzug eine Strecke weit fortgeworfen wird, und der Elephant es mit Bequemlichkeit fassen kann!«

»Das war in der That klug von dem Thiere gehandelt!« sagte William.

»Ja, es war unbedingt ein Beweis von Nachdenken mit dem Bewußtsein von Ursache und Wirkung, welches Letztere sich übrigens auch bei andern Geschöpfen findet.

Außerdem besitzen manche Thiere Kenntniß von der Zeit.

So kannte ich zwei kleine Wachtelhunde, die einer vornehmen Dame gehörten. An jedem Tage in der Woche fuhr die Dame spazieren, und die Hunde wurden stets, außer am Sonntage, wo sie die Kirche besuchte, mitgenommen, um frische Luft schöpfen zu können. Die Hunde wußten genau, wenn es Sonntag war. Fuhr an einem Wochentage der Wagen vor, so sprangen sie mit Gebell heraus aus dem Hause und in den Wagen hinein. Am Sonntage aber rührten sie sich nie vom Flecke, sondern blieben stets ruhig im Vorsaale liegen.

Ein ähnlicher Fall trug sich mit einem Pferde zu, welches von seinem Herrn bei'm Austragen und Vertheilen von Zeitungen geritten wurde. An allen Thoren, wo ein Blatt abgegeben werden mußte, hielt es ganz von selber stille, ohne sich jemals einen Irrthum zu Schulden kommen zu lassen. Nun traf es sich, daß zwei Leser zusammen eine Wochenschrift hielten. Sie kamen überein, daß der Eine sie diese Woche, der Andere sie in der nächsten zuerst zum Lesen haben solle. Nach kurzer Zeit hatte sich das Pferd an diese Einrichtung gewöhnt. Ganz von selber hielt es in dieser Woche an dem einen, in folgender Woche an dem andern Hause still, und machte nie ein Versehen.«

»Das ist wirklich merkwürdig!« rief William. »Welch' ein scharfsinniges Geschöpf muß jenes Pferd gewesen sein!«

»Einige Thiere,« fuhr Herr Seagrave fort, »sind auch lern- und belehrungsfähig, was ein neuer Beweis vom Dasein ihrer Urtheilskraft ist. Der Elephant, das Pferd, der Hund, das Schwein, selbst Vögel können zu mancherlei Dingen angelernt werden. So hat man z. B. schon oft Kanarienvögel gezeigt, die kleine Kanonen abfeuern, sich todt stellen und viele andere Kunststücke ausführen.«

»Aber, Väterchen,« unterbrach William Herrn Seagrave, »noch immer hast du nicht angegeben, wo eigentlich die Gränze zwischen Vernunft und Instinkt zu ziehen ist.«

»Eben jetzt stehe ich auf dem Punkte, die Erklärung zu geben, William. – Wenn Thiere beim Suchen ihrer Nahrung, bei'm Aufziehen ihrer Jungen, bei ihren Vorsichtsmaßregeln gegen Gefahren ihrem Instinkte folgen, so handeln sie nach fest bestimmten Regeln, von denen sie niemals abweichen können. Es können jedoch Umstände eintreten, wo der Instinkt nicht ausreicht, und dann wird die Urtheilskraft in Anspruch genommen. – Durch ein Beispiel will ich die Sache zu erläutern suchen.

Es gibt einen großen Schmetterling, der Todtenkopf genannt, der den Honig sehr liebt. Es gelingt ihm zuweilen, den Weg durch das Flugloch eines Bienenstockes zu finden, und in dessen Inneres einzudringen. Hier jedoch greifen ihn die Bienen sofort an und tödten ihn mit ihren Stacheln. Nun ist aber der Leichnam des Schmetterlings so groß, daß es den Bienen nicht möglich ist, ihn, wie sie es mit den Körperchen kleiner Insekten immer thun, wieder hinaus zu schaffen. Die Ausdünstung des verwesenden Schmetterlings belästigt sie, da sie äußerst empfindliche Geruchsnerven haben, und sie überlegen nun, auf welche Weise dem Uebelstande abgeholfen werden könne. Was meint Ihr wohl, daß sie thun? – Sie machen den Leichnam unschädlich, indem sie ihn mit einer luftdichten und undurchdringlichen Wachshülle umziehen!«

»Das ist allerdings sehr klug gehandelt,« sagte William. »Aber sollten sie in diesem Falle nicht auch den Eingebungen ihres Instinktes folgen?«

»Wenn ein solcher Zufall wilden Bienen begegnete, dann mögtest du Recht haben, William,« erwiederte der Vater. »Aber erinnere dich, daß die Bienen in wildem Zustande in hohlen Bäumen leben, und daß daselbst ihr Flugloch kaum groß genug ist, ihnen selbst den Ein- und Ausgang zu gestatten. Wie sollte nun ein größeres Insekt hinein kommen können? – Im erzählten Falle aber befanden sich die Bienen in einer ganz neuen und ungewohnten Lage. Sie wohnten in einem künstlichen Bienenkorbe von Stroh mit einer weiten Oeffnung, und geriethen allein aus diesem Grunde in eine Gefahr, auf welche sie nicht vorbereitet sein konnten. Dennoch erwählten sie das beste Mittel, um sich dagegen zu schützen.«

»Richtig, lieber Vater! Ich begreife den Unterschied!«

»Noch eins. In Indien fiel ein zahmer Elephant in eine tiefe Grube. Man konnte ihn nicht herausziehen, und er war der Gefahr ausgesetzt, in dem Loche verschmachten zu müssen. Sein Wärter kannte jedoch die Klugheit seines Thieres, und gab den Befehl, eine Menge Reisigbündel zusammen zu binden, und diese in die Grube zu werfen. Der Elephant begriff sogleich, was er damit vornehmen solle. Er legte die Reisigbündel der Reihe nach neben einander, bis sie den ganzen Boden seines Gefängnisses bedeckten, und stellte sich oben drauf. Auf die erste Lage legte er eine zweite, dritte, vierte und so fort, bis er endlich mit Gemächlichkeit die Grube verlassen konnte.

Hier wenigstens wirst du zugeben müssen, William, daß der Elephant mit wirklicher Ueberlegung handelte. Er befand sich in einer völlig ungewohnten Lage, und es war seinem Verstande allein überlassen, wie er die Reisigbündel zu seiner Rettung benutzen wollte.«

»Ja, Vater, der Elephant dachte in der That, und wußte besser, wie vielleicht mancher Mensch, den Zweck der Reisigbündel ausfindig zu machen.«

»I nun, viele solcher Menschen wird es hoffentlich nicht geben,« erwiederte Herr Seagrave. »Uebrigens will ich jetzt dem Schlusse meiner Erzählung noch eine Bemerkung hinzufügen. Indem nämlich der Allmächtige den Thieren Urtheilskraft und einen gewissen Verstand verlieh, hatte er dabei in seiner unendlichen Weisheit unverkennbar nur den Vortheil und die Wohlfahrt des Menschengeschlechts im Auge. Denn hauptsächlich verlieh er nur solchen Thieren erhöhte geistige Fähigkeiten, deren Dienste dem Menschen zu besonderem Nutzen gereichen. Er verlieh sie dem Elephanten, dem Pferde, dem Hunde, also gerade den Thieren, welche von jeher die treuesten und unentbehrlichsten Diener des Menschen gewesen sind.«

»Das ist eine schöne Schlußbemerkung, Herr Seagrave,« rief Hurtig aus. »Und sie ist eben so wahr als schön. Ja, ja, mit voller Ueberzeugung müssen wir ausrufen: Gott ist groß und gnädig in allen Dingen!«

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