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15. Kapitel.
Weitere Abentheuer.

O, wie wundervoll, wie prächtig!« rief William nach einer langen Pause voll Freude aus. »Hier würde die Mutter gewiß gern wohnen, und aller Traurigkeit vergessen! Um wie viel schöner und lieblicher ist diese Gegend, als die andere Seite der Insel, die mir früher so reizend erschien.«

»Ja, William, gewiß, es ist schön hier,« erwiederte Hurtig, ohne aufzuschauen, gedankenvoll mehr zu sich selbst als zu dem Knaben sprechend.

Und wahrlich, etwas Liebreizenderes, als die weite Aussicht von jener Anhöhe hinab, ließ sich kaum denken.

Der Hügel, auf welchem unsere Freunde standen, senkte sich dicht vor ihren Füßen wohl dreißig Fuß tief steil und jäh auf das flache Land hinab. Rechts und links zeigten sich, wie abgeschnitten, in einem weiten Bogen die dichten Kokoswaldungen, gleich einem grünen, sonnendurchfunkelten prachtvollen Rahmen das ganze herrliche Bild einfassend. Die Ebene am Fuße des Hügels erschien dem trunkenen Auge als ein glänzender, sammetähnlicher Teppich, in dessen saftige Grundfarbe tausend und aber tausend bunte Blumen und blühende Gesträuche eingewirkt sind. Der Meeresstrand schimmerte silbern von dem schneeweißen feinen Sande, an dessen Saume sich leise rauschend und murmelnd die tiefblauen Wasser des Oceans brachen. Ein niedriges Felsenriff erstreckte sich vom Ufer aus meilenweit in die See hinein, und erschien mit zahllosen Schaaren von Rothgänsen und andern Wasservögeln bedeckt, die friedlich und ungestört auf den Klippen ihr Wesen trieben. Die ganze Küste, so weit man sie überschauen konnte, zeigte die tief eingeschnittene, halbrunde Form eines Hufeisens, und bildete so eine sturmgesicherte kleine Bay, zu deren beiden Seiten sich das feste Land grünend und blühend weit hinaus erstreckte. Ueber dem Wasser hoch in der Luft schwebten langsamen Fluges der Albatroß und der Sturmvogel, schauten mit hellen Augen umher, und schossen zuweilen in das Meer hinab, wenn sich auf der schimmernden Fläche des klaren Wassers eine lockende Beute zeigte. In wolkenloser Bläue aber glänzte der Himmel über See und Land, und das strahlende Licht der Sonne brach sich tausendfach in den kräuselnden Wellen der ruhigwogenden Gewässer.

Lange, lange sprach Hurtig kein Wort, sondern ließ sein Auge bald rechts und links am Horizonte entlang streichen, bald beobachtete er die Korallenriffe im Meere vor sich, und bald schaute er wieder auf's Land zurück. Mißmuthig schüttelte er öfters den Kopf, und seine anfangs heitere Miene verfinsterte sich so sehr, daß es unserm William auffallen mußte.

»Was habt Ihr nur vor, Hurtig?« fragte er. »Es scheint Euch irgend Etwas nicht recht zu sein.«

Robinson fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um die trüben Gedanken wegzuwischen, und antwortete dann mit der alten Festigkeit: »Wir müssen eben Wasser suchen und finden, William, weil ich, wenigstens von hier aus, nirgends eine Insel erblicke, mit welcher wir diese hier vertauschen könnten. Auch kann ich dort in den Klippen noch keinen Zugang zur Bay entdecken, was mir aus vielerlei Gründen sehr unangenehm ist. Trotzdem will ich aber keineswegs verzweifeln, da man überhaupt nach dem ersten Eindrucke nicht urtheilen soll, sondern wir wollen hinabgehen auf die Wiese, da Mittag halten, und dann weiter schauen, was zu machen ist. Aber halt, William! Vor allen Dingen müssen wir die Bäume am Waldsaume zeichnen, damit wir nachher den Eingang zu unserer Straße wieder auffinden können.«

Er hieb mit seiner Axt ein Paar große Spähne aus den zunächst stehenden Kokosbäumen, und stieg dann mit William auf das flache Land hinab, wo beide sich niedersetzten und ihr Mittagsmahl verzehrten. Hierauf gingen sie dicht an der Küste entlang, und Hurtig durchsuchte mit emsigem Blick jede Felsspalte, ob er nicht irgendwo eine Höhle mit süßem Wasser entdecken könnte.

»Es sind da ein Paar Rinnen, in welchen das Wasser während der Regenzeit von den Höhen der Insel abgelaufen ist,« sagte Hurtig, sie mit dem Finger bezeichnend, »und diese wollen wir uns merken, ob wir sie gleich heute nicht näher untersuchen können. Vor der Hand muß ich ausfindig machen, ob unser kleines Boot durch die Klippen da kommen kann, weil uns solch' ein Durchgang viel Mühe und Arbeit ersparen würde, wenn wir späterhin in diese Gegend übersiedeln wollten. Denke nur, William, wenn wir alle unsere Habseligkeiten auf dem langen Wege durch den Wald hierher schleppen müßten! In Jahr und Tag würden wir damit nicht fertig, obgleich es zur See nur wenig Mühe machen wird. Deßhalb wollen wir den Rest des Tages zur Durchforschung der Küste benutzen, und morgen auf die Entdeckungsreise nach dem Wasser ausgehen.

»Ja, das ist gewiß auch sehr nöthig,« stimmte William bei; »denn seht nur, Robinson, die armen Hunde lecken wahrhaftig Seewasser vor lauter Durst.«

»Werden bald genug davon kriegen,« entgegnete Hurtig; »siehst du, es schmeckt ihnen schon nicht mehr.«

Sie gingen weiter, und William freute sich über die prächtigen Korallen, die gleich weit verzweigten Bäumen unter dem Wasser wuchsen, und über einige blühende Seeanemonen, deren Blätter sich, zu seinem größten Erstaunen, bei der leisesten Berührung, zusammenfalteten und schlossen. Mittlerweile näherte sich die Sonne dem Untergange, und Hurtig eilte immer hastiger vorwärts, dem Ende der einen Landzunge zu, welche sich weit in das Meer hinaus erstreckte. Mühsam mußten sie sich durch das dichte Gestrüpp, mit welchen der Boden bewachsen war, durchdrängen, und waren froh, als sie endlich das Ziel ihrer Wanderung erreichten. Sie hatten hier einen freieren Blick in das Meer hinaus, und bemerkten alsbald mit großer Freude noch eine Insel am Horizonte, die einen weit bedeutenderen Umfang, als die ihrige, zu haben schien.

»Das ist tröstlich!« rief der alte Hurtig vergnügt. »Nun bleibt uns doch noch eine Hoffnung, wenn wir trotz allem Forschen keine Quelle entdecken sollten. Im Nothfalle läßt sich die Insel dort drüben mit unserem Boote erreichen.«

»Aber nun ist's auch Zeit, daß wir umkehren, und uns ein Ruheplätzchen für die Nacht aufsuchen,« fuhr er fort. »Der Abend dämmert schon, und müde sind wir auch. Komm, William.«

Sie kehrten um, und wanderten über die Landzunge zurück. Plötzlich blieb William stehen, zupfte Robinson am Aermel und fragte leise: »Was ist das für ein schwarzes Ding auf dem Sande da?«

Hurtig schaute hin, und erwiederte: »das ist eine Schildkröte, William. Um die jetzige Jahreszeit kommen diese Thiers in der Dämmerstunde gewöhnlich aus dem Meere, um ihre Eier in den Sand zu legen.«

»Können wir sie nicht fangen?« fragte der Knabe begierig.

»Wir können wohl, aber wir wollen nicht,« antwortete Hurtig. »Zu was würde es uns nützen, das arme Thier zu tödten, da wir jetzt doch keinen Gebrauch davon machen könnten?«

»Das ist wahr, Hurtig!« sagte William. »Aber erkläre mir, auf welche Weise man sich ihrer bemächtigen könnte.«

»Nun, wir müßten sacht an sie heranschleichen, sie beim Kopfe und einem Vorderbeine fassen und auf den Rücken legen, wo sie sich dann nicht mehr vom Flecke rühren kann;« erklärte Hurtig. »Wenn du aber ja einmal auf den Fang ausgehst, so hüte dich, von hinten an sie heran zu kommen; denn das Thier mögte dir mit seinen Hinterbeinen einen solchen Schauer von Sand in die Augen schleudern, daß dir Sehen und Hören vergehen würde. Späterhin wollen wir einen Schildkrötenteich im Meere anlegen, damit wir sie jederzeit, wenn wir Lust dazu haben, bekommen können.«

Dieser Vorschlag gefiel unserem William nicht wenig.

Beide eilten nun rascher auf die verlassene Anhöhe zurück, suchten sich im Kokoswalde Zweige und Blätter zusammen, und bereiteten sich daraus ein weiches Lager. Dann nahmen sie ihr Abendbrod ein, tranken ein wenig Wasser und machten sich darauf zum Schlafengehen fertig. Die Hunde lagen indeß lechzend auf der Erde, und warfen sehnsuchtsvolle Blicke auf die gefüllten Wasserflaschen.

»Soll ich ihnen nicht ein wenig zu trinken geben?« fragte William mitleidig. »Seht nur Hurtig, Remus leckt an der Flasche! Wie durstig müssen die armen Thiere sein!«

»Sie dauern mich,« entgegnete Robinson, »aber ich kann ihnen nicht helfen; denn morgen brauche ich ihre natürliche Spürkraft. Der Durst wird sie aufmerksam und rührig erhalten, und das kann uns und ihnen zum wesentlichen Vortheile gereichen.«

William gab den vernünftigen Vorstellungen Hurtigs, wenn auch nur mit innerem Widerstreben, nach, und packte die Flaschen wieder in die Reisetaschen. Dann kniete er mit Hurtig nieder, und Beide beteten zu Gott um seinen gnädigen Schutz für die bevorstehende Nacht. Hierauf endlich wünschten sie sich gegenseitig gute Ruhe, warfen sich auf ihr Blätterlager nieder, und schlossen ihre Augen zum Schlummer. Der Himmel wachte über ihrem Haupte.

*


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