Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16. Kapitel.
Die Quelle.

§William und der alte Hurtig schliefen so tiefen und erquickenden Schlaf, als ob sie in den besten Betten und Schlafgemächern der Welt geruht hätten, und die Sonne leuchtete bereits warm und hell vom Himmel herab, ehe sie erwachten und sich erhoben. Die armen Hunde litten sichtbar von dem schrecklichsten Durste. Sie winselten, blickten flehend und schwanzwedelnd zu William auf, und ihre Zungen hingen lechzend weit aus dem Halse heraus. Der traurige Anblick schmerzte den mitleidigen Knaben im Innersten seiner Seele; doch wagte er es nicht, der Noth der gequälten Thiere aus der gefüllten Wasserflasche abzuhelfen.

»Nun, William, wie ist's?« unterbrach Hurtig die Fülle seiner Empfindungen. »Wollen wir erst frühstücken, bevor wir gehen, oder erst einen tüchtigen Marsch machen?«

»Hurtig,« sagte William, »ich bin sehr durstig, aber ich kann, weiß Gott, nicht einen Tropfen Wasser zu mir nehmen, ehe nicht die armen Hunde zu trinken bekommen haben.«

»Sie dürfen und sollen jetzt nichts bekommen,« sprach der alte Hurtig mit fester Entschiedenheit. »Halte mich darum nicht für unbarmherzig und mitleidslos, William! Die schmachtenden Geschöpfe jammern mich nicht minder, wie dich; aber es gereicht zu ihrem eigenen Besten, wenn ich ihnen jetzt eine Erquickung verweigere. Sprich nicht mehr davon, mein Junge, denn es würde doch zu nichts helfen, und uns nur unnöthiger Weise das Herz schwer machen. Laß uns lieber ohne Zögern den Weg in das kleine Thal dort rechts einschlagen, und nach einer Quelle suchen. Finden wir nichts, so müssen wir zu erforschen suchen, wo das Wasser während der Regenzeit in die See hinabstürzt. Komm, mein Junge!«

William war froh, daß es vorwärts ging, und schritt mit Hurtig, der auf seinen Schultern den Spaten trug, in die Niederung hinab. Die Hunde folgten. Als sie in das Thal gelangten, schnüffelten sie auf dem Boden umher, rannten suchend in weiten Kreisen ringsum, und – legten sich endlich keuchend und japsend auf die Erde nieder.

»Wir müssen weiter gehen,« sagte Hurtig, der das Beginnen der Hunde aufmerksam beobachtet hatte, traurig und gedankenvoll zu seinem Begleiter. »Hier finden wir nichts.«

Sie schritten vorwärts, und kamen bald zu einer Stelle, wo unverkennbar sich das Regenwasser eine Bahn zum Meere gebrochen hatte. Hier schnoberten die Hunde eifriger noch als vorhin.

»Siehst du wohl, William,« sagte Hurtig, der es augenblicklich bemerkte, »die Hunde sind so begierig nach Wasser, daß sie es bestimmt ausfinden, wenn es irgendwo Etwas gibt. Wir allein, ohne ihren Beistand, könnten lange darnach suchen, und würden doch nichts gewahr werden, da ich fest überzeugt bin, daß über der Erde keins mehr steht. Wohl aber könnte sich unter derselben etwas finden, und ich würde schon hier Nachgrabungen im Sande halten, wenn die Entfernung bis zum Meere ein wenig größer wäre.«

»Im Sande?« fragte William; »da würde das Wasser doch salzig sein.«

»Nicht immer, wenn man weit genug vom Meere entfernt ist, und hinreichend tief in die Erde gräbt;« erwiederte Hurtig. »Du mußt nämlich wissen, William, daß der Sand nach und nach das Seewasser reinigt und ihm seine salzigen und bitteren Bestandtheile nimmt. Darum findet man oft, selbst in großer Entfernung vom festen Lande und in gleicher Höhe mit dem Niveau des Meeres, gutes und frisches Wasser. Leider ist diese Thatsache so wenig unter den Seeleuten bekannt, daß schon mancher brave Matrose schrecklich verschmachtete, wo er sich doch mit leichter Mühe hätte helfen können. Und nichts, William, ist fürchterlicher und qualvoller, als am Durste zu sterben! Ich weiß aus Erfahrung, was es heißt, auf eine halbe Pinte Wasser täglich angewiesen zu sein. Es ist schrecklich, sage ich dir.«

In diesem Augenblicke wurden die Hunde unruhiger als je. Sie schnüffelten eifrig am Boden, stießen halb unterdrückte Töne der Freude aus, und kratzten wüthend und angestrengt mit ihren Füßen die Erde auf, als ob sie ein tiefes Loch graben wollten. William bemerkte es zuerst, und machte Robinson ebenfalls darauf aufmerksam.

»Gott sei Lob und Preis und Dank!« rief der alte Hurtig mit freudeleuchtenden Augen aus, als er die Hunde so wacker arbeiten sah. »Nichts in der Welt könnte jetzt mich glücklicher machen, als der Anblick da.«

»Aber warum, Hurtig?« fragte William erstaunt. »Und weßhalb graben die Hunde so emsig?«

»Weil sie Wasser wittern, die armen Geschöpfe! Wasser, William!« rief beinahe jauchzend Robinson aus. »Nun wirst du einsehen, wie klug es war, sie ein paar Stunden dursten zu lassen, gelt? Es rettete uns Alle von großer Noth, weil wir entweder Wasser finden oder die Insel verlassen mußten. Aber komm, laß uns der Arbeit der guten Hunde ein wenig mit dem Spaten nachhelfen, und sie sollen bald für alle ihre Leiden entschädigt werden.«

Schnell eilte Hurtig an den Ort, wo noch immer die Hunde eifrig gruben. Sie waren bereits auf Feuchtigkeit in der Erde gekommen und arbeiteten mit solcher Hast und Heftigkeit, daß Robinson sie nur mit Schwierigkeit aus dem Wege zu schaffen vermogte, um Raum für den Gebrauch seines Spatens zu gewinnen. Noch keine zwei Fuß tief hatte er aber gegraben, da quoll schon das helle Wasser hervor, und gierig stürzten die Hunde darauf los, steckten ihre Zungen hinein, und tranken mit einem Behagen, das gar nicht mit Worten auszudrücken ist.

»Schau, schau, William!« rief der alte Hurtig, mit einem herzlichen Gekicher auf die Hunde deutend, »das schmeckt, das mundet ihnen! So wie den armen Geschöpfen hier mag den Israeliten zu Muthe gewesen sein, als Moses in der heißen, dürren Wüste mit seinem Stabe wider den Felsen schlug, und klar und erfrischend ein Strom kristallhellen Wassers hervorquoll. Aber dennoch glaube ich nicht, daß Einer von ihnen dankbarere Empfindungen gegen Gott gehegt hat, als ich in diesem Augenblicke empfinde! Wasser, William, war das Einzige, was uns noch fehlte, und siehe, der Vater im Himmel spendet es uns, gerade wo wir es am Meisten bedürfen. Nun haben wir Alles, was wir gebrauchen, und können glücklicher und zufriedener leben, als Tausende von Menschen, die sich im Schweiße ihres Angesichts mühen, Reichthümer zusammen zu scharren, ohne sie doch zu genießen.«

»Aber sieh, die Hunde sind endlich satt,« fügte er lächelnd hinzu. »Wie sie sich voll getrunken haben, die alten Burschen! Ja, ja, das hat ihnen gefallen nach dem langen Dürsten! Was meinst du, William, wollen wir jetzt auch frühstücken?«

»Ja,« erwiederte fröhlich der Knabe; »jetzt, wo ich die armen Thiere nicht mehr leiden sehe, wird es mir schmecken, und auch einen recht tüchtigen Schluck Wasser kann ich zu mir nehmen.«

»Immer trink, mein Junge,« sagte Robinson. »Das ist eine ergiebige Quelle, die du dein Lebtage nicht ausleeren wirst. Später müssen wir sie mehr gegen die Bäume hin leiten, damit sie hübsch schattig und kühl liegt und von der Sonne nicht ausgetrocknet wird; vor der Hand aber wollen wir wieder zu unserem Hügel hinauf und essen. Komm, William.«

Sie schritten zu der Stelle zurück, wo sie in der vergangenen Nacht geschlafen hatten und ließen sich nach der Anstrengung und freudvollen Aufregung des Morgens ihr Frühstück nicht wenig schmecken. Hurtig plauderte von einem Hause, das er über dem Abhange erbauen wollte, und von tausend anderen Plänen, die er im nächsten Jahre noch auszuführen gedachte. Endlich aber erinnerte er sich daran, daß er noch keinen Durchgang durch die Klippen im Meere erspäht hatte, und forderte William auf, ihn auf die zweite Landzunge zu begleiten, welche der ersten, die er bereits gestern untersucht hatte, gegenüber lag.

»Wir müssen einen Durchgang finden,« sagte er, »weil unser kleines Boot sonst das meilenlange Riff umsegeln müßte, wenn wir, wie ich nun fest entschlossen bin, unsern künftigen Wohnsitz hier aufschlagen.«

Sie gingen hinab, und Hurtigs geübter Blick machte bald ausfindig, daß hier das Wasser dicht am Lande tief und breit genug sei, dem Boote die bequemste Durchfahrt zu gestatten. Uebrigens zeigte sich die See so glatt und wellenlos, das Wasser so klar und durchsichtig, daß man bis auf den felsigen Grund hinab sehen und die Fische beobachten konnte, welche rasch und unhörbar durch die Tiefe dahin glitten.

»Nun, William,« sagte der alte Hurtig mit vieler Gemüthlichkeit, »bin ich in allen Stücken vollkommen zufrieden gestellt, und denke, wir haben hier vorläufig nichts weiter zu thun. Dagegen müssen wir nun darüber nachsinnen, wie wir auf die möglich schnellste und kürzeste Weise unsere Habseligkeiten vom entgegengesetzten Ende der Insel hierher schaffen, und können das am Besten, während wir sachte wieder nach Hause wandern.«

»Wollen wir heute noch zurück?« fragte William.

»Ja, ich denke so,« erwiederte Robinson. »Hier sind wir zu nichts mehr nütze, und dort wird deine Mutter in Sorge um dich sein. Auch ist es noch nicht einmal Mittag, und wir können daher ohne Beschwerde noch vor Nacht bei den Zelten anlangen. Der Rückweg wird uns nicht sehr beschwerlich fallen, da wir nicht länger die Bäume zu bezeichnen brauchen, was uns auf dem Herwege so lange aufgehalten hat. Komm, William, wir wollen uns gleich auf die Beine machen.«

»Halt Hurtig,« rief jedoch der Knabe dem schon vorauseilenden Gefährten nach. »Erst schau dir noch den Haifisch an, der da drüben sich so lustig im Wasser umhertummelt.«

»Laß ihn, laß ihn, mein Junge!« rief Robinson zurück. »Hier auf der Leeseite der Insel werden wir ihrer noch mehr zu sehen bekommen, als uns lieb ist. Gerade in diesen ruhigen Buchten halten sie sich am liebsten auf, und Ihr müßt Euch daher sehr in Acht nehmen, wenn Ihr zum Baden geht.«

Sie begaben sich nun auf den Hügel zurück, und Hurtig schlug vor, Axt, Beil und Spaten, als nun unnöthig geworden, zurück zu lassen, und nur die Flinten der Vorsicht halber wieder mitzunehmen. Ohne Zögern verbargen sie die erwähnten Gegenstände in dürrem Laube, und eilten dann noch einmal zu ihrer Quelle, um die Menge des herausgeströmten Wassers zu besichtigen.

Während sie auf dem weißen Sande des Strandes dahin gingen, fiel es ihnen auf, daß eine zahllose Menge von Seevögeln ganz ohne alle Scheu dicht vor ihren Köpfen umherflatterte. Das Räthsel ward ihnen aber sogleich gelöst, als sie nach dem Meere schauten, und die Bucht von dichten Zügen kleiner Seefische wimmeln sahen, die sich eilig gegen das Ufer herandrängten, und zum Theil in bunter Verwirrung sogar auf den Strand geriethen. Den kleinen Fischen folgten größere in nicht geringerer Menge, stürzten über die ersteren her, und waren so blind in ihrer wüthenden Verfolgung, daß sie ihnen sogar bis auf das Ufer nachsetzten und schnappend auf dem Sande umherzappelten. Die Vögel stürzten aus der Luft herab, packten sie mit ihren Krallen, und flogen mit der leicht errungenen Beute davon.

»Nein, dieß ist doch zu merkwürdig!« rief William voller Erstaunen, nachdem er das seltsame Schauspiel eine Zeit lang beobachtet hatte.

»Ja, merkwürdig ist es, und eine gute Lehre liegt darin,« erwiederte Hurtig. »Die kleinen Bonetta's werden von den Raubfischen gejagt; in der Angst laufen sie an den Strand, die Verfolger in blindem Eifer hinterdrein, und die Vögel endlich fressen Alle auf. Die Moral davon ist, ›daß blinder Eifer stets Gefahr bringt‹.«

»Aber die Kleinen verfolgen ja nicht, Hurtig!«

»Ich meinte auch nur die Großen,« entgegnete Robinson lächelnd.

»An den Kleinen geht das Sprichwort in Erfüllung, daß man aus dem Regen in die Traufe kommt, wenn man nicht immer in jeder Lage hübsch besonnen bleibt, und darin liegt auch eine Moral. – Aber wir wollen zur Quelle!«

Als sie hingelangten, fanden sie das Loch, welches Robinson gegraben hatte, bis zum Ueberlaufen von Wasser angefüllt, das Wasser selbst aber vom vortrefflichsten Geschmack. Ueberglücklich durch diese Entdeckung tranken sie sich satt, und machten sich dann mit den Hunden ohne weiteres Zögern auf den Heimweg zur alten Lagerstatt am jenseitigen Ufer der Insel.

*


 << zurück weiter >>