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14. Kapitel.
Reiseabentheuer.

Lange vor Sonnenaufgang war Hurtig schon auf den Beinen, und weckte William. In aller Stille kleideten sich Beide an, suchten ihre Reisetaschen hervor, hingen sie um, nahmen Flinte, Axt und Beil zur Hand und traten vor das Zelt. Hier mußte sich William noch mit einem kleinen Spaten versehen, und nun waren sie zum Abgange völlig gerüstet. In ihren Reisetaschen bewahrten sie ihre Mundvorräthe, die sorgfältig mit Kokosblättern umwickelten Wasserflaschen, ein paar Stricke und andere Kleinigkeiten auf, deren sie unterwegs bedürftig sein konnten, und Hurtig besonders hatte sich mit einer Masse der verschiedenartigsten Gegenstände versehen. Ehe sie den Hügel verließen, lockte Robinson noch die beiden Hunde Romulus und Remus herbei, führte sie an das Wasserfaß und ließ sie trinken, so viel sie irgend vermogten. Dann löschte er selbst seinen Durst, forderte auch William dazu auf, und schritt endlich in dessen Begleitung, von den munter bellenden Hunden umsprungen, rasch den Hügel hinab, um sich in das geheimnißvolle Dunkel der vor ihnen liegenden, dichten Waldung zu vertiefen. Gerade als die Sonne prachtvoll und leuchtend aus dem Meere aufstieg, verloren sie die Zelte aus den Augen.

»Nun, William,« sagte Robinson, »wie werden wir es jetzt anzufangen haben, den Rückweg zu unserem Hügel wieder aufzufinden? Dieß ist jedenfalls eine Sache von großer Wichtigkeit, indem wir uns, da nirgends ein Pfad zu sehen ist, sehr leicht in diesem großen Walde verirren können.«

»Ja, wahrhaftig, Robinson, das weiß ich nicht,« erwiederte William lebhaft. Eben dachte ich aber darüber nach, und es fiel mir ein, wir könnten es machen, wie Hänsel in dem alten Mährchen, das Ihr wohl schon gehört habt.«

»Wie machte es denn Hänsel?« fragte Hurtig.

»Er streute Erbsen auf den Weg,« erwiederte William lachend; »aber die Vögel pickten sie auf.«

»Siehst du wohl, da hat Hänsel seine Sache schlecht gemacht,« sagte Hurtig und lachte von Herzen; »wir wollen ein besseres Mittel anwenden, und die Bäume zeichnen, wie es die Amerikaner thun, wenn sie durch die Wälder gehen. Sie hauen in verschiedenen nahen Zwischenräumen mit der Art einen Spahn aus der Rinde der Stämme, und finden sich dann überall wieder zurecht. Nimm du die rechte Seite, und ich will die linke nehmen, damit es dir weniger sauer wird. Abwechselnd zeichnen wir immer etwa den zehnten Baum, und die Ritzen werden uns dann Jahre lang zu Wegweisern dienen können.«

»Das ist ein recht sinnreiches und doch einfaches Mittel, sich zurecht zu finden,« sagte William beifällig, indem er weiter gehend von Zeit zu Zeit einen Hieb mit seinem Beile that.

»Aber es ist nicht das Einzige, dessen wir uns bedienen wollen,« sagte Robinson, und zog einen kleinen Taschen-Compaß aus der Tasche. »Verstehst du, William, das Zeichnen der Bäume hilft uns nur den Rückweg finden, der Compaß aber muß unser Führer auf dem Heimwege sein, damit wir nicht von der geraden Linie abweichen. Jetzt freilich gehen wir noch gerade aus, aber nur weil wir den Wald hinter uns noch durchschauen können. Späterhin aber hört die Lichtung auf, und ohne die Magnetnadel würden wir unfehlbar in der Irre umherlaufen.«

»Sehr richtig, Robinson,« stimmte William bei. »Aber nun sagt mir doch, weßhalb mußte ich den Spaten mitnehmen? Ich weiß nicht, zu was er nützen kann, und Ihr selber sagtet auch gestern noch kein Wort davon.«

»Jetzt kannst du den Grund erfahren, den ich bisher nur verschwieg, um deiner Mutter eine Sorge zu ersparen;« erwiederte Robinson Hurtig. »Es handelt sich darum, süßes, trinkbares Wasser zu finden, weil davon unser ferneres Bleiben auf dieser Insel abhängen wird. Vermögen wir nichts zu entdecken, so müssen wir fort und ein anderes Ruheplätzchen suchen; denn ohne Wasser kann der Mensch nicht bestehen. Unser Vorrath davon ist nur noch gering und auf dem Wracke ist auch nicht viel mehr. Nun mußt du wissen, daß man häufig eine Quelle findet, die auf der Oberfläche der Erde nicht sichtbar ist, aber sogleich hervorsprudelt, wenn man tief genug darnach gräbt. Ist dir nun klar, zu was der Spaten dienen soll?«

»Ei, freilich!« erwiederte William! »Aber zu bewundern ist es, wie Ihr doch auch an Alles und Alles denkt, Hurtig!«

»William,« erwiederte Robinson, »ein altes Sprichwort sagt: ›Noth ist die Mutter des Nachdenkens und der Erfindung.‹ Wenn ich übrigens vielleicht auf Dieß und Jenes eher verfalle, als dein Vater, so muß dich das nicht wundern; denn erstens bin ich ein alter Mann, und habe demnach den Vortheil der Jahre voraus, und zweitens bin ich schon vielfach in Lagen gewesen, wo ich, um mein Leben zu fristen, einzig auf die Hilfsmittel meines Verstandes angewiesen war. Dadurch habe ich einige Uebung bekommen, mich bei Unglücksfällen zu berathen, und du kannst glauben, daß ein alter Seemann, der selber Schiffbruch erlitt und Gefahren und Drangsale aller Art erduldete, der hundert Mal die Erzählungen von Andern anhörte und nützliche Lehren daraus schöpfte, daß der, sage ich, sich immer zu helfen weiß, wenn nur irgend eine Aussicht da ist, deren Benutzung ihm möglicher Weise das Dasein fristen kann.«

William nickte mit dem Kopfe, und fragte nach einem Weilchen plötzlich: »Wohin gehen wir, Hurtig?«

»Nach der Leeseite der Insel, William, und ich hoffe, wir werden sie vor Nacht erreichen;« erwiederte Robinson.

»Warum nennt Ihr jene Seite die Leeseite?«fragte William wieder.

»Weil sie unter dem Winde liegt, mein Junge;« entgegnete Hurtig. »Strecke nur einmal deine Hand in die Höhe, und du wirst ungeachtet der uns umgebenden Bäume finden, daß wir den Wind im Rücken haben.«

William hob die Hand auf, versicherte jedoch, er spüre nicht den geringsten Luftzug.

»Mache einen deiner Finger naß, und versuche es dann noch einmal,« rieth Robinson.

William befolgte die Weisung, hielt den Finger in die Höhe, und spürte das Wehen des Windes nun augenblicklich. »Wie geht das zu?« fragte er verwundert.

»Das will ich dir sagen,« sprach Robinson. »Der Zug der Luft zehrt die Feuchtigkeit an deinem Finger auf, entzieht ihm dadurch einen Theil der natürlichen Wärme, und erregt also ein merkliches Gefühl von Kälte. Die Sache geht ganz natürlich zu. Doch halt! was haben die Hunde vor?«

Romulus und Remus knurrten, bellten laut, und sprangen plötzlich vorwärts. William wollte ihnen nachlaufen, aber Robinson hielt ihn zurück. »Steh' still, mein Junge,« sagte er, indem er rasch die Flinte von der Schulter riß und den knackenden Hahn spannte. »Geh' nicht von der Stelle; ich will selber hin und nachforschen.«

Er hielt das Gewehr schußfertig in der Hand, und schlich vorsichtig vorwärts. William schaute ihm athemlos und pochenden Herzens nach; die Hunde bellten stärker und immer wüthender, und plötzlich sprangen aus einem Haufen zusammen geweheter Kokosblätter – die Schweine heraus, welche vor Kurzem erst aus dem Schiffe gebracht waren, und nun laut grunzend und schnaufend, so schnell sie konnten, davon rannten.

Die Hunde setzten hinterher, und Hurtig brach in ein fröhliches Gelächter aus. »Da sind wir einmal schön angeführt, William!« rief er. »Lassen uns da von unseren eigenen Schweinen in Schrecken setzen! Das ist wirklich spaßhaft. – He, Romulus, zurück! Hierher, Remus! Wollt ihr wohl die Thiere in Ruhe lassen! Zurück! sage ich, oder ich gerbe euch das Fell, daß ihr an mich denken sollt.«

Die Hunde kamen langsam zurückgeschlichen, und nachdem sie Hurtig wegen ihres anfänglichen Ungehorsams ein wenig an den Ohren gezaust hatte, wendete er sich zu William, und sagte mit heiterer Laune: »Da hätten wir also unser erstes Abentheuer erlebt!«

»Und ich will wünschen, daß alle anderen so harmlos sein mögen, wie dieses,« erwiederte William. »Dennoch muß ich gestehen, daß ich nicht wenig beunruhigt war, als ich Euch einer ungekannten Gefahr entgegen gehen sah.«

»Das ist nicht zu verwundern,« erwiederte Hurtig; »denn es ist nichts Unmögliches, hier wilden Thieren, oder wohl gar wilden Menschen zu begegnen, wenn es auch nicht eben wahrscheinlich ist. In einem gänzlich fremden und unbekannten Lande muß man sich immer auf's Schlimmste gefaßt halten. Und dann ist's auch zweierlei, William, beunruhigt, oder erschreckt zu sein. Ein Mann kann beunruhigt werden, und dennoch jeder Gefahr muthvoll die Spitze bieten; wer aber in Schrecken geräth, der läuft auch in der Regel davon.«

»So feige werde ich mich gewiß niemals benehmen,« sagte William. »Nimmer könnte ich's über's Herz bringen, Euch im Stich zu lassen, Hurtig, und sollt' es mein eigenes Leben kosten!«

»Glaub's, glaub' es dir gern, mein Junge,« erwiederte Hurtig freundlich beim Weitergehen. »Du bist eher zu dreist als zu vorsichtig, und mußt dich noch ein wenig beherrschen lernen.«

»Uebrigens will ich dir beiläufig noch eine kleine Lehre ertheilen,« fügte er hinzu, während er den Hahn seines Gewehres wieder in Ruhe setzte. »Da du späterhin öfters mit Schießgewehr umgehen wirst, so mache es dir ein für alle Mal zur festen Regel, niemals den Hahn deiner Flinte zu spannen, als in dem Augenblicke, wo du den Schuß abfeuern willst. Bei weitem die meisten Unglücksfälle, die durch das Losgehen von Gewehren verursacht werden, schreiben sich von Unterlassung dieser Vorsichtsmaßregel her, und darum hüte dich, sie jemals in deinem Leben zu vergessen.«

Hurtig schaute nach dieser kleinen Rede wieder einmal auf den Kompaß, um sich zu versichern, daß sie von der Richtung ihres Weges nicht abgewichen wären, rief die Hunde herbei, und schritt munter in der herrlichen Kokoswaldung weiter, ohne je zu vergessen, die Bäume im Vorüberschreiten mit einem Hiebe seiner Art zu bezeichnen. Nach ungefähr einer Stunde aber setzte er sich mit William auf ein grünes Moosfleckchen nieder und entleerte seine Reisetasche ihres Inhalts, um ein kräftiges Frühstück einzunehmen. Die Hunde legten sich an ihre Seite, und wedelten mit dem Schwanze, als ob sie höflichst bitten wollten, auch Antheil an dem Mahle nehmen zu dürfen. William wollte ihnen ein Stück Fleisch reichen, aber Robinson hinderte ihn daran.

»Gib den Hunden weder gesalzenes Fleisch noch Wasser, William,« sagte er; »reiche ihnen nichts, als ein wenig Zwieback.«

»Die armen Thiere sind aber so durstig, Hurtig,« erwiederte William, »darf ich ihnen nicht wenigstens ein bischen Wasser geben?«

»Nein, mein Junge,« entschied Robinson mit ernster Stimme; »denn erstens werden wir jeden Tropfen Wasser für uns selber brauchen, und zweitens habe ich noch einen besonderen Grund, die Thiere dürsten zu lassen. Wenn du meinem Rathe folgen willst, William, so trinke auch du selber nur wenig Wasser auf einmal; es reicht hin, den Durst zu löschen, und je mehr du trinkst, desto eher wirst du auch wieder nach einer Erfrischung verlangen.«

»Dann darf ich auch wohl nur wenig gesalzenes Fleisch essen?« fragte William.

»So wenig, wie möglich, mindestens bis wir eine Quelle frischen Wassers entdeckt haben und unsere Flaschen wieder auffüllen können,« erwiederte Robinson.

»Aber wir können ja zur Noth einen Baum fällen, und die Kokosmilch trinken, Hurtig,« sagte William.

»Das können wir allerdings, und es ist ein Glück für uns, daß wir diese Zuflucht haben,« entgegnete der Alte. »Doch würden wir immerhin mit Kokosmilch allein nicht weit reichen, selbst wenn sie das ganze Jahr hindurch zu haben wäre, was nicht der Fall ist. Aber wie steht's mit dem Weitergehen? Bist du nicht zu ermüdet dazu?«

»O nein,« rief William, und sprang rüstig auf; »vielmehr sehne ich mich selber weiter, um nur endlich einmal aus diesen ewigen Kokoswäldern heraus zu kommen.«

»Nun, so laß uns rüstig ausschreiten,« sagte Robinson, und ging ihm mit gutem Beispiele voran.

Nach einer Wanderung von einer halben Stunde bemerkte Hurtig, daß der Grund nicht mehr so eben war, als bisher. Der Boden senkte sich zuweilen, und dann ging es wieder ein wenig bergauf.

»Es freut mich,« sagte er, »hier die Insel nicht mehr so flach zu finden, William, denn das macht mir mehr Hoffnung, Wasser zu entdecken.«

»Dort geht es noch steiler an, als bisher,« antwortete William, durch die Lichtung der Bäume zeigend. »Ein tüchtiger Hügel liegt da vor uns.«

»Um so besser,« sagte Hurtig munter, »den wollen wir sogleich ersteigen.«

Sie schritten darauf zu, und fanden, daß der Boden immer wellenförmiger wurde, und auch noch dichter, als bisher, mit Bäumen bewachsen war. Den Hügel hinauf steigend, schauten sie zuweilen nach dem Kompaß, und wanden sich mühsam zwischen den Bäumen hindurch. Endlich ließ William Spuren von großer Müdigkeit blicken, und blieb tief Athem schöpfend ein Weilchen stehen.

»Ich kann kaum mehr fort,« sagte er. »Wie viel Wegstunden mögen wir schon zurückgelegt haben, Hurtig?«

»Ungefähr zwei, denke ich.«

»Nicht mehr?« fragte verwundert der Knabe.

»Mehr auf keinen Fall,« erwiederte Hurtig, »selbst wenn wir in der Stunde zwei Meilen zurückgelegt hätten. Aber so schnell kommt man, glaube ich, nicht einmal vorwärts, wenn man jeden Augenblick nach dem Kompaß sehen, und die Stämme der Bäume bezeichnen muß. Gelt, das macht müde Arme, mein Junge? Na, aber tröste dich nur! Ich sehe, der Wald wird schon lichter, und der Gipfel des Berges kann nicht mehr weit entfernt sein.«

Da William jetzt wieder Kräfte gesammelt hatte, gingen sie weiter. Nach wenigen Minuten gelangten sie auf die Kuppe des Hügels, stiegen wieder thalabwärts, klimmten einen zweiten Berg hinan, und traten jetzt plötzlich, als sie den Gipfel erreicht hatten, in eine offene Lichtung hinaus.

»Das Meer!« jubelte William, der ein wenig vorausgeeilt war, laut. »Da liegt es vor uns, das herrliche, weite Meer! Hurtig, komm schnell herbei, und sieh!«

Robinson kam, stellte sich neben seinen jungen Gefährten, und überblickte schweigend, aber entzückt, die wunderschöne Landschaft, die wie ein köstliches Bild vor seinen Augen sich ausbreitete.

*


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