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44. Kapitel.
Die Indianerinnen.

Als Robinson in der Wohnung anlangte, fand er die ganze Familie in eine so tiefe Trauer versenkt, daß er es noch nicht für rathsam hielt, einige Worte des Trostes auszusprechen. So blieben Alle still, bis die Nacht hereinbrach und die Zeit zum Schlafengehen herannahte. Die Kinder waren bereits zu Bette gebracht worden. Herr Seagrave aber saß stumm und traurig da und hielt die Hand seiner Gattin umfaßt, während diese ihr kummerschweres Haupt auf seine Schulter lehnte und zuweilen einen tiefen und schmerzlichen Seufzer ausstieß. Die Gemüthsstimmung des unglücklichen Mannes war düster und schwermuthsvoll, und es schien beinahe, als ob er mit Gott und seinem Schicksale bitterlich hadere.

Als die gewöhnliche Schlafstunde längst vorüber war, unterbrach Hurtig endlich das lange Schweigen und sagte ernst, aber ruhig: »Gewiß, Herr Seagrave, haben sie nicht im Sinn, die ganze Nacht aufzubleiben?«

»O nein,« erwiederte Herr Seagrave mürrisch, indem er mit ungeduldiger Heftigkeit aufsprang. »Nein, es würde doch zu nichts helfen. Komm, mein Kind, laß uns zur Ruhe gehen!«

Madame Seagrave stand auf und zog sich hinter ihre Vorhänge zurück. Als jedoch ihr Gatte im Begriff schien, nachzufolgen, schlug Hurtig, ohne ein Wort zu sprechen, die Bibel auf und legte sie vor sich hin auf den Tisch. Herr Seagrave schien diese Bewegung nicht zu bemerken, William aber ergriff sanft seinen Arm, deutete auf die heilige Schrift, und begab sich dann hinter die Vorhänge, um seine Mutter zurückzuführen.

»Gott verzeihe mir!« rief Herr Seagrave aus; »in meiner Selbstsucht und Unzufriedenheit habe ich ganz vergessen« –

»Die Worte der Schrift: Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!« sagte Hurtig. »Es sind wahre und heilige Worte, lieber Herr, und oft haben sie mich getröstet und aufgerichtet, wenn ich mich unglücklich fühlte.«

»Ja! Ja! Ich schäme mich vor mir selbst, sie vergessen zu haben!« rief Madame Seagrave, indem sie in einen Strom von Thränen ausbrach.

Herr Seagrave blätterte in der Bibel, las einen Psalm und klappte dann ohne irgend eine Bemerkung das Buch wieder zu. Darauf wünschten sich alle gute Nacht und gingen still zu Bette.

Der Sturm brauste fort und fort die ganze Nacht hindurch, und der Regen strömte, eintönig plätschernd, vom Himmel nieder. Die Kinder schliefen; Herr und Madame Seagrave aber, so wie Robinson Hurtig und William konnten in dieser Nacht kein Auge schließen. Es schien ihnen die unglücklichste Nacht, welche sie seit ihrer Landung auf der Insel erlebt hatten; sie lauschten dem Aufruhre in der Natur und hingen ihren trüben und düsteren Gedanken nach.

Lange vor Tagesanbruch war Hurtig schon wieder angekleidet und begab sich hinab an die Bucht. Noch immer wüthete der Sturm und heulte machtvoll über die Wogen einher, und so emsig auch Robinson mit dem Fernrohre umherspähte, konnte er doch nicht die geringste Spur von dem verschwundenen Fahrzeuge entdecken.

Bis zur Frühstückszeit blieb er am Ufer; dann aber kam William und holte ihn ab. Er fand Herrn und Madame Seagrave nun ebenfalls wach. Sie zeigten sich ruhiger und gefaßter, als am gestrigen Abend, und Hurtig ward mit herzlicher und warmer Freundlichkeit von ihnen begrüßt.

»Ich muß fürchten, alter Freund, daß Ihr uns keine tröstlichen Nachrichten mitbringt,« sagte Herr Seagrave.

»Nein, lieber Herr,« erwiederte Robinson. »Auch können wir diese kaum erwarten, ehe nicht der Sturm völlig vorüber ist.«

»Hurtig,« sprach Madame Seagrave und faßte seine Hand; »Hurtig, antwortet mir ehrlich und aufrichtig, glaubt Ihr wirklich, das Schiff werde wieder zu uns zurückkehren?«

»Liebe Madame Seagrave,« erwiederte Robinson, »ich will Ihnen ehrlich auseinandersetzen, was wir möglicher Weise erwarten können; das ist Alles, was ich vermag. – Vollkommen unmöglich war es, daß die Brigg hier blieb, so lange der Sturm anhielt. Sie mußte weiter segeln, und wir wissen nicht, von welchen Folgen der Sturm für sie gewesen sein mag. Vielleicht konnte sie kreuzen, und wird in diesem Falle nicht weit von uns entfernt sein, wenn das Unwetter sich gelegt hat. Mußte sie aber vor dem Winde segeln, so ist sie wenigstens an 60 Stunden weit von uns weggetrieben worden. Noch ist eine dritte Möglichkeit vorhanden. Vielleicht nämlich hat sich das Schiff nur wegen Wassermangel unserer Insel genähert, und dann tritt die Frage ein: ob es nicht gezwungen ist, so schnell wie möglich seinem Bestimmungsorte zuzusegeln, oder aber, an einem andern Orte, der ihm am nächsten liegt, Wasser einzunehmen. Sie wissen nämlich oder mögen wissen, daß ein Schiffskapitän streng verpflichtet ist, vor allem Andern das Interesse der Eigenthümer des Fahrzeugs wahrzunehmen. Kann er nun, ohne einen Nachtheil für sein anvertrautes Schiff, zu uns zurückkehren, so wird er es, nach meiner Ueberzeugung wenigstens, gewiß thun. Kann er dieß aber nicht, so ist es sehr zweifelhaft, ob er menschenfreundlich genug ist, sich selber in Gefahr und Unbequemlichkeit zu stürzen, um ihm wildfremde Leute von einer öden Insel zu erlösen!«

»Ihr gebt uns nur geringen Trost, Hurtig,« sagte Herr Seagrave ziemlich niedergeschlagen.

»Weil es nutzlos ist, unbegründete Hoffnungen zu erwecken und zu unterhalten,« entgegnete Robinson. »Uebrigens haben wir selbst dann, wenn das Schiff nicht wieder kommen, sondern seine Reise fortsetzen sollte, alle Ursache Gott dankbar zu sein.«

»Wie meint Ihr das, Hurtig?«

»Weil bisher Niemand wußte, ob wir noch lebten oder nicht,« erwiederte der alte Seemann. »Niemandem würde es vielleicht eingefallen sein, uns aufzusuchen, jetzt aber haben wir uns bemerklich gemacht, der Kapitän der Brigg hat jedenfalls den Namen unseres gescheiterten Schiffes auf der Flagge gelesen, und wird, so bald er in einen Hafen eingelaufen ist, nicht verfehlen, unsern Freunden mitzutheilen, wo sie uns finden können. – Ist das nicht hinreichende Veranlassung zur innigsten Dankbarkeit? Wenn uns auch jenes Schiff nicht aufnimmt, so bleibt uns immer die Hoffnung, daß ein anderes nach uns ausgesandt werden wird.«

»Das ist wahr, Hurtig,« erwiederte Herr Seagrave. »Ich mögte, daß ich dieß früher eingesehen hätte! Gestern aber flößte mir die getäuschte Hoffnung eine so finstere Verzweiflung ein, daß ich fast gänzlich meiner Vernunft beraubt war. Künftig wollen wir immer auf Gott bauen!«

»Es freut mich herzlich, dieß von Ihnen zu hören,« sagte Hurtig. »Ich wußte übrigens wohl, daß Sie bald Ihre alte Geisteskraft, Ihr altes Vertrauen zu Gott wieder erlangen würden. Bei alledem fühle ich inniges Mitleiden mit Ihnen, da ich nur zu gut weiß, wie schmerzlich Ihnen die Abgeschiedenheit von Welt und Menschen sein muß.«

»Nun, sprechen wir nicht weiter davon, alter Freund,« erwiederte Herr Seagrave. »Wir sind und bleiben unvollkommene Geschöpfe; Gott aber ist gnädig, wenn wir aufrichtigen Herzens unsre Thorheiten und Schwächen bereuen.«

Der Sturm wehete mittlerweile den ganzen Tag hindurch, und ließ selbst dann noch nicht nach, als unsere Freunde sich zur Ruhe begaben. Am andern Tage stand Hurtig wiederum in aller Frühe auf, kleidete sich rasch an, und ging mit William an die Bucht hinunter.

»Es scheint mir,« sagte dieser, »als ob sich seit gestern der Sturm ein wenig gelegt hätte.«

»Gewiß, das glaube ich selbst,« erwiederte Hurtig. »Jedenfalls ist er im Abnehmen, und wird heute Abend ganz vorbei sein. Bei alledem ist es nutzlos, nach dem Schiffe auszuschauen, das jedenfalls zu weit fortgetrieben ist, um vor Ablauf einer Woche zurückkehren zu können, wenn es überhaupt noch einmal nach uns auszuschauen Lust hat.«

»Aber seht, Hurtig, was ist das?« rief William, nach dem südöstlichen Ende des Riffes deutend. »Das muß ein Boot sein!«

Hurtig fuhr schnell mit dem Fernrohre an das Auge, und schaute in der angegebenen Richtung hinaus. »Es ist ein Kanoe, William, und es sind Leute darin,« sagte er nach kurzer Prüfung.

»Woher mögen die kommen, wer mögen sie sein? Seht nur, Hurtig! Jetzt sind sie in der Brandung – sie gehen unter – Hurtig, schnell! wir müssen ihnen beispringen!«

So eilig sie konnten, liefen sie am Strande entlang der Stelle zu, wo das Boot mit der Brandung kämpfte, und erwarteten die Landung desselben.

»Es muß jedenfalls von jener großen Insel, die wir dort in der Ferne erblicken, hergetrieben sein,« sagte Hurtig, indem er von Neuem durch das Fernrohr sah. »Zwei Leute sitzen darin, und ich erkenne sie für Insulaner. Wie sie arbeiten, die armen Teufel, um Ihr Leben zu retten! Schon sind sie ganz ermattet! Aber sieh, eben schwimmen sie glücklich über den gefährlichsten Punkt des Riffes hinweg!«

»Ja, und bald werden sie nun in ruhigem Wasser sein, obgleich am Strande selbst die Brandung immer noch sehr stark ist.«

»Das kümmert sie gewiß wenig, so lange ihre Kräfte noch ausreichen, denn wahrlich, sie wissen ihr Boot ganz vorzüglich zu handhaben.«

Während dieser kurzen Unterredung schoß das Kanoe schnell auf das Land zu, kämpfte sich einige Augenblicke später durch die Brandung, und lief endlich in der Bucht auf den Sand. Die beiden armen Geschöpfe, deren Kraft kaum noch ausgereicht hatte, das Boot durch die Brandung zu steuern, stürzten jetzt plötzlich zusammen, und fielen halb ohnmächtig auf den Boden ihres Kanoe nieder.

»Wir wollen das Kanoe weiter herauf ziehen, William,« sagte Hurtig. »Die armen Indianer! Sie sind schier halb todt.«

Während Hurtig noch beschäftigt war, das Kanoe gegen den Strand hinanzuschleppen, bemerkte er, daß jene zwei Indianer Weiber seien. Ihre Gesichter zeigten sich durch vieles Tättowiren entstellt; sonst aber sahen sie nicht häßlich aus, und schienen noch sehr jung zu sein.

»Soll ich hinauf laufen und eine Erquickung für sie holen?« fragte William.

»Ja, lieber Junge, thu' das,« erwiederte Robinson, »und laß dir von Juno ein gutes Frühstück für sie geben; wo möglich etwas Warmes.«

William rannte davon, und kehrte bald mit einer dünnen Hafersuppe zurück, die Juno in aller Eile bereitet hatte. Sie flößten den Indianern einige Löffel voll ein, und hatten die Freude, sie bald in's Leben zurückkehren zu sehen. Hierauf begab sich William wieder nach Hause, um seinen Eltern die unerwartete Neuigkeit mitzutheilen.

Nach kurzer Zeit kam er in Begleitung seines Vaters wieder herunter. Da die Weiber noch nicht im Stande waren, sich aufzurichten, so zogen Hurtig und Herr Seagrave einstweilen das Kanoe vollends an das Ufer herauf, und sicherten es derart, daß es von den Wellen weder in's Wasser zurückgezogen, noch auch in Stücke geschlagen werden konnte. Sie fanden im Kanoe nichts, als einiges Fischergeräth und zwei Ruder, wie sie bei den Eingebornen üblich waren. Sie sowohl, als auch der Vorderbug des Kanoe's zeigten sich auf eine wunderliche, aber nicht geschmacklose Weise ausgeschnitzt.

»Wie mir scheint,« sagte Hurtig, »so sind diese beiden armen Weiber von ihren Landsleuten als Wache im Kanoe zurückgelassen, und dann vom Sturm aus ihrer vermuthlich südöstlich gelegenen Heimath hierher verschlagen worden. Vielleicht kämpfen sie schon seit vorgestern ohne alle Nahrung mit Sturm und Wellen, und es ist wirklich ein Wunder, daß sie diese Insel erreicht haben.«

»Allerdings, Hurtig,« erwiederte Herr Seagrave; »doch kann ich, um die Wahrheit zu gestehen, keineswegs sagen, daß ihre Ankunft mich besonders erfreute. Sie gibt mir den unumstößlichsten Beweis, daß unsere Lage nicht so sicher ist, als wir bisher geglaubt haben. Wer kann vorher wissen, ob uns diese Wilden nicht eines Tages einen sehr unwillkommenen Besuch abstatten?«

»Das ist möglich, allerdings, Herr Seagrave,« erwiederte Hurtig; »aber die Ankunft der beiden armen Geschöpfe da macht die Sache weder schlimmer, noch auch die Gefahr größer. Vielleicht kann sie sogar zu unserem Nutzen gereichen.«

»Wie so?«

»Nun die beiden armen Dinger brauchen nur ein Weniges von unserer Sprache zu erlernen, um uns späterhin, wenn ja einmal Wilde über uns herfallen sollten, als Dolmetscherinnen zu dienen. Wer weiß, ob sie uns auf diese Weise nicht einmal das Leben retten?«

»Könnte ein Besuch von Insulanern so gefährlich werden, Hurtig?« fragte Herr Seagrave besorgt.

»Lieber Herr,« erwiederte Robinson achselzuckend, »ein Wilder ist ein Wilder! Was er sieht, das wünscht er zu bekommen, und verlangt danach wie ein Kind. Vorzüglich sind sie sehr begehrlich nach Allem, was ihnen nützen kann, besonders nach Eisenwaaren und dergleichen. Wenn sie kämen, und wir gäben ihnen, was wir von unsern Vorräthen irgend entbehren könnten, so würden sie uns vielleicht in Ruhe lassen; dennoch aber darf man ihnen niemals trauen, und ich für mein Theil würde mich lieber in den Stand setzen, einer ziemlichen Anzahl derselben Widerstand zu leisten, als mich auf ihre Gutmüthigkeit zu verlassen.«

»Wie könnten wir uns wohl gegen einen Angriff vertheidigen? Es ist unmöglich!« rief Herr Seagrave.

»Keineswegs unmöglich!« erwiederte Robinson. »Wir müssen uns nur darauf vorbereiten. Wenn wir uns gehörig verschanzen, so sind wir Hunderten von Wilden gewachsen.«

Herr Seagrave schlug nachdenklich seine Augen zu Boden. »Es ist wenig tröstlich,« sagte er nach einer Weile, »jetzt von Verteidigung gegen Indianer sprechen zu müssen, während uns vor zwei Tagen die Hoffnung lächelte, unsere Insel verlassen zu können. Wenn doch die Brigg wieder käme!«

»I nun,« antwortete Hurtig, »der Wind wird sich bald legen, und noch vor Abend gutes Wetter eintreten. Da müssen wir dann fleißig nach ihr ausgucken, und auf keinen Fall vor Ablauf einer Woche alle Hoffnung aufgeben.«

»Eine ganze Woche, Hurtig!« rief Herr Seagrave aus. »Ja, ja, es ist nur zu wahr, was jener Weise sagte: Verzögerte Hoffnung macht das Herz krank!«

»Es ist eine harte Prüfung, Herr Seagrave, das läßt sich nicht läugnen,« sagte Hurtig hierauf; »doch müssen wir sie geduldig, als eine Schickung Gottes zu ertragen suchen. – Uebrigens denke ich, wir könnten jetzt diese armen Geschöpfe nach unserem Hause bringen! Sie erholen sich da wohl eher, als hier.«

»Ja, Hurtig! Gebt ihnen durch Zeichen Eure Meinung zu verstehen.«

Robinson deutete den Indianerinnen an, daß sie aufstehen mögten.; und sie gehorchten ihm, obwohl es ihnen sichtlich viele Mühe kostete. Nun schritt er voraus, und winkte ihnen zu, daß sie folgen sollten. Sie verstanden ihn, versuchten vorwärts zu schreiten, taumelten aber vor Schwäche sogleich auf die Seite, und würden zu Boden gefallen sein, wenn Herr Seagrave und William nicht sogleich zugesprungen wären, und sie unterstützt hätten.

Es dauerte lange, bis man mit ihnen das Wohnhaus erreichte. Hier aber wurden sie von Madame Seagrave, welche bereits von der ganzen Begebenheit unterrichtet worden war, auf das Freundschaftlichste empfangen. Juno hielt eine Schüssel voll Speise bereit, die sie ihnen vorsetzte. Sie aßen ein wenig, legten sich dann nieder, und verfielen sogleich in einen tiefen und ruhigen Schlaf.

»Es ist ein Glück für uns, daß es Weiber sind,« sagte Herr Seagrave, indem er die Schlummernden betrachtete. »Wären es Männer, dann würden wir einen schweren Stand haben.«

»Allerdings,« erwiederte Hurtig, »aber auch diesen Weibern dürfen wir nicht zu viel trauen, da es immerhin Wilde sind. Im Uebrigen jedoch, denke ich, dürften sie uns auf mancherlei Weise nützlich werden, wenn es Gottes Wille ist, daß wir diese Insel nicht wieder verlassen sollen. Jedenfalls werden wir ihnen eine Menge Arbeit übertragen können.«

»Wo sollen wir sie aber für die Nacht unterbringen, Hurtig?« fragte Herr Seagrave.

»Eben habe auch ich schon darüber nachgedacht,« erwiederte Robinson. »Gut wär's, wenn wir dicht bei unserem Hause ein Obdach für sie hätten! Da wir's aber nicht besitzen, so müssen wir sie wohl im Magazine schlafen lassen.«

»Richtig, das geht,« entgegnete Herr Seagrave, und diese Angelegenheit war somit abgethan.

 

Wir müssen jetzt einen Zeitraum von etwa vierzehn Tagen überspringen, in welchem eben nichts Wichtiges vorfiel. Immer noch hofften unsere Freunde mit lebendiger Sehnsucht auf die Ankunft des vorüber gesegelten Schiffes, obwohl die freudigen Erwartungen mit jedem Tage geringer wurden. Alle Tage gingen Hurtig und William mit dem Fernrohre an die Bucht hinab, durchspähten Stunden lang in Furcht und Hoffnung das Meer und den ganzen Horizont, und erblickten immer nicht den Gegenstand ihrer Wünsche.

So war es denn nicht zu verwundern, daß die Erscheinung der Brigg, verbunden mit der dadurch angeregten Erwartung, die Insel bald verlassen zu können, aller bisherigen Ordnung und Zufriedenheit unserer Freunde einen harten Stoß versetzte, und jede Heiterkeit stören mußte. Von nichts Anderem mehr ward gesprochen, als von der Brigg, und alle Arbeit ruhete, da sie ja doch unnöthig und fruchtlos war, wenn die Insel nun einmal verlassen werden konnte und sollte.

Vierzehn Tage dauerte, wie gesagt, dieser unbehagliche Zustand; aber nach Ablauf der ersten Woche schon fingen die Hoffnungen an, hin zu schwinden, und erloschen am Ende gänzlich, als in vergeblicher Erwartung ein paar Wochen verstrichen waren. Man fügte sich endlich wieder in das Schicksal, und die Gedanken Aller kehrten allmählig zu den bisherigen Plänen und Arbeiten zurück.

Mittlerweile hatten sich die beiden Indianerinnen von den ausgestandenen Leiden und Mühseligkeiten völlig erholt, und schienen ein Paar sehr gutherzige und lenksame Geschöpfchen zu sein. Gern und willig unterzogen sie sich jeder Arbeit, zu der sie fähig waren, und hatten bereits einige Worte von der Sprache unserer Freunde erlernt. Man fing an ihnen etwas Vertrauen zu schenken. Ein wiederholter Ausflug zu Erforschung der Insel ward besprochen, und die Ausführung desselben bereits zum nächsten Montage festgesetzt, als sich plötzlich ganz unverhofft ein neues Unglück ereignete, welches wiederum all' ihren Ordnungen hinderlich in den Weg trat.

Als Hurtig nämlich am Sonnabend Morgen seine gewöhnliche Runde machte, wie gewöhnlich am Strande entlang schlendernd, bemerkte er zu seinem Erstaunen, daß der Nachen der Indianerinnen verschwunden war, obgleich er ihn so hoch an den Strand hinauf gezogen hatte, daß er unmöglich von den Wellen hinweggespült sein konnte. Das Herz des alten Mannes füllte sich alsbald mit bangen Zweifeln und Muthmaßungen; er zog sein Fernrohr hervor, blickte über das Meer hinweg nach der in der Ferne schimmernden großen Insel, und glaubte weit drüben auf dem Ocean einen dunkeln Gegenstand zu erkennen.

Noch starrte er darauf hin, als William zu ihm trat.

»Höre, mein Junge,« sagte er zu ihm, »ich fürchte, unsere Indianerinnen sind in ihrem Kanoe auf und davon gegangen. Schnell lauf einmal hin an das Magazin, oder wo du sie sonst vermuthen kannst, und komme dann wieder her, um mir Nachricht zu bringen.«

William sprang eilig davon, und kehrte nach einigen Minuten ganz athemlos mit der Nachricht zurück, daß die Weiber nirgends zu finden seien, und obendrein eine Menge großer Nägel und anderen Eisenwerkes, das in kleinen Tönnchen im Magazine gelegen hatte, vermißt würde.

»Das hab' ich mir doch gedacht!« rief Hurtig in schmerzlicher Bewegung aus. »Es ist ein schlimmes Ereigniß, William! Viel schlimmer in der That, als daß die Brigg nicht wiedergekommen ist?«

»Aber warum, Hurtig? Wir können doch wohl auch ohne sie fertig werden!«

»Das wohl; aber wenn die Indianerinnen zu ihrem Volke zurückkehren, ihren Landsleuten das Eisen zeigen, und ihnen erzählen, wie viel mehr noch auf der Insel zu haben ist, dann werden wir bald genug eine Horde raubgieriger Wilden empfangen müssen. Hätte ich nur eher daran gedacht! Das Kanoe würde nicht stehen geblieben, es würde mit Feuer und Axt von mir vernichtet worden sein! Doch komme, wir müssen zu deinem Vater, und Rath halten. Je schneller wir unsere Vorbereitungen treffen, desto besser werden sie uns zu statten kommen. Komm, mein Junge, und vergiß nicht, daß wir deiner Mutter die ganze schlimme Geschichte von der besten Seite darstellen müssen!«

Schnell gingen sie nach Hause, nahmen Herrn Seagrave auf die Seite, und theilten ihm insgeheim ihre Gedanken und Befürchtungen mit. Er begriff die drohende Gefahr augenblicklich in ihrem ganzen Umfange, hielt es aber dennoch für besser, seine Gattin ohne Aufschub damit bekannt zu machen, und führte sogleich diesen Entschluß aus. Hierauf wurde reiflich überlegt, was zu thun sein würde, und man vereinigte sich endlich nach langer Berathung zu folgenden zwei Maßregeln:

Vor Allem Andern hielt man für das Nöthigste, sofort das Magazin in Vertheidigungszustand zu versetzen, und es dermaßen zu befestigen, daß die Erstürmung desselben so schwierig als möglich gemacht würde. Dann aber sollte ihre Wohnung in das Magazin verlegt, die Vorräthe jedoch, welche darin nicht Platz fänden, sollten entweder in das jetzige Wohnhaus oder im Kokoswalde versteckt werden.

Erst wenn sie sich auf diese Weise gegen einen plötzlichen Ueberfall gesichert hätten, wollten sie an die Ausführung ihrer früheren Pläne gehend

Im Uebrigen wurde beschlossen, heute, als am Sonnabend, nichts mehr zu beginnen; am Sonntage aber in demüthigem Gebete den allmächtigen Gott um gnädigen Schutz und Beistand anzuflehen, seinem väterlichen Willen alle Sorgen anheimzustellen, und so sich würdig zu einem Kampfe auf Leben und Tod vorzubereiten. Am Montage endlich sollte die Arbeit mit allen Kräften rüstig angegriffen und begonnen werden.

»Wie es zugeht, weiß ich nicht, aber ich fühle jetzt, da doch die Gefahr uns wahrscheinlich schon ganz nahe bedroht, mehr Muth, als damals, wo gar keine, oder doch nur geringe Gefahr vorhanden war,« sagte Madame Seagrave, indem sie ziemlich heiter und zuversichtlich den Kreis ihrer Lieben überblickte.

»Daran zweifle ich nicht, Madame Seagrave,« erwiederte Hurtig. »Ich hoffe sogar gewiß, daß Ihr Muth sich glänzend bewähren wird, wenn es des Himmels Wille ist, daß wir ihn wirklich bedürfen sollten. Vielleicht in einigen Tagen schon kann es nothwendig werden.«

»Ja, ja!« rief Herr Seagrave aus. »Wie wenig können wir wissen und voraussehen, was der nächste Tag uns bringen wird! Als wir die Brigg erblickten, als sie auf unsere Insel lossegelte, und ihre Flagge aufzog, da schlugen unsere Herzen voller Wonne und Entzücken, und wir zweifelten nicht daran, aus unserer Abgeschiedenheit erlöst zu werden – und derselbe Sturm, der die Brigg unseren Augen entführte, trieb uns die Indianerinnen zu. – Das schöne Wetter nach dem Sturm, das unseren Hoffnungen schmeichelte, und uns das Schiff zurückzubringen versprach, es gab nur den beiden Mädchen Gelegenheit, in ihrem Kanoe zu entfliehen, und denen Nachricht von uns zu ertheilen, die kommen werden in der Hoffnung, uns zu verderben! Nur zu wahr ist, daß des Menschen Pläne eitel sind, nur zu wahr, daß er ein machtloses Wesen ist, und daß er einzig und allein nur durch des Allmächtigen Willen seine irdischen Zwecke zum Ende zu führen vermag! Lasset uns darum beten, und demuthsvoll sprechen: ›Herr, dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!‹«

Sie falteten ihre Hände, und Alle erhoben ihre Herzen zu Gott in Ehrfurcht, in Demuth und Anbetung! –

*


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