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21. Kapitel.
Ein langes Gespräch.

Der rührige alte Hurtig hatte am folgenden Morgen bereits, während die übrigen Mitglieder der Familie noch im tiefsten Schlafe lagen, eine tüchtige Ladung in sein Boot geschafft und das Segel aufgehißt, um auf die andere Seite der Insel zu schiffen. Er segelte ab, fuhr um die Küste herum und kam an seinem Bestimmungsorte an, ehe noch die Uebrigen sich angekleidet hatten. Am Ufer setzte er sich nieder, verzehrte ruhig sein Frühstück und machte sich hierauf daran, sein Boot auszuladen und die nöthigen Vorbereitungen zur Aufrichtung des Zeltes zu treffen. Er war bald mit Allem fertig, und erwartete nun geduldig William und Juno, die ihm helfen sollten, die Sparren zu befestigen und die Leinwand darüber zu ziehen.

Etwa um zehn Uhr Morgens kamen sie an. William führte eine der Ziegen, Juno eines der Schafe an einem Stricke, und die übrigen sprangen munter hinterdrein.

»Da wären wir endlich,« sagte William vergnügt. »Aber das könnt Ihr glauben, Hurtig, unsere liebe Noth haben wir gehabt. Wenn ich auf dieser Seite des Wegs war, so wollte meine Nanny hier auf die andere, und zerrte so lange und so derb, daß ich unzählige Male den Strick loslassen und ihr den Willen thun mußte. Da hieß es denn die Beine heben, um sie wieder einzufangen. – Auf die Schweine sind wir auch gestoßen,« fuhr er fort. »Nein, das Geschrei von Juno hättet Ihr hören müssen, als sie plötzlich hinter einem Busche vorsprangen!«

»Ich glauben, sie wilde Thiere sein,« entschuldigte sich Juno. »Aber ach, wie schöner Platz sein hier! Hier Missis gern leben!«

»Ja, hübsch ist es hier, das ist wahr, Juno,« erwiederte Robinson. »Und was das Beste dabei ist, du brauchst kein Wasser mehr zu sparen, wie bisher da drüben.«

»Ich denke eben darüber nach, Hurtig,« unterbrach ihn William, »wie wir die Hühner herüber bringen sollen? Haben uns schon die Schafe und Ziegen so viele Mühe gemacht, so wird's mit den Vögeln noch schlimmer gehen.«

»Ich will sie schon morgen mitnehmen,« erwiederte Hurtig. »Mache dir keine Sorge deßhalb, mein Junge.«

»Ja, aber wie wollt Ihr sie fangen, Hurtig?«

»Nun ich warte, bis sie auf ihrer Stange sitzen und eingeschlafen sind. Da lassen sie sich leicht greifen.«

»Die Tauben werden wir wohl frei umherflattern lassen müssen, Hurtig?« fragte William wieder.

»Das ist allerdings das Beste, was wir mit ihnen anfangen können,« entgegnete Hurtig. »Sie werden sich, wie die Schweine, die unter den Kokospalmen hinreichende Nahrung finden, selbst Futter suchen, Nester bauen, Junge bekommen und sich endlich sehr schnell in diesem günstigen Klima vermehren. Da gibt's dann späterhin wieder ein Vergnügen mehr, ich meine das Jagdvergnügen. Du sollst sehen, William, wir werden bald prächtig hier eingerichtet sein und in Hülle und Fülle leben können. So Gott will, werden wir mit jedem Jahre reicher an Bequemlichkeiten und Lebensmitteln werden. Doch komm, du mußt mir helfen, das Zelt aufzuschlagen und Alles hübsch in Ordnung zu bringen, damit deine Mutter sich recht bequem und behaglich eingerichtet findet, wenn sie morgen ermüdet herüber kommt. Greif' hurtig zu, mein Junge, denn wir müssen noch viel arbeiten, ehe uns die Regenzeit über den Hals kommt. Leider Gottes werden wir aber schwerlich Alles beendigen können.«

»Aber was gibt's denn weiter zu thun, als die Zelte aufzuschlagen und unsere Habseligkeiten herüber zu bringen?« fragte William.

»Was wir noch zu thun haben?« rief Hurtig. »Na, mein Junge, du wirst dich wundern, wenn ich dir's an den Fingern herzähle. Also vor allen Dingen müssen wir ein Haus bauen und uns gewaltig beeilen, wenn wir vor der Regenzeit damit fertig werden wollen. Dann müssen wir ein Gärtchen anlegen und die Sämereien hinein pflanzen, die dein Vater mit aus Europa gebracht hat.«

»Ei, das muß nett werden, Hurtig!« unterbrach ihn William. »Wo soll's denn hinkommen?«

»Dort quer über jene Landspitze,« erwiederte Robinson. »Ich hab's mir schon überlegt! Wenn wir den Boden ordentlich umgraben, das wuchernde Gesträuch ausrotten und einen hübschen Zaun darum herziehen, dann ist die Sache gemacht.«

»Und wenn der Garten fertig ist, was ist dann noch zu thun?« fragte William.

»Dann, mein Lieber, müssen wir ein Vorrathshaus errichten, um Alles, was noch im Walde und an der Bucht umherliegt, hinein bringen zu können. Das wird noch manchen Schweißtropfen kosten, sollt' ich meinen! Dann müssen wir einen Schildkrötenteich und einen Fischteich anlegen, müssen einen Badeplatz für Juno und die Kinder zurecht machen, und vor Allem aus unserer Quelle einen ordentlichen Brunnen machen, damit wir immer reines und frisches Wasser haben.«

»Merkst du nun, mein Junge,« fuhr er fort, daß wir für ein Jahr hinlängliche Arbeit haben? Ja, ja! Und bei alledem zweifle ich nicht, daß es doch noch hie und da hapern und noch mancherlei Mängel geben wird! Möge der Himmel nur geben, daß ich nicht eher sterbe, als bis ich Alles hübsch im Gange und Ordnung weiß, und keine Sorgen um euch mit in's Grab nehmen muß!«

»O, sprecht nicht so, Robinson!« bat William vorwurfsvoll. »Wie mögt Ihr nur an's Sterben denken? Ihr seid zwar nicht mehr jung, aber doch ein kräftiger und gesunder Mann.«

»Ja, Gottlob! noch bin ich's,« erwiederte Robinson. »Aber du weißt, William, was die heilige Schrift sagt: ›In der Blüthe des Lebens stehen wir am Rande des Grabes!‹ Bei alledem hast du Recht; man sollte sich nicht mit solchen Gedanken traurig stimmen. Laß uns lieber wieder an die Arbeit gehen, William.«

Sie standen auf, breiteten die Leinwand über das Zelt aus und befestigten sie auf der Erde mit Pflöcken.

»Sagt, Hurtig,« sprach William nach einer Weile, »wie seid Ihr nur zu dem wunderlichen Namen Robinson gekommen? Ich habe schon oft daran gedacht, Euch darum zu fragen. Gewiß seid Ihr von Eurem Pathen so genannt.«

»Ganz recht, William,« erwiederte Robinson; »und mein Pathe war ein steinreicher Mann. Später will ich dir einmal von ihm und von meinem ganzen Leben Einiges erzählen. Wir müssen nur ein wenig Muße dazu bekommen.«

»Das soll mich freuen, Robinson!« rief William. »Ihr habt gewiß bei Eurem Alter recht viel Merkwürdiges erlebt. Wie alt seid Ihr doch, Hurtig?«

»Vierundsechszig Jahre, mein Junge,« erwiederte Robinson. »Ein hohes Alter für einen Seemann.«

»Warum grade für einen Seemann?«

»Weil Matrosen schneller leben, als andere Leute, lieber William,« erwiederte Hurtig auf diese Frage. »Die unsäglichen Anstrengungen, die sie ertragen müssen, die vielen geistigen Getränke, welche die Meisten von ihnen zu sich nehmen, und endlich die Sorglosigkeit gegen Alles, was ihre Gesundheit untergraben und erschüttern muß, machen die Seeleute schneller alt und gebrechlich, als die übrigen Menschen.«

»Aber Ihr trinkt doch keine geistigen Getränke, Hurtig,« sagte William.

»Nein, jetzt nicht mehr,« erwiederte Robinson. »Jedoch in meinen jüngeren Tagen war ich eben so schwach und thöricht, wie die Anderen, und die Übeln Folgen davon verspüre ich zuweilen jetzt nach so langer Zeit noch. Hüte dich darum vor allen geistigen Getränken, William, sie mögen Namen haben, welche sie wollen.«

»Aber nun sind wir fertig mit dem Zelte,« fuhr er fort, »bis auf die Betten, die Juno schnell hineinschaffen kann. Wir haben jedoch noch drei Stunden Zeit übrig; wie wollen wir diese anwenden?«

»Ihr könntet uns einen Kochherd bauen,« schlug William vor. »Die nöthigen Steine will ich mit Juno herbeitragen.«

»Sieh, du bist ein kluger Bursch, William!« sagte Robinson. »Denselben Gedanken hatte ich eben auch, und er soll euch zu statten kommen. Morgen bin ich doch wieder früher hier, als ihr Uebrigen, und da will ich euch dann mit einem recht schön gekochten Essen überraschen. Hole die Steine herbei!«

»Laßt mich nur erst in aller Geschwindigkeit die Ziegen melken,« sagte William. »Ich habe eine Flasche für die Milch mitgebracht, weil ich doch gern dem kleinen Albert ein Abendbrod besorgen wollte.«

»Thu' das, William, und ich lobe dich darum;« sagte Robinson. »Du hast dich in dieser Sache wieder einmal nicht nur als einen umsichtigen, sondern auch als einen freundlichen und aufmerksamen Knaben gezeigt. Während du die Ziegen melkst, will ich meine letzte Bootsladung unter die Bäume schaffen, und dann ist immer noch Zeit genug für unsern Herd übrig.«

»Sollen die Schafe und Ziegen frei umherlaufen?« fragte William.

»Ja, laß sie nur,« erwiederte Hurtig. »Sie werden nicht davon rennen, denn eine bessere Weide, als hier, finden sie auf der ganzen Insel nicht. Immer laß sie laufen.«

Die Ziegen wurden gemolken, der Herd ward erbaut, und endlich machten sich Juno und William wieder auf den Rückweg durch den Wald.

Hurtig schlenderte langsam an die Bucht hinab. Als er dort ankam, bemerkte er eine kleine Schildkröte, die langsam über den Sand hinwegkroch. Ganz sachte und leise gewann er ihr den Wind ab, schlich sich zwischen sie und das Wasser, packte sie beim Kopfe und drehte sie geschwind um, so daß sie auf dem Rücken lag und ihm nicht mehr entrinnen konnte.

»So,« murmelte er vor sich hin; »du kommst mir eben recht, mein Thierchen, und wirst morgen eine treffliche Suppe für Madame Seagrave und uns Alle geben.«

Hierauf begab er sich in's Boot, ergriff die Ruder und ruderte gemächlich an das jenseitige Ufer der Insel zurück.

*


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