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9. Kapitel.
Erste Ueberfahrt.

Nachdem Robinson das Nöthigste besorgt und die Thiere gefüttert hatte, ging er in die Kajüte hinab und rief Herrn Seagrave und William. Mit ihrer Hilfe wurden die Spieren aufgerichtet und befestigt, das Boot wurde eingehakt und sollte nun über die Penterbalken und das Hackbord geschafft werden. Da fand sich aber, daß zu diesem Geschäft die Kräfte unserer drei Freunde nicht ausreichten und William wurde abgeschickt, um Juno zur Hilfe herbei zu holen. Sie kam sogleich, und da sie ein rüstiges, starkes Mädchen war, so gelang es bald, das Boot unter die Spieren zu bringen und somit die fernere Hilfleistung der Negerin überflüssig zu machen.

»Geh' nur wieder hinab, Juno,« sagte Hurtig, »wir können vor der Hand wieder allein fertig werden.«

Juno verschwand unter Deck und das Boot wurde umgedreht. Hurtig begann ohne Zögern seine Arbeit und wies Herrn Seagrave an, einen Topf voll Pech auf das Küchenfeuer zu setzen, damit es flüssig geworden sein mögte, sobald er die Leinwand auf dem Kiele des Bootes befestigt haben würde. Um Mittag war der kleine halb zertrümmerte Nachen wieder nothdürftig zusammen geflickt; Hurtig bestrich nun die Leinwand mehrere Male mit Theer und verstopfte die Fugen, welche er schon sorgfältig mit Pech kalfatert hatte, nochmals von innen und außen.

»So,« sagte er, »nun denk' ich, wird's gehen, wir wollen daher den Nachen vorläufig auf den Gangweg schaffen und ihn dann vom Stapel laufen lassen. Gut ist's, daß die Matrosen schon die Brüstung weggehauen haben; es erspart uns Mühe und macht leichtere Arbeit. Fassen Sie an, Herr Seagrave, wenn's gefällig ist.«

Sie befestigten ein Tau an dem Boote, bugsirten es mit vereinten Anstrengungen über das Schanddeck hinüber, ließen es langsam in's Meer hinab und bemerkten mit großer Zufriedenheit, daß es nur ganz wenig Wasser zog.

»Alles schön!« sagte Hurtig, sich vergnügt die Hände reibend. »Was sollen wir nun zunächst thun, Herr Seagrave? Sollen wir erst ein paar Sachen oder die Kinder an's Ufer schaffen?«

»Was ist Eure Meinung, Hurtig?« entgegnete Herr Seagrave.

»Nun, ich denke, am Besten ist's, wir Beide schiffen einmal vorläufig allein hinüber, um das Land zu untersuchen. Das Wasser ist glatt wie ein Spiegel, die Entfernung beträgt kaum zweihundert Fuß und wir werden daher nur wenig Zeit verlieren. Dem Himmel sei Dank, daß wir schön Wetter haben! Da brauchen wir nicht ängstlich zu sein, wenn wir nachher die Kinderchen hinüber bringen!«

»Gut, Hurtig,« sagte Herr Seagrave. »Ich will mich sogleich zur Abfahrt fertig machen und nur erst meine Frau von dem Nöthigen unterrichten, damit sie sich nicht zu ängstigen braucht.«

»Und ich will indessen, um Zeit zu sparen, ein Segel und ein paar andere Sachen in's Boot schaffen,« sprach Hurtig und ging sogleich an's Werk.

Er warf ein Segel, eine Axt, eine Flinte und einige Stricke in's Boot, stieg sodann mit Herrn Seagrave, der mittlerweile wieder herauf gekommen war, hinein und stieß vom Wracke ab.

Ohne Unfall gelangten sie an's Ufer, stiegen den Strand hinauf und fanden nun erst, daß sie wegen der dichten Kokosbaumwälder, die alle Aussicht versperrten, von dem Innern der Insel nichts gewahr werden konnten. Doch bemerkten sie etwa eine Viertelstunde seitwärts eine kleine, offene, mit niedrigem Unterholz bewachsene, sandige Bucht.

»Dorthin müssen wir, Herr Seagrave,« sagte Hurtig, auf jene Stelle zeigend; »dort werden wir einen prächtigen Landungsplatz haben und wollen daher gleich im Boote hinüberrudern. Steigen Sie wieder ein; zu Schiffe ist's nur ein kurzer Weg, zu Lande aber ein langer, wenn wir alle Vorräthe aus unserem Nachen hinübertragen sollen.«

Sie sprangen in's Boot, erreichten die Bucht nach wenigen Minuten und fanden das Wasser in derselben so seicht und krystallhell, daß sie auf dem Meeresgrunde die schönsten, farbenprangendsten Muscheln erblicken und die Fische nach allen Richtungen hin und wieder schießen sehen konnten. Das Ufer zeigte sich bis auf eine Strecke von etwa vierzig Schritten landeinwärts sandig und unfruchtbar; dort aber sproßte grün und frisch, untermischt mit einzelnen stattlichen Kokosbäumen, das Unterholz in die Höhe und vermischte sich erst ungefähr hundert Fuß weiter mit den hohen Kokoswäldern, welche die ganze Insel zu bedecken schienen. Unsere Freunde ruderten an die Küste und traten an's Land.

»Wie wunderschön und lieblich ist es hier!« rief Herr Seagrave aus, indem er seine Augen hurtig umherschweifen ließ. »Welch' ein reizendes Plätzchen, das vielleicht noch niemals der Fuß eines Sterblichen betreten hat! Seht diese Kokosbäume, Hurtig! Jahr für Jahr haben sie ungestört Früchte getragen, wuchsen empor, welkten dahin und Andere sproßten an ihrer Stelle auf. Gewiß seit Jahrhunderten schon harrt dieser unentweihte Boden eines Bewohners, und hat alles Gute und Liebliche in sich vereinigt, was ein Mensch bedarf, um zu leben und sich seines Lebens zu freuen. Wie wunderbar waltet doch Gottes Vorsehung überall!«

»Ja, Gott ist gütig und sorgt für unsere Bedürfnisse, wo wir schwache Sterbliche es am wenigsten vermuthen oder erwarten, Herr Seagrave!« erwiederte andächtig der alte Hurtig. »Doch kommen Sie, lieber Herr und lassen Sie uns ein wenig in den Wald hineingehen. Vergessen Sie aber die Flinte nicht. S'ist nur der Vorsicht halber, nicht weil ich dächte, daß wir ihrer bedürfen sollten. Man findet nur selten auf solchen kleinen Inseln wilde Thiere, wenn es nicht gerade Schweine sind, die zuweilen ein christlich gesinnter, bedachtsamer Seefahrer am Ufer aussetzt. Denn dergleichen geschieht wohl; ich selbst segelte einmal in diesen Gewässern mit einem Kapitän, der niemals an einer menschenleeren Insel landete, ohne ein Paar Schweine oder andere nützliche Hausthiere darauf zurückzulassen. S'ist wegen armer, unglücklicher Seefahrer, die in der Nähe eines solchen Eilandes später einmal Schiffbruch leiden könnten, und im schlimmsten Falle denn doch ein Mittel vorfinden, ihr Leben zu fristen. Gut gemeint war es zum Wenigsten von unserem Kapitän.«

»Gewiß war es ein lobenswerthes Thun, Hurtig,« erwiederte Herr Seagrave, »und Keiner kann das mehr empfinden, als wir armen Schiffbrüchigen selber. Doch da sind wir im Walde! Was mögtet Ihr hier vornehmen, Hurtig?«

»Ich schaue mich nach einem Platze um, wo wir für den Anfang ein Zelt aufschlagen können,« erwiederte Hurtig; »ich glaube wohl, daß jener kleine Hügel da für unsern Zweck wenigstens so lange passen wird, bis wir einen bessern Ort gefunden haben. Wir wollen uns ihn merken und dann schnell wieder umkehren, da nicht mehr viel Zeit zu verlieren ist und vor Nacht noch Manches geschehen muß. Helfen Sie mir gefälligst das Segel und die anderen Sachen aus dem Boote an das Ufer schaffen, dann lassen Sie uns an das Wrack zurückschiffen.«

Die verschiedenen Gegenstände wurden schnell über Bord geschafft und das Boot ward wieder vom Lande abgestoßen. Während der Rückfahrt sagte Hurtig: »Ich habe mir ungefähr überlegt, Herr Seagrave, was wir zunächst vornehmen müssen. Wird Ihre Frau wohl damit zufrieden sein, wenn Sie nicht bei Ihr zurückbleiben? Ist's nicht der Fall, so wollen wir William und Juno übersetzen, die uns Beide am Lande von Nutzen sein können.«

»O nein, das ist nicht nöthig,« erwiederte Herr Seagrave. »Meine Frau wird sich nicht ängstigen, wenn nur William und die übrigen Kinder an Bord bleiben und ich späterhin zu ihr zurückkehre, um sie im Boote an's Land zu begleiten.«

»Nun, das ist schön,« sagte der alte Hurtig. »Wenn's Ihnen dann recht ist, so setze ich bei der nächsten Fahrt Sie, Juno und Tommy, allenfalls auch noch die Hunde über, die uns im Falle der Noth Schutz gewähren können; indeß Sie dann am Lande arbeiten, kehre ich auf das Wrack zurück und hole noch einige nothwendige Dinge herbei.«

Damit war die Sache abgethan; als die Beiden an Bord kamen, begab sich Herr Seagrave sogleich zu seiner Gemahlin, theilte ihr mit, was er Erfreuliches gesehen und bemerkt hatte und erhielt ohne Umstände ihre Zustimmung zu dem von Hurtig vorgeschlagenen Plane. Während dieß unten vorging, hieb oben Hurtig ein Paar Sparren los, band sie fest zusammen, befestigte einen Strick daran, warf sie über Bord in's Wasser und knüpfte sie am Boote fest, damit sie bei der Ueberfahrt hinten nachbugsirt werden konnten. Dann stieg er unter Deck, band die Hunde los, nahm einiges Handwerkszeug und ein paar Schaufeln mit hinauf, legte sie in den Nachen, half endlich Herrn Seagrave, Juno und Tommy, welche sich mittlerweile auf dem Verdecke eingefunden hatten, in das Boot hinab und ruderte wieder mit rüstigem Arme an das Land hinüber.

Tommy machte anfangs große Augen, als er an's Ufer trat und blickte verwundert umher, ohne eine Sylbe zu sprechen. Als er aber erst die schönen bunten Muscheln entdeckte, die in Hülle und Fülle am Strande umherlagen, da kam wieder Leben in ihn. Fröhlich klatschte er in die Hände, jauchzte laut auf, raffte in aller Eile eine Menge der bunten Schalen zusammen und spielte damit.

Die Hunde, glücklich, wieder festes Land unter den Füßen zu spüren, sprangen in weiten Sätzen umher und bellten so fröhlich, daß es laut durch den Wald erschallte. Juno aber lachte vor Freuden und rief einmal über's andere: »Hurtig, was das für schöner Platz sein! Sehr schöner Platz sein. Sehr gut leben hier, Hurtig!«

Der alte Robinson ließ der Freude der neuen Ankömmlinge ein Weilchen freien Lauf, dann aber winkte er Stille und wandte sich zu Herrn Seagrave.

»Vor der Hand,« sagte er, »will ich ein wenig bei Ihnen am Lande bleiben und das Zelt aufschlagen helfen. Laden Sie der Vorsicht halber die Flinte, Herr Seagrave, lassen Sie aber den Tommy nicht zu nahe dran gehen, sonst gibt's Unheil. Ich will das Segel tragen; Sie Herr Seagrave, nehmen eine der Sparren; du, Juno, kannst die Stricke tragen und du, mein Tommychen, wirst so gut sein, eine Schaufel auf den Rücken zu nehmen, damit du auch zu Etwas nütze bist. Jetzt muß Jeder zugreifen, so weit seine Kräfte reichen wollen.«

Alle beluden sich mit den angeführten Gegenständen, schleppten sie auf den Gipfel des kleinen Hügels und kehrten dann zurück, um auch den Rest der Ladung hinauf zu tragen. Mit ein paar Gängen war die Sache abgethan und keiner war stolzer über seine Hilfleistung, als Tommy, der stattlich mit der Schaufel einherspazierte.

»Diese zwei Bäume, Herr Seagrave, werden prächtig zu unserem Vorhaben passen,« sprach Robinson Hurtig, nachdem er ein Weilchen umhergeschaut hatte. »Sie stehen gerade hinreichend weit von einander entfernt. Befestigen Sie oben die Sparren daran und werfen Sie dann das Seil darüber hinweg, so daß wir beide Enden desselben auf der Erde befestigen können. Ich will indeß noch etwas Segelwerk holen und nachher zwischen jenen Bäumen da ein zweites Zelt aufrichten, damit wir für uns Alle ein Obdach bekommen. Halten Sie sich nur fleißig an die Arbeit, damit Sie mit Allem fertig sind, bis ich wieder komme.«

»Recht gut so weit, lieber Hurtig,« erwiederte Herr Seagrave. »Nur sehe ich nicht ein, wie wir weit genug an den Bäumen hinauf reichen können?«

»Warten Sie, ich will's Ihnen zeigen,« sagte Hurtig. »Binden Sie nur in dieser Höhe hier den ersten Sparren an, treten Sie dann darauf und befestigen den zweiten an der rechten Stelle weiter oben. So geht's ganz leicht. Aber warten Sie, am Besten ist's doch, ich helfe Ihnen erst ein bischen.«

Rüstig legte Hurtig Hand an, gab die nöthigen Anweisungen und brachte mit Hilfe Herrn Seagrave's und Juno's in kurzer Zeit ein Zelt zu Stande, das gar nicht schöner und praktischer sein konnte.

»Na, nun will ich aber fort,« sagte er, als das Werk geschehen war. »Schneiden Sie, bis ich wiederkomme, ein Paar tüchtige Pflöcke aus dem Strauchwerk da, schlagen Sie sie in den Boden ein, binden das Segeltuch daran fest und werfen endlich einige Schaufeln Erde auf den Rand des Zeltes. Es wird dann wohl hinreichend schließen, bis wir es vollends fertig machen können. Behalten Sie auch mein Messer da, wenn Sie etwa keins mitgenommen haben.«

»Ich will mir alle mögliche Mühe geben,« erwiederte Herr Seagrave, »und denke, es wird gelingen, wenn Juno die Zeltenden straff ziehen hilft.«

»Gewiß geht es gut,« bestätigte Robinson Hurtig. »Wenn Sie fertig sind und Juno nicht mehr gebrauchen, kann diese mit einer Schaufel den Boden des Zeltes ebnen, die Erde ein wenig feststampfen und die abgefallenen alten Kokosblätter hinauswerfen. Nimm dich aber bei diesem Geschäft in Acht, Juno, denn es steckt zuweilen giftiges Ungeziefer in dem Laube.«

»Du, mein Bürschchen aber,« wendete er sich zu Tommy, »sei hübsch artig, verstehst du? Rühre mir auch die Aexte nicht an, denn sie könnten dich schneiden, wenn du es thust, und vor allen Dingen laufe mir nicht in den Wald hinein, weil du dich nimmermehr zurecht finden könntest. Und nun, Herr Seagrave, noch eins. Sollte irgend Etwas geschehen, wobei Sie meines Beistandes bedürfen, so feuern Sie die Flinte los und ich werde augenblicklich an's Land eilen. Uebrigens ist kaum Etwas zu befürchten, da Alles ringsumher still und ruhig, wie ausgestorben erscheint. Und nun endlich, leben Sie wohl.«

Schnell ging er von dannen, begab sich an den Strand hinab, bestieg das Boot und trieb dasselbe mit mächtigen Ruderschlägen dem nahen Wracke zu.

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